Spruch
W274 2292452-1/14E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Mag. LUGHOFER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren XXXX .1996, syrischer Staatsangehöriger, XXXX , vertreten durch Mag. Hubert Wagner, LL.M., Rechtsanwalt, Wattmanngasse 8/6, 1130 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, Außenstelle Wien vom 08.05.2024, GZ 1363086801/231478566, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht:
I. Der allein gegen Spruchpunkt I. des Bescheides gerichteten Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
II. Die Revision ist gemäß 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beschwerdeführer (BF) beantragte am 01.08.2023 vor der LPD Wien, Abteilung Fremdenpolizei und Anhaltevollzug, internationalen Schutz und gab zum Fluchtgrund befragt an, in Syrien herrsche Krieg, er sei zum syrischen Militär einberufen worden. Das Haus der Familie sei zerstört worden und die Familie sei gezwungen gewesen, in den Libanon auszureisen. Es seien viele Bomben gefallen. Als er Matura gemacht habe, sei das Klassenzimmer bombardiert worden.
Er sei mit seiner Familie 2014 zu Fuß in den Libanon gereist. Ein Großteil der Familie sei im Libanon aufhältig. Ein Bruder und eine Schwester seien in Österreich. Er stamme aus Aleppo.
Im Rahmen der Befragung vor dem BFA gab der BF am 26.04.2024 zusammengefasst an, er lege einen Originalauszug aus dem Personenregister sowie das Militärbuch im Original vor. Er sei 2014 im Alter von 18 Jahren legal aus Syrien ausgereist, nachdem er eine Einberufung bekommen habe. Er hätte den Militärdienst ableisten müssen. Er hätte auch einen Aufschub holen können. In seinem Ort habe es Auseinandersetzungen zwischen den Rebellen und dem Regime gegeben. Entweder hätte er zum Militär oder den Milizen müssen. Er habe studieren wollen und sei dann in den Libanon gegangen. 2015 habe der Vater das Militärbuch entgegengenommen und in seiner Abwesenheit einen Aufschub erwirkt. Im Falle einer Rückkehr müsste er sofort zum Militär und würde in die erste Reihe geschickt werden. Er wolle aber weder jemanden töten noch getötet werden.
Mit dem bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde zu Spruchpunkt I. den Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf Asyl ab, erkannte zu Spruchpunkt II. den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte zu III. eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr.
Sie stellte fest, der BF habe Syrien 2014 in den Libanon verlassen. Ein Großteil der Familie lebe im Libanon, zwei Brüder in Holland, ein Bruder und eine Schwester in Österreich (beide asylberechtigt). Der BF habe nicht glaubhaft gemacht, dass er in Syrien asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt gewesen sei.
Rechtlich führte die belangte Behörde aus, die Angaben des BF seien grundsätzlich nicht asylrelevant im Sinne der GFK gewesen. Aus dem Ermittlungsverfahren habe sich kein Umstand ergeben, der die Gewährung von Asyl rechtfertige.
Die Behörde gehe aber davon aus, dass eine Zurück- oder Abschiebung in das Herkunftsland derzeit eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 oder Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde.
Allein gegen Spruchpunkt I. richtet sich die Beschwerde des BF wegen mangelhaften Ermittlungsverfahrens, mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit den Anträgen, nach mündlicher Beschwerdeverhandlung den Bescheid dahin abzuändern, dass dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt werde.
Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Verfahrensakt dem BVwG einlangend am 24.05.2024 vor. Sie kam der Gerichtsabteilung W274 am 03.06.2024 zu.
Am 27.06.2024 erfolgte eine mündliche Verhandlung vor dem BVwG, im Rahmen derer der BF vernommen wurde. In dieser brachte der BF durch seinen Vertreter ergänzend vor, in der aktuellen Länderberichterstattung Syrien, März 2024, werde ausgeführt, dass Männer im wehrfähigen Alter, die dem Aufruf zur Ableistung des Militärdienstes nicht Folge geleistet hätten, nach dem syrischen Militärstrafgesetz mit fünf bis zehn Jahren Haft bestraft würden. Aus demselben Bericht gehe hervor, dass die Haftbedingungen in Syrien gerade für diese Personengruppe als sehr schwierig und belastend anzusehen seien und damit zu rechnen sei, dass diese Personen, weil sie vom syrischen Regime als oppositionell angesehen würden, massiven Repressalien ausgesetzt seien. Es würden auch Fälle angeführt, in denen Wehrdienstverweigerer massiver Folter ausgesetzt seien und in Einzelfällen auch verschwunden und nie wieder aufgetaucht seien. Für den BF bestehe daher im Falle einer Rückkehr nach Syrien mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit eine Verfolgungsgefahr. Es sei davon auszugehen, dass bereits bei der Einreise in Syrien aufgrund seiner Auflistung als Wehrdienstverweigerer damit zu rechnen sei, dass es zu einer Festnahme komme. Verwiesen werde auch auf die Rechtsprechung des VwGH vom 13.11.2019 (Ra 2019/18/0274), in der ausgeführt werde, dass eine Wehrdienstverweigerung in Syrien eine asylrelevante Verfolgung aufgrund der durch das Regime angenommenen oppositionellen Gesinnung nach sich ziehe. Das syrische Regime sehe Rückkehrer gerade dann, wenn sie illegal das Land verlassen hätten, oft als Verräter an und es bestehe für diese Personen eine besondere Gefahr der Verfolgung. Es seien aus den aktuellen Länderberichten Dokumentationsfälle bekannt, bei denen Rückkehrer bereits am Flughafen in Damaskus verhaftet worden seien. Der BF falle daher aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung in eine Risikogruppe, die auch von UNHCR als solche geführt werde, da tatsächlich oder vermeintlich die syrische Regierung den BF als oppositionell ansehe.
Seitens des Verwaltungsgerichts wurde dem BF mit Schreiben vom 27.12.2024 ein individuelles Parteiengehör zu den seit Anfang Dezember 2024 veränderten Umständen in Syrien gewährt, wobei diesbezüglich insbesondere auf die Kurzinformation der Staatendokumentation Syrien „Sicherheitslage, Politische Lage Dezember 2024: Opposition übernimmt Kontrolle, Assad flieht“ vom 10.12.2024 verwiesen wurde. Unter Hinweis auf diese und andere Informationen zur geänderten Sachlage sowie hiervon unberührte Umstände (Rekrutierung durch SNA und HTS) wurde dem BF Gelegenheit geboten, binnen vierwöchiger Frist zu den geänderten Verhältnissen Stellung zu nehmen und insbesondere darzulegen, ob angesichts der geänderten Verhältnisse noch eine begründete Furcht vor Verfolgung in Bezug auf die Konventionsgründe bestehe.
Am 24.01.2025 langte eine Stellungnahme des BF ein, in der er angab, dass nicht absehbar sei, wie die HTS nun vorgehe und ob diese tatsächlich moderater geworden sei, zumal diese Gruppierung früher teils brutal gegen Andersdenkende vorgegangen und für schwere Menschenrechtsverletzungen verantwortlich gewesen sei. Verwiesen wurde auch auf die UNHCR-Position zu Rückführungen nach Syrien vom 16.12.2024. Es bleibe zudem abzuwarten, wie die neuen Machthaber das formell noch in Kraft stehende syrische Wehrdienstgesetz umsetzen werden, insbesondere ob es zu Zwangsrekrutierungen und Kampfeinsätzen kommen werde.
