JudikaturVwGH

Ro 2023/11/0005 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
27. Mai 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm, die Hofrätin MMag. Ginthör, den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätinnen Dr. in Oswald und Dr. Kronegger als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Janitsch, über die Revision des Dr. H S, vertreten durch die Bischof Zorn + Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Seilerstätte 18 20, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 15. März 2023, Zl. LVwG AV 1402/001 2020, in einer Angelegenheit nach dem Ärztegesetz 1998 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Verwaltungsausschuss des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Ärztekammer für Niederösterreich hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

1 1.1. Mit Bescheid vom 14. April 2020 gab die belangte Behörde dem Antrag des Revisionswerbers auf Gewährung der Altersversorgung ab 1. Jänner 2020 gemäß § 99 Ärztegesetz 1998 (ÄrzteG 1998) iVm §§ 23, 24, 26, 27, 28, 28b, 29, 29b, 64 sowie der Anhänge I und VI der Satzung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Niederösterreich (im Folgenden: Satzung WFF) statt und gewährte die Versorgungsleistung im Umfang einer näher bezifferten monatlichen Grundrente und einer näher bezifferten monatlichen Zusatzleistung. Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies die belangte Behörde mit Beschwerdevorentscheidung vom 29. Juli 2020 als unbegründet ab und sprach aus, der angefochtene Bescheid bleibe „unverändert aufrecht“. Daraufhin stellte der Revisionswerber einen Vorlageantrag gemäß § 15 VwGVG.

2 1.2. Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die Beschwerde des Revisionswerbers „gegen die als Bescheid bezeichnete Erledigung des [belangte Behörde] vom 14. April 2020 ... nach Beschwerdevorentscheidung ... vom 29. Juli 2020 ... mangels Vorliegens eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes“ als unzulässig zurück. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig.

3 Das Verwaltungsgericht stellte zusammengefasst fest, der Antrag des Revisionswerbers auf Gewährung der Altersversorgung sei Gegenstand der Sitzung der belangten Behörde am 11. März 2020 gewesen. Der Verwaltungsakt sei im Rahmen der Sitzung aufgelegen, jedoch ohne eine konkrete Berechnung zur Altersversorgung und „ohne alle für die Berechnung erforderlichen Sachverhaltselemente (etwa die Bemessungsgrundlage für die Zusatzleistung oder die Höhe der individuellen versicherungsmathematischen Unterdeckung)“ zu beinhalten.

4 Beweiswürdigend stützte sich das Verwaltungsgericht im Wesentlichen auf das Beschlussprotokoll der belangten Behörde vom 11. März 2020 und ein im Rahmen des Beschwerdeverfahrens von dieser eingebrachtes Schreiben. Dass das der Erledigung vom 14. April 2020 beiliegende Hinweisblatt zur Berechnung der Altersversorgung bei Beschlussfassung vorgelegen sei, sei im Zuge des Parteiengehörs nicht vorgebracht worden.

5 Rechtlich legte das Verwaltungsgericht dar, dass es sich bei der belangten Behörde um ein Kollegialorgan handle, dessen Willensbildung durch Beschluss nicht nur den Spruch, sondern auch den Inhalt und damit die wesentliche Begründung einer Erledigung umfasse. Das Verwaltungsgericht zitierte in Folge wörtlich aus einem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 27.4.2015, 2012/11/0082), in dem im Zusammenhang mit der Vorschreibung von Beiträgen zum Wohlfahrtsfonds ausgeführt wurde, dass sich eine Entscheidung über die Festsetzung des vom Kammermitglied zu leistenden Fondsbeitrages nicht in der Willensbildung über den vorgeschriebenen Betrag erschöpft, sondern auch eine Willensbildung hinsichtlich des angenommenen Sachverhaltes sowie der tragenden Gründe der Entscheidung miteinschließt. Andersfalls so der Verwaltungsgerichtshof weiter wären schon die Grenzen der Rechtskraft einer solchen Entscheidung nicht erkennbar.

