JudikaturVwGH

Ra 2023/01/0162 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
04. April 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Fasching, Mag. Brandl, Dr. Terlitza und Dr. Horvath als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Karger, LL.M., über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. Mai 2023, Zlen. 1. W119 2255993 1/7E, 2. W119 2255996 1/7E, 3. W119 2255995 1/3E, 4. W119 2255989 1/3E, 5. W119 2255991 1/3E und 6. W119 2255987 1/3E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Parteien: 1. S O, 2. H S, 3. S O, 4. H O, 5. K O, und 6. H O, die Erst , Zweit , Viert , Fünft und Sechstmitbeteiligten in W, die Drittmitbeteteiligte in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Der Erstmitbeteiligte und die Zweitmitbeteiligte sind Ehegatten und die Eltern der Dritt bis Sechstmitbeteiligten; sie sind syrische Staatsangehörige.

2 Sie alle stellten am 26. Oktober 2021 Anträge auf internationalen Schutz.

3 Mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Amtsrevisionswerberin) je vom 29. April 2022 wurden diese Anträge hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (I.), den Mitbeteiligten jeweils der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (II.) und eine befristete Aufenthaltsberechtigung erteilt (III).

4 Gegen die Verweigerung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) erhoben die Mitbeteiligten Beschwerde.

5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Beschwerde jeweils statt, erkannte den Mitbeteiligten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 den Status des Asylberechtigten zu und stellte gemäß § 3 Abs. 5 leg. cit. fest, dass ihnen damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. In Erledigung der Beschwerde wurden weiters die Spruchpunkte II. und III. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG jeweils ersatzlos behoben. Die Revision wurde jeweils gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig erklärt.

6 Begründend führte das BVwG aus, mit (rechtskräftig gewordenem) Bescheid der Amtsrevisionswerberin vom 14. April 2020 sei dem 2002 geborenen Sohn des Erst und der Zweitmitbeteiligten, H.O., der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden; er sei zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig gewesen.

Es liege daher gegenständlich ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005 vor. Somit sei dem Erst und der Zweitmitbeteiligten der gleiche Schutzumfang, d.h. jeweils der Status des Asylberechtigten, zuzuerkennen, ohne dass allfällige eigene Fluchtgründe zu beurteilen wären, und es sei dieser Schutzumfang auch auf die übrigen zum Zeitpunkt der Antragstellung noch minderjährigen und ledigen Mitbeteiligten zu erstrecken.

7 Dagegen richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision, die zur Zulässigkeit vorbringt, es „existiere“ keine Rechtsprechung zur „Frage, ob die Eltern einer Bezugsperson, die ihre Anträge auf internationalen Schutz im Zeitpunkt der Volljährigkeit der Bezugsperson stellen, die Bezugsperson jedoch sowohl im Zeitpunkt ihres eigenen Antrags auf internationalen Schutz als auch im Zeitpunkt der Statuszuerkennung minderjährig war, als Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 lit. a AsylG 2005 zu betrachten sind, so dass ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 zu führen ist ...“.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung des Vorverfahrens, in dem die Mitbeteiligten keine Revisionsbeantwortung erstatteten, erwogen:

8 Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.

9 Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Gewährung von Asyl (Asylgesetz 2005 AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 221/2022, lauten:

Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

[...]

22. Familienangehöriger:

a. der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten;

[...]

c. ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten und

[...]

Status des Asylberechtigten

§ 3. (1) Einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, ist, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

[...]

(5) Die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder auf Grund eines Antrags auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, ist mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

[...]

Familienverfahren im Inland

§ 34. (1) Stellt ein Familienangehöriger von

1. einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist;

2. einem Fremden, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8) zuerkannt worden ist oder

3. einem Asylwerber

einen Antrag auf internationalen Schutz, gilt dieser als Antrag auf Gewährung desselben Schutzes.

(2) Die Behörde hat auf Grund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn

1. dieser nicht straffällig geworden ist und

3. gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

[...]

(4) Die Behörde hat Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang. Entweder ist der Status des Asylberechtigten oder des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wobei die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten vorgeht, es sei denn, alle Anträge wären als unzulässig zurückzuweisen oder abzuweisen. Jeder Asylwerber erhält einen gesonderten Bescheid. Ist einem Fremden der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 4 zuzuerkennen, ist dieser auch seinen Familienangehörigen zuzuerkennen.

