JudikaturVwGH

Ra 2022/21/0012 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
18. Januar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofrätin Dr. Wiesinger und die Hofrätin Dr. in Oswald als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Thaler, über die Revision des R S, vertreten durch Dr. Gustav Eckharter, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Museumstraße 5/15, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 5. Oktober 2021, W205 1417107 3/18E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein indischer Staatsangehöriger, reiste im November 2010 nach Österreich ein und stellte unter einer falschen Identität einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde im Beschwerdeweg mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 26. April 2011 zur Gänze rechtskräftig abgewiesen und der Revisionswerber wurde aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Indien ausgewiesen.

2 Der Revisionswerber kam seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach. Bemühungen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) zur Erlangung eines Heimreisezertifikates für den Revisionswerber blieben aufgrund seiner unrichtigen Identitätsangaben erfolglos.

3 Mit Schreiben vom 19. Mai 2015 gab der Revisionswerber unter Vorlage einer Geburtsurkunde gegenüber dem BFA seine richtige Identität bekannt und legte in der Folge auch seinen bis 3. August 2018 gültigen indischen Reisepass vor.

4 Am 29. Juli 2015 heiratete der Revisionswerber eine rumänische Staatsangehörige, der am 10. September 2015 eine Anmeldebescheinigung ausgestellt wurde. Dem Revisionswerber wurde sodann eine vom 28. Jänner 2016 bis zum 28. Jänner 2021 gültige Aufenthaltskarte erteilt.

5 Ein wegen Eingehens einer Aufenthaltsehe eingeleitetes Strafverfahren nach § 117 Abs. 1 FPG wurde von der Staatsanwaltschaft (offenbar aufgrund eingetretener Verjährung) im Februar 2017 eingestellt.

6 Die Ehe des Revisionswerbers wurde mit rechtskräftigem Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals vom 30. Mai 2017 wieder geschieden.

7 Im August 2017 stellte der Revisionswerber erstmals einen zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses noch unerledigten Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot Weiß Rot Karte plus“.

8 Mit Strafurteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 26. November 2018 wurde der Revisionswerber wegen des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs. 2 StGB zu einer unbedingten Geldstrafe von € 1.050 verurteilt. Dem Schuldspruch lag zugrunde, dass der Revisionswerber einen falschen indischen Führerschein durch Vorlage beim Verkehrsamt Wien anlässlich seines Antrags auf Umschreibung auf einen österreichischen Führerschein gebraucht hatte.

9 Mit Bescheid vom 24. Juni 2020 erließ das von der Niederlassungsbehörde gemäß § 55 Abs. 3 NAG befasste BFA wegen des Vorliegens einer Aufenthaltsehe gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein vierjähriges Aufenthaltsverbot gegen den Revisionswerber. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG erteilte es ihm einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat.

10 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 5. Oktober 2021 als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

11 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde gemäß Art. 144 B VG an den Verfassungsgerichtshof, deren Behandlung mit dem Beschluss VfGH 15.12.2021, E 4078/2021, abgelehnt und die dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten wurde. In der Folge wurde die vorliegende außerordentliche Revision fristgerecht erhoben, die sich unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG als unzulässig erweist.

12 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

13 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).

14 Zum Vorliegen einer Aufenthaltsehe iSd § 53 Abs. 2 Z 8 FPG hat das BVwG festgestellt, der Revisionswerber und seine (ehemalige) Ehefrau hätten die Ehe nicht zum Zweck des Eingehens einer Familiengemeinschaft und eines Ehelebens geschlossen, sondern um dem Revisionswerber die Voraussetzung für einen Aufenthalt in Österreich zu verschaffen.

15 Zur Begründung ihrer Zulässigkeit wendet sich die Revision zunächst gegen die dazu angestellte Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes.

16 In Bezug auf gegen die Beweiswürdigung gerichtete Revisionsausführungen hat der Verwaltungsgerichtshof schon generell klargestellt, dass diesbezüglich eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG nur dann vorliegt, wenn das Verwaltungsgericht die im Einzelfall vorgenommene Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat. Nach dieser Judikatur ist der Verwaltungsgerichtshof nämlich zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen, allerdings hat er insbesondere doch zu prüfen, ob der Sachverhalt genügend erhoben ist, ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind und ob das Verwaltungsgericht dabei alle in Betracht kommenden (relevanten) Umstände vollständig berücksichtigt hat (vgl. VwGH 17.8.2023, Ra 2021/21/0102, Rn. 8, mwN).

17 Im vorliegenden Fall gelangte das BVwG auf Basis ausführlicher beweiswürdigender Überlegungen unter Heranziehung einer Mehrzahl von Aspekten in Verbindung mit dem Ergebnis der mündlichen Beschwerdeverhandlung und dabei aufgetretener unauflöslicher Widersprüche zu den früheren Angaben des Revisionswerbers und seiner Ehefrau, zu der in der Revision nur pauschal und somit nicht zielführend bestrittenen jedenfalls nicht unschlüssig begründeten Feststellung, dass vom Revisionswerber eine Aufenthaltsehe geschlossen wurde.

