Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr. in Sporrer und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Sasshofer, über die Revision des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz in 1030 Wien, Esteplatz 2, gegen das am 25. November 2022 mündlich verkündete und am 3. Jänner 2023 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W198 2225610 1/34E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: E S, vertreten durch Dr. Thomas Majoros, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Walfischgasse 12/3), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1Mit Bescheid vom 28. Mai 2019 und diesen Bescheid bestätigender Beschwerdevorentscheidung vom 9. August 2019 wurde von der revisionswerbenden regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) ausgesprochen, dass die Mitbeteiligte gemäß § 38 iVm. § 10 AlVG den Anspruch auf Notstandshilfe von 14. Mai 2019 bis 24. Juni 2019 verloren habe. Eine Nachsicht wurde nicht erteilt.
2Zur weiteren Vorgeschichte wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Juli 2022, Ra 2021/08/0024, verwiesen (in der Folge Vorerkenntnis Ra 2021/08/0024 bzw. Vorerkenntnis), mit dem das die Entscheidung des AMS bestätigende Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Dezember 2020 wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben worden ist.
3 Mit dem nunmehr in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde der Mitbeteiligten stattgegeben und die Beschwerdevorentscheidung des AMS vom 9. August 2019 ersatzlos aufgehoben. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.
4 Das Bundesverwaltungsgericht stellte begründend fest, die im Jänner 1966 geborene Mitbeteiligte stehe seit dem 1. Jänner 2013 mit nur einer kurzen Unterbrechung durch eine Beschäftigung von ca. zwei Monaten im Jahr 2018 im Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung.
5 Am 2. Mai 2019 sei vom AMS mit der Mitbeteiligten ein Betreuungsgespräch geführt worden. Im Zuge dessen sei in einer Betreuungsvereinbarung festgehalten worden, dass das AMS die Mitbeteiligte bei der Suche nach einer Stelle als Web Programmiererin bzw. Softwareentwicklerin „bzw. in allen Bereichen laut Notstandshilfebestimmungen im Vollzeitausmaß“ unterstütze.
6 Im Weiteren seien der Mitbeteiligten bei diesem Gespräch vom AMS Angebote hinsichtlich zwei verschiedener Sozialökonomischer Betriebe (SÖB) zur Auswahl vorgelegt worden. Die Mitbeteiligte habe sich für den SÖB T. entschieden, weil dort eine Bürotätigkeit in Aussicht gestanden sei.
7 In der Betreuungsvereinbarung sei vom AMS zur Begründung dieser Vorgehensweise mitgeteilt worden:
„Wir haben gemeinsam mit Ihnen das Arbeitsangebot des sozialökonomischen Betriebes (SÖB) T[...] vereinbart. Dieses beginnt mit einer max. achtwöchigen Vorbereitungsphase auf das Transitdienstverhältnis, wo Ihre Eignung festgestellt, vermittlungseinschränkende Probleme bearbeitet und Lösungen gefunden werden. Das langfristige Ziel ist Ihre Integration in den regulären Arbeitsmarkt, die sich aufgrund der derzeitigen herausfordernden Arbeitsmarktsituation speziell für ältere Personen, als schwierig erwiesen hat.“
8 In der Folge sei der Mitbeteiligten ein Einladungsschreiben zum SÖB T. ausgefolgt worden. Darin sei festgehalten worden, dass im Rahmen des SÖB eine „Vorbereitungsphase“ angeboten werde, damit die Mitbeteiligte anschließend ein befristetes Dienstverhältnis bei diesem SÖB antreten könne.