(5) Die Bestimmungen der Abs. 1 bis 4 gelten sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

(6) Die Bestimmungen dieses Abschnitts sind nicht anzuwenden:

[...]

2. auf Familienangehörige eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten oder der Status des subsidiär Schutzberechtigten im Rahmen eines Verfahrens nach diesem Abschnitt zuerkannt wurde, es sei denn es handelt sich bei dem Familienangehörigen um ein minderjähriges lediges Kind;

[...]“

10 Die Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes, ABl. L 337/9 vom 20. Dezember 2011, S. 9, (StatusRL), lautet (auszugsweise):

Artikel 2

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

[...]

j) ‚Familienangehörige‘ die folgenden Mitglieder der Familie der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die sich im Zusammenhang mit dem Antrag auf internationalen Schutz in demselben Mitgliedstaat aufhalten, sofern die Familie bereits im Herkunftsland bestanden hat:

[...]

- der Vater, die Mutter oder ein anderer Erwachsener, der nach dem Recht oder der Praxis des betreffenden Mitgliedstaats für die Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, verantwortlich ist, wenn diese Person minderjährig und nicht verheiratet ist;

k) ‚Minderjähriger‘ einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen unter 18 Jahren;

[...]

Artikel 3

Günstigere Normen

Die Mitgliedstaaten können günstigere Normen zur Entscheidung darüber, wer als Flüchtling oder Person gilt, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, und zur Bestimmung des Inhalts des internationalen Schutzes erlassen oder beibehalten, sofern sie mit dieser Richtlinie vereinbar sind.

[...]

Artikel 23

Wahrung des Familienverbands

(1) Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass der Familienverband aufrechterhalten werden kann.

...“

11 Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 hat die Behörde auf Grund eines Antrags eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

12 Nach § 34 Abs. 5 AsylG 2005 gilt diese Bestimmung sinngemäß für das Verfahren beim Bundesverwaltungsgericht.

13 Familienangehöriger ist gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 lit. a AsylG 2005 der Elternteil eines minderjährigen Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten; gemäß lit. c leg. cit. ist Familienangehöriger ein zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers, Asylberechtigten oder subsidiär Schutzberechtigten.

14 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 24. Oktober 2018, Ra 2018/14/0040 bis 0044, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, ausgeführt, dass aus dem Blickwinkel des Kindes, das die Eigenschaft als Familienangehöriger von seinen Eltern ableiten möchte, auf den Zeitpunkt der Antragstellung bezogen auf den von ihm gestellten Antrag auf internationalen Schutz abzustellen ist. Es muss, um als Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 (lit. c) AsylG 2005 zu gelten, in diesem Zeitpunkt minderjährig und ledig sein. Dem Eintritt der Volljährigkeit vor dem Entscheidungszeitpunkt kommt in diesem Fall keine Bedeutung zu. Für die Anwendung des § 34 AsylG 2005 ist es hinreichend, dass (und solange) zumindest ein Fall des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 gegeben ist.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat im zitierten Erkenntnis weiters festgehalten, dass, auch wenn in § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 nicht ausdrücklich auf den „Zeitpunkt der Antragstellung“ hingewiesen wird, sich aus den einschlägigen Erläuterungen keine Hinweise darauf ergeben, dass der Begriff „Familienangehöriger“ innerhalb des § 34 AsylG 2005 unterschiedlich wäre und insbesondere der in § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 verwendete Begriff des „minderjährigen ledigen Kindes“ als „Familienangehöriger“ nicht im Sinn der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 zu verstehen wäre.

16 In einem solchen Fall schließt gemäß § 34 Abs. 6 Z 2 AsylG 2005 eine nach den Bestimmungen des Familienverfahrens erfolgte Zuerkennung des Status des Asylberechtigten an einen Elternteil nicht aus, dass auch dessen (zumindest im Antragszeitpunkt) minderjährigen Kindern wiederum im Weg des Familienverfahrens der Status des Asylberechtigten in Ableitung von diesem Elternteil zuerkannt werden kann (vgl. zum Ganzen VwGH 8.9.2021, Ra 2020/20/0242 bis 0246; vgl. weiters VwGH 29.4.2019, Ra 2018/20/0031; 13.11.2019, Ra 2019/01/0143, sowie 19.7.2022, Ra 2021/19/0003, jeweils mwN).

