JudikaturVwGH

Ra 2024/08/0135 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
01. April 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Lehofer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin sowie den Hofrat Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des Mag. A L in S, vertreten durch Mag. dipl. iur. Tanja Cukon, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Zelinkagasse 6, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Oktober 2024, L523 2261984 1/58Z, betreffend Aussetzung eines Beschwerdeverfahrens (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen; weitere Partei: Bundesministein für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Mit Bescheid vom 26. September 2022 stellte die Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen (SVS) für den Revisionswerber die monatlichen Beitragsgrundlagen in der Kranken und Pensionsversicherung nach dem GSVG für die Zeiträume vom 1. Jänner 2018 bis zum 31. Dezember 2018, vom 1. Jänner 2019 bis zum 31. Dezember 2019, vom 1. Jänner 2020 bis zum 31. Dezember 2020 und vom 1. Jänner 2021 bis zum 31. Dezember 2021 fest. Außerdem setzte die SVS für die genannten Zeiträume die monatlichen Beiträge des Revisionswerbers zur Pensions , Kranken und Unfallversicherung sowie zur Selbständigenvorsorge nach dem BMSVG fest. Schließlich sprach die SVS aus, der Revisionswerber sei zum 23. Juli 2022 verpflichtet gewesen, einen näher genannten Betrag an rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen für die erwähnten Zeiträume sowie Verzugszinsen, Nebengebühren und „Kostenanteile“ in jeweils genannter Höhe zu leisten.

2 Das Verfahren über die gegen diesen Bescheid vom Revisionswerber erhobene Beschwerde setzte das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Beschluss gemäß § 38 AVG „bis zum Abschluss des zu diesem Verfahren beim Verfassungsgerichtshof eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahrens“ aus. Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.

3 In der Begründung hielt das Bundesverwaltungsgericht fest, es habe im gegenständlichen Verfahren aufgrund „verfassungsrechtlicher Bedenken“ gegen § 18 Abs. 1 letzter Satz und Abs. 4 letzter Satz Selbständigen Sozialversicherungsgesetz (SVSG) sowie § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG am 16. Oktober 2024 den Beschluss gefasst, „dem Verfassungsgerichtshof die Frage der Verfassungsmäßigkeit [der genannten Gesetzesbestimmungen] vorzulegen“. Da diese Frage für das gegenständliche Beschwerdeverfahren präjudiziell sei, sei dieses bis zur Erledigung des Verfahrens beim Verfassungsgerichtshof auszusetzen.

4 Die gegen diesen Beschluss erhobene außerordentliche Revision erweist sich aus nachfolgenden Gründen als unzulässig:

5 Zu den Prozessvoraussetzungen für das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gehört wie insbesondere aus § 58 Abs. 2 VwGG abzuleiten ist das Rechtsschutzinteresse des Revisionswerbers. Es besteht bei Revisionen nach Art. 133 Abs. 1 Z 1 B VG im objektiven Interesse des Revisionswerbers an einer Beseitigung der angefochtenen, ihn beschwerenden Entscheidung des Verwaltungsgerichtes. Dieses Interesse ist daher immer dann zu verneinen, wenn es für die Rechtsstellung des Revisionswerbers keinen Unterschied macht, ob die angefochtene Entscheidung aufrecht bleibt oder aufgehoben wird, bzw. wenn die Erreichung des Verfahrenszieles für den Revisionswerber keinen objektiven Nutzen hat, die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen also nur (mehr) theoretische Bedeutung besitzen. Fehlt es schon im Zeitpunkt der Revisionserhebung am erforderlichen Rechtsschutzinteresse, führt dies gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zu einer Zurückweisung der Revision (vgl. VwGH 16.12.2024, Ro 2023/06/0008, mwN).

6 Ein solcher Fall liegt hier vor.

7 Im Allgemeinen wird durch die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung, deren Ausgang abgewartet werden soll, die Entscheidungspflicht der aussetzenden Behörde (bzw. des Gerichtes) suspendiert (vgl. VwGH 19.11.2024, Ra 2024/11/0005, mwN). Im Hinblick auf diesen normativen Gehalt von Aussetzungsentscheidungen kommt als in einem Revisionsverfahren maßgebliche Rechtsverletzung allein die Verletzung der revisionswerbenden Partei im Recht auf Entscheidung über ihre Beschwerde ohne unnötigen Aufschub, spätestens aber (grundsätzlich) sechs Monate nach deren Einlangen (§ 34 Abs. 1 erster Satz VwGVG) in Betracht (vgl. VwGH 22.4.2008, 2008/18/0268, noch zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012).

8 Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht jedoch einer Anregung des Revisionswerbers im Verfahren über die von ihm selbst gegen den Bescheid der SVS vom 26. September 2022 eingebrachte Beschwerde folgend zunächst gemäß Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B VG einen Antrag an den Verfassungsgerichtshof gestellt, näher bezeichnete Bestimmungen des SVSG und des GSVG als verfassungswidrig aufzuheben, und daraufhin mit dem angefochtenen Beschluss die Aussetzung des Beschwerdeverfahrens bis zum Abschluss des Gesetzesprüfungsverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof ausgesprochen.

9 Hat ein Gericht (Art. 140 Abs. 1 Z 1 lit. a B VG) einen Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen gestellt, so dürfen gemäß § 62 Abs. 3 VfGG in dem bei ihm anhängigen Verfahren bis zur Verkündung bzw. Zustellung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes nur solche Handlungen vorgenommen oder Anordnungen und Entscheidungen getroffen werden, die durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes nicht beeinflusst werden können oder die die Frage nicht abschließend regeln und keinen Aufschub gestatten.

10 Aufgrund der Regelung des § 62 Abs. 3 VfGG trat eine Suspendierung der Entscheidungspflicht des Bundesverwaltungsgerichts im Verfahren über die Beschwerde des Revisionswerbers bis zum Abschluss des aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens beantragten Gesetzesprüfungsverfahrens somit bereits ex lege ein; der mit dem angefochtenen Beschluss ausgesprochenen Aussetzung bedurfte es dazu nicht. Für die Rechtsstellung des Revisionswerbers macht es somit keinen Unterschied, ob die angefochtene Entscheidung aufrecht bleibt oder aufgehoben wird; die Erreichung des Verfahrenszieles hat für den Revisionswerber keinen objektiven Nutzen und die in der Revision aufgeworfenen Rechtsfragen besitzen nur theoretische Bedeutung.

11 Daran ändert auch das nicht näher belegte Vorbringen in der Revision nichts, der Revisionswerber habe „einige Anträge zur Verbesserung seiner prozessrechtlichen Lage gestellt [...] (Zustellung korrigierte Niederschrift, Ablehnung, Übermittlung Beweismittel und Verfahrenshilfe), deren Behandlung durch die Aussetzung aufgeschoben ist“. Denn wie dargelegt beschränkt sich der normative Gehalt von Aussetzungsentscheidungen auf die Suspendierung der Entscheidungspflicht der aussetzenden Behörde (bzw. des Gerichtes); die Suspendierung der Entscheidungspflicht tritt im vorliegenden Fall jedoch bereits ex lege gemäß § 62 Abs. 3 VfGG ein.

12 Die Revision war daher nach Durchführung des Vorverfahrens (eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet) gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG wegen des Mangels der Berechtigung zu ihrer Erhebung zurückzuweisen.

Wien, am 1. April 2025

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