9Daraus folgerte das Verwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht, die Mitbeteiligte sei nicht zu einem Beschäftigungsverhältnis, sondern zu einer „Vorbereitungsphase“ zugewiesen worden. Es komme daher nicht die Erfüllung des Tatbestandes einer Vereitelung einer Beschäftigung nach § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG, sondern nur jener der Vereitelung einer Maßnahme zur Wiedereingliederung nach § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG in Betracht. Voraussetzung des Verlustes des Anspruchs nach dieser Bestimmung sei aber, wie sich aus näher angeführter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs ergebe, dass die Maßnahme notwendig oder zumindest nützlich sei. Grundsätzlich bestehe auch eine Verpflichtung des AMS, der arbeitslosen Person die Gründe für die Zuweisung bekannt zu geben. Selbst wenn aufgrund der langen Arbeitslosigkeit der Mitbeteiligten die Zuweisungsgründe als bekannt angenommen hätten werden können (§ 9 Abs. 8 AlVG), hätte das AMS dennoch dokumentieren müssen, welche Gründe konkret für die Zuweisung ausschlaggebend gewesen seien; ebenso aufgrund welcher Umstände angenommen werde, dass der Mitbeteiligten diese bekannt gewesen seien. Tatsächlich sei das AMS jedoch davon ausgegangen, dass eine Vorbereitung auf ein Transitarbeitsverhältnis eine Beschäftigung darstelle. Es habe daher auch nicht wie erforderlichdargelegt, ob die Voraussetzungen für eine Zuweisung zu einer Wiedereingliederungsmaßnahme gegeben gewesen seien. Diese Versäumnisse des AMS könnten auch nicht mehr im Beschwerdeverfahren saniert werden. Das Verhalten der Mitbeteiligten sei daher nicht nach § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG zu sanktionieren.
10Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des AMS. Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
11Die Revision macht zu ihrer Zulässigkeit geltend, das Bundesverwaltungsgericht habe es unterlassen, die Feststellungen zu treffen, die nach den Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs im Vorerkenntnis Ra 2021/08/0024 zur Beurteilung erforderlich seien, ob ein Anspruchsverlust aufgrund der Vereitelung einer Wiedereingliederungsmaßnahme nach § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG eingetreten sei. Tatsächlich seien aufgrund der Umstände, wie insbesondere des Alters der Mitbeteiligten, ihrer langen Arbeitslosigkeit bzw. der bisherigen Erfolglosigkeit einer Vermittlung die Gründe der Zuweisung im Sinn von § 9 Abs. 8 AlVG evident gewesen. Auf die vorhandenen Problemlagen habe das AMS die Mitbeteiligte auch in der Betreuungsvereinbarung hingewiesen. Hinsichtlich des Inhalts der Maßnahme habe das Bundesverwaltungsgericht auch außer Acht gelassen, dass wie vom AMS im verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorgebracht der Mitbeteiligten mit der Zuweisung ein Einladungsschreiben und ein Informationsblatt übergeben worden seien, in denen der Inhalt der Vorbereitungsphase beschrieben worden sei.
12 Die Revision ist zulässig und im Ergebnis berechtigt.
13Das Bundesverwaltungsgericht ist nunmehr zutreffend davon ausgegangen, dass aus den Gründen, die bereits im Vorkenntnis Ra 2021/08/0024 (Rn. 13) genannt wurden, mangels Zuweisung zu einer Beschäftigung ein Anspruchsverlust nicht nach § 10 Abs. 1 Z 1 AlVG, sondern nur aufgrund der Vereitelung einer Maßnahme zur Wiedereingliederung § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG in Betracht kommt.
14 Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Vorerkenntnisnach Wiedergabe der hier maßgeblichen Judikatur zu Wiedereingliederungsmaßnahmen, zur Zulässigkeit der Zuweisung zu einer solchen Maßnahme und dazu, wann gemäß § 9 Abs. 8 dritter Satz AlVG eine Belehrung über diese Voraussetzungen vor Zuweisung entfallen kann, ausgeführt, dass auch eine Maßnahme, durch die eine spätere Beschäftigung in einem SÖB vorbereitet wird, bei Erfüllung der genannten Voraussetzungen eine zulässige Wiedereingliederungsmaßnahme sein kann. Im Weiteren hat der Verwaltungsgerichtshof festgehalten, dass im ersten Rechtsgang Feststellungen fehlten, was Inhalt der „Vorbereitungsphase“, zu der die Mitbeteiligte zugewiesen wurde, gewesen wäre und warum diese sich (gegebenenfalls) zur Behebung einer Problemlage im Sinn des § 9 Abs. 8 AlVG notwendig und nützlich erwiesen hätte. Ohne diese Feststellungen so der Verwaltungsgerichtshof weiterergab sich auch nicht, ob gegenüber der Mitbeteiligten nach § 9 Abs. 8 AlVG eine (nähere) Angabe der Gründe für die Zuweisung zu dieser Maßnahme aufgrund der berechtigten Annahme ihrer Bekanntheitentfallen hätte können (Vorerkenntnis Ra 2021/08/0024, Rn. 18).
