JudikaturBVwG

W218 2305073-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
30. April 2025

Spruch

W218 2305073-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Benedikta TAURER über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , StA. Syrien, gesetzlich vertreten durch die BH Graz Umgebung, diese vertreten durch die Caritas der Diözese Graz-Seckau, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark, Außenstelle Graz, vom 14.11.2024, Zl. XXXX , wegen § 3 AsylG, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 02.04.2025 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Syriens, reiste illegal in Österreich ein und stellte am 17.08.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. In der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer am 18.08.2023 an, Staatsangehöriger von Syrien, ledig, Angehöriger der Volksgruppe der Araber, mit muslimischem Glauben, am XXXX in Rif Aleppo geboren und in Rif Aleppo, wohnhaft gewesen zu sein.

Er sei aus Syrien vor zwei Monaten ausgereist und anschließend schlepperunterstützt bis nach Österreich gelangt.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er Syrien aufgrund des Krieges und der schlechten Sicherheitslage verlassen habe. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst vor dem Krieg.

3. Im Rahmen einer niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 12.09.2024 gab der Beschwerdeführer unter anderem an, dass er gesund sei. Er sei am XXXX geboren. Er habe zwei Jahre die Schule besucht und sei Analphabet.

Er habe Verwandte in Österreich, nämlich drei Cousins in Wien, die asylberechtigt seien und zwei Cousins in Tirol, mit einem Bruder sei er gemeinsam nach Österreich geflohen.

Weiters gab er an, dass seine Familie ursprünglich aus XXXX stamme. Dort lebten sie bis 2015. Danach, bis 2020 in XXXX und danach seien sie nach XXXX gezogen. Seine Eltern, drei Brüder und zwei Schwestern leben nach wie vor dort, er stehe mit ihnen in Kontakt.

Zu seinen Fluchtgründen befragt gab der Beschwerdeführer an, dass er wegen des Krieges ausgereist sei und dass es keine Sicherheit gegeben habe. Sein Leben wäre ständig in Gefahr gewesen und er wolle in Sicherheit leben und lernen und studieren. Nachgefragt gab er an, dass er auch wegen des Militärdienstes ausgereist sei.

Der Beschwerdeführer legte Dokumente vor. Im Familienbuch wurde als Geburtsdatum der XXXX angeführt, im Personenstandsregister der XXXX .

4. Mit Stellungnahme vom 02.10.2024 führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass er aufgrund seines jugendlichen Alters, der im Herkunftsland gemachten traumatischen Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg, der Trennung von seiner Familie und seines langen Aufenthaltes als besonders vulnerabel anzusehen sei. Dem Kindeswohl sei der Vorrang zu geben. Im Falle einer Rückkehr drohe ihm die Zwangsrekrutierung in die syrische Armee sowie eine Verfolgung aufgrund seiner illegalen Ausreise, seines Auslandsaufenthaltes, seiner Asylantragstellung, der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Kinder und Jugendlichen, der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von Zwangsrekrutierung bedrohten, minderjährigen, männlichen Jugendlichen und einer Reflexverfolgung aufgrund seiner Brüder.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.11.2024 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) abgewiesen. Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Absatz 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt.

5. Gegen diesen ordnungsgemäß zugestellten Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Datum vom 12.12.2024 Beschwerde. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass auch nach dem Sturz des Assad Regimes sich die syrischen Gesetze in Kraft befänden und der Beschwerdeführer daher aktuell noch immer der Wehrpflicht unterliege. Es könne nicht vorhergesagt werden, wie sich die Lage in Syrien entwickle und es drohe dem Beschwerdeführer auch eine Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Milizen oder die HTS. Aufgrund seiner Weigerung sich an Kampfhandlungen zu beteiligen, seiner Ausreise und seiner Asylantragstellung in Österreich werde ihm eine oppositionelle Gesinnung unterstellt und drohe ihm asylrelevante Verfolgung. Ferner sei nicht ausreichend berücksichtigt worden, dass der Beschwerdeführer minderjährig sei.

6. Die Spruchpunkte II. und III. sind in Rechtskraft erwachsen.

7. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die eingebrachte Beschwerde am 02.04.2025 eine öffentliche, mündliche Verhandlung durchgeführt. Im Zuge dieser Verhandlung wurde Beweis erhoben durch Parteienvernehmung des Beschwerdeführers.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Syrien und Angehöriger der Volksgruppe der Araber, mit muslimisch sunnitischem Glauben. Er stammt aus einem Dorf namens XXXX im Gouvernement Aleppo, lebte jedoch zuletzt im Dorf XXXX , im Gouvernement Idlib, bis zu seiner Ausreise 2023. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Seine Kernfamilie lebt noch immer in XXXX in Syrien. Er hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie.

Der Beschwerdeführer verließ Syrien zwei Monate vor der Einreise nach Österreich gemeinsam mit seinem Bruder.

Der Beschwerdeführer war in Syrien keiner konkreten individuellen Verfolgung ausgesetzt und wurden von ihm asylrelevante Gründe für das Verlassen des Heimatstaates nicht glaubhaft dargetan. Es ist nicht glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer in Syrien aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung Verfolgung droht. Auch nicht aufgrund seiner illegalen Ausreise oder seiner Asylantragstellung in Österreich.

Der Beschwerdeführer hatte keine Probleme mit den Behörden im Heimatland. Der Beschwerdeführer war nie politisch tätig und gehörte nie einer politischen Partei an. Er ist in Syrien weder vorbestraft noch war er dort inhaftiert.

Das Herkunftsgebiet des Beschwerdeführers ist aktuell unter der Kontrolle der HTS (vgl. https://syria.liveuamap.com/). Aufgrund der festgestellten aktuellen Lage in Syrien besteht für den Beschwerdeführer nach dem Sturz des syrischen Assad-Regimes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr mehr, von diesem verfolgt oder zum Militärdienst der syrischen Armee eingezogen oder wegen Wehrdienstentziehung bestraft zu werden.

Ausgehend von den aktuellen Länderfeststellungen wurden bereits Hunderte Soldaten entlassen und der HTS Anführer Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani) verkündete am 15. Dezember zudem, dass er eine Wehrdienstpflicht in Syrien abschaffen werde. Dem Beschwerdeführer droht damit zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch keine Wehrpflicht in einer Armee der aktuellen Machthaber.

Der Beschwerdeführer war eigenen Angaben zufolge nicht politisch tätig, war und ist kein Mitglied einer politischen Bewegung und ist auch sonst nicht in das Blickfeld der HTS oder anderer Konfliktparteien, etwa wegen einer (unterstellten) oppositionellen Haltung, geraten. Es bestehen überdies keinerlei Anhaltspunkte, dass der Beschwerdeführer aufgrund seines muslimisch sunnitischen Glaubens oder seiner Ethnie als Araber mit der HTS in Konflikt stünde. Die Angehörigen der HTS gehören selbst – soweit aus der herangezogenen Berichtslage ersichtlich – der sunnitischen Ausrichtung des Islams an.

Eine drohende Zwangsrekrutierung durch die HTS ist nicht maßgeblich wahrscheinlich.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Vorweg wird festgehalten, dass am 27.11.2024 von Seiten oppositioneller Kräfte unter Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) nach umfangreicher Vorbereitung eine Operation unter dem Titel „Abschreckung der Aggression“ gestartet wurde, welche rasch bedeutende Kontrollveränderungen auf dem syrischen Staatsgebiet zur Folge hatte. Am 08.12.2024 erlangten die Operationskräfte die Kontrolle über Damaskus und beendeten damit die Herrschaft des syrischen Regimes. Der frühere Machthaber Bashar al-Assad hat das Land verlassen und sich auf russisches Territorium begeben. Die nunmehr machtausübenden Akteure haben insgesamt eine Neuordnung des syrischen Staates in Aussicht gestellt, der diesbezügliche Zeitplan beinhaltet die Installation einer neuen Verfassung in drei Jahren, die Abhaltung von Wahlen in vier Jahren sowie die Auflösung sowohl aller Geheimdienste als auch der HTS.

Aufgrund der Machtübernahme der HTS in weiten Teilen Syriens ist der Militärdienst in der syrischen Armee unter dem vormaligen Regime nicht mehr existent und seit der oppositionellen Machtübernahme wurde bislang kein verpflichtender Militärdienst eingerichtet.

Ein Eingehen auf die ursprünglich vorgebrachten Befürchtungen des Beschwerdeführers, zum syrischen Militärdienst verpflichtet zu werden bzw. aufgrund einer Reflexverfolgung aufgrund seiner Brüder verfolgt zu werden, kann daher unterbleiben.

In Anbetracht der bereits erfolgten Gebietsgewinne durch die HTS-Milizen ist eine Zwangsrekrutierung durch die HTS nicht maßgeblich wahrscheinlich.

Eine Zwangsrekrutierung durch die kurdischen Milizen ist nicht glaubhaft, vor allem, da der Beschwerdeführer nicht aus dem Gebiet unter kurdischer Herrschaft stammt.

1.3. Zur relevanten Situation in Syrien:

Die Feststellungen zur aktuellen Lage beruhen auf den jüngsten BAMF Briefing Notes seit 09.12.2024, der Kurzinformation der Staatendokumentation vom 10.12.2024 zu Syrien, Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht, dem Bericht des ISW – Institute for the Study of War, Iran Update, December 16, 2024, dem UNHCR - Regional Flash Update #4 Syria situation crisis vom 16.12.2024 und der UNHCR Position über die Rückkehr in die Syrische Arabische Republik vom Dezember 2024, sowie auf zahlreichen aktuellen Berichten aus öffentlich zugänglichen Medien.

BAMF Briefing Notes Gruppe 62 – Informationszentrum Asyl und Migration, SYRIEN, 16.12.2024

Machtwechsel; Schicksal vieler Assad-Getreuer ungewiss

Am 13.12.24 kamen in Damaskus Zehntausende Menschen am Umayyaden-Platz, einem Kreisverkehr nahe der gleichnamigen Moschee im Zentrum der Stadt, zusammen, um das Freitagsgebet zu begehen und das Ende der Assad-Herrschaft zu feiern. Die Predigt in der Umayyaden-Moschee wurde von Interims-Premierminister al-Bashir gehalten. Der Anführer der Hayat Tahrir al-Sham (HTS), Ahmad al-Sharaa, der inzwischen seinen Kampfnamen Abu Mohammed al-Jolani abgelegt hat, wandte sich in einer Videobotschaft an die Bevölkerung, um ihr zu gratulieren.

Am 11.12.24 hatte al-Sharaa in einer schriftlichen Stellungnahme angekündigt, keine Begnadigungen für Personen auszusprechen, die an der Folter oder dem Mord von Häftlingen unter der Assad-Regierung beteiligt waren. Man werde die im Land verbliebenen Täter ausfindig machen und ausländische Staaten um eine Überstellung bitten. Die in London ansässige Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) berichtete am selben Tag von Übergriffen bewaffneter Gruppen auf Personen in Wohnvierteln, die als Assad-Hochburgen bekannt waren. Es soll demnach zu Plünderungen und Einschüchterungen gekommen sein. Während prominente Assad-Anhänger wie dessen Bruder Maher oder Generalmajor Al Mamlouk Berichten zufolge nach Russland bzw. Libanon geflohen sein sollen, ist der Verbleib vieler weiterer Führungspersönlichkeiten der gestürzten Regierung ungeklärt.

Am 14.12.24 eröffnete der türkische Außenminister Hakan Fidan die türkische Botschaft in Damaskus, die seit dem Jahr 2012 geschlossen war.

