Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und den Hofrat Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Eraslan, über die Revision des S S, vertreten durch Rast Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. November 2022, W105 2248717 1/21E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der 1996 geborene Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Kosovo, hält sich seit der im Jahr 2006 gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Bruder erfolgten Einreise in Österreich auf. Ihm waren Aufenthaltstitel, zuletzt der unbefristete Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt EU“, erteilt worden.
2 Zur Vorgeschichte wird auf das in dieser Rechtssache ergangene Erkenntnis VwGH 26.7.2022, Ra 2021/21/0358, verwiesen. Mit diesem Erkenntnis hat der Verwaltungsgerichtshof in Stattgebung der vom Revisionswerber erhobenen Revision das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 14. Dezember 2021, mit dem der Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 9. November 2021 über die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 5 FPG samt Nebenaussprüchen sowie eines zweijährigen Einreiseverbots gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG bestätigt worden war, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben. Dem lag zugrunde, dass das BVwG insbesondere im Hinblick auf das Vorliegen des Aufenthaltsverfestigungstatbestands nach § 9 Abs. 4 Z 1 BFA VG idF vor dem FrÄG 2018 zu Unrecht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hatte.
3 Mit dem gegenständlich angefochtenen Erkenntnis vom 9. November 2022 wies das BVwG im fortgesetzten Verfahren die Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung neuerlich als unbegründet ab. Unter einem sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
4 Wie das BVwG bereits im ersten Rechtsgang berücksichtigt hatte, war der Revisionswerber mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 10. August 2021 wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall und Abs. 4 Z 3 SMG, wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 erster und zweiter Fall und Abs. 2 SMG sowie weiters wegen des Vergehens nach § 50 Abs. 1 Z 2 Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren (davon zwei Jahre bedingt nachgesehen) verurteilt worden. Dieser Verurteilung lag zugrunde, dass er Mitte Februar 2021 gemeinsam mit seinem Bruder vierzehn Kilogramm Cannabisblüten an unbekannte Abnehmer in drei Tranchen (zu zweimal fünf und einmal vier Kilogramm) unmittelbar nach der Übernahme vom Lieferanten gewinnbringend verkauft und am 30. März 2021 ca. vier Gramm Cannabisblüten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen hatte. Bis zum 30. März 2021 hatte er überdies eine verbotene Waffe, nämlich einen „Totschläger“ (einen ausfahrbaren Teleskopschlagstock mit deutlich verstärkter Schlagspitze), gemeinsam mit seinem Bruder aufbewahrt, diesen Gegenstand also unbefugt besessen.
5 Im zweiten Rechtsgang bezog das BVwG ergänzend in seine Beurteilung ein, dass die Staatsanwaltschaft Eisenstadt am 28. August 2022 Anklage wegen weiterer Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall, Abs. 2 Z 2 und Abs. 4 Z 3 SMG; § 12 zweiter Fall StGB, nach § 28a Abs. 1 vierter Fall, Abs. 2 Z 2 und Abs. 4 Z 3 SMG sowie ferner nach §§ 12 dritter Fall StGB, 28a Abs. 1 zweiter und dritter Fall, Abs. 2 Z 2 und Abs. 4 Z 3 SMG erhoben hat. Dieser Anklage liegt zugrunde, dass der Revisionswerber verdächtig sei, zwischen März 2020 bis zumindest Anfang März 2021 als Mitglied einer kriminellen Vereinigung im internationalen Drogengroßhandel tätig gewesen zu sein und dabei als „rechte Hand“ bzw. Gehilfe seines Bruders agiert zu haben, indem er unter anderem Geld für Suchtgiftimporte beschafft und auch selbst „aktive“ Suchtmitteltransaktionen getätigt habe.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.
7 Nach der genannten Verfassungsbestimmung ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
8 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
9 Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B VG ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots (vgl. dazu jüngst etwa VwGH 19.1.2023, Ra 2022/21/0159, Rn. 13, mwN).
10 Das BVwG hat sich im angefochtenen Erkenntnis entsprechend dem Auftrag des Verwaltungsgerichtshofes im ersten Rechtsgang im Hinblick auf die Verwirklichung des Tatbestandes des § 9 Abs. 4 Z 1 BFA VG idF vor dem FrÄG 2018 nunmehr ausreichend mit der Frage befasst, ob vom Revisionswerber angesichts der von ihm in der Vergangenheit verübten Straftaten auch aktuell eine spezifische Gefährdung ausgeht, die im vorliegenden Fall trotz des langjährigen Aufenthalts und der damit verbundenen Integration dazu führt, dass eine Aufenthaltsbeendigung im Sinn des § 9 Abs. 1 BFA VG iVm Art. 8 EMRK dringend geboten ist. Dabei hat es sich in der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschafft, sich im angefochtenen Erkenntnis mit allen maßgeblichen Umständen des Falles eingehend auseinandergesetzt und das Vorliegen einer solchen Gefährdung zumindest vertretbar bejaht.
11 In seiner Begründung bezog sich das BVwG dabei auf die schwerwiegende Straffälligkeit des Revisionswerbers im Bereich der Suchtgiftkriminalität, die nicht nur eine bereits rechtskräftige Verurteilung, sondern auch eine in der Zwischenzeit erhobene weitere Anklage der Staatsanwaltschaft Eisenstadt vom 28. August 2022 unter anderem wegen des in qualifizierter Form begangenen Verbrechens des Suchtgifthandels umfasst. Nach dieser Anklage habe sich der seit August 2022 in Untersuchungshaft befindliche Revisionswerber beginnend ab März 2020 für einen Zeitraum von zumindest einem Jahr als Mitglied einer kriminellen Vereinigung gemeinsam mit seinem Bruder und anderen Mittätern am internationalen Drogenhandel beteiligt, unter anderem durch die Beschaffung von Geld für Suchtgiftimporte nach Westeuropa (Einfuhr von 40 Kilogramm Cannabisblüten) sowie durch das Überlassen von 38 Kilogramm Cannabisblüten und Cannabisharz an andere und durch das Anbieten von 20 Kilogramm Cannabisblüten.