17 Dem vorliegenden Revisionsfall liegt aber eine andere Konstellation zu Grunde. Es geht um die Frage, ob der Erst und die Zweitmitbeteiligte ihre Eigenschaft als Familiengenhörige gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 lit. a AsylG 2005 als Eltern ihres in Österreich asylberechtigten Kindes H.O. herleiten und demnach im Familienverfahren den Status von Asylberechtigten gemäß § 34 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 AsylG 2005 erhalten können.

18 Nur im Fall der Bejahung dieser Frage könnten die Dritt bis Sechstmitbeteiligten, die minderjährigen ledigen Geschwister des H.O., ihrerseits den Status von Asylberechtigten gemäß § 34 Abs. 6 Z 2 letzter Halbsatz AsylG 2005 von den Eltern herleiten, zumal keine der in § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 angeführten Konstellationen das Verhältnis eines Fremden zu seinen Geschwistern erfasst, weshalb die Dritt bis Sechstmitbeteiligten in Bezug auf ihren Bruder H.O. nicht als Familienangehörige im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 anzusehen sind (vgl. etwa VwGH 28.3.2023, Ra 2022/20/0330, Rn. 16 f, mwN).

19 Möchten Eltern die Eigenschaft als Familienangehörige im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 lit. a AsylG 2005 für sich beanspruchen, müssen sie nach dieser Bestimmung Elternteil eines minderjährigen Kindes sein. Anders als für das Kind nach lit. c leg. cit. wird insoweit nicht festgelegt, dass (irgendein) Antragszeitpunkt maßgeblich wäre. In Bezug auf diese Konstellation ist daher zu folgern, dass es den allgemeinen Grundsätzen zur Frage folgend, welche Sach und Rechtslage bei der Fällung einer Entscheidung zur Anwendung zu bringen ist maßgeblich ist, ob im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung die vom Gesetz geforderten Voraussetzungen zu bejahen sind. Daraus ist für diesen Tatbestand des § 2 Abs. 1 Z 22 (lit. a) AsylG 2005 zu schließen, dass mit dem Erreichen der Volljährigkeit eines bei Verfahrensbeginn zunächst noch Minderjährigen seine Eltern nicht mehr als dessen „Familienangehörige“ zu betrachten sind, ebenso wie eine zwischenzeitige Beendigung der Ehe einem „ursprünglichen“ Ehegatten die Eigenschaft als „Familienangehöriger“ nimmt (vgl. abermals VwGH Ra 2018/14/0040 bis 0044, Rn. 23, mit Hinweis auf VwGH 28.1.2016, Ra 2015/21/0230, 0231).

20 Aus dem Umstand, dass der Verwaltungsgerichtshof im erwähnten Erkenntnis Ra 2018/14/0040 bis 0044 in der dort zu Grunde liegenden Konstellation einem Anwendungsfall des § 34 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005, in dem sämtliche Familienangehörige noch Asylwerber waren und ihre Anträge gleichzeitig gestellt hatten die Anwendbarkeit der Vorschriften über das Familienverfahren ungeachtet der während des Verfahrens eingetretenen Volljährigkeit der Bezugsperson dennoch bejahte, lässt sich für den gegenständlichen Revisionsfall nichts gewinnen, weil eine derartige Konstellation hier nicht vorliegt.

21 Es handelt sich im Revisionsfall vielmehr allgemein um eine Konstellation, in der Eltern im Familienverfahren nach § 34 Abs. 1 Z 1 oder Z 2 AsylG 2005 einen Schutzstatus von einem Kind, das diesen Schutz bereits früher erhalten hat, ableiten möchten.

22 Es geht dabei zunächst nicht um einen Fall, in dem die Bezugsperson, das schutzberechtigte Kind, zum Zeitpunkt der Stellung der Anträge seiner Eltern auf internationalen Schutz noch minderjährig war und während des offenen Verfahrens seiner Eltern volljährig wurde (vgl. dazu Nedwed , Familienverfahren Schutz des Einzelnen und des Kollektivs, in Filzwieser/Taucher, Asyl und Fremdenrecht. Jahrbuch 2019 [2019] 227, wonach in diesem Fall nach Maßgabe des Erkenntnisses VwGH 2018/14/0040 bis 0044 auf die Minderjährigkeit des Kindes im Entscheidungszeitpunkt [über die Anträge der Eltern] abzustellen d.h. der Schutzanspruch der Eltern daher zu verneinen wäre; vgl. demgegenüber für den Anwendungsbereich der FamilienzusammenführungsRL EuGH 1.8.2022, C 273/20 und C 355/20, sowie EuGH 30.1.2024, C 560/20, betreffend den Fall, dass ein unbegleiteter minderjähriger Flüchtling im Laufe des Verfahrens seiner Eltern auf Familienzusammenführung volljährig wird).