6 Fallbezogen ging das Verwaltungsgericht davon aus, dass in der für den Bescheid vom 14. April 2020 ausschlaggebenden Sitzung der belangten Behörde am 11. März 2020 nur beschlossen worden sei, dem Revisionswerber die beantragte Altersversorgung dem Grunde nach zu gewähren, während mangels für deren Berechnung notwendiger Unterlagen keine Willensbildung „hinsichtlich der genauen Höhe der Grundrente und der Zusatzleistung, des Sachverhalts und der Bescheidbegründung“ erfolgt sei. Da die Erledigung vom 14. April 2020 somit nicht von einer entsprechenden behördlichen Willensbildung getragen sei, sei vom Vorliegen eines „Nichtbescheides“ auszugehen und die Beschwerde zurückzuweisen gewesen.

7 Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Rechtslage im Hinblick auf die Frage, ob die angefochtene Erledigung tatsächlich als „Nichtbescheid“ zu qualifizieren sei, im Hinblick auf näher zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur bloßen Vernichtbarkeit von Erledigungen, die nach ihrem Erscheinungsbild einem Kollegialorgan zugerechnet werden sollten, ohne dass ihnen ein entsprechender Beschluss dieses Organs zugrunde läge, nicht zweifelsfrei klar sei.

8 2. Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende (ordentliche) Revision, die sich auf die Zulässigkeitsbegründung des Verwaltungsgerichts stützt. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 3. Die Revision ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig. Sie ist auch begründet.

10 3.1. Die maßgeblichen Bestimmungen des Ärztegesetzes 1998 – ÄrzteG 1998, BGBl. I Nr. 169/1998 idF BGBl. I Nr. 17/2023, lauten:

„3. Abschnitt

Wohlfahrtsfonds

Sondervermögen für Versorgungs- und Unterstützungszwecke

§ 96. (...)

(3) Aus den Mitteln des Wohlfahrtsfonds sind den Kammerangehörigen nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen Versorgungs- und Unterstützungsleistungen zu gewähren.

(...)

Versorgungsleistungen

§ 97. (1) Aus den Mitteln des Wohlfahrtsfonds sind Leistungen zu gewähren

1. an anspruchsberechtigte Kammerangehörige für den Fall des Alters, der vorübergehenden oder dauernden Berufsunfähigkeit,

(...)

§ 98. (1) Aus den Mitteln des Wohlfahrtsfonds sind im einzelnen folgende Versorgungsleistungen zu gewähren:

1. Altersversorgung,

(...)

(2) Die im Abs. 1 Z 1 und 2 genannten Leistungen setzen sich aus der Grundleistung und der Zusatzleistung zusammen. Die Satzung kann unter Berücksichtigung des Beitragsaufkommens Ergänzungsleistungen zur Grundleistung vorsehen. Die Satzung kann unter Bedachtnahme auf § 108a Abs. 1 auch für die im Abs. 1 Z 3, 4 lit. a und b genannten Versorgungsleistungen eine Zusatzleistung vorsehen.

(3) Die Grundleistung wird im Falle des Alters oder der vorübergehenden oder dauernden Berufsunfähigkeit in der Höhe von 716,55 Euro monatlich gewährt. Die Leistungen nach Abs. 1 Z 1 bis 3, 4 lit. a und b können bis zu vierzehnmal jährlich gewährt werden.

(...)

§ 99. (1) Die Altersversorgung wird mit Vollendung des 65. Lebensjahres gewährt, wobei die Satzung vorsehen kann, dass die auf Grund von Kassen oder sonstigen zivilrechtlichen Verträgen oder Dienstverhältnissen ausgeübte ärztliche oder zahnärztliche Tätigkeit eingestellt wird. Unter Bedachtnahme auf § 108a Abs. 3 kann die Satzung ein niedrigeres oder höheres Anfallsalter sowie bei früherer oder späterer Inanspruchnahme eine entsprechende Minderung oder Erhöhung der Leistung vorsehen.

(2) Abs. 1 gilt für die Gewährung der Zusatzleistung sinngemäß.“

11 3.2. Die maßgeblichen Bestimmungen der Satzung WFF in der ab 1. Jänner 2020 gültigen Fassung lauten:

„B. ORGANE

(...)

§ 8

Verwaltungsausschuss

(...)

(5) Zu den Obliegenheiten des Verwaltungsausschusses gehören insbesondere

1. die Entscheidung über

a) Leistungsansuchen,

b) Anträge, zur freiwilligen Leistung von Fondsbeiträgen,

c) Anträge über Ermäßigungsansuchen,

d) Befreiungsansuchen;

(...)