Nordostsyrien: SDF geben Manbij auf; hissen die neue Flagge Syriens

Die kurdisch geführten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) erklärten am 11.12.24, einem durch die USA und Türkei vermittelten (vgl. BN v. 09.12.24) Waffenstillstandsabkommen zugestimmt zu haben, wonach sie ihre Streitkräfte aus Manbij abziehen mussten. Die Ortschaft steht damit unter der Kontrolle der Syrischen Nationalen Armee (SNA), einem aus der Türkei geförderten islamistischen Rebellenverbund. Manbij befand sich seit mehr als acht Jahren unter Kontrolle der SDF, nachdem sie den IS im August 2016 aus der Ortschaft vertrieben hatten. Die Führung der SDF kritisierte die USA dafür, die Angriffe der Türkei und der mit ihr verbündeten Milizen auf die Kurden nicht verhindert haben zu können, schließlich sei Manbij auch mit Hilfe des US-Militärs vom IS befreit worden. Dieser könne eine Schwächung der SDF in der Region möglicherweise auch für sich zu nutzen wissen. US-Angaben zufolge halten die SDF derzeit noch ca. 9.000 IS-Kämpfer in über 20 Haftanstalten verteilt über Nordostsyrien gefangen.

Am 12.12.24 erklärte die Demokratische Autonome Administration von Nord- und Ostsyrien (DAANES), das zivile Pendant zu den SDF, auf allen Gebäuden ihrer Institutionen die neue Flagge Syriens gehisst zu haben. In der Stellungnahme bekannte sie sich zur Einheit Syriens und ihrer nationalen Identität. Bis dato positionierte sich die DAANES seit Jahren als dritte Partei zwischen syrischer Regierung und der bewaffneten Opposition. In dem symbolischen Akt kann eine Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den neuen Herrschern in Damaskus gesehen werden.

Fluchtbewegungen

Aktualisierten Zahlen der UN zufolge sind im Zuge der HTS-Offensive 1,1 Mio. Menschen zu Binnenflüchtlingen geworden, insbesondere Bewohnerinnen und Bewohner der Gouvernements Aleppo, Idlib, Hama und Homs. Fluchtbewegungen können vor allem in die Gouvernements Idlib, Hama, Rif Dimashq, Aleppo und Tartus verzeichnet werden. Demgegenüber hätten ca. 5.000 Menschen ihre Notunterkunft in Binnenvertriebenenlagern verlasen, um in ihre Häuser zurückzukehren. In den meisten Regionen habe sich die Sicherheitslage zuletzt verbessert, nur in Nordostsyrien sprechen die UN von einer volatilen Situation infolge von großen territorialen und politischen Veränderungen.

Die UN berichten außerdem mit Stand 13.12.24, dass seit dem 08.12.24 etwas weniger als 10.000 Menschen aus dem Libanon nach Syrien zurückgekehrt seien. Zehntausende wären zur selben Zeit (vor dem Hintergrund des Waffenstillstandes zwischen Israel und Hisbollah) von Syrien in den Libanon zurückgekehrt. Etwa 1.000 Syrerinnen und Syrer wären demnach in den Irak geflohen, 800 Personen alleine am 11.12.24.

09.12.2024, Sturz der Assad-Regierung

Mit der weitgehend kampflosen Einnahme weiterer Gouvernementhauptstädte (05.12.24 Hama, 07.12.24 Homs) fiel am Morgen des 08.12.24 schließlich auch die Hauptstadt Damaskus unter die Kontrolle von Hayat Tahrir al-Sham (HTS).

Zur Offensive aus dem Nordwesten (vgl. BN v. 02.12.24) kamen spontan regionale bewaffnete Aufstände hinzu, wodurch auch die südlichen Gouvernements Suweida und Dar’a von Umstürzen erfasst wurden. Am 06.12.24 rief außerdem die russische Botschaft in Damaskus ihre Staatsbürgerinnen und Staatsbürger zum Verlassen des Landes auf und das iranische Militär verließ das Land über die Grenzübergänge nach Irak und Libanon oder den Luft- bzw. Seeweg über Latakia.

Die syrische Armee verließ Medienberichten zufolge in großer Zahl ihre Posten und ließ militärisches Gerät und Ausrüstung zurück. Zu Tausenden sollen Soldaten desertiert sein, ihre Militäruniformen durch zivile Kleidung ersetzt und sich unter die Zivilbevölkerung gemischt haben. Die staatlichen Institutionen des Landes würden der HTS-Miliz zufolge zunächst unter der Aufsicht des bisherigen Premierministers stehen, der die Übergangszeit begleite. Nach gegenwärtiger Informationslage ist noch nicht bekannt, ob HTS-Kämpfer bereits in die Gouvernementhauptstädte der syrischen Küste, Latakia und Tartus, vorgedrungen sind, wo sich die große Mehrheit der Alawiten im Land und eine Machtbasis des laut Medienberichten mit russischer Unterstützung nach Moskau geflohenen ehemaligen Präsidenten Assad befindet. Abu Mohammed al-Jolani, Anführer der islamistischen HTS-Miliz, betrat am 08.12.24 medienwirksam die Umayyaden-Moschee in Damaskus, wo er eine Siegesrede über die Assad-Herrschaft und „iranische Bestrebungen“ in Syrien hielt.

Außerdem große Beachtung fand die Einnahme des berüchtigten Sednaya-Gefängniskomplexes, wo zahlreiche Männer, Frauen und Kinder befreit wurden. Die Gefängnisanlage enthält Berichten zufolge mehrere unterirdische und zum Teil verbarrikadierte Etagen, zu denen am Morgen des 09.12.24 Rettungskräfte noch immer nicht vollständig durchgedrungen waren. Eine Untersuchung durch die UN im Jahr 2016 hatte ergeben, dass während der Assad-Herrschaft so viele Menschen in den Gefängnissen zu Tode gefoltert wurden, dass sie in ihrem Bericht den Begriff „Vernichtung“ verwendet hat.

Aus den Protesten gegen die Assad-Herrschaft, die im Jahr 2011 im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings ihren Anfang nahmen, gelang es der Opposition nie, jenseits der Forderung nach dem Sturz der Regierung eine gemeinsame Vorstellung hinsichtlich einer neuen Staatsordnung für die Zeit nach Assad zu formulieren.

Nordsyrien: SNA und türkische Armee greifen SDF an

Mehreren übereinstimmenden Berichten zufolge griff die türkische Armee am 08.12.24 Stellungen der Demokratischen Kräfte Syriens (SDF) in Manbij im Norden des Gouvernements Aleppo mit Drohnen an, nachdem es am Vortag bereits zu Kämpfen zwischen den SDF und der Syrischen Nationalen Armee (SNA) gekommen war. Den SDF zufolge waren dabei mindestens 22 ihrer Kämpfer getötet und 40 weitere verletzt worden.

Den UN zufolge sollen in Nordsyrien bereits zum 05.12.24 etwa zwischen 60.000 und 80.000 Personen vor anhaltenden Kämpfen zwischen SDF und SNA geflohen sein.

Sowohl SDF als auch SNA begrüßten den Fall der Assad-Regierung, stehen sich im Kampf um die Kontrolle der nördlichen (teils mehrheitlich kurdisch bevölkerten) Gebieten jedoch feindlich gegenüber. Die Verteidigungsminister der USA und der Türkei telefonierten nach den Kampfhandlungen miteinander, um eine Deeskalation zu bewirken.

USA bombardieren IS-Stellungen; Israel sichert Golanhöhen

Die USA verkündeten am 08.12.24, Dutzende Stellungen des IS in Zentralsyrien aus der Luft angegriffen zu haben. Insgesamt 75 Ziele sollen demnach getroffen worden sein. Es lägen demnach keine Berichte über zivile Opfer vor. Der Zeitpunkt der Angriffe sei so gewählt worden, damit der IS die volatile politische Lage im Land nicht für sich nutzen könne.

Einem Zeitungsbericht zufolge hat sich das israelische Militär am 08.12.24 erstmals seit dem Oktober- bzw. Jom-Kippur-Krieg im Jahr 1973 auf syrisches Territorium jenseits der annektierten Golanhöhen bewegt. Es sei die Bergregion im syrischen Gouvernement Quneitra um den Gipfel Hermon, der höchste Berg Syriens, gesichert worden, um eine temporäre „Pufferzone“ einzurichten, bis eine Vereinbarung über die Nachbarschaft mit den neuen Herrschern in Damaskus getroffen worden sei.

Außerdem habe die israelische Luftwaffe am 07.12. und 08.12.24 mehrere Militäranlagen Syriens bombardiert. Diese sollten das verbliebene Chemiewaffenarsenal des Landes lagern. Dabei wurden auch Elemente russischer Luftabwehrsysteme und ein Arsenal an ballistischen Boden-Boden-Raketen zerstört.

Kurzinformation der Staatendokumentation SYRIEN, 10.12.2024

Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, al-Assad flieht

1. Zusammenfassung der Ereignisse

Nach monatelanger Vorbereitung und Training (NYT 1.12.2024) starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) (Standard 1.12.2024) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan (AJ 2.12.2024) und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende.

Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort (AJ 8.12.2024). Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12. (BBC 8.12.2024).

Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab (NYT 6.12.2024). Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen (FR 7.12.2024). Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein (TNA 7.12.2024; Vgl. AJ 8.12.2024), nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten (AWN 7.12.2024). Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab (AJ 7.12.2024). Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor (AJ 8.12.2024). Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben (Tagesschau 8.12.2024). Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt (REU 9.12.2024), die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen (Tagesschau 8.12.2024). Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt (Standard 8.12.2024).

Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad (BBC 8.12.2024). Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt (REU 9.12.2024).

Kurdisch geführte Kämpfer übernahmen am 6.12.2024 die Kontrolle über Deir ez-Zour im Nordosten Syriens, nachdem vom Iran unterstützte Milizen dort abgezogen waren (AJ 7.12.2024), sowie über einen wichtigen Grenzübergang zum Irak. Sie wurden von den USA bei ihrem Vorgehen unterstützt (AWN 7.12.2024).

Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo (BBC 8.12.2024). ج فف ج Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch رال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein (SOHR 9.12.2024). Die Kampfhandlungen zwischen Einheiten der durch die Türkei unterstützten Syrian National Army (SNA) auf der einen Seite und den SDF auf der anderen Seite dauerten danach weiter an. Türkische Drohnen unterstützten dabei die Truppen am Boden durch Luftangriffe (SOHR 9.12.2024b).

Der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge sind seit Beginn der Offensive 910 Menschen ums Leben gekommen, darunter 138 Zivilisten (AAA 8.12.2024). Beim Vormarsch auf Homs waren tausende Menschen Richtung Küste nach Westen geflohen (AJ 6.12.2024). Bei der Offensive gegen Manbij wurden hingegen einige Zivilisten in Richtung Osten vertrieben (SOHR 9.12.2024).

In Damaskus herrschte weit verbreitetes Chaos nach der Machtübernahme durch die Opposition. So wurde der Sturz von Assad mit schweren Schüssen gefeiert und Zivilisten stürmten einige staatliche Einrichtungen, wie die Zentralbank am Saba-Bahrat-Platz, das Verteidigungsministerium (Zivilschutz) in Mleiha und die Einwanderungs- und Passbehörde in der Nähe von Zabaltani, außerdem wurden in verschiedenen Straßen zerstörte und brennende Fahrzeuge gefunden (AJ 8.12.2024b). Anführer al-Joulani soll die Anweisung an die Oppositionskämpfer erlassen haben, keine öffentlichen Einrichtungen anzugreifen (8.12.2024c) und erklärte, dass die öffentlichen Einrichtungen bis zur offiziellen Übergabe unter der Aufsicht von Ministerpräsident Mohammed al-Jalali aus der Assad-Regierung bleiben (Rudaw 9.12.2024).

