JudikaturVwGH

Ra 2025/17/0023 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
21. März 2025

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des R H in W, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Jänner 2025, I411 21967772/22E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein ägyptischer Staatsangehöriger, stellte am 10. November 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2 Dem Revisionswerber wurde aufgrund seines unter Berufung auf die am 17. Februar 2015 mit der slowakischen Staatsangehörigen M.M. geschlossene Ehe gestellten Antrages vom 27. Februar 2015 den Asylantrag zog der Revisionswerber zurück eine Aufenthaltskarte gemäß § 54 Niederlassungsund Aufenthaltsgesetz (NAG) mit Gültigkeit von 15. Juli 2015 bis 15. Juli 2020 ausgefolgt. Die Ehe des Revisionswerbers wurde mit Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom 22. Februar 2019 geschieden. Am 14. Juli 2019 heiratete der Revisionswerber seine nunmehrige Ehegattin in Ägypten.

3 Am 22. Mai 2020 stellte der Revisionswerber zunächst einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot Weiß Rot Karte“ und modifizierte diesen Antrag am 19. November 2020 auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte (Angehöriger eines EWR Bürgers).

4 Mit Erkenntnis vom 29. Juni 2022 wies das aufgrund einer Säumnisbeschwerde zuständig gewordeneVerwaltungsgericht Wien nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung den Antrag des Revisionswerbers auf Erteilung einer Aufenthaltskarte gemäß § 54 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 7 NAG zurück und stellte fest, dass der Revisionswerber nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts falle. Das Verwaltungsgericht stellte fest, dass es sich bei der Ehe zwischen dem Revisionswerber und M.M. um eine Aufenthaltsehe gehandelt habe.

5Die dagegen erhobene Revision wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 21. Dezember 2022, Ra 2022/22/0162, zurück.

6Am 8. August 2023 stellte der Revisionswerber einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

7 Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 26. Februar 2024 abgewiesen. Unter einem erließ das BFA gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Ägypten zulässig sei und gewährte eine Frist für die freiwillige Ausreise.

8 Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 14. Jänner 2025 als unbegründet ab. Weiters sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

9 Zusammengefasst stellte das BVwG fest, seine nunmehrige Ehefrau, eine ägyptische Staatsangehörige, die er wenige Monate nach der Scheidung von M.M. geheiratet habe, sei aufgrund einer bis 18. April 2025 gültigen Aufenthaltsbewilligung „Student“ in Österreich aufhältig und seit Juli 2024 mit Hauptwohnsitz an der Adresse des Revisionswerbers gemeldet. Sie erwarte ein Kind. Der errechnete Geburtstermin sei im Juni 2025. Der Revisionswerber sei in Österreich fast durchgehend einer Erwerbstätigkeit nachgegangen und habe im Juni 2023 an einem Deutschkurs teilgenommen. Er habe weder eine Integrationsprüfung noch eine Deutschprüfung abgelegt. In der am 24. Juni 2024 vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung habe der Revisionswerber einfache Fragen auf Deutsch beantworten können. Er habe Kontakt zu einem ägyptischen Verein und helfe in einer Moschee alten Menschen. Während seines Aufenthalts habe er mehrere Bekanntschaften geschlossen. Mit seiner Schwester, die sich seit dem Jahr 2001 in Österreich aufhalte und die Mutter von drei volljährigen Kindern und einem fünfzehnjährigen Sohn sei, stehe er regelmäßig in Kontakt.

