Rückverweise
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. a Nussbaumer Hinterauer sowie Hofrätin Dr. Holzinger und Hofrätin Mag. Dr. Pieler als Richterinnen, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Strasser, LL.M., über die Revision des P D, vertreten durch MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 21. September 2023, VGW 002/V/011/713/2022 35, betreffend Übertretung des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien), zu Recht erkannt:
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 1. Dezember 2021 wurde der Revisionswerber der Übertretung des § 52 Abs. 1 Z 1 drittes Tatbild iVm § 2 Abs. 2 und 4 iVm § 4 Glücksspielgesetz (GSpG) schuldig erkannt, weil er es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen Berufener zu verantworten habe, zu einem näher genannten Zeitpunkt in einem bestimmt bezeichneten Lokal mit einem konkret bezeichneten Glücksspielgerät zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen unternehmerisch zugänglich gemacht zu haben. Über den Revisionswerber wurde eine Geldstrafe in der Höhe von € 1.000, (bzw einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Der Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens wurde mit € 100, bestimmt.
2 Gegen dieses Straferkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde.
3 Das Verwaltungsgericht Wien führte am 16. Mai 2022 eine mündliche Verhandlung durch und setzte in dieser das Beschwerdeverfahren mit Beschluss bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes über die Revision gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 28. Jänner 2021, LVwG 41.18 490/2020 14, aus. Begründend führte es aus, beiden Verfahren lägen Geräte gleicher Bauart zugrunde.
4Mit Beschluss vom 18. Oktober 2022, Ra 2021/02/0095, entschied der Verwaltungsgerichtshof über die Revision gegen das genannte Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom 28. Jänner 2021. Dieser Beschluss wurde den Parteien des Revisionsverfahrens am 8. November 2022 zugestellt.
5 Im sodann fortgesetzten Beschwerdeverfahren führte das Verwaltungsgericht am 19. Juni 2023 eine (fortgesetzte) mündliche Verhandlung durch, welche auf unbestimmte Zeit vertagt wurde.
6 Mit Schreiben vom 21. Juni 2023 forderte das Verwaltungsgericht einen näher bezeichneten Sachverständigen auf, Fragen betreffend die Spielweise des verfahrensgegenständlichen Geräts zu beantworten. Diese mit 6. Juli 2023 datierte, schriftlich erstattete „ergänzende Sachverständigen-Beurteilung“ wurde den Verfahrensparteien zur Kenntnis gebracht. In der Folge erstatteten das Amt für Betrugsbekämpfung mit Schreiben vom 9. August 2023 sowie der Bundesminister für Finanzen mit Schreiben vom 12. September 2023 Stellungnahmen, zu welchen dem Revisionswerber nicht Parteiengehör gewährt wurde.
7 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 21. September 2023 gab das Verwaltungsgericht der Beschwerde gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 1. Dezember 2021 in der Schuldfrage keine Folge, „in der Straffrage“ wurde die Geldstrafe mit € 500, (Ersatzarrest zehn Stunden) festgesetzt. Das Verwaltungsgericht sprach weiters aus, dass sich die Verfahrenskosten auf € 50, reduzierten und der Revisionswerber keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten habe. Die Revision erklärte das Verwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
8 Das Verwaltungsgericht ging zusammengefasst davon aus, dass es sich bei dem vorliegenden Gerät um ein Glücksspielgerät handle, weil nicht von einem Überwiegen des „Geschicklichkeits Modus“ auszugehen sei. Dem beigezogenen Sachverständigen, welcher die Geschicklichkeitsvariante des Spiels in den Vordergrund gerückt habe, sei nicht zu folgen. Vielmehr sei den in der Stellungnahme des Bundesministers für Finanzen ausgeführten Argumenten zu folgen, sodass vom Vorliegen eines Glücksspielgeräts auszugehen sei.
9 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung kostenpflichtig aufzuheben. In dem vom Verwaltungsgerichtshof durchgeführten Vorverfahren wurde keine Revisionsbeantwortung erstattet.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Der Revisionswerber bringt zur Begründung der Zulässigkeit seiner Revision unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe den Unmittelbarkeitsgrundsatz und die Verhandlungspflicht verletzt, weil es nach Durchführung einer Verhandlung eine „ergänzende Sachverständigen Beurteilung“ eingeholt habe. Zu dieser seien vom Amt für Betrugsbekämpfung (Finanzpolizei) und dem Bundesminister für Finanzen Stellungnahmen abgegeben worden, welche nicht zum Parteiengehör gebracht worden seien. Auf eine Fortsetzung der Beschwerdeverhandlung sei nicht verzichtet worden. Dennoch habe das Verwaltungsgericht die nach der Verhandlung eingeholten Beweismittel verwertet und seine Entscheidung insbesondere auf die beiden Stellungnahmen gestützt.
