Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Mag. Dr. Zehetner sowie die Hofräte Mag. Berger und Dr. Horvath als Richterin und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision der G B, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Februar 2022, W105 22506571/2E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen
1 Die Revisionswerberin, eine serbische Staatsangehörige, hält sich mit Unterbrechungen seit dem Jahr 2019 und jedenfalls seit dem Jahr 2021 durchgehend im Bundesgebiet auf.
2 Mit Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 2. Dezember 2021 wurde der Revisionswerberin kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung verbunden mit einem auf die Dauer von drei Jahren befristeten Einreiseverbot gegen sie erlassen, die Zulässigkeit ihrer Abschiebung nach Serbien festgestellt und eine Frist für ihre freiwillige Ausreise festgesetzt.
3 Dagegen erhob die Revisionswerberin Beschwerde, in der sie die Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit der Begründung beantragte, dass der maßgebliche Sachverhalt in mehreren näher genannten Punkten durch das BFA nicht vollständig geklärt worden sei.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für nicht zulässig.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision, zu deren Zulässigkeit unter dem Gesichtspunkt einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften unter anderem vorgebracht wird, das Bundesverwaltungsgericht habe zu Unrecht keine mündliche Verhandlung durchgeführt.
6 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattete in dem vom Verwaltungsgerichtshof eingeleiteten Vorverfahren keine Revisionsbeantwortung.
7Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
8 Die Revision ist in Bezug auf das gerügte Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA VG zulässig und begründet.
9 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein Absehen von der mündlichen Verhandlung gemäß dem hier maßgeblichen ersten Tatbestand des ersten Satzes des § 21 Abs. 7 BFA VG („wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“) dann gerechtfertigt, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFAVG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (vgl. VwGH 23.2.2024, Ra 2022/17/0161, mwN).
10 Vorliegend schwankt das BFA in seinen diesbezüglichen Ausführungen im angefochtenen Bescheid zwischen der Feststellung einer Scheinehe der Revisionswerberin mit einem österreichischen Staatsbürger und der Qualifikation dieser Verbindung als echte Ehe, sodass letztlich ungeklärt bleibt, wie diese Verbindung einzuordnen ist. Im Zusammenhang mit dem teilweise angenommenen „Nichtvorliegen eines gemeinsamen Ehelebens“ bezog sich das BFA zudem pauschal auf Erhebungen von Organen der Landespolizeidirektion Wien am 20. August 2019 und im Jahr 2021, ohne diese näher zu würdigen. Nur disloziert in den rechtlichen Erwägungen finden sich einige pauschal zusammenfassende Aussagen dazu. Zudem führt das BFA im angefochtenen Bescheid aus, dass sich die Revisionswerberin seit 2019 im Bundesgebiet aufhalte, traf aber keine Feststellungen dazu, wie lange dieser Aufenthalt der immer wieder zwischenzeitlich nach Serbien zurückkehrenden Revisionswerberin angesichts der bestehenden Visafreiheit rechtmäßig war. Nur für einen Zeitraum nach der Sicherstellung ihres Reisepasses durch das BFA wird festgestellt, dass die Revisionswerberin seither die Dauer des sichtvermerkfreien Aufenthalts von 90 Tagen innerhalb der letzten 180 Tage wesentlich überschritten habe, ohne auf die Frage einzugehen, ob eine Ausreise ohne Reisepass für die Revisionswerberin überhaupt möglich gewesen wäre.
11 In der gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde stellt die Revisionswerberin das Vorliegen einer Scheinehe dezidiert in Abrede und weist auf weitere Integrationsleistungen hin. Weiters bringt sie in der Beschwerde erstmals vor, dass ihr Ehemann zwischenzeitlich an Krebs erkrankt sei, ihre Unterstützung benötige und ohne sie die Krankheit nicht bewältigen könne. Zudem behauptet sie, bis zur Abnahme ihres Reisepasses durch das BFA stets (oder zumindest überwiegend) so rechtzeitig aus dem Bundesgebiet ausgereist zu sein, dass ihr visafreier Aufenthalt rechtmäßig gewesen sei; an dem Verbleiben im Bundesgebiet nach Abnahme des Reisepasses treffe sie kein Verschulden. Sie bot zu dem gesamten Vorbringen Beweise an.
12 Demgegenüber führt das Bundesverwaltungsgericht im angefochtenen Erkenntnis aus, die Beschwerde sei der Richtigkeit der wesentlichen Feststellungen und der „zutreffenden Beweiswürdigung der Behörde“ nicht substantiiert entgegengetreten und habe keine relevanten neuen Tatsachen vorgebracht. Diese Behauptung ist jedoch angesichts des Beschwerdevorbringens der Revisionswerberin insbesondere zur Frage des Vorliegens einer Scheinehe, der Krebserkrankung und des Betreuungsbedarfs ihres Ehegatten und mit Blick auf die offen gebliebene Frage, inwieweit der Aufenthalt der Revisionswerberin rechtswidrig war, nicht haltbar.
13 Das Bundesverwaltungsgericht durfte somit nicht von einem geklärten Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG ausgehen, sondern hätte nach den oben dargestellten Kriterien eine mündliche Verhandlung durchführen müssen.
14Das angefochtene Erkenntnis war schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze aufzuheben.
15Von der Durchführung der beantragten Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 3 VwGG abgesehen werden.
16Der Ausspruch über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Dezember 2024