Gefangene wurden aus Gefängnissen befreit, wie aus dem berüchtigten Sedanaya Gefängnis im Norden von Damaskus (AJ 8.12.2024c).

2. Die Akteure

Syrische Arabische Armee (SAA): Die Syrische Arabische Armee kämpfte gemeinsam mit den National Defense Forces, einer regierungsnahen, paramilitärischen Gruppierung. Unterstützt wurde die SAA von der Hisbollah, Iran und Russland (AJ 8.12.2024).

Die Einheiten der syrischen Regierungstruppen zogen sich beim Zusammenstoß mit den Oppositionskräften zurück, während diese weiter vorrückten. Viele Soldaten flohen oder desertierten (NZZ 8.12.2024). In Suweida im Süden Syriens sind die Soldaten der Syrischen Arabischen Armee massenweise desertiert (Standard 7.12.2024). Am 7.12. flohen mehrere Tausend syrische Soldaten über die Grenze in den Irak (Arabiya 7.12.2024; vgl. Guardian 8.12.2024). Präsident al-Assad erhöhte am 4.12. die Gehälter seiner Soldaten, nicht aber dasjenige von Personen, die ihren Pflichtwehrdienst ableisteten (TNA 5.12.2024). Dieser Versuch, die Moral zu erhöhen, blieb erfolglos (Guardian 8.12.2024).

Die Opposition forderte die Soldaten indes zur Desertion auf (TNA 5.12.2024). Aktivisten der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte beobachteten, dass Hunderte Soldaten ihre Militäruniformen ausgezogen haben, nachdem sie entlassen wurden (SOHR 8.12.2024). Offiziere und Mitarbeiter des Regimes ließen ihre Militär- und Sicherheitsfahrzeuge in der Nähe des Republikanischen Palastes, des Büros des Premierministers und des Volkspalastes unverschlossen stehen, aus Angst von Rebellen am Steuer erwischt zu werden (AJ 8.12.2024b).

Opposition: Obwohl Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) den plötzlichen Vormarsch auf Aleppo gestartet hat und treibende Kraft der Offensive war haben auch andere Rebellengruppierungen sich gegen die Regierung gewandt und sich am Aufstand beteiligt (BBC 8.12.2024c).

• Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet (BBC 8.12.2024c). Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida (CSIS 2018) und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen (BBC 8.12.2024c). Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union (AJ 4.12.2024) und der Türkei als Terrororganisation eingestuft (BBC 8.12.2024c). Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden (Nashra 8.12.2024). Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien (BBC 8.12.2024c). Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft (BBC 8.12.2024b) und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren (BBC 8.12.2024c).

Der Gruppierung werden Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen (BBC 8.12.2024c). Einem Terrorismusexperten zufolge gibt es bereits erste Videos von Personen aus dem HTS-Umfeld, die ein Kalifat aufbauen wollen (WiWo 9.12.2024).

• National Liberation Front (NFL): Eine Reihe kleinerer Kampfgruppen, aus denen sich die NFL zusammensetzt, nahmen an der Operation „Abschreckung der Aggression“ teil, darunter die Jaish al-Nasr, das Sham Corps und die Freie Idlib-Armee. Die 2018 in Idlib gegründete NFL umfasst mehrere nordsyrische Fraktionen, von denen einige auch unter das Dach der Freien Syrischen Armee fallen (AJ 2.12.2024b).

• Ahrar al-Sham Movement: Die Ahrar al-Sham-Bewegung ist hauptsächlich in Aleppo und Idlib aktiv und wurde 2011 gegründet. Sie definiert sich selbst als „umfassende reformistische islamische Bewegung, die in die Islamische Front eingebunden und integriert ist“ (AJ 2.12.2024b).

• Jaish al-Izza: Jaish al-Izza: Übersetzt: „Die Armee des Stolzes“ ist Teil der Freien Syrischen Armee und konzentriert sich auf den Norden des Gouvernements Hama und einige Teile von Lattakia. Im Jahr 2019 erhielt die Gruppierung Unterstützung aus dem Westen, darunter auch Hochleistungswaffen (AJ 2.12.2024b).

• Nur Eddin Zinki-Bewegung (Zinki): Diese Gruppierung entstand 2014 in Aleppo, versuchte 2017, sich mit der HTS zusammenzuschließen, was jedoch nicht funktionierte. Die beiden Gruppierungen kämpften 2018 gegeneinander, und „Zinki“ wurde Anfang 2019 von ihren Machtpositionen in der Provinz Aleppo vertrieben. Ein Jahr später verhandelte „Zinki“ mit der HTS, und ihre Kämpfer kehrten an die Front zurück, und seitdem ist die Gruppe unter den oppositionellen Kämpfern präsent (AJ 2.12.2024b).

• Milizen in Südsyrien: Gruppierungen aus südlichen Städten und Ortschaften, die sich in den letzten Jahren zurückhielten, aber nie ganz aufgaben und einst unter dem Banner der Freien Syrien Armeekämpften, beteiligten sich am Aufstand (BBC 8.12.2024c). In Suweida nahmen Milizen der syrischen Minderheit der Drusen Militärstützpunkte ein (Standard 7.12.2024).

• Syrian Democratic Forces (SDF): Die SDF ist eine gemischte Truppe aus arabischen und kurdischen Milizen sowie Stammesgruppen. Die kurdische Volksschutzeinheit YPG ist die stärkste Miliz des Bündnisses und bildet die militärische Führung der SDF (WiWo 9.12.2024). Sie werden von den USA unterstützt (AJ 8.12.2024). Im kurdisch kontrollierten Norden liegen die größten Ölreserven des Landes (WiWo 9.12.2024).

• Syrian National Army (SNA): Diese werden von der Türkei unterstützt (BBC 8.12.2024c) und operieren im Norden Syriens im Grenzgebiet zur Türkei (AJ 8.12.2024). Der SNA werden mögliche Kriegsverbrechen, wie Geiselnahmen, Folter und Vergewaltigung vorgeworfen. Plünderungen und die Aneignung von Privatgrundstücken, insbesondere in den kurdischen Gebieten, sind ebenfalls dokumentiert (WiWo 9.12.2024).

3. Aktuelle Lageentwicklung

Sicherheitslage:

Israel hat Gebäude der Syrischen Sicherheitsbehörden und ein Forschungszentrum in Damaskus aus der Luft angegriffen, sowie militärische Einrichtungen in Südsyrien, und den Militärflughafen in Mezzeh. Israelische Streitkräfte marschierten außerdem in al-Quneitra ein (Almodon 8.12.2024) und besetzten weitere Gebiete abseits der Golan-Höhen, sowie den Berg Hermon (NYT 8.12.2024). Die israelische Militärpräsenz sei laut israelischem Außenminister nur temporär, um die Sicherheit Israels in der Umbruchphase sicherzustellen (AJ 8.12.2024d). Am 9.12.2024 wurden weitere Luftangriffe auf syrische Ziele durchgeführt (SOHR 9.12.2024c). Einer Menschenrechtsorganisation zufolge fliegt Israel seine schwersten Angriffe in Syrien. Sie fokussieren auf Forschungszentren, Waffenlager, Marine-Schiffe, Flughäfen und Luftabwehr (NTV 9.12.2024). Quellen aus Sicherheitskreisen berichten indes, dass Israelisches Militär bis 25km an Damaskus in Südsyrien einmarschiert wäre (AJ 10.12.2024).

Das US-Central Command gab an, dass die US-Streitkräfte Luftangriffe gegen den Islamischen Staat in Zentralsyrien geflogen sind (REU 9.12.2024). Präsident Biden kündigte an, weitere Angriffe gegen den Islamischen Staat vorzunehmen, der das Machtvakuum ausnützen könnte, um seine Fähigkeiten wiederherzustellen (BBC 7.12.2024).

Russland versucht, obwohl es bis zum Schluss al-Assad unterstützte, mit der neuen Führung Syriens in Dialog zu treten. Anstatt wie bisher als Terroristen bezeichnen russische Medien die Opposition mittlerweile als „bewaffnete Opposition“ (BBC 8.12.2024d).

Sozio-Ökonomische Lage:

Die Opposition versprach, den Minderheiten keinen Schaden zuzufügen und sie nicht zu diskriminieren, egal ob es sich um Christen, Drusen, Schiiten oder Alawiten handle. Gerade letztere besetzten unter der Führung Al-Assad’s oft hohe Positionen im Militär und den Geheimdiensten (TNA 5.12.2024).

Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt (Presse 9.12.2024). Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben (Spiegel 9.12.2024).

Die syrischen Banken sollen ihre Arbeit am 10.12.2024 wiederaufnehmen, die Bediensteten wurden aufgefordert, an ihre Arbeitsplätze zurückzukehren (Arabiya 9.12.2024).

Die HTS, die weiterhin auf der Terrorliste der UN steht, ist seit 2016 von Sanktionen des UN-Sicherheitsrates betroffen. Diplomaten zufolge war die Streichung der HTS von der Sanktionenliste kein Thema bei der jüngsten Ratssitzung (REU 10.12.2024).

Bevor der Wiederaufbau zerstörter Städte, Infrastruktur und Öl- und Landwirtschaftssektoren beginnen kann, muss mehr Klarheit über die neue Regierung Syriens geschaffen werden (DW 10.12.2024).

ISW – Institute for the Study of War, Iran Update, December 16, 2024

HTS Anführer Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani) verkündete am 15. Dezember, dass er Wehrdienstpflicht in Syrien abschaffen werde. (https://www.ecoi.net/de/dokument/2119182.html; https://understandingwar.org/backgrounder/iran-update-december-16-2024 : HTS leader Ahmed al Sharaa (aka Abu Mohammad al Jolani) stated on December 15 that he will end mandatory conscription in Syria.)

UNHCR - Regional Flash Update #4 Syria situation crisis 16.12.2024

Syrien

Am 16. Dezember fand die erste Mission des UNHCR Aleppo zur Grenze Bab Al Hawa mit der Türkei von innerhalb Syriens statt. Die Reise verlief reibungslos und es wurden keine Straßenblockaden oder Zwischenfälle gemeldet. Das UNHCR-Team in Aleppo traf sich mit Flüchtlingen aus der Türkei, die sich darüber freuten, wieder in Syrien zu sein. Sie stammten aus verschiedenen Gebieten in Syrien, darunter Hama, Homs, Aleppo und Idlib, und nannten Unterkünfte, Blindgänger und Kriegsreste sowie den Mangel an Dienstleistungen und Existenzgrundlagen als Hauptsorgen bei ihrer Rückkehr.