11 Die Revision erweist sich bereits aus diesem Grund als zulässig; sie ist auch berechtigt.
12§ 48 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idF BGBl. I Nr. 57/2018, lautet wie folgt:
„ Unmittelbarkeit des Verfahrens
§ 48. (1) Wenn eine Verhandlung durchgeführt wurde, dann ist bei der Fällung des Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in dieser Verhandlung vorgekommen ist. Auf Aktenstücke ist nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie bei der Verhandlung verlesen wurden, es sei denn, der Beschuldigte hätte darauf verzichtet, oder als es sich um Beweiserhebungen handelt, deren Erörterung infolge des Verzichts auf eine fortgesetzte Verhandlung gemäß § 44 Abs. 5 entfallen ist.
(2) Eine Verlesung von Aktenstücken kann unterbleiben, wenn diese Aktenstücke von der Partei, die die Verlesung verlangt, selbst stammen oder wenn es sich um Aktenstücke handelt, die der die Verlesung begehrenden Partei nachweislich zugestellt wurden.“
13Gemäß § 48 VwGVG ist in Verfahren in Verwaltungsstrafsachen, wenn eine Verhandlung durchgeführt wurde, bei der Fällung eines Erkenntnisses nur auf das Rücksicht zu nehmen, was in der Verhandlung vorgekommen ist. Auf Aktenstücke ist nur insoweit Rücksicht zu nehmen, als sie bei der Verhandlung verlesen wurden, es sei denn, der Beschuldigte hätte darauf verzichtet, oder soweit es sich um Beweiserhebungen handelt, deren Erörterung infolge Verzichts auf eine fortgesetzte Verhandlung gemäß § 44 Abs. 5 VwGVG entfallen ist (VwGH 25.8.2025, Ra 2025/12/0010).
14§ 48 VwGVG legt die Geltung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes im Verwaltungsstrafverfahren fest, der für den Beschuldigten an Art. 6 EMRK zu messen ist. Demnach darf das Verwaltungsgericht, soweit es eine Verhandlung durchführt, bei seiner Entscheidung nur auf die in der Verhandlung selbst vorgekommenen Beweise Rücksicht nehmen. Die Anforderungen an ein faires Verfahren gemäß Art. 6 EMRK gebieten es, alle Beweise grundsätzlich in einer öffentlichen Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung aufzunehmen (vgl VwGH 16.5.2019, Ra 2018/02/0198, mwN).
15Ein Verstoß gegen den in § 48 VwGVG normierten Unmittelbarkeitsgrundsatz liegt dann vor, wenn die verwerteten Beweismittel auch sonst nicht in der Verhandlung „vorgekommen“ sind (vgl VwGH 2.3.2022, Ra 2022/12/0019, mwN).
16Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber auf die Fortsetzung der auf unbestimmte Zeit vertagten mündlichen Verhandlung nicht verzichtet. Indem das Verwaltungsgericht die nach Durchführung der (Tagsatzung zur) mündlichen Verhandlung vom 19. Juni 2023 eingeholte Stellungnahme des Sachverständigen sowie die daraufhin erstattete Stellungnahme des Bundesministers für Finanzen seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat, obwohl der Revisionswerber nicht ausdrücklich auf die Fortsetzung dieser Verhandlung und somit auch nicht auf die Erörterung der Beweismittel verzichtet hat, ist ihm ein Verstoß gegen die Verhandlungspflicht bzw den Unmittelbarkeitsgrundsatz nach § 48 VwGVG vorzuwerfen. Dies stellt einen Verstoß gegen tragende Verfahrensgrundsätze bzw eine konkrete schwerwiegende Verletzung von Verfahrensvorschriften dar (vgl abermals VwGH 16.5.2019, Ra 2018/02/0198, mwN). Bei diesem Ergebnis war auf das weitere Revisionsvorbringen nicht mehr einzugehen.
17Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
18Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 21. Oktober 2025