Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer sowie die Hofräte Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des M S (alias M A), in L, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Juni 2023, Zl. W167 2264956 1/9E, betreffend Abweisung einer Säumnisbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird als gegenstandslos geworden erklärt und das Verfahren eingestellt.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.069,80 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Syriens, stellte am 12. Februar 2022 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Da das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Entscheidung über diesen Antrag nicht innerhalb von sechs Monaten erlassen hatte, brachte der Revisionswerber eine Säumnisbeschwerde ein, die vom BFA dem Bundesverwaltungsgericht (Verwaltungsgericht) vorgelegt wurde.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht die Säumnisbeschwerde gemäß § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG ab und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei.
4 Begründend führte das Verwaltungsgericht zusammengefasst aus, ein Vergleich mit der Situation der Jahre 2015/2016 führe zum Schluss, dass sich das BFA spätestens in der zweiten Jahreshälfte 2022 mit einer extremen Belastungssituation konfrontiert gesehen habe, die sich von ihrer Exzeptionalität von herkömmlichen Überlastungszuständen grundlegend unterscheide.
Auf der Grundlage näher festgestellter organisatorischer Maßnahmen des Bundesministeriums für Inneres und des BFA gelangte das Verwaltungsgericht zum Ergebnis, dass alle vertretbaren Möglichkeiten ausgeschöpft worden seien, um entsprechende Personalressourcen zur Bewältigung des nicht vorhersehbaren massiven Anstieges an Anträgen innerhalb kurzer Zeit bereitzustellen. Dies habe dazu geführt, dass die durchschnittliche Erledigungsdauer bis zum vierten Quartal 2021 auf 3,9 Monate gesunken sei. Durch den massiven Anstieg der Antragszahlen im Jahr 2022 in Zusammenspiel mit dem Ausbruch des Ukrainekrieges habe das BFA jedoch trotz umfassender Implementierungen zur Verfahrensbeschleunigung in seinen Vorkehrungen zur Gewährleistung einer kurzen Verfahrensdauer zwangsläufig an seine Grenzen stoßen müssen. Aus dem Ausbleiben „einer allein dem Gesetzgeber obliegenden Verlängerung der Entscheidungspflicht“ könne nicht der Schluss gezogen werden, dass vorliegend anders als in den Jahren 2015 und 2016 nicht von unüberwindlichen, einer iSd § 8 VwGVG iVm § 73 Abs. 1 AVG fristgerechten Entscheidung entgegenstehender Hindernisse auszugehen sei. Das BFA treffe daher an der Versäumnis der sechsmonatigen Entscheidungsfrist kein überwiegendes Verschulden. Die Säumnis sei im Wesentlichen auf unbeeinflussbare und unüberwindbare Hindernisse zurückzuführen.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die am 19. Juli 2023 beim Verwaltungsgericht eingebracht wurde. Das Verwaltungsgericht legte in der Folge die Revision samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vor.
6 Mit Eingabe vom 18. August 2023 teilte das BFA dem Verwaltungsgerichtshof mit, dass es mit Bescheid vom 3. August 2023 über den vom Revisionswerber gestellten Antrag auf internationalen Schutz entschieden, diesen hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen und dem Revisionswerber den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt habe. Gleichzeitig übermittelte das BFA jeweils eine Kopie des Bescheids vom 3. August 2023 und des Rückscheins über die Zustellung des Bescheides an den Revisionswerber am 10. August 2023.
7 Mit verfahrensleitender Anordnung vom 23. August 2023, dem Revisionswerber am 29. August 2023 zugestellt, wurde der Revisionswerber aufgefordert mitzuteilen, ob und gegebenenfalls aus welchen Gründen er sich angesichts des zwischenzeitig vom BFA erlassenen Bescheids noch durch das angefochtene Erkenntnis in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten als verletzt erachte.
8 Mit seiner Stellungnahme vom 12. September 2023 brachte der Revisionswerber neben näheren Ausführungen zur gesetzgeberischen Pflicht der Erlassung einer klaren Zuständigkeitsordnung vor, der Bescheid des BFA sei aufgrund einer Beschwerde nicht in Rechtskraft erwachsen. Schon aus diesem Grund liege keine Klaglosstellung vor und sei das Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof fortzuführen. Überdies sei er durch den Bescheid im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof weiterhin beschwert, weil dieser Bescheid nicht von der zuständigen Behörde erlassen worden sei. Eine Klaglosstellung liege jedenfalls nicht vor, weil der Bescheidbeschwerde aufschiebende Wirkung zukomme. Das angefochtene Erkenntnis sei aufzuheben, damit das Verwaltungsgericht als zuständiges Gericht über die Anträge des Revisionswerbers entscheiden könne. Sollte der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis kommen, dass das Verfahren einzustellen sei, ersuche der Revisionswerber „um vollen Kostenzuspruch“, weil der Bescheid nach Revisionserhebung erlassen worden und das angefochtene Erkenntnis offenkundig rechtswidrig sei.