In enger Abstimmung mit den Teams des UNHCR Syrien und Aleppo hat das grenzüberschreitende UNHCR-Team aus Gaziantep seit dem 12. Dezember 139 Bewertungen mit syrischen Rückkehrern aus der Türkei durchgeführt. Die Daten zeigen, dass 80% der Familien in ihre früheren Häuser in den Gouvernements Aleppo, Idlib, Hama und Damaskus zurückkehren. Es bestehen jedoch weiterhin erhebliche Herausforderungen. Wie bei Bab Al Hawa beobachtet, ist die Hauptbarriere für die Rückkehr nach Hause der fehlende Zugang zu Wohnraum und Unterkünften. Diejenigen, die nicht an ihre früheren Wohnorte zurückkehren, gehen hauptsächlich in das Gouvernement Idlib. Als Hauptgründe für die Rückkehr wurden eine verbesserte Sicherheit innerhalb Syriens und hohe Lebenshaltungskosten in der Türkei genannt. Zu den vorrangigen Bedürfnissen von rückkehrenden Flüchtlingen gehören langfristige Wohnraumlösungen, Bargeldunterstützung zur Deckung der Grundbedürfnisse und Rechtshilfe bei der zivilrechtlichen Dokumentation.

Der Nothilfekoordinator (ERC), Tom Fletcher, kam am 16. Dezember in Syrien an und überquerte die Grenze aus dem Libanon. Auf syrischer Seite trafen sich ein UNHCR-Team und der Syrisch-Arabische Rote Halbmond (SARC) mit der Delegation und informierten den ERC über die Lage an den Grenzen, die Dynamik und die Reaktion des UNHCR auf die Rückkehr und Ausreise von Flüchtlingen.

Libanon

Drei offizielle Grenzübergänge im Libanon sind weiterhin geöffnet: Arida im Norden und Qaa und Masnaa in Bekaa. Am Morgen des 16. Dezember wurde der Grenzübergang Arida aufgrund von Luftangriffen auf syrischer Seite am Vortag vorübergehend eingeschränkt. Syrer sind weiterhin von Arida nach Syrien gereist, aber in relativ geringer Zahl.

Syrer, die versuchen, in den Libanon einzureisen, müssen generell bestimmte Visa-Kriterien erfüllen. An der Grenze zu Masnaa waren in der letzten Woche mehrere Tausend Syrer, die die Einreisebestimmungen nicht erfüllten, im Niemandsland gestrandet. Bis zum 15. Dezember blieben jedoch nur wenige Menschen in der Nähe der Grenze, die nicht einreisen konnten. UNHCR und seine Partner leisteten Soforthilfe für die gestrandeten Menschen und unterhalten eine Reaktionsfähigkeit, falls mehr Menschen ankommen sollten.

Am 14. Dezember besuchte der Minister für soziale Angelegenheiten und humanitäre Organisationen (UNHCR, UNICEF, WFP und OCHA) Hermel-Baalbek in Bekaa. Die Gespräche konzentrierten sich auf den erheblichen Anstieg der Neuankömmlinge aus Syrien seit dem 8. Dezember, darunter Libanesen, die in den Libanon zurückkehren, sowie Syrer, die irregulär einreisen. Laut Regierungsquellen hat die Gesamtzahl der Ankünfte rund 85.000 erreicht, darunter etwa 20.000 Libanesen. Ein umfassender Reaktionsplan für beide Bevölkerungsgruppen (Libanesen und Syrer) wird von humanitären Akteuren erstellt.

Türkei

Am 13. Dezember kündigte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan an, dass die Syrer allmählich zurückkehren, aber diejenigen, die in der Türkei bleiben möchten, willkommen sind. Der Innenminister legte während der Haushaltsgespräche im Parlament detaillierte Informationen vor und erklärte, dass vor dem 8. Dezember die täglichen Rückführungen zwischen 200 und 300 Personen betrugen, während sich die täglichen Zahlen in den letzten fünf Tagen auf 1.300 bis 1.850 erhöhten und vom 9. bis 13. Dezember insgesamt über 7.600 erreichten.

UNHCR Türkei setzt seine Überwachung der Rückführungsprozesse an allen drei Grenzübergängen von der Türkei nach Syrien in der Provinz Hatay sowie an anderen Orten fort.

Jordanien

In den vorhergehenden Tagen blieb die Aktivität an der Jaber-Landgrenze normal. Berichten zufolge wurden einige Busse beobachtet, die Personen an die Grenze zu Syrien transportierten. Vom 8. bis 13. Dezember sind schätzungsweise 340 syrische Flüchtlinge, die beim UNHCR in Jordanien registriert sind, über die Jaber-Grenze nach Syrien zurückgekehrt. Die Zahl basiert auf Daten, die dem UNHCR derzeit zur Verfügung stehen, und spiegelt nicht unbedingt die gesamte Zahl der Rückführungen wider.

In Bezug auf die Frage der Rückkehr hält das UNHCR regelmäßig Kontakt zu Flüchtlingen über Hotlines und überwacht die digitalen Kanäle genau, um sowohl die häufigsten Bedenken zu verstehen als auch Gerüchte und Fehlinformationen zu identifizieren. Neben Fragen zur Verfügbarkeit von Hilfe und zu den Sicherheitsbedingungen in Syrien haben einige Flüchtlinge Bedenken hinsichtlich der Neuansiedlung und Verlängerung ihrer Asylbewerberbescheinigungen in Jordanien geäußert. Einige Flüchtlinge mit stabilem Einkommen und diejenigen, die mit Jordaniern verheiratet waren, äußerten Präferenzen zu bleiben. Einige gaben an, dass sie darauf warteten, dass der Winter vorbei sei, oder planen eine Rückkehr um die Schulsemester herum. Die Flüchtlinge äußerten auch Fragen bezüglich mangelnder Klarheit bei der Erneuerung und Verlängerung von Pässen und anderen Reisedokumenten für die Rückkehr nach Syrien. UNHCR arbeitet mit der Regierung und Partnern zusammen, um zeitnah Antworten auf diese Fragen und Bedenken zu geben.

Die UNHCR-Vertreterin in Jordanien, Maria Stavropoulou, gab den lokalen Nachrichtenagenturen Jordan Times und Al Rai Interviews. Während sie über die Arbeit des UNHCR in Jordanien sprach, bekräftigte die Vertreterin, dass das UNHCR das Recht der Flüchtlinge auf freiwillige Rückkehr in ihr Heimatland in Sicherheit und Würde achtet, und betonte, wie wichtig es ist, den Flüchtlingen Zeit und Raum zu geben, um Entscheidungen für sich und ihre Familien zu treffen.

Irak

Seit dem 8. Dezember ist der Grenzübergang Al-Qaim offiziell für die Einreise in den Irak und die Ausreise aus dem Irak gesperrt. Nur Ausnahmefälle von Irakern in Syrien, die in den Irak einreisen, und Syrern im Irak, die nach Syrien ausreisen, werden nach Genehmigung durch die Behörden genehmigt.

Seit dem 13. Dezember haben die Bewegungen syrischer Visuminhaber über den Peschkabour-Grenzübergang zwischen Syrien und der Region Kurdistan im Irak (KR-I) mit durchschnittlich 400 Ankünften pro Tag weitgehend wie üblich fortgesetzt. Die meisten Syrer, die in den Irak einreisen, kommen aus den Gouvernements Hassaka und Raqqa und gaben an, dass sie in den Irak kommen, um die Familie in KR-I zu besuchen, und danach nach Syrien zurückkehren werden. Einige Ankünfte, insbesondere diejenigen mit einem zweiten Reisepass, gaben jedoch an, dass sie durch KR-I reisen und den Flughafen Erbil als Ausgangspunkt für die Weiterreise nutzen.

UNHCR POSITION ÜBER DIE RÜCKKEHR IN DIE SYRISCHE ARABISCHE REPUBLIK, Dezember 2024

Freiwillige Rückkehr

Syrien befindet sich an einem Scheideweg – zwischen Frieden und Krieg, Stabilität und Gesetzlosigkeit, Wiederaufbau oder weiterem Ruin. Es gibt jetzt eine bemerkenswerte Gelegenheit für Syrien, sich in Richtung Frieden zu bewegen, und für sein Volk, nach Hause zurückzukehren. Seit vielen Jahren besteht das UNHCR auf der Notwendigkeit, die Anstrengungen zu verdoppeln, um günstige Bedingungen für Flüchtlinge und Vertriebene zu schaffen, damit sie nach Hause zurückkehren können, und die derzeitige Situation eröffnet in dieser Hinsicht neue Möglichkeiten, die von allen genutzt werden müssen. Dazu gehört auch die Beseitigung und/oder das Thematisieren neuer sicherheitspolitischer, rechtlicher und administrativer Hindernisse seitens der syrischen De-facto-Behörden; umfangreiche humanitäre Hilfe und Soforthilfe, die von den Geberstaaten für Rückkehrer, Gemeinschaften, die sie zurückerhalten, und Gebiete mit tatsächlicher und potenzieller Rückkehr im Allgemeinen bereitzustellen ist; und die Ermächtigung des UNHCR und seiner Partner, die Rückführungen an Grenzübergängen und an Orten, an denen sich die Menschen für die Rückkehr entscheiden, zu überwachen.

Jeder hat das Recht, in sein Herkunftsland zurückzukehren. UNHCR ist bereit, syrische Flüchtlinge zu unterstützen, die sich nach umfassender Information über die Lage an ihren Herkunftsorten oder in einem alternativen Gebiet ihrer Wahl freiwillig für eine Rückkehr entscheiden. Angesichts der zahlreichen Herausforderungen, mit denen die syrische Bevölkerung konfrontiert ist, darunter eine groß angelegte humanitäre Krise, ein anhaltend hohes Maß an Binnenvertreibung und die weit verbreitete Zerstörung und Beschädigung von Häusern und kritischer Infrastruktur, fördert das UNHCR jedoch vorerst keine groß angelegte freiwillige Rückführung nach Syrien.

Moratorium für Zwangsrückführungen

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist Syrien weiterhin von Angriffen und Gewalt in Teilen des Landes betroffen; großflächige interne Verdrängung; Kontamination vieler Teile des Landes mit explosiven Kriegsresten; eine verwüstete Wirtschaft und eine große humanitäre Krise, in der vor den jüngsten Entwicklungen bereits über 16 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen. Darüber hinaus hat Syrien, wie bereits erwähnt, massive Zerstörungen und Schäden an Häusern, kritischen Infrastrukturen und landwirtschaftlichen Flächen erlitten. Eigentumsrechte wurden stark beeinträchtigt, wobei in den letzten zehn Jahren weit verbreitete Verstöße gegen Wohn-, Grundstücks- und Eigentumsrechte verzeichnet wurden, was zu komplexen Eigentumsstreitigkeiten führte, deren Beilegung Zeit in Anspruch nehmen wird. Vor diesem Hintergrund fordert das UNHCR die Staaten vorerst weiterhin auf, syrische Staatsangehörige und ehemalige gewöhnliche Bewohner Syriens, einschließlich Palästinenser, die zuvor in Syrien wohnhaft waren, nicht gewaltsam in einen Teil Syriens zurückzuführen.

Aussetzung der Ausstellung negativer Entscheidungen für syrische Antragsteller auf internationalen Schutz

Das UNHCR fordert weiterhin alle Staaten auf, Zivilisten, die aus Syrien fliehen, Zugang zu ihren Hoheitsgebieten zu gewähren, das Recht auf Asyl zu gewährleisten und jederzeit die Achtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung zu gewährleisten.