Die Beschwerde ist nicht berechtigt:
Aufgrund des Akteninhalts im Zusammenhang mit den Ergebnissen der mündlichen Verhandlung steht folgender Sachverhalt fest:
Zum Beschwerdeführer:
Der BF wurde am XXXX .1996 in Aleppo, Dorf XXXX , geboren, ist Staatsangehöriger von Syrien, ethnischer Araber muslimischen Glaubens sunnitischer Richtung und in Österreich unbescholten. Er heiratete 2016 im Libanon XXXX und hat mit dieser die 4 Töchter XXXX (geb. 2017), XXXX (geb. 2018), XXXX (2020), XXXX (geb. 2021) sowie die Söhne XXXX (geb. 2023) und XXXX (geb. 2024). Er hat 7 Brüder und 4 Schwestern. Ein Bruder und eine Schwester leben in Österreich und haben Asylstatus. Der BF besuchte 12 Jahre lang in Syrien die Grundschule.
Er reiste 2014, im Alter von 18 Jahren, aus Angst vor Zusammenstößen zwischen der syrischen Armee und den Rebellen, legal aus Syrien aus und in den Libanon, wo er bis 2017 einen Aufenthaltstitel besaß. Auch die Eltern des BF sowie mehrere Geschwister leben im Libanon. Der BF hat keine nahen Angehörigen mehr in Syrien. Der BF reiste, aus Angst vor einer Festnahme durch die Hisbollah und Übergabe an die syrische Armee, aus dem Libanon etwa Ende Juni 2023 schlepperunterstützt über die „Balkanroute“ nach Österreich.
Dem Bruder des BF, XXXX , geb. XXXX 1995, wurde durch die belangte Behörde mit Bescheid vom 08.07.2020 zu GZ 1257642802/200051082 aufgrund seines Antrags auf internationalen Schutz vom 14.01.2020 gemäß § 3 AsylG der Status des Asylberechtigten zuerkannt. Als Fluchtgrund (Ausreise aus Syrien 2014) hatte er genannt, entweder für die Regierung oder die Oppositionellen kämpfen zu müssen, er habe aber seine eigenen Leute nicht töten wollen.
Der Schwester des BF, XXXX , geb. XXXX .1998, wurde durch die belangte Behörde mit Bescheid vom 16.05.2023 zu GZ 1339434200/230511689 gemäß § 3 iVm § 34 Abs 2 AsylG (abgeleitet von ihrem Ehemann XXXX , geb. XXXX 1997, syr. StA.) der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
Der Heimatort des BF, XXXX in Reef Aleppo, war 2014 zwischen dem Regime und der FSA umkämpft und stand bis Ende November 2024 unter der Kontrolle des syrischen Assad-Regimes; seit dessen Sturz wird es von der nunmehr regierenden HTS kontrolliert.
Der BF holte nach Abschluss der Pflichtschule im Jahr 2014 sein Militärbuch ab und wollte sich im Oktober 2014 an der Universität Aleppo einschreiben, womit ein Aufschub des Militärdienstes verbunden gewesen wäre. Noch vor einer Einberufung reiste der BF dann aus Syrien aus. Sein Vater ließ sodann einen Aufschub des BF in das Militärbuch eintragen, der dem BF von März 2015 bis 31.12.2015 gewährt wurde.
Zu den Fluchtgründen:
Im Jahr 2011 erreichten die Umbrüche in der arabischen Welt auch Syrien. Als die zunächst friedlichen Proteste großer Teile der Bevölkerung Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und ein Ende des von Bashar al-Assad geführten Ba'ath-Regimes verlangten, reagierte dieses mit massiver Repression gegen die Protestierenden, vor allem durch den Einsatz von Armee und Polizei, sonstiger Sicherheitskräfte und staatlich organisierter Milizen (Shabiha). So entwickelte sich im Laufe der Zeit ein zunehmend komplexer werdender bewaffneter Konflikt.
Ab März 2020 trat der Konflikt in eine Patt-Phase ein, in der drei unterschiedliche Gebiete mit statischen Frontlinien abgegrenzt wurden. Dabei kontrollierte die syrische Regierung unter Präsident Assad („syrisches Regime“) rund 60 % des syrischen Staatsgebiets, während der Nordosten Syriens unter Herrschaft kurdischer Kräfte stand, mit der Türkei alliierte Rebellengruppen Teile des Nordens kontrollierten und die islamistische Gruppierung HTS über einen Teil der Provinzen Idlib und Aleppo im Nordwesten herrschte (Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 27.03.2024, im Folgenden „LIB“, S. 16).
Für männliche syrische Staatsbürger war im Alter zwischen 18 bis 42 Jahren die Ableistung eines Wehrdienstes von zwei Jahren in der syrisch-arabischen Armee des syrischen Regimes gesetzlich verpflichtend. Auch geflüchtete Syrer, die nach Syrien zurückkehrten, mussten mit Zwangsrekrutierung rechnen. Laut Gesetz waren in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wurde man einberufen, um den Wehrdienst zu leisten, sofern kein Ausnahmegrund (Studium, medizinische Gründe, einziger Sohn der Familie) vorlag (LIB S. 119). Nach Ableistung des Pflichtwehrdienstes blieb ein syrischer Mann Reservist und konnte bis zum Alter von 42 Jahren in den aktiven Dienst einberufen werden (LIB S. 124). Eine Durchsetzung der Wehrpflicht durch Zwangsrekrutierung war dem syrischen Regime im Wesentlichen nur im eigenen Herrschaftsgebiet möglich (LIB S. 123 f).
Wehrdienstverweigerung wurde aber vom syrischen Regime zuletzt nicht unbedingt als oppositionsnahe gesehen. Das Regime war sich der Tatsache bewusst, dass viele junge Männer nach dem Studium das Land verlassen hatten, einfach um nicht zu sterben. Daher wurde die Möglichkeit geschaffen, sich gegen Bezahlung einer Geldsumme von der Wehrpflicht „freizukaufen“ (LIB S. 144).
Personen, die unter dem Verdacht standen, sich oppositionell zu engagieren, oder als regimekritisch wahrgenommen wurden, unterlagen einem besonders hohen Folterrisiko seitens des Regimes. In vielen Fällen wurden auch Familienmitglieder solcher Personen als vermeintliche Mitwisser oder für vermeintliche Verbrechen ihrer Angehörigen inhaftiert (LIB S. 165).
Die HTS, welche von Seiten der US-Regierung und auch von den Vereinten Nationen als Terrororganisation eingestuft wurde, versuchte in Idlib, eine autoritäre Ordnung mit einer islamistischen Agenda durchzusetzen. Ihr wurden in dieser Zeit Menschenrechtsverletzungen (auch gegenüber religiöser Minderheiten) und u.a. willkürliche Verhaftungen, mangelnde Rechtsstaatlichkeit auf Basis einer religiösen Gerichtsbarkeit, gewaltsame Niederschlagungen von Protesten sowie das Verschwindenlassen von Personen vorgeworfen (LIB S. 11, 35, 90, 169).
Durch eine am 27. November 2024 gestartete Großoffensive der HTS gegen die Regierung von Präsident Assad kam es rund um den 8. Dezember 2024 zu einem Machtwechsel in Syrien (s. dazu näher unten): Assad setzte sich nach Russland ab, die HTS übernahm die Kontrolle über die staatlichen Institutionen und bildete eine unter ihrer Leitung stehende Übergangsregierung. Die nunmehr machtausübenden Akteure haben insgesamt eine Neuordnung des syrischen Staates in Aussicht gestellt, der diesbezügliche Zeitplan beinhaltet die Installation einer neuen Verfassung in drei Jahren und die Abhaltung von Wahlen in vier Jahren. Die Soldaten der von Assad befehligten Syrischen Arabischen Armee wurden vom Armeekommando außer Dienst gestellt. Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Aktuell existiert in Syrien keine staatliche Wehrpflicht.
Es kann daher nicht festgestellt werden, dass der BF Gefahr liefe, in XXXX (samt näherer Umgebung) durch das (nicht mehr existierende) syrische Regime zum Militärdienst rekrutiert bzw. wegen dessen Verweigerung oder aus sonstigen Gründen bestraft zu werden.