23 Vielmehr handelt es sich im Revisionsfall um eine Konstellation, in der das als Bezugsperson in Frage kommende schutzberechtigte Kind im Zeitpunkt der Antragsstellung seiner Eltern auf internationalen Schutz die Volljährigkeit bereits erreicht hatte.

24 Ist ein schutzberechtigtes Kind aber bereits im Zeitpunkt der Stellung der Anträge seiner Eltern auf internationalen Schutz volljährig, ist das Kind keinesfalls „minderjähriger“ Asyl bzw. subsidiär Schutzberechtigter (mehr), weshalb die Legaldefinition des Familienangehörigen im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 22 lit. a AsylG 2005 auf die Eltern nicht zutrifft. Auf den Umstand, dass das Kind zu dem Zeitpunkt, als ihm selbst (originär) der Status des Asylberechtigten (bzw. des subsidiär Schutzberechtigten) zuerkannt wurde, noch minderjährig war, kommt es nach dem Gesetz nicht an.

25 Die Vorschriften über das Familienverfahren nach § 34 AsylG 2005 sind in diesem Fall nicht anwendbar, weil das (mittlerweile) volljährige Kind keine taugliche Bezugsperson ist, von dem die Eltern den Status von Asyl bzw. subsidiär Schutzberechtigten nach Maßgabe des § 34 Abs. 2 (iVm Abs. 1 Z 1 oder Z 2) AsylG 2005 ableiten können (vgl. zur Unterscheidung, ob die Eltern ihre Anträge auf internationalen Schutz vor oder erst nach dem Zeitpunkt stellen, zu dem ihren Kindern ein bestimmter Schutzstatus bereits rechtskräftig zuerkannt wurde, auch VwGH 20.12.2023, Ra 2023/20/0023, 0024, Rn. 33, mit Hinweis auf VwGH 4.3.2019, Ra 2019/14/0023).

26 Davon ausgehend kann aber auch allfälligen weiteren (minderjährigen, ledigen) Geschwistern der Bezugsperson nämlich in Ableitung von den Eltern nach Maßgabe des § 34 Abs. 6 Z 2 letzter Halbsatz AsylG 2005 der Status von Asylberechtigten nicht im Familienverfahren zuerkannt werden.

27 Die dem angefochtenenen Erkenntnis zu Grunde liegende gegenteilige Auffassung hätte zur Konsequenz, dass den Eltern (bzw. in weiterer Folge auch den minderjährigen ledigen Geschwistern) eines im Zeitpunkt von deren Antragstellung bereits volljährigen, schutzberechtigten Kindes (das bei Erlangung seines eigenen Schutzstatus noch minderjährig war) der Anwendungsbereich der Vorschriften über das Familienverfahren zeitlich unbegrenzt, d.h. auch für den Fall, dass Anträge auf internationalen Schutz unter Umständen erst Jahre nach Eintritt der Volljährigkeit des Kindes gestellt würden, eröffnet wäre.

28 Für eine derart weites Normverständnis bietet wie erwähnt schon der Wortlaut des § 2 Abs. 1 Z 22 lit. a iVm § 34 AsylG 2005 keinen Anhaltspunkt.

29 Auch eine unionsrechtskonforme Auslegung führt zu keinem anderen Ergebnis, zumal die für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten getroffenen Regelungen des § 34 AsylG 2005 nach den Vorgaben der StatusRL unionsrechtlich nicht zwingend erforderlich, sondern als günstigere nationale Regelungen im Sinne des Art. 3 StatusRL mit dieser lediglich vereinbar sind (vgl. auch dazu VwGH Ra 2018/14/0040 bis 0044, Rn. 30 ff, insb. Rn. 33, unter Hinweis auf Rechtsprechung des EuGH).

30 Das BVwG hat demnach den Mitbeteiligten den Status von Asylberechtigten zu Unrecht in Anwendung des § 34 AsylG 2005 im Familienverfahren zuerkannt.

31 Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Wien, am 4. April 2024

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