Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Dr. Schwarz und Dr. Terlitza als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Andrés, über die Revision des D S, vertreten durch Mag. Stefan Errath, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilferstraße 89a/34, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. April 2022, W123 2250660 1/6E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
1 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) erteilte dem Revisionswerber, einem 1970 geborenen serbischen Staatsangehörigen, mit Bescheid vom 30. November 2021 keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Serbien zulässig sei (Spruchpunkt III.) und legte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen fest (jeweils Spruchpunkt IV.). Unter einem erließ die belangte Behörde gegen den Revisionswerber gemäß § 53 Abs. 2 Z 8 FPG ein auf die Dauer von vier Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt V.).
2 Der dagegen erhobenen Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 8. April 2022 insoweit stattgegeben, als das Einreiseverbot behoben wurde (Spruchpunkt A)I.); im Übrigen wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A)II.). Weiters sprach das BVwG aus, dass eine Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
3 Das BVwG stellte im Wesentlichen fest, der Revisionswerber habe am 7. Dezember 2013 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet. Gestützt auf diese Ehe seien dem Revisionswerber antragsgemäß Aufenthaltstitel nach dem NAG erteilt worden. Zunächst sei ihm ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 NAG mit Gültigkeit von 26. November 2014 bis 25. November 2015 erteilt worden. Nach Stellung eines Zweckänderungsantrages am 1. September 2015 sowie eines Verlängerungsantrages am 5. Dezember 2016 sei der Revisionswerber ab Dezember 2015 Inhaber einer „Rot Weiß Rot Karte plus“ gewesen. Am 3. Dezember 2019 habe er einen weiteren Verlängerungsantrag gestellt. Die Ehe des Revisionswerbers sei bereits am 17. August 2015 wieder geschieden worden. Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 24. Jänner 2020 seien die aufgrund der Anträge des Revisionswerbers vom 1. September 2015 und vom 5. Dezember 2016 geführten und rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 3 AVG von Amts wegen wiederaufgenommen worden. Gleichzeitig seien der Zweckänderungsantrag vom 1. September 2015 aufgrund des Vorliegens einer Aufenthaltsehe sowie die Verlängerungsanträge abgewiesen worden. Im Wesentlichen sei festgestellt worden, dass die Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin lediglich den Zweck gehabt hätte, dem Revisionswerber einen Aufenthaltstitel in Österreich zu verschaffen; ein gemeinsames Familienleben sei weder geführt worden noch beabsichtigt gewesen. Der Revisionswerber verfüge über ein ÖSD Zertifikat auf A2 Niveau und sei strafgerichtlich unbescholten. Der Revisionswerber lebe in einem Haushalt mit seiner Lebensgefährtin, einer österreichischen Staatsbürgerin, und deren zwei Töchtern. Seine nunmehrige Lebensgefährtin habe der Revisionswerber gegenüber den Behörden in den NAG Verfahren unrichtigerweise als seine Schwester ausgegeben. Im Jänner 2016 sei der gemeinsame Sohn, ein österreichischer Staatsbürger, geboren, für den die Kindesmutter die alleinige Obsorge zukomme. Der Revisionswerber verbringe allerdings die Freizeit mit dem Kind (seine Lebensgefährtin arbeite 35 Wochenstunden) und bringe ihn regelmäßig in den Kindergarten. Für seinen älteren im Jahr 2005 geborenen Sohn, einem serbischen Staatsangehörigen, der ebenfalls beim Revisionswerber lebe, sei der Revisionswerber alleine sorgeberechtigt. Die Kindesmutter habe den Sohn verlassen, als dieser zwölf Monate alt gewesen sei. Seitdem habe dieser seine Mutter nicht mehr gesehen. Als der Revisionswerber nach Österreich gekommen sei, sei sein Sohn zunächst bei den Eltern des Revisionswerbers in Serbien geblieben. Im Jahr 2016 habe ihn der Revisionswerber zu sich nach Österreich geholt. Der Revisionswerber stehe in Kontakt mit seinen in Serbien lebenden Eltern. Zuletzt sei er im Dezember 2021 für einige Tage in Serbien gewesen und habe während dieses Aufenthaltes bei seinen Eltern gewohnt.