Zur maßgeblichen Situation in Syrien:
Kurzinformation der Staatendokumentation zur Sicherheitslage und politischen Lage vom 10. Dezember 2024:
„Nach monatelanger Vorbereitung und Training starteten islamistische Regierungsgegner unter der Führung der Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS) die Operation „Abschreckung der Aggression“ – auf نن Arabisch: ردع العدوا - Rad’a al-‘Adwan und setzten der Regierung von Präsident Bashar al-Assad innerhalb von 11 Tagen ein Ende. (…)
Am 30.11. nahmen die Oppositionskämpfer Aleppo ein und stießen weiter in Richtung der Stadt Hama vor, welche sie am 5.12. einnahmen. Danach setzten sie ihre Offensive in Richtung der Stadt Homs fort. Dort übernahmen sie die Kontrolle in der Nacht vom 7.12. auf 8.12.
Am 6.12. zog der Iran sein Militärpersonal aus Syrien ab. Russland forderte am 7.12. seine Staatsbürger auf, das Land zu verlassen. Am 7.12. begannen lokale Milizen und Rebellengruppierungen im Süden Syriens ebenfalls mit einer Offensive und nahmen Daraa ein, nachdem sie sich mit der Syrischen Arabischen Armee auf deren geordneten Abzug geeinigt hatten. Aus den südlichen Provinzen Suweida und Quneitra zogen ebenfalls syrische Soldaten, sowie Polizeichefs und Gouverneure ab. Erste Oppositionsgruppierungen stießen am 7.12. Richtung Damaskus vor. Am frühen Morgen des 8.12. verkündeten Medienkanäle der HTS, dass sie in die Hauptstadt eingedrungen sind, und schließlich, dass sie die Hauptstadt vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben. Die Einnahme Damaskus’ ist ohne Gegenwehr erfolgt, die Regierungstruppen hatten Stellungen aufgegeben, darunter den Flughafen. Das Armeekommando hatte die Soldaten außer Dienst gestellt.
Russland verkündete den Rücktritt und die Flucht von al-Assad. Ihm und seiner Familie wurde Asyl aus humanitären Gründen gewährt.
(…)
Die von der Türkei unterstützten Rebellengruppierungen unter dem Namen Syrian National Army (SNA) im Norden Syriens starteten eine eigene Operation gegen die von den Kurden geführten Syrian Democratic Forces (SDF) im Norden von Aleppo. Im Zuge der Operation „Morgenröte der Freiheit“ (auf Arabisch رال ر ح ة يية - Fajr al-Hurriya) nahmen diese Gruppierungen am 9.12.2024 die Stadt Manbij ein.
(…)
Hay’at Tahrir ash-Sham (HTS): Die HTS wurde 2011 als Ableger der al-Qaida unter dem Namen Jabhat an-Nusra gegründet. Im Jahr 2017 brach die Gruppierung ihre Verbindung mit der Al-Qaida und formierte sich unter dem Namen Hay’at Tahrir ash-Sham neu, gemeinsam mit anderen Gruppierungen. Sie wird von der UN, den USA, der Europäischen Union und der Türkei als Terrororganisation eingestuft. Der Anführer der HTS, der bisher unter seinem Kampfnamen Abu Mohammed al-Joulani bekannt war, hat begonnen wieder seinen bürgerlichen Namen, Ahmad ash-Shara’a zu verwenden. Er positioniert sich als Anführer im Post-Assad Syrien. Die HTS hat in den letzten Jahren versucht, sich als nationalistische Kraft und pragmatische Alternative zu al-Assad zu positionieren.
(…)
Für alle Wehrpflichtigen, die in der Syrischen Arabischen Armee gedient haben, wurde von den führenden Oppositionskräften eine Generalamnestie erlassen. Ihnen werde Sicherheit garantiert und jegliche Übergriffe auf sie wurden untersagt. Ausgenommen von der Amnestie sind jene Soldaten, die sich freiwillig für den Dienst in der Armee gemeldet haben. (…)“
Auszüge aus der „Informationssammlung zu Entwicklungen rund um den Sturz von Präsident Assad“ auf www.ecoi.net
Wie es dazu kam
Am 27. November 2024 startete die militante islamistische Gruppe Hayat Tahrir al-Scham (HTS), deren Kontrolle sich bis dahin auf Teile der Provinzen Aleppo und Idlib beschränkt hatte, mit verbündeten Rebellenfraktionen eine Großoffensive im Nordwesten Syriens. Die Rebellen eroberten zunächst Aleppo, die zweitgrößte Stadt des Landes. Am 5. Dezember fiel die Stadt Hama und zwei Tage darauf die drittgrößte Stadt Syriens, Homs (BBC, 8. Dezember 2024; siehe auch Der Standard, 8. Dezember 2024, ISPI, 8. Dezember 2024). Am 8. Dezember 2024 marschierten die von der HTS angeführten Rebellen in Damaskus ein. Am selben Tag verließ Baschar al-Assad das Land (ARD, 8. Dezember 2024).
Wer sind die wichtigsten Rebellengruppen?
Die syrischen Gruppen, die Al-Assad gestürzt und die Hauptstadt Damaskus eingenommen haben, sind heterogen (ARD, 8. Dezember 2024) mit teils gegensätzlichen Ideologien und langfristigen Zielen (DW, 9. Dezember 2024; Reuters, 9. Dezember 2024):
Hayat Tahrir al-Scham (HTS)
Die mächtigste Gruppe in Syrien, die den Vormarsch der Rebellen anführte, ist die islamistische Gruppe Hayat Tahrir al-Scham. Sie begann als offizieller al-Qaida-Ableger in Syrien unter dem Namen Nusra-Front und verübte bereits zu Beginn des Aufstands gegen Assad Angriffe in Damaskus. Die Gruppe durchlief mehrere Namensänderungen und gründete schließlich als die HTS eine Regierung in der Provinz Idlib, im Nordwesten Syriens. Die USA, Türkei und andere stufen die HTS und ihren Anführer, Ahmed al-Scharaa (auch Abu Mohammed al-Dscholani genannt), als Terroristen ein (Reuters, 8. Dezember 2024; siehe auch: BBC, 8. Dezember 2024, DW, 9. Dezember 2024).
Syrische Nationalarmee (SNA)
Die Syrische Nationalarmee (SNA) ist eine zersplitterte Koalition unterschiedlicher bewaffneter Gruppen (DW, 9. Dezember 2024), die mit direkter türkischer Militärunterstützung einen Gebietsabschnitt entlang der syrisch-türkischen Grenze halten (Reuters, 8. Dezember 2024). Trotz interner Spaltungen pflegen viele SNA-Fraktionen enge Bindungen zur Türkei, wie die Sultan-Suleiman-Schah-Brigade, die al-Hamza-Division und die Sultan-Murad-Brigade. Andere Fraktionen der Gruppe versuchen trotz ihrer Zusammenarbeit mit der Türkei ihre eigenen Prioritäten durchzusetzen (DW, 9. Dezember 2024). Als die HTS und verbündete Gruppen aus dem Nordwesten Anfang Dezember auf von Assads Regierung kontrolliertes Gebiet vorrückten, schloss sich ihnen auch die SNA an und kämpfte im Nordosten gegen Regierungstruppen wie auch kurdisch geführte Kräfte (Reuters, 8. Dezember 2024).
Der Vormarsch der Rebellen gegen Assads Regierungstruppen wurde Berichten zufolge von der Türkei mit unterstützt (ARD, 8. Dezember 2024).
Syrische Demokratische Kräfte (SDF)
Die Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) sind ein Bündnis kurdischer und arabischer Milizen, das von den USA und ihren Verbündeten unterstützt wird. Die SDF kontrollieren den größten Teil Syriens östlich des Euphrat, sowie einige Gebiete westlich des Flusses. Mit der aktuellen Offensive kam es auch zu Kämpfen zwischen den SDF und der SNA (Reuters, 8. Dezember 2024).
