Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätinnen Dr. Wiesinger und Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Kittinger, LL.M., über die Revision des S S, vertreten durch Dr. Rudolf Mayer, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Währingerstraße 3/14, gegen das am 8. September 2022 mündlich verkündete und mit 23. September 2022 schriftlich ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, W296 2256464 1/12E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen und eines befristeten Einreiseverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Der 1988 geborene Revisionswerber, ein indischer Staatsangehöriger, reiste nach einem Voraufenthalt im Bundesgebiet in den Jahren 2010 und 2011 im Jahr 2014 mehrmals zu Besuchszwecken nach Österreich und heiratete hier im Dezember 2014 eine damals noch indische, mittlerweile österreichische Staatsbürgerin. Der Revisionswerber hält sich seit März 2016 auf Grundlage eines ihm im Februar 2016 erteilten und zuletzt bis Juni 2023 verlängerten Aufenthaltstitels „Rot Weiß Rot Karte plus“ durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet auf und war hier im gesamten Zeitraum als Paketzusteller tätig. In Indien leben die Eltern des Revisionswerbers, zu denen er regelmäßigen Kontakt pflegt, zwei Schwestern sowie weitere Verwandte.
2Mit dem rechtskräftigen Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 20. Oktober 2021 wurde der Revisionswerber wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Dem Schuldspruch lag zugrunde, der Revisionswerber habe Ende Februar 2021 seinem Opfer zwei gezielte, heftige und im obersten möglichen Intensitätsbereich angesiedelte Schläge mit der Kante eines 1,5 kg schweren, hölzernen Cricketschlägers gegen dessen Körper und Kopf versetzt, wodurch das Opfer insbesondere eine Fraktur im Bereich des linken Schläfenbeines, einen Bluterguss im Bereich des linken Mittelohrs mit vorübergehender Hörminderung, ein ausgedehntes Kopfschwartenhämatom und eine Quetsch Rissverletzung in der hinteren Scheitelregion erlitten habe. Im Rahmen der Strafzumessung berücksichtigte das Strafgericht den bisher ordentlichen Lebenswandel und das „abgelegte Geständnis“ als mildernd. Hingegen wertete es als erschwerend, dass die Tat auf eine Weise begangen wurde, mit der in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, sowie dass der Revisionswerber nach der Tat das zusammenbrechende Opfer sich selbst überlassen und fluchtartig den Tatort verlassen habe. Ab 17. April 2021 befand sich der Revisionswerber durchgehend zunächst in Untersuchungshaft und anschließend in Strafhaft.
3Angesichts dessen erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 12. Mai 2022 gegen den Revisionswerber nach seiner niederschriftlichen Einvernahme gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFAVG eine Rückkehrentscheidung, stellte unter einem gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Indien zulässig sei, und verhängte gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 5 FPG über ihn ein auf die Dauer von sieben Jahren befristetes Einreiseverbot.
4 Mit dem angefochtenen, am Ende der mündlichen Verhandlung vom 8. September 2022 verkündeten und mit 23. September 2022 schriftlich ausgefertigten Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der dagegen erhobenen Beschwerde insoweit Folge als es die Dauer des Einreiseverbotes auf fünf Jahre herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde mit einer hier nicht relevanten Maßgabeals unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Die gegen dieses Erkenntnis gerichtete außerordentliche Revision erweist sich als unzulässig.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 BVG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
8 Vorauszuschicken ist, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung judiziert, dass die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 BVG ist. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose und für die Bemessung der Dauer eines Einreiseverbots (vgl. dazu etwa VwGH 25.5.2023, Ra 2022/21/0235, Rn. 9, mwN).
9 Unter dem Gesichtspunkt der Zulässigkeit der Revision wendet sich der Revisionswerber zunächst gegen die Gefährdungsprognose und führt dazu zusammengefasst ins Treffen, das BVwG habe sich bloß auf die Tatsache der Verurteilung gestützt, jedoch zu Unrecht die konkreten Umstände dieses Falles und das sich aus seinem Geständnis im Strafverfahren sowie aus seiner Entschuldigung und den Besserungsbeteuerungen in der Beschwerdeverhandlung ergebende, von einem Zeugen bestätigte Persönlichkeitsbild unberücksichtigt gelassen.