12 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann ein Fehlverhalten auch dann zur Beurteilung der für ein Einreiseverbot erforderlichen Gefährdungsprognose herangezogen werden, wenn dieses Verhalten (noch) nicht zu einer gerichtlichen Bestrafung geführt hat (vgl. etwa VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, Rn. 15, mwN). Entgegen den Ausführungen in der Revision verstößt ein solches Vorgehen nicht gegen die Unschuldsvermutung, zumal die vom BVwG in die Gefährdungsprognose einbezogenen Sachverhaltsannahmen hinsichtlich der Tatvorwürfe laut Anklageschrift vom 28. August 2022 in der Revision unbestritten blieben. Im Hinblick auf die dem Revisionswerber vorgeworfenen Verbrechen des Suchtgifthandels insbesondere in Form des Verkaufs von Drogen im Rahmen einer kriminellen Vereinigung und in Bezug auf eine massive Suchtgiftmenge fiel es nicht ins Gewicht, dass der Revisionswerber nach seiner ersten Verurteilung nicht neuerlich strafbar geworden war und deshalb bei einer Verurteilung nur eine Zusatzstrafe verhängt werden könnte, sondern durfte das BVwG trotzdem vertretbar insgesamt von der Begehung besonders verwerflicher Straftaten und einer daraus abzuleitenden spezifischen Gefährdung maßgeblicher öffentlicher Interessen ausgehen.
13 Die weiteren von der Revision hinsichtlich seiner rechtskräftigen Verurteilung vom 10. August 2021 zugunsten des Revisionswerbers ins Treffen geführten Umstände des ihm gewährten elektronisch überwachten Hausarrests und seiner vorzeitigen bedingten Haftentlassung am 30. November 2021 sind schon deshalb nicht zielführend, weil nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Fehlverhalten eines Fremden und die daraus abzuleitende Gefährlichkeit ausschließlich aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts, also unabhängig von gerichtlichen Erwägungen über bedingte Strafnachsichten oder eine bedingte Entlassung aus dem Strafvollzug, zu beurteilen ist (vgl. dazu etwa VwGH 21.12.2021, Ra 2021/21/0333, Rn. 16, mwN). Auch hat der Verwaltungsgerichtshof schon klargestellt, dass sich aus der Bewilligung der Strafverbüßung in Form des elektronisch überwachten Hausarrestes keine maßgebliche Minderung der sich aus dem strafbaren Verhalten ergebenden Gefährdung ableiten lässt (siehe VwGH 1.7.2021, Ra 2021/21/0017, Rn. 15, mwN).
14 Im Übrigen ist das BVwG zu Recht auch davon ausgegangen, für die Annahme eines Wegfalls der vom Revisionswerber ausgehenden spezifischen Gefährdung bedürfe es erst eines längeren Wohlverhaltens des sich im maßgeblichen Zeitpunkt in Untersuchungshaft befindlichen Revisionswerbers in Freiheit (siehe dazu, dass der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug einer Haftstrafe in Freiheit wohlverhalten hat, aus der ständigen Rechtsprechung etwa VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0064, Rn. 15, mwN).
15 Dem Revisionsvorbringen, das BVwG hätte den (nicht näher bezeichneten) Strafakt beischaffen müssen, ist zu entgegnen, dass in der Revision nicht ausgeführt wird, welche nicht ohnedies aus dem Strafurteil vom 10. August 2021 oder der Anklageschrift vom 28. August 2022 ersichtlichen konkreten Sachverhaltselemente aus den „höchst relevanten Aktenbestandteilen“ zugunsten des Revisionswerbers hervorgekommen wären, sodass die Relevanz des geltend gemachten Verfahrensmangels nicht dargetan wird.
16 Entgegen der Meinung in der Revision berücksichtigte das BVwG im Rahmen der Interessenabwägung ausreichend die lange Aufenthaltsdauer und wie schon erwähnt den Umstand, dass dem Revisionswerber iSd § 9 Abs. 4 Z 1 BFA VG idF vor dem FrÄG 2018 vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes die Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 StbG verliehen hätte werden können. Die familiären Anknüpfungspunkte des Revisionswerbers in Österreich erachtete es zu Recht als wesentlich dadurch relativiert, dass er bei Begehung der Straftaten im Rahmen des internationalen Drogenhandels „als rechte Hand“ bzw. Gehilfe seines im Bundesgebiet lebenden Bruders fungierte. Im Übrigen blieb die vom BVwG getroffene Annahme, der Kontakt des Revisionswerbers zu seinen in Österreich lebenden Familienangehörigen, insbesondere seiner Mutter, könne durch moderne Kommunikationsmittel und bei Besuchen im Kosovo aufrecht erhalten werden, in der Revision unbekämpft. Angesichts des öffentlichen Interesses an der Aufenthaltsbeendigung, dem aufgrund der vom BVwG hier vertretbar angenommenen spezifischen, vom Revisionswerber ausgehenden Gefährdung besonderes Gewicht zukommt, erweist sich die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK als nicht unvertretbar (zur Zulässigkeit aufenthaltsbeendender Maßnahmen bei schweren Drogendelikten trotz langjährigen Aufenthalts siehe etwa auch VwGH 31.5.2022, Ra 2020/21/0176, Rn. 11, mit Hinweisen auf Judikatur des EGMR).
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 25. Mai 2023