Sonstige
Neben den genannten Gruppen gibt es in Syrien eine Vielzahl lokaler Gruppierungen, die sich gegen al-Assad gestellt haben. Diese vertreten ein breites Spektrum islamistischer und nationalistischer Ideologien. Im Norden schlossen sich einige von ihnen dem Militäroperationskommando der HTS an. Im Süden dominierende Gruppen erhoben sich in der aktuellen Situation und nahmen den Südwesten Syriens ein (Reuters, 8. Dezember 2024).
Neueste Entwicklungen
Die neue Übergangsregierung und Ahmed Al-Sharaa (Führer der HTS)
Mohammed Al-Baschir, der bis zum Sturz Baschar Al-Assads die mit Hay'at Tahrir al-Sham (HTS) verbundenen Syrischen Heilsregierung im Nordwesten Syriens geleitet hatte, wurde am 10. Dezember 2024 als Interimspremierminister mit der Leitung der Übergangsregierung des Landes bis zum 1. März 2025 beauftragt (MEE, 10. Dezember 2024; siehe auch: Al Jazeera, 10. Dezember 2024). Die Minister der Syrischen Heilsregierung übernahmen vorerst die nationalen Ministerposten. Laut dem Congressional Research Service (CRS) seien einige Regierungsbeamten und Staatsangestellte der ehemaligen Regierung weiterhin im Regierungsapparat beschäftigt (CRS, 13. Dezember 2024). Am 21. Dezember ernannte die Übergangregierung Asaad Hassan Al-Schibani zum Außenminister und Murhaf Abu Qasra zum Verteidigungsminister. Beide seien Verbündete des HTS-Anführers Ahmed Al-Scharaa (Al-Jazeera, 21. Dezember 2024). Am 29. Dezember legte Al-Sharaa in einem Interview mit dem saudischen Fernsehsender Al-Arabiyya dar, dass es bis zu vier Jahren dauern könne, bis Wahlen stattfinden werden, da die verschiedenen Kräfte Syrien einen politischen Dialog führen und eine neue Verfassung schreiben müssten (AP, 29. Dezember 2024). Die Ausarbeitung einer solchen könnte bis zu drei Jahren in Anspruch nehmen. Die Rebellengruppe HTS soll im Rahmen eines nationalen Dialogs aufgelöst werden (DiePresse.com, 29. Dezember 2024).
Al-Sharaa erklärte am 17. Dezember, dass alle Rebellenfraktionen aufgelöst und in die Reihen des Verteidigungsministeriums integriert würden (The Guardian, 17. Dezember 2024, DiePresse.com, 24. Dezember 2024). Am 29. Dezember sagte Al-Sharaa in einem Interview aus, dass das syrische Verteidigungsministerium plant, auch die kurdischen Streitkräfte in seine Reihen aufzunehmen. Es gebe Gespräche mit den Syrischen Demokratischen Kräften (SDF) zur Lösung der Probleme im Nordosten Syriens (Kurdistan24, 29. Dezember 2024). Am 10. Jänner 2025 bestätigte der Kommandeur der SDF, Mazloum Abdi, dass sich seine Streitkräfte in ein umstrukturiertes syrisches Militär integrieren würden (Shafaq News, 10. Jänner 2025). AFP berichtete am 8. Jänner, dass laut einem Sprecher des Southern Operations Room, einer Koalition bewaffneter Gruppen aus der südlichen Provinz Daraa, die am 6. Dezember gebildet wurde, um beim Sturz Assads zu helfen, die Kämpfer Südsyriens nicht mit einer Auflösung ihrer Gruppen einverstanden seien. Sie könnten sich jedoch eine Integration in das Verteidigungsministerium in ihrer momentanen Form vorstellen (France24, 8. Jänner 2025).
Am 29. Dezember wurde eine Liste mit 49 Personen, die zu Kommandeuren der neuen syrischen Armee ernannt wurden, veröffentlicht. Unter den Namen sind einige Mitglieder der HTS, sowie ehemalige Armeeoffiziere, die zu Beginn des syrischen Bürgerkriegs desertierten. Laut Haid Haid, beratender Mitarbeiter beim britischen Think Tank Chatham Haus, wurden die sieben höchsten Ränge von HTS-Mitgliedern besetzt. Laut einem weiteren Experten seien auch mindestens sechs Nicht-Syrer unter den neuen Kommandeuren (France24, 30. Dezember 2024, DiePresse.com, 30. Dezember 2024).
Die neue Führung hatte sich seit ihrer Machtübernahme verpflichtet, die Rechte der Minderheiten zu wahren (The New Arab, 7. Jänner 2025). Anfang Jänner kündigte das Bildungsministerium der Übergangsregierung auf seiner Facebook-Seite einen neuen Lehrplan für alle Altersgruppen an, der eine stärker islamische Perspektive widerspiegelt und alle Bezüge zur Assad-Ära aus allen Fächern entfernt. Zu den vorgeschlagenen Änderungen gehörte unter anderem die Streichung der Evolutionstheorie und der Urknalltheorie aus dem naturwissenschaftlichen Unterricht. Aktivisten zeigten sich besorgt über die Reformen (BBC News, 2. Jänner 2025).
Kontrolle der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) und der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF)
Die von der Türkei unterstütze Syrische Nationalarmee (SNA) führte ihre Offensive gegen die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) und das Gebiet der Demokratischen Autonomen Verwaltung Nord- und Ostsyriens (DAANES) fort. Die SNA nahm in den vergangenen Tagen Gebiete der nordwestlichen Region Shahba sowie die Stadt Manbidsch ein. Mit 10. Dezember griffen SNA-Kämpfer den strategisch wichtigen Tischreen-Staudamm unter kurdischer Kontrolle in der Provinz Aleppo an (Rudaw, 10. Dezember 2024), und rückten auf die Stadt Kobane vor (Al-Monitor, 10. Dezember 2024). Am 11. Dezember kam es nach Vermittlungen der US-Behörden zu einem Waffenstillstand in der Stadt Manbidsch. Das Abkommen sieht den Abzug der (mit den SDF verbundenen) „Manbij Military Council Forces“ vor (SOHR, 11. Dezember 2024). Am 17. Dezember wurde dieser Waffenstillstand bis zum Ende derselben Woche verlängert (Reuters, 17. Dezember 2024). Am 18. Dezember trat ein Waffenstillstandsabkommen in der Region Ain Al-Arab (auch Kobani) in Kraft (SOHR, 18. Dezember 2024). Die SDF warfen der Türkei und ihren Verbündeten vor, sich nicht an das Waffenstillstandsabkommen zu halten und ihre Angriffe südlich von Kobani fortzusetzen. Zur gleichen Zeit gingen Einwohner der nordostsyrischen Stadt Qamischli auf die Straße, um den Widerstand der SDF gegen die Angriffe protürkischer Kämpfer in der Region zu unterstützen (France24, 19. Dezember 2024). Am 21. Dezember wurden laut SDF fünf ihrer Kämpfer bei Angriffen durch von der Türkei unterstützte Streitkräfte auf die Stadt Manbidsch getötet (Reuters, 21. Dezember 2024). Das Pentagon erklärte am 30. Dezember, dass der Waffenstillstand zwischen der Türkei und den von den USA unterstützten SDF rund um die Stadt Manbidsch anhält (Reuters, 30. Dezember 2024). Am selben Tag behauptete die SDF, dass die Türkei zwei Militärstützpunkte in der Nähe von Manbidsch aufbaut und mehrere Militärfahrzeuge und Radarsystem von den SDF zerstört wurden (Rudaw, 30. Dezember 2024). Zur gleichen Zeit kam es erneuten Schusswechseln zwischen von der Türkei unterstützen Streitkräften und den SDF. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) griffen türkische Streitkräfte und mit ihnen verbündete bewaffnete Gruppen das Dorf al-Terwaziyah südlich von Slouk im ländlichen Raqqa mit schwerer Artillerie und Maschinengewehren an, was anschließend zu gewaltsamen Auseinandersetzungen führte. Spezialeinheiten der SDF drangen in Stellungen von durch die Türkei unterstützen Fraktionen im Dorf Al-Reyhaniyah in der Nähe von Tel Tamer in der Provinz Hasaka ein (Kurdistan24, 30. Dezember 2024). Anfang Jänner kamen bei Zusammenstößen in mehreren Dörfern rund um die Stadt Manbidsch über hundert Menschen ums Leben (The New Arab, 5. Jänner 2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte berichtete von heftigen Kämpfen in der Region von Manbidsch zwischen der SNA und der SDF und steigenden Opferzahlen (Shafaq News, 9. Jänner 2025).