Während die Risiken im Zusammenhang mit der Verfolgung durch die ehemalige Regierung aufgehört haben, können andere Risiken bestehen bleiben oder sich verstärken. Angesichts der rasch veränderten Dynamik und der sich wandelnden Lage in Syrien ist das UNHCR derzeit nicht in der Lage, den Asylentscheidern detaillierte Leitlinien für den internationalen Schutzbedarf der Syrer zur Verfügung zu stellen. Das UNHCR wird die Lage weiterhin genau beobachten, um detailliertere Leitlinien bereitzustellen, sobald die Umstände dies zulassen. Angesichts der derzeitigen Ungewissheit über die Lage in Syrien fordert das UNHCR die Asylstaaten auf, die Ausstellung negativer Entscheidungen über Anträge auf internationalen Schutz durch syrische Staatsangehörige oder Staatenlose, die ihren früheren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, auszusetzen. Die Aussetzung des Erlasses negativer Entscheidungen sollte so lange in Kraft bleiben, bis sich die Lage in Syrien stabilisiert hat und zuverlässige Informationen über die Sicherheits- und Menschenrechtslage vorliegen, um eine umfassende Bewertung der Notwendigkeit vorzunehmen, einzelnen Antragstellern den Flüchtlingsstatus zuzuerkennen.

Das UNHCR ist der Auffassung, dass die Voraussetzungen für die Beendigung der Flüchtlingseigenschaft für Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt wurde und die aus Syrien stammen, derzeit nicht erfüllt sind.

Diese Ereignisse bzw. Tatsachen sind aufgrund öffentlich zugänglicher, weit verbreiteter medialer Berichterstattung allgemein bekannt („notorisch“; vgl. die bei den Feststellungen exemplarisch angegebenen Quellen). Die Feststellungen stützen sich insbesondere auf die – ins Verfahren als Informationsquellen dezidiert eingebrachten - Websites https://syria.liveuamap.com/ und https://www.cartercenter.org/ news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html, die ohne gesondertes Parteiengehör in tagesaktueller Fassung berücksichtigt werden konnten.

Hinsichtlich der übrigen Bereiche wird die Version 11, Stand: 27.03.2024, der Länderfeststellungen herangezogen.

„Rekrutierung von Minderjährigen durch verschiedene Organisationen

Neben der Gefährdung durch sexualisierte Gewalt und Kampfhandlungen bleibt die Zwangsrekrutierung von Kindern im Syrienkonflikt durch verschiedenste Parteien ein zentrales Problem. Neben Somalia und Nigeria zählte Syrien 2020 laut UNICEF zu den Ländern mit den höchsten Rekrutierungsquoten von Kindersoldaten. Als Verantwortliche benennen die Vereinten Nationen insbesondere die Terrororganisation Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS), bewaffnete Gruppierungen der ehemaligen Free Syrian Army (FSA), die kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG/YPJ) sowie in geringerem Maße regimenahe Milizen (AA 29.3.2023). Der im Juni 2022 veröffentlichte Jahresbericht des Generalsekretärs an die UN-Generalversammlung über Kinder in bewaffneten Konflikten berichtet über die Rekrutierung und den Einsatz von insgesamt 1.296 Kindern (1.258 Buben und 38 Mädchen) im Konflikt in Syrien zwischen Januar und Dezember 2021. Dem Bericht zufolge wurden 1.285 der Kinder im Kampf eingesetzt. 569 verifizierte Fälle werden der Syrian National Army (SNA) zugeschrieben, 380 der HTS, 220 der YPG und den mit der YPG verbundenen Frauenschutzeinheiten (YPJ) und 46 den regimenahen Kräften und Milizen, neben anderen Akteuren (UNGA 23.6.2022; vgl. USDOS 20.3.2023). Der UN zufolge wurde die Mehrheit der Minderjährigen auch in bewaffneten Konflikten eingesetzt und nur eine kleine Minderheit in nicht kämpferischen Rollen, beispielsweise als Köche oder für Reinigungsarbeiten (UNSC 27.10.2023).

Im August 2021 hat die syrische Regierung ein Kinderschutzgesetz, Gesetz Nr. 21 von 2021 erlassen. Das Gesetz verbietet die Rekrutierung oder Beteiligung von Kindern an bewaffneten Konflikten und allen anderen damit verbundenen Aktivitäten (OSS 18.1.2023; vgl. UNSC 27.10.2023). Auch das Gesetz Nr. 11/2013 kriminalisiert alle Formen von Rekrutierung und Einsatz von Kindern unter 18 Jahren durch die syrischen Streitkräfte und bewaffnete Oppositionsgruppen (USDOS 29.7.2022).

Laut einem Bericht des US-amerikanischen Außenministeriums vom Juli 2022 hat die Regierung jedoch keine Bemühungen gezeigt, den Einsatz von Kindersoldaten durch Regierungs- und regierungstreue Milizen, bewaffnete Oppositionsgruppen und terroristische Organisationen zu verfolgen. Die Regierung berichtet nicht von der Untersuchung, Verfolgung oder Verurteilung von verdächtigten Menschenhändlern, noch werden Regierungsmitarbeiter, die an Menschenhandel, inklusive der Rekrutierung von Kindern, beteiligt waren, überprüft, verfolgt oder verurteilt. Die Regierung führt weiterhin Verhaftungen und Inhaftierungen durch und misshandelt Opfer von Menschenhandel schwer - inklusive Kindersoldaten - und bestraft diese für illegale Taten, zu denen sie von Menschenhändlern gezwungen werden. Sie inhaftiert regelmäßig Kinder für die vermeintliche Verbindung zu bewaffneten Gruppen, vergewaltigt, foltert und exekutiert. Sie zeigt keine Bemühungen, diesen Kindern irgendwelche Schutzdienste zur Verfügung zu stellen. Die Regierung schützt Kinder auch nicht vor der Rekrutierung und dem Einsatz durch bewaffnete Oppositionsgruppen und Terrororganisationen (USDOS 29.7.2022). Dem gegenüber steht ein Bericht des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, wonach Vertreter der Syrischen Regierung im Jahr 2022 an Awareness-Workshops über Kinder im Konflikt teilgenommen haben und die Regierung sich mit den Vereinten Nationen auf einen handlungsorientierten Dialog zur Beendigung und Vermeidung von sowie Reaktion auf schwere Verbrechen gegen Minderjährige durch das Syrische Regime oder mit ihm verbundene Gruppierungen geeinigt haben (UNSC 27.10.2023). In einem Bericht gibt das Syrian Network for Human Rights (SNHR) an, dass das syrische Regime für fast 65% der Fälle von rekrutierten Minderjährigen verantwortlich ist und führt weiter aus, dass das Regime auf verschiedene Arten der Rekrutierung zurückgreift, weil Kinder weniger kostspielig sind als Erwachsene. Das Regime würde dabei allerdings nicht offiziell vorgehen, also nicht durch die offiziellen Streit- und Sicherheitskräfte rekrutieren, sondern dies auf inoffiziellen Wegen durchführen, beispielsweise über lokale oder ausländische Milizen, wie die regierungstreuen Milizen, die als National Defence Forces (NDF) oder "Shabiha" bekannt sind, die Kinder direkt in ihren Hauptquartieren rekrutieren (SNHR 20.11.2023). Das wird auch vom Danish Immigration Service bestätigt. Wonach die SAA nicht dirtek Kinder rekrutiert, aber dem Verteidigungsministerium unterstehende Milizen, sowie insbesondere auch die Gruppe Wagner (DIS 1.2024). Manche bewaffneten Gruppen, die für die syrische Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF rekrutieren zwangsweise Kinder im Alter von sechs Jahren. Der Iran rekrutierte im Iran minderjährige Afghanen - darunter auch Zwölfjährige - unter Androhung von Abschiebung nach Afghanistan sowie iranische Minderjährige für schiitische Milizen in Syrien. Jabhat an-Nusra und der sogenannte Islamische Staat (IS) haben Kinder auch als menschliche Schutzschilder, Selbstmordattentäter, Scharfschützen und Henker eingesetzt. Bewaffnete Gruppierungen haben auch Kinder für Zwangsarbeit oder als Informanten eingesetzt, wodurch diese Vergeltungsschlägen und extremer Bestrafung ausgesetzt waren (USDOS 29.7.2022).

[…]

Nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen (regierungsfreundlich und regierungsfeindlich)

Manche Quellen berichten, dass die Rekrutierung durch regierungsfreundliche Milizen im Allgemeinen auf freiwilliger Basis geschieht. Personen schließen sich häufig auch aus finanziellen Gründen den National Defense Forces (NDF) oder anderen regierungstreuen Gruppierungen an (FIS 14.12.2018). Andere Quellen berichten von der Zwangsrekrutierung von Kindern im Alter von sechs Jahren durch Milizen, die für die Regierung kämpfen, wie die Hizbollah und die NDF (auch als "shabiha" bekannt) (USDOS 29.7.2022). In vielen Fällen sind bewaffnete regierungstreue Gruppen lokal organisiert, wobei Werte der Gemeinschaft wie Ehre und Verteidigung der Gemeinschaft eine zentrale Bedeutung haben. Dieser soziale Druck basiert häufig auf der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft (FIS 14.12.2018). Oft werden die Kämpfer mit dem Versprechen, dass sie in der Nähe ihrer lokalen Gemeinde ihren Einsatz verrichten können und nicht in Gebieten mit direkten Kampfhandlungen und damit die Wehrpflicht umgehen könnten, angeworben. In der Realität werden diese Milizen aber trotzdem an die Front geschickt, wenn die SAA Verstärkung braucht bzw. müssen die Männer oft nach erfolgtem Einsatz in einer Miliz trotzdem noch ihrer offiziellen Wehrpflicht nachkommen (EUAA 10.2023). In manchen Fällen aber führte der Einsatz bei einer Miliz tatsächlich dazu, der offiziellen Wehrpflicht zu entgehen, bzw. profitierten einige Kämpfer in regierungsnahen Milizen von den letzten Amnestien, sodass sie nach ihrem Einsatz in der Miliz nur mehr die sechsmonatige Grundausbildung absolvieren mussten um ihrer offiziellen Wehrpflicht nachzugehen, berichtet eine vertrauliche Quelle des niederländischen Außenministeriums (NMFA 8.2023).

Anders als die Regierung und die Syrian Democratic Forces (SDF), erlegen bewaffnete oppositionelle Gruppen wie die SNA (Syrian National Army) und HTS (Hay'at Tahrir ash-Sham) Zivilisten in von ihnen kontrollierten Gebieten keine Wehrdienstpflicht auf (NMFA 5.2022; vgl. DIS 12.2022). Quellen des niederländischen Außenministeriums berichten, dass es keine Zwangsrekrutierungen durch die SNA und die HTS gibt (NMFA 8.2023). In den von den beiden Gruppierungen kontrollierten Gebieten in Nordsyrien herrscht kein Mangel an Männern, die bereit sind, sich ihnen anzuschließen. Wirtschaftliche Anreize sind der Hauptgrund, den Einheiten der SNA oder HTS beizutreten. Die islamische Ideologie der HTS ist ein weiterer Anreiz für junge Männer, sich dieser Gruppe anzuschließen. Im Jahr 2022 erwähnt der Danish Immigration Service (DIS) Berichte über Zwangsrekrutierungen der beiden Gruppierungen unter bestimmten Umständen im Verlauf des Konfliktes. Während weder die SNA noch HTS institutionalisierte Rekrutierungsverfahren anwenden, weist die Rekrutierungspraxis der HTS einen höheren Organisationsgrad auf als die SNA (DIS 12.2022). Im Mai 2021 kündigte HTS an, künftig in ldlib Freiwilligenmeldungen anzuerkennen, um scheinbar Vorarbeit für den Aufbau einer "regulären Armee" zu leisten. Der Grund dieses Schrittes dürfte aber eher darin gelegen sein, dass man in weiterer Zukunft mit einer regelrechten "HTS-Wehrpflicht" in ldlib liebäugelte, damit dem "Staatsvolk" von ldlib eine "staatliche" Legitimation der Gruppierung präsentiert werden könnte (BMLV 12.10.2022). Die HTS rekrutiert auch gezielt Kinder, bildet sie religiös und militärisch aus und sendet sie an die Front (SNHR 20.11.2023).