9 Gemäß § 33 Abs. 1 VwGG ist die Revision, wenn in irgendeiner Lage des Verfahrens offenbar wird, dass der Revisionswerber klaglos gestellt wurde, nach Anhörung des Revisionswerbers mit Beschluss als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren einzustellen.
10 Unter einer „Klaglosstellung“ im Sinne dieser Norm ist nur eine solche zu verstehen, die durch eine formelle Aufhebung der angefochtenen Entscheidung eingetreten ist. § 33 Abs. 1 VwGG ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes aber nicht nur auf die Fälle dieser formellen Klaglosstellung beschränkt. Ein Einstellungsfall liegt danach insbesondere auch dann vor, wenn der Revisionswerber kein rechtliches Interesse mehr an einer Sachentscheidung des Gerichtshofes hat und somit materiell klaglos gestellt worden ist (vgl. VwGH 17.11.2023, Ra 2023/18/0086, mwN).
11 Hat während des Revisionsverfahrens betreffend ein Erkenntnis, mit dem eine Säumnisbeschwerde abgewiesen wurde, die Verwaltungsbehörde über den Antrag, bezüglich dessen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begehrt worden war, entschieden, so ist das Revisionsverfahren betreffend den Beschluss über die Zurückweisung der Säumnisbeschwerde gemäß § 33 Abs. 1 VwGG als gegenstandslos geworden zu erklären und einzustellen (vgl. VwGH 21.11.2023, Ra 2023/18/0269, mwN).
12 Sofern sich der Revisionswerber durch eine allfällige Unzuständigkeit der belangten Behörde zur Bescheiderlassung in seinen subjektiv öffentlichen Rechten beschwert erachtet, ist er auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach diese Gesetzesverletzung in einem allfälligen Beschwerdeverfahren vom Verwaltungsgericht zu klären ist, während das Säumnisbeschwerdeverfahren als Rechtsschutzziel (nur) die Herbeiführung einer Entscheidung in der betreffenden Verwaltungsangelegenheit vor Augen hat und nicht die Richtigkeit der Entscheidung (vgl. VwGH 20.12.2017, Ro 2017/03/0019, mwN).
13 Die belangte Behörde hat mittlerweile über den Antrag des Revisionswerbers, der Gegenstand der Säumnisbeschwerde war, entschieden, welche das Verwaltungsgericht mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis abgewiesen hat.
14 Vor diesem Hintergrund ist die Revision mangels Rechtsschutzbedürfnisses als gegenstandslos geworden zu erklären und das Verfahren in sinngemäßer Anwendung des § 33 Abs. 1 VwGG einzustellen.
15 Fällt bei einer Revision oder einem Fristsetzungsantrag das Rechtsschutzinteresse nachträglich weg, so ist dies gemäß § 58 Abs. 2 VwGG bei der Entscheidung über die Kosten nicht zu berücksichtigen; würde hiebei die Entscheidung über die Kosten einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern, so ist darüber nach freier Überzeugung zu entscheiden.
16 Bei der danach vorzunehmenden Beurteilung des (hypothetischen) Erfolges der Revision ist unter Bedachtnahme auf das Revisionsvorbringen zu ihrer Zulässigkeit sowie zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses und die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Nichtvorliegen eines überwiegenden Verschuldens der Behörde an der Säumnis iSd § 8 Abs. 1 letzter Satz VwGVG in gleichgelagerten Konstellationen (vgl. dazu etwa das Erkenntnis vom 20. Dezember 2023, Ra 2023/20/0228, und die dort dargelegten Erwägungen, auf die gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz und Abs. 9 VwGG verwiesen wird), davon auszugehen, dass vorliegend die Revision erfolgreich gewesen wäre.
17 Dem Revisionswerber war sohin der Ersatz der Aufwendungen gemäß § 58 Abs. 2 VwGG unter Berücksichtigung der §§ 47 ff, insbesondere des § 55 VwGG das rechtliche Interesse infolge materieller Klaglosstellung ist nach Einbringung der Revision, aber vor Einleitung des Vorverfahrens weggefallen in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014 zuzuerkennen (vgl. etwa VwGH 22.11.2023, Ra 2023/13/0148, 0149, mwN).
Wien, am 4. April 2024