Am 11. Dezember übernahm die Koalition ehemaliger oppositioneller Kräfte unter der Führung der HTS die vollständige Kontrolle der ostsyrischen Stadt Deir ez-Zor (Al Jazeera, 11. Dezember 2024). Im Osten der Provinz Deir ez-Zor kam es zu Demonstrationen und der Forderung, die von HTS geführten Streitkräfte sollten die Kontrolle über das Gebiet übernehmen. Einige Kommandanten der SDF seien in Folge desertiert (Syria Direct, 13. Dezember 2024).
Israelische Angriffe in Syrien
Die israelische Luftwaffe und Marine führten zwischen 7. und 11. Dezember mehr als 350 Angriffe in Syrien durch und zerstörten dabei schätzungsweise 70 bis 80 Prozent der strategischen Militärgüter Syriens zwischen Damaskus und Latakia. Die israelischen Streitkräfte haben außerdem Bodentruppen aus den von Israel besetzten Golanhöhen nach Osten in eine entmilitarisierte Pufferzone in Syrien sowie, laut israelischen Angaben, auch knapp darüber hinaus verlegt (BBC News, 11. Dezember 2024). Laut arabischen Medien rückten israelische Streitkräfte bis in ländliche Gebiete der Provinz Damaskus vor. Dies wurde von israelischer Seite dementiert (Enab Baladi, 10. Dezember 2024; Reuters, 10. Dezember 2024). In der Nacht vom 14. zum 15. Dezember griff Israel Dutzende Ziele in Syrien mit Luftangriffen an. Den Luftangriffen ging eine Erklärung des israelischen Verteidigungsministers voraus, wonach die israelischen Truppen auf dem in der vergangenen Woche eingenommenen Berg Hermon (Arabisch: Jabel Sheikh) den Winter über verbleiben würden. Israels Ministierpräsident gab weiters bekannt, dass er einem Plan zur Ausweitung des Siedlungsbaus auf den von Israel besetzten Golanhöhen zugestimmt habe (The Guardian, 15. Dezember 2024; siehe auch: BBC News, 15. Dezember 2024). Am 20. Dezember schossen israelische Streitkräfte auf DemonstrantInnen in einem Dorf in der Gegend von Maariya im Süden Syriens, die gegen die Aktivitäten der Armee protestierten, und verletzten dabei einen Demonstranten. Die israelischen Streitkräfte operierten auch in syrisch kontrollierten Gebieten außerhalb der Pufferzone (The Guardian, 21. Dezember 2024). Am 29. Dezember griff Israel ein Waffendepot nahe der Stadt Adra an. Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte wurden bei dem Angriff mindestens 11 Personen, hauptsächlich Zivilisten, getötet (Euro News, 29. Dezember 2024). Laut syrischen Medien drang die israelische Armee am 30. Dezember tief in das Gebiet Quneitra vor und vertrieb Angestellte aus Regierungsbüros (Shafaq News, 30. Dezember 2024).
Erklärungen der UN-Organisationen (Sicherheit, Sozioökonomische Situation, Flüchtlinge)
Das Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) berichtet, dass zwischen dem Beginn der Offensive am 27. November und dem 11. Dezember etwa eine Million Menschen aus den Provinzen Aleppo, Hama, Homs und Idlib vertrieben wurden. Es liegen keine Zahlen vor, Berichten zufolge kehrten im selben Zeitraum Tausende syrischer Flüchtlinge aus dem Libanon ins Land zurück. Auch aus der Türkei kehrten Flüchtlinge in den Nordwesten Syriens zurück. Gleichzeitig flohen einige SyrerInnen in den Libanon (UNHCR, 11. Dezember 2024).
Der UN-Nothilfekoordinator Tom Fletcher berichtet am 17. Dezember über kritische Engpässe bei Nahrungsmitteln, Treibstoff und Vorräten aufgrund unterbrochener Handelsrouten und Grenzschließungen (UN News, 17. Dezember 2024).
Laut UNICEF benötigen 7,5 Million Kinder in Syrien humanitäre Hilfe. Mehr als 2,4 Millionen Kinder gehen nicht zur Schule, und eine weitere Million Kinder laufen Gefahr, die Schule abzubrechen. Auch die Gesundheitsversorgung sei fragil. Fast 40 Prozent der Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen sind teilweise oder vollständig funktionslos. Fast 13,6 Millionen Menschen benötigen Wasser, Sanitäranlagen und Hygienedienste; und 5,7 Millionen Menschen, darunter 3,7 Millionen Kinder, benötigen Ernährungshilfe (UNICEF, 18. Dezember 2024).
Die UN berichtet, dass es in der Woche vom 23. Dezember weiterhin zu Feindseligkeiten und Unsicherheiten in den Provinzen Aleppo, Homs, Hama, Latakia, Tartus, Deir-ez-Zor und Quneitra kam. Aufgrund der angespannten Sicherheitslage waren humanitäre Einsätze mit 30. Dezember in mehreren Gebieten weiterhin ausgesetzt. Im November hatten rund zwei Millionen Menschen in ganz Syrien Nahrungsmittelhilfe in unterschiedlicher Form erhalten. Die instabile Sicherheitslage in den ländlichen Gebieten von Hama, Quneitra, Latakia und Tartous beeinträchtigte die Möglichkeit des Schulbesuchs für Kinder (UN News, 30. Dezember 2024).
Mit 29. Dezember haben 94 der 114 von UNHCR unterstützten Gemeindezentren in ganz Syrien ihre Arbeit wiederaufgenommen. Seit dem 27. November haben sich 58.500 Personen an die Gemeindezentren gewandt, um sich anzumelden und um Zugang zu Schutzdiensten zu erhalten. Laut UNHCR kehrten zwischen 8. und 29. Dezember 58.400 Personen nach Syrien (hauptsächlich aus dem Libanon, Jordanien und der Türkei) zurück. Seit Anfang 2024 (bis zum 29. Dezember) kehrten ungefähr 419.200 syrische Flüchtlinge zurück; die Mehrheit von ihnen nach Raqqa (25%), Aleppo (20%) und Daraa (20%) (UNHCR, 30. Dezember 2024).
Der UN-Sondergesandte für Syrien, Geir Pedersen, erklärte in seinem Briefing an den UN-Sicherheitsrat am 8. Jänner 2025, dass sich die Sicherheitssituation in einigen Regionen zwar verbesserte, es jedoch weiterhin zu Unruhen in den Küstenregionen, Homs und Hama kam. Bewaffnete Gruppen, darunter das Terrornetzwerk Islamischer Staat – und über 60 Gruppen mit widersprüchlichen Agenden – stellten ebenfalls eine anhaltende Bedrohung für die territoriale Integrität Syriens dar. Pederson berichtete weiters über den oben beschriebenen Konflikt zwischen SNA und SDF, sowie die Verstöße Israels. Auch die humanitäre Lage war nach wie vor kritisch: Fast 15 Millionen Syrer benötigten Gesundheitsversorgung, 13 Millionen waren von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen und über 620.000 waren Binnenflüchtlinge. Die am Tischreen-Staudamm verursachten Schäden schränkten die Wasser- und Stromversorgung für mehr als 400.000 Menschen ein (UN News, 8. Jänner 2025).