[…]

Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien

Letzte Änderung 2024-03-27 11:04

[…]

Wehrpflichtgesetz der "Demokratischen Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien"

Auch aus den nicht vom Regime kontrollierten Gebieten Syriens gibt es Berichte über Zwangsrekrutierungen. Im Nordosten des Landes hat die von der kurdischen Partei PYD [Partiya Yekîtiya Demokrat, Partei der Demokratischen Union] dominierte "Demokratische Selbstverwaltung für Nord- und Ostsyrien" [Autonomous Administration of North and East Syria, AANES] 2014 ein Wehrpflichtgesetz verabschiedet, welches vorsah, dass jede Familie einen "Freiwilligen" im Alter zwischen 18 und 40 Jahren stellen muss, der für den Zeitraum von sechs Monaten bis zu einem Jahr in den YPG [Yekîneyên Parastina Gel, Volksverteidigungseinheiten] dient (AA 2.2.2024). Im Juni 2019 ratifizierte die AANES ein Gesetz zur "Selbstverteidigungspflicht", das den verpflichtenden Militärdienst regelt, den Männer über 18 Jahren im Gebiet der AANES ableisten müssen (EB 15.8.2022; vgl. DIS 6.2022). Am 4.9.2021 wurde das Dekret Nr. 3 erlassen, welches die Selbstverteidigungspflicht auf Männer beschränkt, die 1998 oder später geboren wurden und ihr 18. Lebensjahr erreicht haben. Gleichzeitig wurden die Jahrgänge 1990 bis 1997 von der Selbstverteidigungspflicht befreit (ANHA, 4.9.2021). Der Altersrahmen für den Einzug zum Wehrdienst ist nun in allen betreffenden Gebieten derselbe, während er zuvor je nach Gebiet variierte. So kam es in der Vergangenheit zu Verwirrung, wer wehrpflichtig war (DIS 6.2022). Mit Stand September 2023 war das Dekret noch immer in Kraft (ACCORD 7.9.2023).

Die Wehrpflicht gilt in allen Gebieten unter der Kontrolle der AANES, auch wenn es Gebiete gibt, in denen die Wehrpflicht nach Protesten zeitweise ausgesetzt wurde [Anm.: Siehe weiter unten]. Es ist unklar, ob die Wehrpflicht auch für Personen aus Afrin gilt, das sich nicht mehr unter der Kontrolle der "Selbstverwaltung" befindet. Vom Danish Immigration Service (DIS) befragte Quellen machten hierzu unterschiedliche Angaben. Die Wehrpflicht gilt nicht für Personen, die in anderen Gebieten als den AANES wohnen oder aus diesen stammen. Sollten diese Personen jedoch seit mehr als fünf Jahren in den AANES wohnen, würde das Gesetz auch für sie gelten. Wenn jemand in seinem Ausweis als aus Hasakah stammend eingetragen ist, aber sein ganzes Leben lang z.B. in Damaskus gelebt hat, würde er von der "Selbsverwaltung" als aus den AANES stammend betrachtet werden und er müsste die "Selbstverteidigungspflicht" erfüllen. Alle ethnischen Gruppen und auch staatenlose Kurden (Ajanib und Maktoumin) sind zum Wehrdienst verpflichtet. Araber wurden ursprünglich nicht zur "Selbstverteidigungspflicht" eingezogen, dies hat sich allerdings seit 2020 nach und nach geändert (DIS 6.2022; vgl. NMFA 8.2023).

Ursprünglich betrug die Länge des Wehrdiensts sechs Monate, sie wurde aber im Jänner 2016 auf neun Monate verlängert (DIS 6.2022). Artikel zwei des Gesetzes über die "Selbstverteidigungspflicht" vom Juni 2019 sieht eine Dauer von zwölf Monaten vor (RIC 10.6.2020). Aktuell beträgt die Dauer ein Jahr und im Allgemeinen werden die Männer nach einem Jahr aus dem Dienst entlassen. In Situationen höherer Gewalt kann die Dauer des Wehrdiensts verlängert werden, was je nach Gebiet entschieden wird. Beispielsweise wurde der Wehrdienst 2018 aufgrund der Lage in Baghouz um einen Monat verlängert. In Afrin wurde der Wehrdienst zu drei Gelegenheiten in den Jahren 2016 und 2017 um je zwei Monate ausgeweitet. Die Vertretung der "Selbstverwaltung" gab ebenfalls an, dass der Wehrdienst in manchen Fällen um einige Monate verlängert wurde. Wehrdienstverweigerer können zudem mit der Ableistung eines zusätzlichen Wehrdienstmonats bestraft werden (DIS 6.2022).

Nach dem abgeleisteten Wehrdienst gehören die Absolventen zur Reserve und können im Fall "höherer Gewalt" einberufen werden. Diese Entscheidung trifft der Militärrat des jeweiligen Gebiets. Derartige Einberufungen waren den vom DIS befragten Quellen nicht bekannt (DIS 6.2022).

Einsatzgebiet von Wehrpflichtigen

Die Selbstverteidigungseinheiten [Hêzên Xweparastinê, HXP] sind eine von den SDF separate Streitkraft, die vom Demokratischen Rat Syriens (Syrian Democratic Council, SDC) verwaltet wird und über eigene Militärkommandanten verfügt. Die SDF weisen den HXP allerdings Aufgaben zu und bestimmen, wo diese eingesetzt werden sollen. Die HXP gelten als Hilfseinheit der SDF. In den HXP dienen Wehrpflichtige wie auch Freiwillige, wobei die Wehrpflichtigen ein symbolisches Gehalt erhalten. Die Rekrutierung von Männern und Frauen in die SDF erfolgt dagegen freiwillig (DIS 6.2022).

Die Einsätze der Rekruten im Rahmen der "Selbsverteidigungspflicht" erfolgen normalerweise in Bereichen wie Nachschub oder Objektschutz (z.B. Bewachung von Gefängnissen wie auch jenes in al-Hasakah, wo es im Jänner 2022 zu dem Befreiungsversuch des sogenannten Islamischen Staats (IS) mit Kampfhandlungen kam). Eine Versetzung an die Front erfolgt fallweise auf eigenen Wunsch, ansonsten werden die Rekruten bei Konfliktbedarf an die Front verlegt, wie z. B. bei den Kämpfen gegen den IS 2016 und 2017 in Raqqa (DIS 6.2022). […]

Kinder

[…]

Nordwestsyrien

Laut UNOCHA hat weniger als eines von zehn Kindern Zugang zu adäquater und ausreichender Ernährung (AA 29.3.2023). Es wird berichtet, dass Familien im Nordwesten Syriens ihre Töchter zunehmend wiederholt für kurze Zeit gegen Geld verheiraten, was den Tatbestand des sexuellen Menschenhandels erfüllt. Früh- und Zwangsverheiratungen waren besonders in Idlib vermehrt verbreitet. Es wurden Fälle berichtet, in denen SNA (Syrian National Army)-Mitglieder der Sultan-Murad-Brigade kurdische Frauen in Afrin und Ra's al-'Ayn zwangsverheirateten (USDOS 30.3.2021) (Anm.: Siehe dazu auch Kapitel Frauen, Unterkapitel Sexuelle Gewalt gegen Frauen und "Ehrverbrechen").

[…]

Kindesmisshandlung und –missbrauch

[…]

NGOs berichteten ausführlich über Regime- und regimefreundliche Kräfte sowie HTS und IS, die Kinder sexuell missbrauchen, foltern, festhalten, töten und anderweitig misshandeln. Die HTS hat Kinder in den von ihr kontrollierten Gebieten extrem hart bestraft und auch hingerichtet. Das gesetzliche Alter für die sexuelle Mündigkeit liegt bei 15 Jahren, wobei es keine Ausnahmeregelung für Minderjährige gibt. Vorehelicher Sex ist illegal, aber Beobachter berichteten, dass die Behörden das Gesetz nicht durchsetzen. Die Vergewaltigung eines Kindes unter 15 Jahren wird mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 21 Jahren und Zwangsarbeit bestraft. Es gab keine Berichte über die strafrechtliche Verfolgung in Vergewaltigungsfällen von Kindern durch das Regime (USDOS 20.3.2023).

[…]

Kinderarbeit und Nahrungsmittelversorgung

Das Gesetz sieht den Schutz von Kindern vor Ausbeutung am Arbeitsplatz vor und verbietet die schlimmsten Formen der Kinderarbeit. Es gab nur wenige öffentlich zugängliche Informationen über die Durchsetzung des Kinderarbeitsgesetzes. Das Regime unternahm keine nennenswerten Anstrengungen zur Durchsetzung von Gesetzen, die Kinderarbeit verhindern oder beseitigen. Das Mindestalter für die meisten nichtlandwirtschaftlichen Tätigkeiten beträgt 15 Jahre oder den Abschluss der Grundschule, je nachdem, was zuerst eintritt. Das Mindestalter für die Beschäftigung in Industrien mit schwerer Arbeit beträgt 17 Jahre. Für die Beschäftigung von Kindern unter 16 Jahren ist die Erlaubnis der Eltern erforderlich. Kinder, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen nicht mehr als sechs Stunden pro Tag arbeiten und keine Überstunden leisten oder in Nachtschichten, an Wochenenden oder offiziellen Feiertagen arbeiten. Das Gesetz sieht vor, dass die Behörden bei Verstößen "angemessene Strafen" verhängen sollen. Es gab jedoch keine Informationen, aus denen hervorging, welche Strafen angemessen waren. Die Beschränkungen für Kinderarbeit gelten nicht für Personen, die in Familienbetrieben arbeiten und kein Gehalt erhalten (USDOS 12.4.2022).

Kinderarbeit gibt es in Syrien sowohl in informellen Sektoren, einschließlich Betteln, Hausarbeit und Landwirtschaft, als auch in Positionen, die mit dem Konflikt zu tun haben, z. B. als Aufpasser, Spione und Informanten. Bei konfliktbezogener Arbeit sind Kinder erheblichen Gefahren durch Vergeltung und Gewalt ausgesetzt. Organisierte Bettelringe setzen die innerhalb des Landes vertriebenen Kinder weiterhin der Zwangsarbeit aus (USDOS 12.4.2022). Viele bewaffnete Gruppen rekrutieren Kinder als Soldaten. Binnenvertriebene und Flüchtlinge sind besonders vulnerabel bezüglich sexueller und Arbeitsausbeutung sowie Menschenhandel (FH 9.3.2023).