D. LEISTUNGSWESEN

1. Versorgungsleistungen

§ 23 (1) Als Versorgungsleistung werden auf Antrag gewährt;

1. Altersversorgung

(...)

(2) Die im Abs 1 Z 1, Z2 und Z 4 lit a angeführten Versorgungsleistungen bestehen aus:

1. der Grundrente

a) der Grundleistung gemäß § 98 Abs. 3 Ärztegesetz

b) der Ergänzungsleistung gemäß § 98 Abs. 2 Ärztegesetz, sowie

2. der Zusatzleistung gemäß § 98 Abs. 2 Ärztegesetz.

(...)

G. Verfahren

(...)

§ 66

Form der Erledigung

Alle Erledigungen des Verwaltungsausschusses, die individuell-konkret ein Rechtsverhältnis gestalten oder feststellen, insbesondere über Anträge auf Leistungen, Beitragsermäßigung, Beitragsbefreiung, Ratenzahlung, Stundung oder über die Feststellung eines Beitragsrückstandes, haben in Form eines Bescheides zu ergehen.“

12 3.3. Im Revisionsfall hat das Verwaltungsgericht, ausgehend davon, dass die behördliche Erledigung vom 14. April 2020 wegen näher dargelegter Mängel der Beschlussfassung in der Sitzung vom 11. März 2020 nicht von einer entsprechenden Willensbildung des zuständigen Kollegialorgans getragen gewesen sei, die Bescheidqualität der bei ihm angefochtenen Erledigung verneint und die Beschwerde zurückgewiesen.

13 Damit hat es die Rechtslage verkannt:

14 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedürfen Erledigungen eines Kollegialorgans eines Beschlusses desselben. Bei der Abstimmung über die bescheidmäßige Erledigung muss sowohl der Spruch der Entscheidung als auch deren Begründung (zumindest in den Grundsätzen) der Beschlussfassung unterzogen werden, andernfalls der ausgefertigte Bescheid, der eine (eingehende) Begründung enthält, durch den Beschluss des Kollegialorganes nicht gedeckt und damit rechtswidrig wäre. Liegt einem Bescheid, der einem Kollegialorgan zugerechnet werden soll, kein entsprechender Beschluss dieses Organes zu Grunde, dann ist der Bescheid so zu betrachten, als ob er von einer unzuständigen Behörde erlassen worden wäre (vgl. nur etwa VwGH 30.5.2018, Ra 2018/09/0045; 25.10.2017, Ra 2017/12/0097; 13.12.2016, Ra 2016/05/0076; 5.11.2015, 2013/06/0086, je mwN).

15 Die vom Verwaltungsgericht für seine gegenteilige Auffassung berufene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 27.4.2015, 2012/11/0082) steht dem nicht entgegen: In dem diesem Erkenntnis zu Grunde liegenden Fall waren nicht nur wesentliche Begründungselemente der an die dortige Beschwerdeführerin ergangenen Erledigung nicht der Beschlussfassung in der maßgebenden Sitzung unterzogen worden, vielmehr fehlte es schon an der den Akt der Willensbildung abschließenden Unterfertigung der Urschrift des Geschäftsstücks durch den Genehmigungsberechtigten. Mangels Genehmigung war die behördliche Erledigung daher nicht als Bescheid zu qualifizieren.

16 4. Im Revisionsfall hingegen war nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts die in der Sitzung der belangten Behörde vom 11. März 2020 erfolgte Beschlussfassung über den Antrag des Revisionswerbers auf Altersversorgung die gemäß § 66 iVm § 23 Abs. 1 Z 1 der Satzung WFF mit Bescheid zu erfolgen hat zwar mit Mängeln behaftet, weil bestimmte für die umfassende Willensbildung notwendige Unterlagen in der Sitzung nicht auflagen. Andere Mängel, die gegebenenfalls an der Bescheidqualität der behördlichen Erledigung zweifeln ließen, wurden aber nicht festgestellt.

17 Da somit das Verwaltungsgericht die Rechtslage in Bezug auf die Konsequenzen der festgestellten Mängel der Willensbildung verkannt hat, und der durch das Verwaltungsgericht für die Zurückweisung der Beschwerde herangezogene Grund den angefochtenen Beschluss nicht zu tragen vermag, belastete es seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit.

18 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

19 5. Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 27. Mai 2025

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