18 Unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B VG wendet sich die Revision weiters gegen die Gefährdungsprognose sowie die Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK und verweist insbesondere auf den mehr als zehnjährigen Aufenthalt des Revisionswerbers im Bundesgebiet, seine seit Anfang 2016 durchgehende unselbständige Beschäftigung und den Umstand, dass die ihm zur Last gelegten „Negativa“ bereits mehr als drei Jahre zurücklägen.

19 Dazu ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung judiziert, die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung sei im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel iSd Art. 133 Abs. 4 B VG. Das gilt sinngemäß auch für die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose sowie die Bemessung der Dauer des Aufenthaltsverbotes (vgl. etwa VwGH 14.2.2022, Ra 2021/21/0216, Rn. 9, mwN, und VwGH 19.5.2022, Ra 2019/21/0396, Rn. 22, mwN).

20 Gegen einen Unionsbürger, der sich unter (potentieller) Inanspruchnahme seines unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechtes in Österreich aufhält oder aufgehalten hat, kann nach § 67 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn aufgrund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, wobei das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Das gilt auch für begünstigte Drittstaatsangehörige (vgl. zum Ganzen neuerlich VwGH 19.5.2022, Ra 2019/21/0396, nunmehr Rn. 18, mwN).

21 Das BVwG prüfte die vom Revisionswerber ausgehende Gefährdung somit zutreffend anhand des genannten Gefährdungsmaßstabs des § 67 Abs. 1 FPG, weil der Revisionswerber erst aufgrund seiner Eheschließung mit einer rumänischen Staatsangehörigen im Juli 2015 als begünstigter Drittstaatsangehöriger rechtmäßig in Österreich aufhältig war und seine Ehe nur weniger als zwei Jahre gedauert hat (vgl. § 54 Abs. 5 Z 1 NAG). Soweit die Revision erkennbar auch den erhöhten Gefährdungsmaßstab des fünften Satzes des § 67 Abs. 1 FPG für maßgeblich erachtet, genügt es darauf hinzuweisen, dass der dafür erforderliche durchgehende rechtmäßige Aufenthalt als begünstigter Drittstaatsangehöriger von zehn Jahren jedenfalls nicht vorlag.

22 Entgegen dem Revisionsvorbringen, wonach es an einer negativen Zukunftsprognose mangle, bestehen angesichts des Vorliegens einer Aufenthaltsehe keine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifenden Bedenken gegen die vom BVwG jedenfalls vertretbar getroffene Annahme, das persönliche Verhalten des Revisionswerbers stelle eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dies nämlich (unter anderem) dann der Fall, wenn der Fremde im Sinn des Tatbestands des § 53 Abs. 2 Z 8 FPG eine Aufenthaltsehe geschlossen, also mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben iSd Art. 8 EMRK nicht geführt und sich trotzdem (unter anderem) für den Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts oder zur Hintanhaltung aufenthaltsbeendender Maßnahmen auf diese Ehe berufen hat (vgl. dazu VwGH 16.7.2020, Ra 2019/21/0247, Rn 10; VwGH 23.3.2017, Ra 2016/21/0349, Rn. 10, mwN). In dieses Bild passt im Übrigen auch die in Rn. 8 dargestellte und zur strafgerichtlichen Verurteilung vom 26. November 2018 führende Straftat des Revisionswerbers sowie die Asylantragstellung unter falscher Identität (siehe Rn. 1). Besondere Umstände, die trotzdem eine positive Zukunftsprognose für den Revisionswerber ergeben hätten, werden von der Revision nicht ins Treffen geführt.

23 Im Rahmen der nach § 9 BFA VG vorgenommenen Interessenabwägung berücksichtigte das BVwG entgegen der Meinung in der Revision den knapp elfjährigen Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich, seine seit 2016 bestehende berufliche Integration sowie seine deutschen Sprachkenntnisse ausreichend zugunsten des Revisionswerbers. Es zog insbesondere angesichts des fremdenrechtlich verpönten Eingehens einer Aufenthaltsehe zur missbräuchlichen Erlangung eines Aufenthaltsrechtes in Österreich und des deshalb bestehenden großen öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung nach mündlicher Verhandlung unter Verwertung des persönlichen Eindrucks jedoch in vertretbarer Weise nicht in Betracht, von einem Aufenthaltsverbot abzusehen. Im Übrigen durfte das BVwG auch die vom Revisionswerber erlangte berufliche Integration als durch das Eingehen der Aufenthaltsehe relativiert erachten.

24 Der Revision gelingt es somit nicht, eine grundsätzliche Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG aufzuzeigen, weshalb sie gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen war.

Wien, am 18. Jänner 2024

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