Die Zahl der chronisch unterernährten Kinder (unter fünf Jahren) stieg von 553.000 im Jahr 2022 auf 609.979 im Jahr 2023. Laut dem Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) sind 75.726 Kinder (zwischen sechs und 59 Monaten) akut unterernährt. Nicht zuletzt durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine dürften sich diese Zahlen über das Jahr 2022 erhöht haben, auch aufgrund der Abhängigkeit insbesondere der Regimegebiete von Importen aus Russland. Rund 70 Prozent der Bevölkerung macht von negativen Bewältigungsmechanismen Gebrauch (z. B. Verschuldung, Kinderarbeit, Kinderehe, Auswanderung, Verringerung der Anzahl täglicher Mahlzeiten). Versorgungsengpässe halten an oder verschlimmern sich. Etwa 90 Prozent aller Haushalte geben über die Hälfte ihres Jahreseinkommens für Lebensmittel und andere Grundbedürfnisse (Wasser, Strom) aus, in 48 Prozent der Haushalte tragen Kinder zum Einkommen bei (AA 29.3.2023). Kinder als Straßenverkäufer oder auf Müllhalden wurden mit der anhaltenden Verschlechterung der Lebensbedingungen aller syrischen Familien ein regelmäßiger Anblick, weil Hunderttausende von Familien unterhalb der Armutsgrenze leben. Auch kam es zu einer Zunahme an obdachlosen Kindern, die allen Formen der Ausbeutung ausgesetzt sind (SNHR 20.11.2021). […]“

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit und zur Herkunft des Beschwerdeführers, zu seiner Religion und Volksgruppenzugehörigkeit sowie zu seiner familiären Situation in Syrien und in Österreich ergeben sich aus dem diesbezüglich glaubhaften Vorbringen des Beschwerdeführers im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Mangels Vorlage eines unbedenklichen Identitätsdokuments gelten die Feststellungen ausschließlich für die Identifizierung des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Namenskorrektur erfolgte aufgrund des Antrages des Beschwerdeführers und der Vorlage des Familienbuches. Der Nachname ist gleichlautend mit dem Namen des Bruders und besteht daher kein Grund daran zu zweifeln.

Bereits im Rahmen der Erstbefragung gab der Beschwerdeführer an, in Rif Aleppo geboren zu sein und dort gelebt zu haben. In der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl konkretisierte der Beschwerdeführer seine Angaben dahingehend, dass er aus dem Dorf XXXX stamme und dort bis 2015 gelebt habe. Aufgrund des Krieges sei er im Jahr 2015 mit der Familie nach XXXX , Gouvernement Idlib, umgezogen, wo sie bis zum Jahr 2020 lebten. Im Jahr 2020 seien sie nach XXXX , Gouvernement Idlib, umgezogen, wo er bis zu seiner Ausreise im Jahr 2023 lebte. In XXXX und in XXXX lebte die Familie in Zelten und war es dem Beschwerdeführer nicht möglich, regelmäßig zur Schule zu gehen. Daher ist XXXX im Gouvernement Aleppo als Herkunftsregion anzusehen. Hierbei wird aber darauf hingewiesen, dass sich XXXX , XXXX und XXXX unter Kontrolle der HTS befinden und andere Gruppierungen auf diese Orte keine Zugriffsmöglichkeiten haben.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Es obliegt dem Beschwerdeführer, die Umstände der Flucht einigermaßen nachvollziehbar und genau zu schildern. Aus den Angaben des Beschwerdeführers lässt sich jedoch keine lineare Handlung erkennen, die objektiv geeignet wäre, einen asylrelevanten Verfolgungsgrund zu verwirklichen.

Der Beschwerdeführer bringt durchgehend vor, dass er Syrien wegen des Krieges und der mangelnden Sicherheit verlassen habe. Eine drohende Einziehung zum syrischen Wehrdienst macht er erst geltend, als er von dem einvernehmenden Leiter in der Befragung konkret danach befragt wird. Grundsätzlich lehnt er eine Wehrpflicht nicht ab, aber er möchte nicht im Krieg kämpfen.

Aufgrund des Machtwechsels und der Beendigung der Herrschaft des syrischen Regimes kann eine weitere Ausführung zur grundsätzlichen Militärpflicht und dem Militärdienst im syrischen Militär unterbleiben. Aus den selben Erwägungen sind auch die Befürchtungen bezüglich der vorgebrachten Verfolgung durch das syrische Regime aufgrund der Wehrdienstverweigerung seiner Brüder hinfällig geworden.

Aufgrund der festgestellten aktuellen Lage in Syrien besteht für den Beschwerdeführer nach dem Sturz des syrischen Assad-Regimes mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keine Gefahr mehr, von diesem verfolgt oder zum Militärdienst der syrischen Armee eingezogen zu werden. Ausgehend von den aktuellen Länderfeststellungen wurden bereits Hunderte Soldaten entlassen und der HTS Anführer Ahmed al Sharaa (Abu Mohammad al Jolani) verkündete am 15. Dezember zudem, dass er eine Wehrdienstpflicht in Syrien abschaffen werde.

In der Beschwerde wird ausgeführt, dass die HTS nach wie vor als Terrororganisation eingestuft wird und daher der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr gefährdet sei. Dazu wird angemerkt, dass der Beschwerdeführer bereits vor seiner Ausreise in einem Gebiet lebte, das unter der Herrschaft der HTS stand und bei seiner Befragung keine konkrete Befürchtung vor der HTS vorbrachte. Der Beschwerdeführer war zudem seinen Angaben nach in Syrien nicht politisch tätig und hatte keine Probleme mit den Behörden in Syrien. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise ins Blickfeld der HTS geraten ist.

Seit ihrer Machtübernahme versucht die HTS sich ein liberaleres Image zu verschaffen und unlängst wurden sogar die EU Sanktionen gegen Syrien aufgehoben, daher ist davon auszugehen, dass Personen, die vor dem Regimewechsel nicht im Blickfeld der HTS waren, danach erst recht nicht mit einer asylrelevanten Verfolgung zu rechnen haben.

Zu seinen Befürchtungen, von der HTS zwangsrekrutiert zu werden, wird festgehalten, dass der HTS zwar unter Anknüpfung an die Phase vor 27.11.2024 im Westen Syriens Menschenrechtsverstöße vorgeworfen werden, doch weist der arabisch sunnitisch geprägte und politisch unauffällige Beschwerdeführer keinerlei exponierende, verfolgungsindizierende Merkmale oder Verhaltensweisen auf. Nach dem Sturz des syrischen Regimes im Dezember 2024 ergibt die verfügbare Berichtslage überdies moderate staatspolitische Zugänge der machtpolitisch dominierenden Akteure, davon zeugen die Amnestien für vormalige Mitglieder der syrischen Armee, Demonstrationen an denen Frauen und Männer in Damaskus friedlich und ungehindert teilnehmen können, oder die in Aussicht genommene Auflösung früherer Geheimdienste. Konkrete Gefahrenlagen sind bis zuletzt nicht hervorgekommen und ist eine zwangsweise Einziehung zu einem Militärdienst der machthabenden Gruppierungen derzeit nicht zu befürchten. Vor allem, da die HTS ankündigte, die Militärpflicht aufzulösen. Dies wäre für sich betrachtet aber auch nicht ausreichend, einen Asylanspruch zu begründen.

Soweit in der Stellungnahme auf die Gefahr, als alleinstehender Minderjähriger in Syrien Opfer einer Zwangsrekrutierung als Kindersoldat zu werden, hingewiesen wird, wird dem Verfasser der Stellungnahme nur insoweit zugestimmt, dass sich aus den Länderinformationen ergibt, dass es in der Vergangenheit in Syrien durchaus dazu gekommen sein mag. Demnach habe auch die HTS in der Vergangenheit derartige Praktiken in einzelnen Fällen an den Tag gelegt. Vom erkennenden Gericht wird jedoch einerseits darauf hingewiesen, dass es sich beim Beschwerdeführer um keinen alleinstehenden Minderjährigen handelt, da sich seine Kernfamilie in Syrien befindet. Andererseits hat sich die HTS als nunmehr in Syrien staatstragende Organisation durch die Machtübernahme auch maßgeblich verändert. Aktuelle Berichte über Kinder-Zwangsrekrutierungen durch die HTS in Syrien liegen nicht vor, sodass das Bundesverwaltungsgericht davon ausgeht, dass derzeit und aktuell eine Gefahr für alle männlichen Kinder in Syrien, und somit auch für den Beschwerdeführer, mit entsprechender Wahrscheinlichkeit Opfer einer Zwangsrekrutierung als Kindersoldat durch HTS zu werden, nicht besteht.

Im Hinblick auf die Minderjährigkeit des Beschwerdeführers ist weiters festzuhalten, dass Kinder insbesondere Gefährdungen wie Früh- und Zwangsehen, Kinderarbeit oder Vergewaltigungen ausgesetzt sind. Eine über die allgemein schlechte Situation von Kindern aufgrund des Bürgerkrieges hinausgehende Verfolgung von Kindern als soziale Gruppe lässt sich aus den oben zitierten Länderfeststellungen aber nicht entnehmen. Kinder ohne einen männlichen Verwandten, der bereit und dazu in der Lage ist, sie zu unterstützen, wären besonders gefährdet.

Festzuhalten ist, dass im Fall einer hypothetischen Rückkehr der Beschwerdeführer über ein soziales Netz in Syrien verfügt, so befindet sich seine Kernfamilie in Syrien. Demnach würde der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Syrien im Herkunftsort über männliche Verwandte verfügen, die ihn unterstützen und schützen können. Die Gefährdung des minderjährigen Beschwerdeführers ist in diesem Zusammenhang somit als vergleichsweise gering einzuschätzen. Sonstige risikoerhöhende Umstände sind im Verfahren nicht hervorgekommen und wurden auch nicht behauptet.

Eine drohende Zwangsrekrutierung durch kurdische Kräfte wird erstmals in der Beschwerde vorgebracht. Dazu wird angemerkt, dass der Beschwerdeführer nicht aus einem Gebiet stammt, das unter kurdischer Herrschaft steht, daher kann ein Eingehen auf diese Befürchtung unterbleiben, da die kurdische Wehrpflicht primär Kurden in kurdischen Gebieten betrifft.

Auch wenn zu berücksichtigen ist, dass der Beschwerdeführer bei seiner Einvernahme minderjährig war, so ist dennoch zu bedenken, dass er bereits 16,5 Jahre alt war und von einem 16-jährigen, der sein Heimatland verlassen hat, durchaus erwartet werden kann, Befürchtungen bzgl. einer Rückkehr vorzubringen bzw. seine Fluchtgründe umfassend darzulegen.

Zur vorgebrachten Verfolgung (durch das syrische Regime) aufgrund seines Auslandsaufenthaltes und seiner Asylantragstellung in Österreich:

Einzig in der Beschwerde wird eine asylrechtlich relevante Verfolgung des Beschwerdeführers aufgrund der Tatsache behauptet, dass er illegal aus Syrien ausgereist sei und er einen Asylantrag in Österreich gestellt habe und ihm insofern eine oppositionelle Gesinnung – auch gegenüber der HTS – unterstellt werde.

Eine Asylantragstellung in Österreich reicht für sich alleine für eine Asylzuerkennung nicht aus, weil die Antragstellung den syrischen Behörden nicht bekannt ist, da es den österreichischen Behörden gemäß § 33 BFA-VG untersagt ist, diesbezügliche Daten an die syrischen Behörden weiterzugeben. Es ist auch nicht hervorgekommen, dass dem syrischen Staat oder sonstigen Gruppierungen die Antragstellung entgegen dem Verbot oder durch sonstige Umstände tatsächlich bekanntgeworden ist.

Aus Medienberichten geht zudem hervor, dass die neue Regierung die Flüchtlinge dezidiert zur Rückkehr eingeladen hat.

Dem Beschwerdeführer ist es insgesamt nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, welche ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.

Auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Syrien kann nicht erkannt werden, dass dem Beschwerdeführer aktuell in Syrien eine asylrelevanten Verfolgung aus einem in der GFK genannten Gründen droht.

Im Übrigen wird festgehalten, dass der allgemeinen Bedrohung durch die aktuelle Lage in Syrien mit dem bereits rechtskräftig zuerkannten Status des subsidiär Schutzberechtigten begegnet worden ist.