10Richtig ist zwar, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei der Gefährdungsprognose vor allem auf die Art und Schwere der den Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen ist (vgl. etwa VwGH 27.4.2023, Ra 2022/21/0130, Rn. 14, mwN). Dem hat das BVwG aber ohnehin ausreichend Rechnung getragen, indem es sich nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Verschaffung eines persönlichen Eindrucks vom Revisionswerbermit den konkreten Umständen der Tat samt den strafgerichtlichen Erwägungen im Rahmen der Strafzumessung auseinandersetzte, in der Folge das Verbrechen des Revisionswerbers zu Recht als „verwerfliche“ und „gravierende Straffälligkeit“ bewertete und daraus zutreffend auf eine vom Revisionswerber ausgehende schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit iSd § 53 Abs. 3 FPG schloss.
11 Im Übrigen übersieht der Revisionswerber in diesem Zusammenhang, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich nach dem Vollzug einer Haftstrafein Freiheit wohlverhalten hat (vgl. etwa VwGH 11.4.2024, Ra 2022/21/0179, Rn. 20, mwN). Dieser Zeitraum ist umso länger anzusetzen, je nachdrücklicher sich die Gefährlichkeit des Fremden manifestiert hat (vgl. dazu etwa VwGH 27.4.2023, Ra 2022/21/0138, Rn. 14, mwN). Da der Revisionswerber aber im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG noch nicht aus der Strafhaft entlassen worden war, lag worauf das BVwG zu Recht verwies insoweit kein ausreichendes Wohlverhalten vor, um trotz der äußerst schwerwiegenden Straffälligkeit des Revisionswerbers von einem Wegfall oder auch nur von einer maßgeblichen Minderung der Gefährdung allein aufgrund des Geständnisses und der Angaben in der Beschwerdeverhandlung ausgehen zu können. Eine Unvertretbarkeit dieser Beurteilung, bei der es somit auf die in der Revision bekämpfte Annahme des BVwG zur Uneinsichtigkeit des Revisionswerbers nicht ankam, zeigt die Revision somit nicht auf.
12 Ebenso erweist sich entgegen dem weiteren Zulässigkeitsvorbringen in der Revision die vom BVwG nach § 9 BFA VG vorgenommene Interessenabwägung trotz des „langen Ehelebens“ und des „verfestigten Berufslebens“ des Revisionswerbers als vertretbar. Angesichts des dem Revisionswerber zur Last liegenden, vom BVwG wie erwähnt zu Recht als „verwerfliche“ und „gravierende Straffälligkeit“ bewerteten Verbrechens, das durch extreme Brutalität gekennzeichnet ist und ein enormes Gefährdungspotenzial des Revisionswerbers zeigt, und wegen des daraus resultierenden besonders großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung weiterer Straftaten gegen die körperliche Integrität, durfte das BVwG nämlich annehmen, die familiären und beruflichen Bindungen des zuletzt erst seit 2016 durchgehend in Österreich lebenden Revisionswerbers denen im Ergebnis durch die Herabsetzung der Dauer des Einreiseverbots ohnehin ausreichend Rechnung getragen wurde führten nicht dazu, dass das Interesse an einem Verbleib des Revisionswerbers in Österreich überwiegt. Dementsprechend begegnet es auch keinen Bedenken, dass das BVwG daraus resultierend zu dem Schluss gelangte, der Revisionswerber und seine Ehefrau hätten eine durch das Einreiseverbot bewirkte vorübergehende Trennung im großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung weiterer Straftaten der in Rede stehenden Art hinzunehmen.
13 Die Revision zeigt somit keine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 BVG auf. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 29. Jänner 2025