15 Die Revision legt zutreffend dar, dass das Bundesverwaltungsgericht weiterhin die vom Verwaltungsgerichtshof als erforderlich beurteilten Feststellungen nicht getroffen hat. Das Verwaltungsgericht ist insoweit erkennbar vielmehr davon ausgegangen, dass Feststellungen zum Inhalt der geplanten Vorbereitungsphase nicht erforderlich seien, weil das AMS die Gründe der Zuweisung nicht dokumentiert habe und eine entsprechende Bekanntgabe gegenüber der Mitbeteiligten nicht erfolgt sei. Dies könne im Rechtsmittelverfahren nicht nachgeholt werden.
16Mit diesen Ausführungen hat sich das Verwaltungsgericht jedoch über die bereits im Vorerkenntnis zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (vgl. Vorerkenntnis Rn. 16, unter Hinweis auf VwGH 28.3.2012, 2010/08/0250, mwN) hinweggesetzt. Wie dort ausgeführt, hat das AMS bei Maßnahmen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt der arbeitslosen Person zwar gemäß § 9 Abs. 8 AlVG die Gründe anzugeben, die eine Teilnahme an einer derartigen Maßnahme als zur Verbesserung der Wiederbeschäftigungschancen notwendig oder nützlich erscheinen lassen. Eine derartige Pflicht zur Bekanntgabe besteht aber nicht, soweit diese nicht auf Grund der vorliegenden Umstände wie insbesondere einer längeren Arbeitslosigkeit in Verbindung mit bestimmten bereits z.B. im Betreuungsplan (§ 38c AMSG) erörterten Problemlagen, die einer erfolgreichen Arbeitsaufnahme entgegenstehen, als bekannt angenommen werden können. Daraus ergibt sich, dassbei Vorliegen der genannten Voraussetzungen des Entfalls der Pflicht zur Nennung der Gründe nach § 9 Abs. 8 AlVG eine (ausführlichere) Begründung der Maßnahme vor Zuweisung entfallen und sohin die Begründung der Notwendigkeit oder auch Nützlichkeit der Maßnahme noch im Verwaltungsverfahren bzw. nunmehr auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nachgeholt werden kann. Für den Ausschluss vom Bezug der Geldleistung ist in einem solchen Fall entscheidend, ob entsprechende Gründe für die Zuweisung zu einer Maßnahme tatsächlich vorgelegen sind. Hingegen kommt es entgegen der Ansicht des BVwG nicht darauf an, ob die Gründe vom AMS „dokumentiert“ wurden.
17Mangels jeglicher Feststellungen zum Inhalt der „Vorbereitungsphase“ ist weiterhin eine Beurteilung nicht möglich, ob eine Wiedereingliederungsmaßnahme (vgl. zur Definition das Vorerkenntnis Rn. 15) vorlag, die sich zur Behebung einer Problemlage im Sinn des § 9 Abs. 8 AlVG als notwendig und nützlich erwiesen hätte. Auch kann weiterhin nicht abschließend beurteilt werden, ob Umstände vorlagen, aufgrund derer im Sinn von § 9 Abs. 8 AlVG gegenüber der Mitbeteiligten eine (nähere) Angabe der Gründe für die Zuweisung zu dieser Maßnahme aufgrund der berechtigten Annahme ihrer Bekanntheit entfallen hätte können.
18 Das Bundesverwaltungsgericht hat somit die Rechtslage verkannt. Hingewiesen wird darauf, dass für den Fall, dass sich nunmehr ergeben sollte, dass die Mitbeteiligte wirksam zu einer notwendigen oder nützlichen Wiedereingliederungsmaßnahme zugewiesen worden ist, im Weiteren auf das Vorbringen der Mitbeteiligten einzugehen sein wird, wonach ihre Teilnahme an der Wiedereingliederungsmaßnahme lediglich daran gescheitert sei, dass sie berechtigt Fragen zu ihren persönlichen Verhältnissen verweigert habe. Auch insoweit bedarf es gegebenenfalls detaillierter Feststellungen zu den konkreten Inhalten der Maßnahme und den Umständen des Nichtzustandekommens der Teilnahme der Mitbeteiligten.
19Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 20. Dezember 2024