JudikaturVwGH

Ra 2022/22/0093 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
24. August 2023

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des Landeshauptmannes von Steiermark gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark vom 13. April 2022, LVwG 26.9 2149/2021 8, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: F A, vertreten durch Mag. Thomas Klein, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Kärntner Straße 7B/2. OG), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Steiermark (belangte Behörde, Revisionswerber) vom 10. Juni 2021 wurde der Antrag des Mitbeteiligten, eines 1984 geborenen türkischen Staatsangehörigen, vom 11. November 2020 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ nach § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen, weil es sich bei der am 24. Juni 2020 in der Türkei geschlossenen Ehe des Mitbeteiligten mit der österreichischen Staatsbürgerin P S um eine Aufenthaltsehe handle.

2 Dagegen erhob der Mitbeteiligte Beschwerde, in der das Vorliegen einer Aufenthaltsehe bestritten und die Erteilung des Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“, in eventu die Aufhebung des Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG und die Zurückverweisung des Verfahrens an die belangte Behörde beantragt wurde.

3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 13. April 2022 gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark der Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 22. März 2022 „gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG“ Folge und behob den angefochtenen Bescheid. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B VG wurde für unzulässig erklärt.

Begründend hielt das Verwaltungsgericht gestützt auf die Einvernahme der P S sowie eines weiteren Zeugen fest, es liege gegenständlich keine Aufenthaltsehe vor. Die „von der belangten Behörde auf Basis deren Ermittlungen erfolgte Begründung ihres Bescheides“ könne „nicht (mehr) aufrechterhalten werden [...], weswegen dieser zu beheben“ sei.

In der rechtlichen Beurteilung erfolgten zunächst allgemeine Ausführungen zu den §§ 54 und 55 NAG und zum unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht. Zum konkreten Fall legte das Verwaltungsgericht schließlich näher dar, dass sich der Verdacht einer Aufenthaltsehe nicht erhärtet habe. Somit seien die von der belangten Behörde für deren Entscheidung herangezogenen Grundlagen nicht tragfähig bzw. nicht mehr relevant, um die bekämpfte Entscheidung rechtfertigen zu können. Es sei daher spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision.

5 Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

6 Der Revisionswerber bringt zur Zulässigkeit der Revision vor, das angefochtene Erkenntnis enthalte nur eine Behebung, aber keine Zurückverweisung. Abgesehen davon lägen die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung in der Sache nicht vor. Eine Zurückverweisung müsse nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nachvollziehbar begründet sein, was hier zur Gänze fehle. Das Verwaltungsgericht habe nicht dargelegt, warum es keine meritorische Entscheidungskompetenz annehme. In der Begründung werde lediglich ausgeführt, dass nicht von einer Aufenthaltsehe ausgegangen werden könne und die Voraussetzungen für das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht gegeben seien.

Die Revision ist unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG zulässig und aus nachstehenden Erwägungen auch berechtigt.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt festgehalten, dass dem Verwaltungsgericht sowohl in den in Art. 130 Abs. 4 B VG vorgesehenen und in § 28 Abs. 2 VwGVG angeordneten, als auch in den von § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG erfassten Fällen, in denen nicht § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingreift, eine kassatorische Entscheidung nicht offen steht. Weiters hat das Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen, weshalb es keine meritorische Entscheidungskompetenz annehme (vgl. zu allem VwGH 25.7.2019, Ra 2018/22/0270, Rn. 8, mit Verweis auf VwGH 26.6.2014, Ro 2014/03/0063).

8 Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass das Verwaltungsgericht, wenn es „in der Sache selbst“ entscheidet, nicht nur über die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde zu entscheiden, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen hat, die von der Verwaltungsbehörde entschieden wurde. Dabei hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung in der Regel an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten (vgl. erneut VwGH 25.7.2019, Ra 2018/22/0270, nunmehr Rn. 9, mwN).

9 Im vorliegenden Fall hat das Verwaltungsgericht im Spruch der angefochtenen Entscheidung der gegen den bekämpften Bescheid des Revisionswerbers erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge gegeben und diesen Bescheid behoben. Ein inhaltlicher Abspruch über den Antrag des Mitbeteiligten auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, der Gegenstand des Verfahrens vor der belangten Behörde war, ist nicht erfolgt.

10 Die erfolgte Behebung des bekämpften Bescheides kann auch nicht als ersatzlose Behebung im Sinn einer negativen Sachentscheidung angesehen werden. Dies ließe sich nämlich nicht mit dem ebenfalls erfolgten Ausspruch, dass der Beschwerde Folge gegeben wird, in Einklang bringen, zumal in der Beschwerde primär die Titelerteilung (und in eventu die Behebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG) beantragt wurde (vgl. dazu wiederum eine ähnliche Konstellation betreffend VwGH 25.7.2019, Ra 2018/22/0270, Rn. 11).

11 Es liegt somit gegenständlich keine Sachentscheidung vor.

12 Das Verwaltungsgericht hat jedoch nicht begründet, warum kein Fall des § 28 Abs. 2 VwGVG vorliege bzw. warum es keine meritorische Entscheidungszuständigkeit angenommen habe.

13 Dass die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung der Angelegenheit an die Verwaltungsbehörde die im Übrigen in Beschlussform zu ergehen hätte nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorlägen, wurde weder dargelegt, noch ist dies ersichtlich (vgl. auch dazu VwGH 25.7.2019, Ra 2018/22/0270, Rn. 14, mwN).

14 Das angefochtene Erkenntnis war somit wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

15 Ergänzend ist anzumerken, dass sich dem angefochtenen Erkenntnis keine Hinweise dahingehend entnehmen lassen, dass gegenständlich ein Freizügigkeitssachverhalt vorliegt bzw. Derartiges behauptet wurde. Ausgehend davon sind auch die Ausführungen des Verwaltungsgerichtes zum unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht nicht nachvollziehbar.

Wien, am 24. August 2023

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