Weiteres
Human Rights Watch bestätigt am 16. Dezember den Fund eines Massengrabs im südlichen Damaskus (HRW, 16. Dezember 2024).
Am 18. Dezember startete der erste kommerzielle Flug seit dem Sturz von Baschar Al-Assad, ein Inlandsflug nach Aleppo, vom Flughafen Damaskus (Al-Jazeera, 18. Dezember 2024).
Am Abend des 23. Dezember hatten Unbekannte in Al-Suqaylabiyah in der Provinz Hama den Weihnachtsbaum in Brand gesetzt. Eine Person sei festgenommen worden, hieß es aus Kreisen der örtlichen Sicherheitsbehörden. Der Baum solle ausgebessert werden. Es würden keine Beleidigungen irgendeines Teils des syrischen Volkes geduldet.
Mit der Machtübernahme der HTS fürchteten Christen und andere Minderheiten Repressionen. „Wir haben das Recht, Angst zu haben“, sagte Priester Andrew Bahi der dpa in Damaskus. Die Atmosphäre bleibe weiterhin zweideutig. Die Aussagen der neuen Führung seien jedoch beruhigend. HTS-Anführer Ahmed al-Sharaa, auch bekannt als Abu Mohammed al-Golani, hatte nach Assads Sturz wiederholt betont, alle Volksgruppen in dem gespaltenen Land müssten respektiert und berücksichtigt werden. Ein christlicher Bewohner von Damaskus sagte, bisher habe es keine Beleidigungen oder Auseinandersetzungen mit der von den Rebellen gebildeten Übergangsregierung gegeben. „Wir haben die Geschäfte und Häuser nicht so dekoriert, wie wir es gewohnt sind, obwohl uns niemand davon abgehalten hat“, sagte er. Auf Social Media kursierten aber Berichte, die ihm Angst machten (DiePresse.com, 24. Dezember 2024).
Ebenfalls rund um Weihnachten soll Berichten zufolge in Nordsyrien ein alawitischer Schrein in Brand gesetzt worden sein, was zu Protesten Tausender Alawiten an mehreren Orten des Landes führte. In Homs soll ein Demonstrant getötet worden sein, als Sicherheitskräfte das Feuer eröffneten, um die Menge zu zerstreuen. Die neue Regierung verhängte eine Ausgangssperre und sprach von „Gerüchten“, die von Assad-Anhängern ausgenützt würden, um das Land zu destabilisieren. Wer genau für den Angriff verantwortlich sei, bleibe laut Innenministerium unklar (ZEIT ONLINE, 25. Dezember 2024).
Am 27. Dezember töteten Anhänger von Baschar Al-Assad 14 Menschen bei Zusammenstößen mit Soldaten der neuen Regierung im Westen des Landes, nahe der Stadt Tartus (BBC News, 27. Dezember 2024).
Syriens neuer Geheimdienstchef Anas Khattab hat die Auflösung aller Geheimdienstorganisationen und eine grundlegende Neuorganisation angekündigt (DiePresse.com, 29. Dezember 2024).
Die Übergangsregierung in Syrien hat erstmals eine Frau zur geschäftsführenden Direktorin der Zentralbank ernannt. Maysaa Sabrine habe bereits zuvor wichtige Ämter in der Bank innegehabt, darunter die Position der ersten stellvertretenden Direktorin, teilte die Regierung unter der Führung der Islamistengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) weiter mit. Die Zentralbankchefin ist bereits die zweite Frau in einer Schlüsselposition der neuen Regierung, die das Land nach dem Sturz des langjährigen Machthabers Bashar al-Assad übernommen hat. Anfang Dezember war Aisha al-Dibas zur Leiterin des Büros für Frauenangelegenheiten ernannt worden (DiePresse.com, 30. Dezember 2024).
Am 7. Jänner 2025 landete der erste internationale Flug seit der Absetzung von Al-Assad auf dem international Flughaften von Damaskus (Al-Jazeera, 7. Jänner 2025).
Anfang Jänner erteilten die USA eine sechsmonatige Ausnahme von den Sanktionen, eine sogenannte Generallizenz, um humanitäre Hilfe nach dem Ende der Herrschaft von Bashar al-Assad in Syrien zu ermöglichen. Die Ausnahme, die bis zum 7. Juli gültig ist, erlaubt bestimmte Transaktionen mit Regierungsinstitutionen, darunter Krankenhäuser, Schulen und Versorgungsunternehmen auf Bundes-, Regional- und lokaler Ebene sowie mit HTS verbundenen Einrichtungen in ganz Syrien. Zwar wurden keine Sanktionen aufgehoben, die Lizenz erlaubt jedoch auch Transaktionen im Zusammenhang mit dem Verkauf, der Lieferung, der Speicherung oder der Spende von Energie, einschließlich Erdöl und Strom, nach oder innerhalb Syriens. Darüber hinaus erlaubt sie persönliche Überweisungen und bestimmte energiebezogene Aktivitäten zur Unterstützung der Wiederaufbaubemühungen (Reuters, 6. Jänner 2025). Nach der Ausnahme von den Sanktionen kündigte Katar eine Hilfe bei der Finanzierung einer 400-prozentigen Erhöhung der Gehälter im öffentlichen Sektor an, die die syrische Übergangsregierung zugesagt hatte (Reuters, 7. Jänner 2025).
Beweiswürdigung:
1. Zum Beschwerdeführer:
Das Verwaltungsgericht legte die Angaben des BF vor der Polizei, der belangten Behörde und vor Gericht nahezu zur Gänze seinen Feststellungen zu Grunde. Dies betrifft insbesondere die Angaben zu den persönlichen Verhältnissen des BF, den Umständen der Ausreise, der Ausstellung des Militärbuches, der Erwirkung eines Aufschubes sowie der mangelnden individuellen Einberufung sowie den Herrschaftsverhältnissen im Heimatort des BF bis Ende November 2024. Es bedarf daher zu diesen Umständen aufgrund der diesbezüglichen Glaubhaftigkeit des BF sowie den dazu teilweise vorgelegten Urkunden keiner näheren beweiswürdigenden Erwägungen. Die Unbescholtenheit des BF in Österreich ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.
Der Umstand, dass das Heimatdorf des BF bis Ende November 2024 unter Kontrolle des syrischen Regimes stand, und nunmehr unter Kontrolle der HTS, beruht auf den Informationen von syria.liveuamap.com, bzw. https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html.
Der BF brachte zum einen vor, durch das syrische Regime verfolgt zu werden, weil er sich dem verpflichtenden Militärdienst entzogen habe und ihm aus diesem Grund eine unverhältnismäßige Bestrafung bzw. die Zwangsrekrutierung samt der Gefahr der Teilnahme an Menschenrechtsverletzungen drohe.
Eine Verfolgungsgefahr aus diesen Gründen ist aber deshalb auszuschließen, weil das syrische Regime unter Präsident Assad infolge der erfolgreichen Großoffensive der HTS Ende November/Anfang Dezember 2024 nicht mehr existiert (siehe die obigen Länderfeststellungen). Dem setzte der BF in seiner letzten Stellungnahme vom 24.01.2025 auch nichts Substantiiertes entgegen.