4 In seinen rechtlichen Erwägungen führte das BVwG vor dem Hintergrund des festgestellten Sachverhaltes im Wesentlichen aus, dass die Erlassung der gegenständlichen Rückkehrentscheidung zweifelsfrei einen Eingriff in das vom Revisionswerber in Österreich geführte Familienleben darstelle. Im Rahmen der durchzuführenden Interessenabwägung sei aber insbesondere auch zu berücksichtigen, dass es sich bei der im Jahr 2013 geschlossenen und mittlerweile geschiedenen Ehe des Revisionswerbers mit einer österreichischen Staatsbürgerin um eine Schein- bzw. Aufenthaltsehe gehandelt habe, bei der nie ein tatsächliches Eheleben iSd Art. 8 EMRK geführt worden sei. Da der Revisionswerber mit seinem gesetzwidrigen Handeln die Erschleichung seines Aufenthaltes in rechtswidriger Weise zu erlangen versucht habe, hätte ihm bewusst sein müssen, dass sein Aufenthalt in Österreich nicht rechtmäßig gewesen sei. Das Gewicht der privaten und familiären Interessen des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet würden sich demnach als maßgeblich gemindert erweisen. Insbesondere hätte dem Revisionswerber die Unsicherheit seines weiteren Aufenthalts in Österreich beim Eingehen seiner Lebensgemeinschaft, bei der Geburt des gemeinsamen Kindes sowie bei der Verlegung des Wohnsitzes seines älteren Sohnes in das Bundesgebiet bewusst sein müssen. Die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gegen den Revisionswerber führe in der vorliegenden Konstellation zwar zweifelsfrei zu einer Beeinträchtigung des Kindeswohls; durch eine Rückkehrentscheidung werde aber kein gänzlicher Abbruch der Beziehung des Revisionswerbers zu seinen Angehörigen bewirkt. Es stehe seiner Familie offen, den Revisionswerber in Serbien zu besuchen und es bestehe auch angesichts der vergleichsweise geringen geographischen Distanz die faktische Möglichkeit zu regelmäßigen Besuchskontakten. Zudem könne der Kontakt durch moderne Kommunikationsmittel aufrechterhalten werden. Es könne daher nicht als Verletzung des Kindeswohls erachtet werden, den Kontakt zu den Angehörigen vorübergehend über Besuche sowie mittels moderner Kommunikationsmittel aufrechtzuerhalten. In Bezug auf den älteren Sohn des Revisionswerbers werde zwar nicht verkannt, dass sich dieser seit nunmehr ca. sechs Jahren im Bundesgebiet aufhalte und angesichts seines Alters nicht angenommen werden könne, dass er sich noch im anpassungsfähigen Alter befinde, allerdings sei auch zu berücksichtigen, dass dieser in Serbien geboren worden sei und dort die ersten elf Jahre seines Lebens verbracht habe. Zudem sei er auch nach dem Umzug des Revisionswerbers in das Bundesgebiet weiterhin in Serbien bei seinen Großeltern väterlicherseits aufgewachsen. Es sei somit anzunehmen, dass er mit der Sprache und den Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei sowie nach wie vor über Bindungen zu Serbien verfüge. Nach Maßgabe einer Interessensabwägung im Sinn des § 9 BFA VG sei das BFA somit zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes des Revisionswerbers im Bundesgebiet sein persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiege und daher durch die angeordnete Rückkehrentscheidung eine Verletzung des Art. 8 EMRK nicht vorliege.
5 Gegen Spruchpunkt A)II. dieses Erkenntnisses erhob der Revisionswerber die vorliegende außerordentliche Revision.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 In der gesonderten Zulässigkeitsbegründung ist konkret darzulegen, in welchen Punkten die angefochtene Entscheidung von welcher Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht und konkret welche Rechtsfrage der Verwaltungsgerichtshof uneinheitlich oder noch gar nicht beantwortet hat. Lediglich pauschale Behauptungen erfüllen diese Voraussetzungen nicht (vgl. VwGH 31.8.2022, Ra 2022/17/0116, mwN).
10 Die Revision wendet sich in ihrer Zulässigkeitsbegründung ausschließlich gegen die vom BVwG vorgenommene Interessenabwägung und bringt vor, das Verwaltungsgericht habe sich nicht ausreichend mit der Frage des Kindeswohls des in Österreich geborenen Sohnes des Revisionswerbers auseinandergesetzt.
11 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung unter dem Gesichtspunkt des Art. 8 EMRK ihre Verhältnismäßigkeit am Maßstab des § 9 BFA VG zu prüfen. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (vgl. etwa VwGH 25.1.2023, Ra 2020/22/0245, mwN).
12 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG (vgl. etwa VwGH 9.9.2021, Ra 2020/22/0100, mwN).
13 Die vom Verwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK ist vom Verwaltungsgerichtshof also nur dann aufzugreifen, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien und Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse und unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. etwa VwGH 31.3.2021, Ra 2020/22/0030, mwN).
14 Die Revision weist zunächst zutreffend darauf hin, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei einer Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK auch das Kindeswohl zu berücksichtigen ist. Dies gilt auch dann, wenn es sich beim Adressaten der Entscheidung nicht um das Kind selbst, sondern (wie vorliegend) um den Vater des Kindes handelt (vgl. dazu erneut VwGH 25.1.2023, Ra 2020/22/0245). Allerdings hat das BVwG vorliegend das Kindeswohl von beiden Söhnen des Revisionswerbers ohnehin ausreichend in seine Abwägung einbezogen. Insbesondere hat es festgestellt, dass dem Revisionswerber eine Weiterführung des persönlichen Kontaktes mit seinem jüngeren, noch minderjährigen Sohn aufgrund von Besuchen die zudem seitens des Revisionswerbers nach Aufhebung des Einreiseverbotes im Umfang für die Dauer des visumfreien Aufenthaltes zulässig sind möglich ist. Entgegen dem Revisionsvorbringen hat das BVwG nicht bloß ausgeführt, dass der Kontakt „mittels moderner Kommunikationsmittel“ aufrechterhalten werden könne, weshalb sich die in der vorliegenden Revision zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bereits aus diesem Grund als nicht einschlägig erweist.
15 Die Berücksichtigung des Kindeswohls stellt im Kontext aufenthaltsbeendender Maßnahmen lediglich einen Aspekt im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtbetrachtung dar (vgl. etwa VwGH 29.6.2022, Ra 2021/20/0403, mwN) und es gelingt der Revision nicht, eine Unvertretbarkeit der unter Verwertung des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks vom Revisionswerber erfolgten Interessenabwägung aufzuzeigen.
16 In Bezug auf die Entscheidung nach § 57 AsylG 2005 fehlt es gänzlich an einem entsprechenden Vorbringen in der vorliegenden Revision.
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 23. Februar 2024