2.3. Zu den Feststellungen zur relevanten Sicherheitslage in Syrien:

Die Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien beruhen auf den angeführten Quellen. Die Feststellungen waren im Lichte der jüngsten Ereignisse in Syrien zu treffen. Diese Ereignisse bzw. Tatsachen sind aufgrund öffentlich zugänglicher, weit verbreiteter medialer Berichterstattung allgemein bekannt („notorisch“; vgl. die bei den Feststellungen exemplarisch angegebenen Quellen).

Der Vollständigkeit halber sei noch darauf hingewiesen, dass die jüngst veröffentlichte Position des UNHCR, der vorliegenden Entscheidung nicht entgegensteht: UNHCR-Position on Returns to the Syrian Arab Republic, Dezember 2024, https://www.refworld.org/policy/countrypos/ unhcr/2024/en/149254.

Die von UNHCR thematisierten Fragen der freiwilligen Rückkehr („Voluntary Returns“) sowie des Moratoriums zwangsweiser Rückführungen („Moratorium on Forced Returns“) sind mit Blick auf den Gegenstand der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht relevant, da der Beschwerdeführer ohnedies bereits den Status des subsidiär Schutzberechtigten innehat.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zur Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Asylantrag gestellt hat, soweit der Antrag nicht gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. 2004 Nr. L 304/12 [Statusrichtlinie] verweist). Damit will der Gesetzgeber an die Gesamtheit der aufeinander bezogenen Elemente des Flüchtlingsbegriffs der GFK anknüpfen (VwGH 24.3.2011, 2008/23/1443). Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG 2005 ist der Asylantrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG 2005) offen steht oder wenn er einen Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG 2005) gesetzt hat.

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK (idF des Art. 1 Abs. 2 des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge BGBl. 78/1974) - deren Bestimmungen gemäß § 74 AsylG 2005 unberührt bleiben - ist, wer sich "aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren." (vgl. VfSlg. 19.086/2010; VfGH 12.6.2010, U 613/10).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/20/0771; 17.3.2009, 2007/19/0459; 28.5.2009, 2008/19/1031; 6.11.2009, 2008/19/0012). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011; 28.5.2009, 2008/19/1031. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 9.9.1993, 93/01/0284; 15.3.2001, 99/20/0128; 23.11.2006, 2005/20/0551); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet.

Im Umstand, dass im Heimatland des Beschwerdeführers Bürgerkrieg herrscht, liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (siehe VwGH 26.11.1998, 98/20/0309, 0310 und VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht.

Die Bestimmung der Heimatregion des Asylwerbers ist Grundlage für die Prüfung, ob dem Asylwerber dort mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Verfolgung droht und ob ihm - sollte dies der Fall sein - im Herkunftsstaat außerhalb der Heimatregion eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht (vgl. etwa VwGH 25.08.2022, Zl. Ra 2021/19/0442). Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits dargelegt, dass zur Bestimmung der Heimatregion der Frage maßgebliche Bedeutung zukommt, wie stark die Bindungen des Asylwerbers an ein bestimmtes Gebiet sind. Hat er vor seiner Ausreise aus dem Herkunftsland nicht mehr in dem Gebiet gelebt, in dem er geboren wurde und aufgewachsen ist, ist der neue Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen, soweit der Asylwerber zu diesem Gebiet enge Bindungen entwickelt hat (VwGH 09.03.2023, Ra 2022/19/0317, unter Verweis auf VwGH 25.08.2022, Ra 2021/19/0442; VwGH 25.05.2020, Ra 2019/19/0192). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in Fällen, in denen Asylwerber nicht auf Grund eines eigenen Entschlusses, sondern unter Zwang auf Grund einer Vertreibung ihren dauernden Aufenthaltsort innerhalb des Herkunftsstaates gewechselt hatten und an dem neuen Aufenthaltsort nicht Fuß fassen konnten (Zustand innerer Vertreibung), der ursprüngliche Aufenthaltsort als Heimatregion anzusehen (VwGH 30.04.2021, VwGH Ra 2021/19/0024, mwN).

Der Beschwerdeführer wurde im Dorf XXXX , Gouvernement Aleppo, geboren und lebte dort bis 2015. Aufgrund des Krieges zog er mit seiner Familie zuerst nach XXXX , Gouvernement Idlib, und im Jahr 2020 nach XXXX , Gouvernement Idlib, um. In XXXX und in XXXX lebte die Familie in Zelten und war es dem Beschwerdeführer nicht möglich regelmäßig zur Schule zu gehen. Es ist daher auch mit Blick auf den kurzen Aufenthalt dort nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer in den beiden Orten Fuß fassen konnte oder eine stärkere Bindung zu diesen Orten aufbauen hätte können als zu XXXX . Daher ist XXXX als Herkunftsregion anzusehen.

Wie festgestellt und beweiswürdigend dargelegt, befindet sich die Heimatregion des Beschwerdeführers aktuell unter der Kontrolle der HTS.

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste (vgl. etwa VwGH 7.3.2023, Ra 2022/18/0284, mwN). Relevant kann also nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der „Asylentscheidung“ immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, 98/20/0233, mwN; sowie jüngst unter Hinweis auf diese Entscheidung VfGH 27.2.2023, E 3307/2022).

Es ergibt sich entgegen der Ansicht der Beschwerde auch aus keinen Länderberichten eine Verfolgung aller Rückkehrer, die um Asyl angesucht haben (VwGH 24.11.2022, Ra 2022/18/0222).

Des Weiteren plädiert UNHCR dafür, dass vorerst keine negativen Entscheidungen über Asylanträge von syrischen Staatsangehörigen oder Staatenlosen, die früher ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Syrien hatten, erlassen werden. Zutreffend weist UNHCR zunächst darauf hin, dass das Risiko einer Verfolgung durch die einstige Regierung, also das Assad-Regime, geendet habe. Diese Ausführungen stehen im Einklang mit den – in zahlreichen Medien veröffentlichten – Informationen, auf die sich das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung stützt. Soweit UNHCR allerdings vermeint, dass andere Risiken fortbestehen oder zunehmen könnten, ist zu betonen, dass der Beschwerdeführer eine Verfolgung hauptsächlich durch das Assad-Regime behauptet hat. Grundlegende Informationen zu den nunmehrigen Machthabern waren bereits den dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebrachten Länderberichten und sonstigen Entscheidungsgrundlagen zu entnehmen. Der Sturz des Assad-Regimes und der Machtwechsel in Syrien sind – aufgrund der öffentlich zugänglichen und weit verbreiteten Medienberichte – als allgemein bekannt („notorisch“) anzusehen.

Im Übrigen ist beachtlich, dass auch UNHCR keine konkreten neuen Verfolgungsrisiken ins Treffen führt, sondern sich bloß allgemein auf die in Syrien vorherrschende Unsicherheit und Instabilität bezieht. Vor diesem Hintergrund sei abschließend noch einmal daran erinnert, dass der Beschwerdeführer ohnedies bereits den Status des subsidiär Schutzberechtigten innehat.

In der Stellungnahme und in der Beschwerdeschrift wurde ferner vorgebracht, dass dem Beschwerdeführer Gefahr aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Kinder und Jugendlichen, der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von Zwangsrekrutierung bedrohten minderjährigen männlichen Jugendlichen und der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie drohen würde.

Dazu ist auszuführen, dass sich der Verwaltungsgerichtshof zur Auslegung des Begriffs der „sozialen Gruppe“ in seiner bisherigen Rechtsprechung auf Art. 10 Abs. 1 lit d Status-RL und die dazu ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) bezogen hat. Damit das Vorliegen einer „sozialen Gruppe“ im Sinn dieser Bestimmung festgestellt werden kann, müssen nach der Rechtsprechung des EuGH folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Zum einen müssen die Mitglieder der Gruppe „angeborene Merkmale“ oder einen „Hintergrund, der nicht verändert werden kann“, gemein haben, oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, „die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten“. Zum anderen muss diese Gruppe in dem betreffenden Drittland eine deutlich abgegrenzte Identität haben, weil sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird. Bei der sozialen Gruppe handelt es sich um einen Auffangtatbestand. Eine soziale Gruppe kann aber nicht ausschließlich dadurch definiert werden, dass sie Zielscheibe von Verfolgung ist (vgl. VwGH 11.12.2019, Ra 2019/20/0295, mwN). Um das Vorliegen einer Verfolgung aus dem Konventionsgrund der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe beurteilen zu können, bedarf es daher sowohl Feststellungen zu den Merkmalen und zur abgegrenzten Identität dieser Gruppe als auch zum kausalen Zusammenhang mit der Verfolgung. Dabei ist zu beachten, dass nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen ist, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art 9 Abs. 1 Status-RL). Ob dies der Fall ist, ist im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfende Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 14.08.2020, Ro 2020/14/0002, mwN; vgl. VwGH 22.03.2017, Ra 2016/19/0350).

Die Stellungnahme und die Beschwerde beschränken sich darauf, eine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu den zuvor genannten sozialen Gruppen zu behaupten. Substantiierte Ausführungen zu den Voraussetzungen für die Annahme einer Verfolgung aufgrund dieser behaupteten Zugehörigkeiten fehlen. Eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Kinder konnte der Beschwerdeführer schon deshalb nicht glaubhaft machen, zumal der Beschwerdeführer in Syrien auch über ein familiäres Netzwerk verfügt (vgl. dazu auch VwGH 12.12.2023, Ro 2023/14/0005). Es ist daher nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass der Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Syrien eine ihn unmittelbar und konkret betreffende Gewalt oder Verfolgung basierend auf der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Kinder droht. Auch eine Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie konnte der Beschwerdeführer nicht glaubhaft machen, zumal sich seine Kernfamilie weiterhin in Syrien aufhält.

Zu einer drohenden Verfolgung aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der von Zwangsrekrutierung bedrohten minderjährigen männlichen Jugendlichen ist auszuführen, dass – wie bereits beweiswürdigend ausgeführt – eine Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers durch die HTS nicht maßgeblich wahrscheinlich ist. Eine Zwangsrekrutierung durch andere Gruppierungen ist mangels Zugriffsmöglichkeiten ebenfalls nicht maßgeblich wahrscheinlich.

Auch sonst haben sich im Verfahren keine Anhaltspunkte ergeben, die eine Verfolgung des Beschwerdeführers aus asylrelevanten Gründen im Herkunftsstaat maßgeblich wahrscheinlich erscheinen ließen. Die allgemeine Lage in Syrien ist nicht dergestalt, dass bereits jedem, der sich dort aufhält, der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werden müsste.

Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich das Vorbringen des Beschwerdeführers als bereits abstrakt nicht asylrelevant und hinsichtlich der behaupteten Verfolgungshandlungen in Syrien auch als nicht glaubhaft.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab (vgl. die oben im Rahmen der rechtlichen Beurteilung zu Spruchteil A angeführten zahlreichen Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes), noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Sofern die oben angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und der Verfassungsgerichtshofes zu (zum Teil) alten Rechtslagen erging, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar (vgl. dazu insb. Notwendigkeit einer maßgeblichen Verfolgungswahrscheinlichkeit und dem Ungenügen der entfernten Möglichkeit einer Verfolgung VwGH 21.12.2000, 2000/01/0132; 23.09.1998, 98/01/0224; 26.11.1998, 98/20/0309, u.v.a).

Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Das Bundesverwaltungsgericht kann sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

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