Darüber hinaus brachte der BF in seiner letzten Stellungnahme nur vor, dass nicht absehbar sei bzw. abzuwarten bleibe, wie (moderat) sich die Politik der HTS tatsächlich entwickeln und wie diese in Zukunft in puncto Wehrpflicht aussehen werde. Dieses Vorbringen ist jedoch schon aus rechtlichen Gründen (s. unten) nicht geeignet, zu einer Asylgewährung zu führen.
2. Zur Situation in Syrien:
Die Feststellungen stützen sich auf die auszugsweise wiedergegebenen aktuellen Länderberichte zu Syrien nach dem Sturz des Assad-Regimes sowie rezente Medienberichte. Das durch den Machtwechsel veraltete LIB vom 27.03.2024 wurde dort zitiert, wo sich trotz dieses Machtwechsels keine wesentliche Änderung ergeben hat und es daher nach wie vor Aktualität besitzt, oder wo es um einen Vergleich mit der Situation vor dem Machtwechsel geht.
Angesichts der Aktualität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf verschiedenen voneinander unabhängigen dort wiedergegebenen Quellen beruhen und ein übereinstimmendes, in sich schlüssiges und nachvollziehbares Gesamtbild liefern, besteht für das Gericht kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.
Rechtlich folgt:
Gemäß § 3 Abs 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Gemäß Abs 2 kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Heimatstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, die insbesondere Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).
Gemäß Abs 3 ist der Antrag abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht oder ein Asylausschlussgrund gesetzt wurde.
Gemäß § 2 Abs 1 Z 11 und 12 ist Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art 9 Statusrichtlinie, Verfolgungsgrund ein in Art 10 Statusrichtlinie genannter Grund.
Nach Art 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Nach Art 9 der Statusrichtlinie (2011/95/EU) muss eine Verfolgungshandlung iSd Genfer Flüchtlingskonvention aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt oder in einer Kulminierung unterschiedlicher Maßnahmen bestehen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist.
Unter anderem können als Verfolgung folgende Handlungen gelten:
Anwendung physischer oder psychischer, einschließlich sexueller Gewalt,
gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder diskriminierend angewandt werden,
unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich des Art 12 Abs 2 fallen und
Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
Bei der Bewertung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse oder die religiösen, nationalen, sozialen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.
Der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern bzw. Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung kann asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen – wie etwa der Anwendung von Folter – jede Verhältnismäßigkeit fehlt (vgl. VwGH 27.04.2011, 2008/23/0124; 23.01.2019, Ra 2019/19/0009; vgl. jüngst auch VwGH 19.06.2019, Ra 2018/18/0548). Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. VwGH 25.03.2003, 2001/01/0009 m.w.N.; Putzer, Leitfaden, Asylrecht, 2. Auflage [2011], Rz 97; EuGH 26.02.2015, C-472/13, Shepherd). Auch dem Zwang zum Vorgehen gegen Mitglieder der eigenen Volksgruppe kann Asylrelevanz zukommen (vgl. VwGH 27.04.2011, 2008/23/0124 m.w.N.).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt AZ 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht.
Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, also aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht.
Für die Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt es nicht bloß auf die tatsächliche politische Gesinnung an, auch die seitens der Verfolger dem Asylwerber unterstellte politische Gesinnung ist asylrechtlich relevant.
Im Fall der Behauptung einer asylrelevanten Verfolgung durch die Strafjustiz im Herkunftsstaat bedarf es einer Abgrenzung zwischen der legitimen Strafverfolgung („prosecution“) einerseits und der Asyl rechtfertigenden Verfolgung aus einem der Gründe des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK („persecution“) andererseits. Keine Verfolgung im asylrechtlichen Sinn ist im Allgemeinen in der staatlichen Strafverfolgung zu erblicken. Allerdings kann auch die Anwendung einer durch Gesetz für den Fall der Zuwiderhandlung angeordneten, jeden Bürger des Herkunftsstaates gleich treffenden Sanktion unter bestimmten Umständen „Verfolgung“ im Sinn der GFK aus einem dort genannten Grund sein; etwa dann, wenn das den nationalen Normen zuwiderlaufende Verhalten des Betroffenen im Einzelfall auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht und den Sanktionen jede Verhältnismäßigkeit fehlt.
Um feststellen zu können, ob die strafrechtliche Verfolgung wegen eines auf politischer Überzeugung beruhenden Verhaltens des Asylwerbers einer Verfolgung im Sinne der GFK gleichkommt, kommt es entscheidend auf die angewendeten Rechtsvorschriften, aber auch auf die tatsächlichen Umstände ihrer Anwendung und die Verhältnismäßigkeit der verhängten Strafe an.
Nach der Rechtsprechung des VwGH stellt die Furcht vor der Ableistung des Militärdienstes sowie der bei seiner Verweigerung drohenden Bestrafung im Allgemeinen keine asylrechtlich relevante Verfolgung dar, sondern könnte nur bei Vorliegen eines Konventionsgrundes die Gewährung von Asyl rechtfertigen. Dabei kann auch der Gefahr einer allen Wehrdienstverweigerern und Deserteuren im Herkunftsstaat gleichermaßen drohenden Bestrafung asylrechtliche Bedeutung zukommen, wenn das Verhalten des Betroffenen auf politischen oder religiösen Überzeugungen beruht oder dem Betroffenen wegen dieses Verhaltens vom Staat eine oppositionelle Gesinnung unterstellt wird und den Sanktionen - wie etwa der Anwendung von Folter - jede Verhältnismäßigkeit fehlt. Unter dem Gesichtspunkt des Zwanges zu völkerrechtswidrigen Militäraktionen kann auch eine „bloße“ Gefängnisstrafe asylrelevante Verfolgung sein (vgl. zum Ganzen VwGH 28.3.2023, Ra 2023/20/0027, mwN).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Asylstatus zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche „Vorverfolgung“ für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste. Relevant kann also nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der „Asylentscheidung“ immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. etwa VwGH 23.5.2023, Ra 2023/20/0110, mwN).
Es ist es für die Gewährung von Asyl nicht ausreichend, derselben eine bloß theoretisch denkbare Möglichkeit eines Verfolgungsszenarios zugrunde zu legen (vgl. VwGH 13.6.2023, Ra 2023/20/0195, mwN).
Zum BF:
Zur Wehrdienstverweigerung bei der syrischen Armee bzw. sonstigen Verfolgung durch das Assad-Regime:
Wie festgestellt, existiert das syrische Regime unter Präsident Assad seit dem Umsturz im Dezember 2024 nicht mehr. Der Befürchtung der Einberufung zu einem Militärdienst mit der Gefahr der Heranziehung zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist damit der Boden entzogen. Eine Verfolgung (aus welchen Gründen immer) seitens des nicht mehr vorhandenen Regimes ist daher nicht anzunehmen.
Im Umstand, dass im Heimatland des BF Bürgerkrieg herrscht, liegt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für sich allein keine Verfolgungsgefahr im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention (vgl. VwGH 26.11.1998, 98/20/0309, 0310 und VwGH 19.10.2000, 98/20/0233). Um asylrelevante Verfolgung vor dem Hintergrund einer Bürgerkriegssituation erfolgreich geltend zu machen, bedarf es daher einer zusätzlichen, auf asylrelevante Gründe gestützten Gefährdung des Asylwerbers, die über die gleichermaßen die anderen Staatsbürger des Heimatstaates treffenden Unbilligkeiten eines Bürgerkrieges hinausgeht. Eine solche hat der BF aber nicht hinreichend nachvollziehbar glaubhaft machen bzw. dartun können.
Zur Volatilität der Lage in Syrien:
Der BF verwies zuletzt darauf, dass infolge des Sturzes des Assad-Regimes gegenwärtig nicht absehbar sei, wie sich die Lage in Syrien entwickeln werde, weshalb es an einer wesentlichen Grundlage für eine Entscheidung über Anträge auf internationalen Schutz von syrischen Staatsangehörigen fehle. Er berief sich dabei auf das UNHCR-Positionspapier zur Rückkehr nach Syrien vom 16.12.2024, wonach in Syrien einerseits nach wie vor eine großflächige humanitäre Krise bestehe und bestimmte Verfolgungsgründe im Zusammenhang mit dem ehemaligen Assad-Regime zwar weggefallen seien, andere jedoch weiterhin bestehen oder stärker zu Tage treten.