10 Im Rahmen der nach § 9 BFA VG vorgenommen Interessenabwägung berücksichtigte das Verwaltungsgericht zunächst die mehr als zehnjährige Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Bundesgebiet. Allerdings sei die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers und die von ihm erlangte Integration maßgeblich dadurch relativiert, dass sich der Revisionswerber die Ausstellung der Aufenthaltskarte durch eine Aufenthaltsehe erschlichen habe. Der Revisionswerber habe sich seines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens bewusst sein müssen und nicht darauf vertrauen dürfen, sich in Österreich auf rechtlich gesicherte Weise verfestigen zu können. Werde eine Ehe rechtsmissbräuchlich geschlossen, um Aufenthalts und Beschäftigungsberechtigungen zu erhalten, liege eine schwere Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens vor. Der Revisionswerber habe nach wie vor anhaltende Bindungen zu seinem Herkunftsstaat, wo er aufgewachsen sei und im Jahr 2019 seine zweite Ehe geschlossen habe. Wenngleich der Revisionswerber in Österreich einen regelmäßigen Kontakt zu seiner Schwester und deren Kindern pflege, habe sich im Verfahren nicht ergeben, dass zwischen ihnen ein zu beachtendes Abhängigkeitsverhältnis bestünde, welches über die sonst üblichen Beziehungen hinausgehe. Zudem könne der Kontakt zwischen dem Revisionswerber und seiner Schwester sowie deren Kinder im Wege moderner Kommunikationsmittel und durch gegenseitige persönliche Besuche aufrechterhalten werden. Mit der Rückkehrentscheidung werde auch nicht unzulässig in die Beziehung zwischen dem Revisionswerber und seiner Ehegattin eingegriffen. Sie und ihr (ungeborenes) Kind könnten das Familienleben gemeinsam in Ägypten fortsetzen. Der Revisionswerber sei seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen. Des Weiteren sei der Revisionswerber in Österreich entgegen den Bestimmungen des Ausländerbeschäftigungsgesetzes beschäftigt gewesen. Bei einer Gesamtbetrachtung wöge das öffentliche Interesse an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens und an der Befolgung der den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften, denen aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechthaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zukomme, schwerer als die privaten Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich.

11 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

12 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

14Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

15 Die Revision wendet sich in der Begründung ihrer Zulässigkeit gegen die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung.

16Dazu ist festzuhalten, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 BVG ist (vgl. VwGH 18.12.2023, Ra 2023/17/0170, mwN).

17Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führt auch ein mehr als zehnjähriger Inlandsaufenthalt trotz Vorliegens gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend zu einem Überwiegen des persönlichen Interesses, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. VwGH 3.8.2023, Ra 2023/17/0093, mwN). Es ist daher auch in Fällen eines mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthaltes eine Gesamtabwägung unter Einbeziehung aller fallbezogen maßgeblichen Aspekte vorzunehmen, wenn auch unter besonderer Gewichtung der langen Aufenthaltsdauer (vgl. VwGH 9.11.2023, Ra 2023/22/0067, mit Verweis auf VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0117, Rn. 14/15, demzufolge das Schließen einer Aufenthaltsehe zu jenen Umständen zu rechnen ist, die trotz eines zehnjährigen Aufenthalts im Bundesgebiet das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse [entscheidend] verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland [entscheidend] relativieren können).

18 Das BVwG hat zunächst entgegen dem Revisionsvorbringenauch die vom Revisionswerber ins Treffen geführten Umstände, nämlich seinen zehnjährigen Aufenthalt in Österreich, seine Beschäftigung und Vereinstätigkeit, seine Ehe mit einer in Österreich legal aufhältigen ägyptischen Staatsangehörigen, die bald ein Kind von ihm erwartet, sowie die Beziehung zu seiner Schwester und deren Kindern ohnehin zu seinen Gunsten in die Beurteilung nach Art. 8 EMRK (iVm § 9 BFA VG) einbezogen. Mit dem Vorbringen, wonach das BVwG sein Arbeitszeugnis und das Empfehlungsschreiben nicht berücksichtigt habe, zeigt der Revisionswerber keine stichhaltigen Gründe auf, aus denen die vom BVwG durchgeführte Interessenabwägung nicht auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und nicht im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgt wäre. Das BVwG erachtete insbesondere angesichts des fremdenrechtlich verpönten Eingehens einer Aufenthaltsehe zur missbräuchlichen Erlangung eines Aufenthaltsrechtes in Österreich und des deshalb bestehenden großen öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung in vertretbarer Weise die vom Revisionswerber erlangte Integration als durch das Eingehen der Aufenthaltsehe als relativiert.

19 Somit gelingt es der Revision nicht darzulegen, dass die verwaltungsgerichtliche Interessenabwägung, die nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung in der sich das BVwG einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte und in der seine Ehefrau, seine Schwester und deren Kinder als Zeugen einvernommen worden waren unter Bedachtnahme auf die konkreten Umstände des Revisionsfalls vorgenommen wurde, als unvertretbar zu erachten wäre.

20 In der Revision werden daher keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 21. März 2025