Zunächst kommt den UNHCR-Richtlinien zwar nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Indizwirkung zu, doch ergibt sich daraus nicht, dass diese für das Verwaltungsgericht bindend wären, sondern lediglich, dass es sich mit diesen auseinandersetzen muss und eine etwaige Abweichung von ihnen zu begründen hat (dazu beispielsweise VwGH 25.06.2024, Ra 2024/18/0151).
Im vorliegenden Verfahren geht es nicht um eine Rückführung des BF, sodass das zitierte UNHCR-Papier im konkreten Fall weitgehend nicht relevant ist. Konkrete Anhaltspunkt dafür, dass für den BF weiterhin bestehende oder neue Verfolgungsgründe vorlägen, enthält die Stellungnahme vom 15.01.2025 nicht.
Das Verwaltungsgericht verkennt nicht, dass sich die Lage in Syrien in der ersten Dezemberhälfte des Jahres 2024 sehr rasch verändert hat, dass eine neuerliche Lageveränderung durchaus möglich ist und dass noch weitgehend unklar ist, wie sich die Lage in den kommenden Monaten entwickeln wird. Seit dem Sturz des Assad-Regimes am 8. Dezember 2024 gab es allerdings – von den Kämpfen zwischen der SNA und den SDF im Norden abgesehen – keine größeren Kampfhandlungen mehr. Schon aufgrund der zu erwartenden weiteren Volatilität der politischen Verhältnisse in Syrien wäre es untunlich, mit einer Entscheidung zuzuwarten, bis völlige Klarheit über die künftigen Verhältnisse herrscht, weil nicht abschätzbar ist, ob und wann ein solches Szenario eintritt. Die verfügbaren aktuellen Berichte zur Lage in Syrien wurden – im Wesentlichen nach vorheriger Gelegenheit zur Stellungnahme – dem Verfahren zugrunde gelegt. Der volatilen Sicherheitslage in Syrien wird durch die Gewährung subsidiären Schutzes ohnehin Rechnung getragen.
Zu berücksichtigen ist auch, dass nach der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht für deren nach § 3 Abs 1 AsylG 2005 erforderliche Glaubhaftmachung im Sinne der zum Entscheidungszeitpunkt anzustellenden Prognose genügt (vgl. etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN; Ra 2021/01/0003). Eine allenfalls mögliche Änderung der Lage zum Schlechteren für einen konkreten Beschwerdeführer allein kann daher nicht zu einer Asylgewährung führen. Sollte sich die Lage in Syrien dergestalt ändern, dass dem subsidiär schutzberechtigten Beschwerdeführer in Syrien (konkret absehbare) asylrelevante Verfolgung droht, steht ihm schließlich die Möglichkeit offen, einen Folgeantrag zu stellen.
Menschenrechtsverletzungen der HTS:
Das Bundesverwaltungsgericht verkennt nicht, dass es vor der zum Sturz des syrischen Regimes führenden Offensive in den HTS-beherrschten Gebieten im Nordwesten Syriens (in der Provinz Idlib und angrenzenden Provinzen) zu Menschenrechtsverletzung seitens der HTS-Machthaber kam. Doch ist nach Art. 9 Abs. 1 StatusRL und der dazu ergangenen Rechtsprechung (EuGH 19.11.2020, C-238/19 (BAMF), Rn. 22) nicht jede Menschenrechtsverletzung als Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A GFK zu betrachten, sondern nur eine Handlung, die aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend ist, dass sie eine schwerwiegende Verletzung grundlegender Menschenrechte darstellt (Art. 9 Abs. 1 lit. a StatusRL) oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, besteht, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher Weise wie unter lit. a leg. cit. beschrieben betroffen ist (lit. b leg. cit.).
Die der HTS-Regierung in Idlib vorgeworfenen Menschenrechtsverletzungen betrafen vor allem Frauen, (vermeintliche) Oppositionelle und Angehörige von Minderheiten (z.B. Christen). Dass dem männlichen BF, der Araber, Sunnit und nicht durch oppositionelle Aktivitäten gegenüber HTS in Erscheinung getreten ist, im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsort, der nunmehr unter HTS-Kontrolle steht, mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht, Opfer derartiger Menschenrechtsverletzungen zu werden, ist nicht zu erwarten, zumal wie ausgeführt noch überhaupt nicht absehbar ist, wie sich die Politik der derzeit moderat agierenden HTS in Zukunft entwickeln wird, und die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung nicht für deren Glaubhaftmachung genügt.
Wenn der BF schließlich auf das formell noch in Kraft stehende syrische Wehrdienstgesetz verweist, kann auf Jabloner (Der Neuaufbau von Staat und Justiz, RZ 2022, 244) verwiesen werden: Eine solche Umwälzung der Macht, die nicht aus den gegebenen Rechts- und Machtstrukturen (evolutiv) erwächst, sondern vielmehr erst durch deren Umsturz zustande kommt, bedeutet nach allgemeiner Verfassungslehre einen Bruch der Rechtskontinuität, sodass vormals in Kraft stehende Gesetze in der neuen, revolutionär geschaffenen Staatswirklichkeit nicht mehr in Geltung stehen, ohne dass es auf eine formelle Außerkraftsetzung ankäme. So waren in der jungen Zweiten österreichischen Republik diverse Rechtsüberleitungsgesetze nötig, um einen Teil des vormaligen reichsdeutschen Rechtsbestandes zu Gesetzen der neuen Republik zu. Selbst wenn man annähme, dass das syrische Wehrpflichtgesetz formell noch in Kraft wäre, würde das nichts daran ändern, dass es faktisch derzeit nicht umgesetzt wird und damit keine staatliche Wehrpflicht in Syrien tatsächlich existiert. Die neue Regierung plant nach den Feststellungen die Auflösung aller Rebellenfraktionen und deren Integration in eine neue syrische Armee, wobei aktuell offen ist, inwiefern eine solche auf einen verpflichtenden Wehrdienst gegründet sein wird. Derzeit ist ein solcher jedenfalls nicht absehbar.
Dem BF ist es daher nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität, die ihre Ursache in einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe hätte, glaubhaft zu machen.
Auch vor dem Hintergrund der Feststellungen zur Lage in Syrien kann nicht erkannt werden, dass dem BF aktuell in Syrien eine asylrelevante Verfolgung aus einem der in der GFK genannten Gründen droht.
Der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides kommt daher insgesamt gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 kein Erfolg zu.
Eine mündliche Verhandlung ist bereits erfolgt. Eine weitere Verhandlung wurde in der Stellungnahme vom 24.01.2025 trotz diesbezüglichen ausdrücklichen Hinweises im Auftrag zum Parteiengehör vom 27.12.2024 nicht beantragt und war auch nicht von Amts wegen durchzuführen, zumal das in dieser Stellungnahme als Reaktion auf die geänderte politische Situation in Syrien getätigte neue Vorbringen einerseits schon aus den geschilderten rechtlichen Gründen nicht geeignet war, zu einer Asylgewährung zu führen, andererseits auch kein Vorbringen ersichtlich ist, das im Rahmen einer weiteren Befragung des BF auf dessen Glaubwürdigkeit hin zu prüfen war.
Der Ausspruch der Unzulässigkeit der Revision folgt dem Umstand, dass im wesentlichen Umstände des Einzelfalls zu beurteilen waren und im Rahmen der oben dargestellten Rechtsprechung des VwGH entschieden wurde.