Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Samm sowie die Hofrätinnen Mag. a Nussbaumer Hinterauer und Dr. Holzinger als Richter und Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin MMag. a Havas, über die Revision des Bundesministers für Finanzen gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 9. Februar 2022, VGW 002/V/053/5026/2021 2, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Wien; mitbeteiligte Partei: W R in S), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Wien vom 10. September 2019 wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Q s.r.o. und somit als zur Vertretung nach außen Berufener Verwaltungsübertretungen nach § 52 Abs. 1 Z 1 erster Fall Glücksspielgesetz (GSpG) begangen, weil die Q s.r.o. am 28. September 2018 von 14:54 Uhr bis 16:50 Uhr in einem näher bezeichneten Lokal zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 GSpG veranstaltet habe, indem sie sechs funktionsfähige und in betriebsbereitem Zustand aufgestellte Glücksspielgeräte und ein dazugehöriges Ein und Auszahlungsgerät auf eigenen Namen und Rechnung sowie auf eigenes Risiko betrieben habe, um damit regelmäßig Einnahmen zu erzielen. Die vor dem Verwaltungsgericht belangte Behörde verhängte über den Mitbeteiligten gemäß § 52 Abs. 2 dritter Strafsatz GSpG Geldstrafen in der Höhe von jeweils € 5.000, sowie Ersatzfreiheitsstrafen von jeweils zwei Tagen und schrieb ihm einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor. Dieses Straferkenntnis wurde dem Mitbeteiligten zuhanden Mag. W zugestellt.
2 Dagegen wurde mit Schriftsatz vom 4. Oktober 2019 Beschwerde im Namen des Mitbeteiligten durch den in der Beschwerde als Vertreter bezeichneten Mag. W erhoben und darin auf die bereits vorgelegte Vollmacht hingewiesen.
3 Mit Beschluss vom 4. Jänner 2021 wies das Verwaltungsgericht Wien die Beschwerde gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG als unzulässig zurück. Begründend führte es aus, die im Akt einliegende Vollmacht, mit der Mag. W ermächtigt worden sei, den Mitbeteiligten in den dort angeführten Angelegenheiten zu vertreten, beziehe sich lediglich auf jene Angelegenheiten, die der Mitbeteiligte als Gesellschafter der Q s.r.o. wahrzunehmen habe. Eine Vollmacht, die sich auf Angelegenheiten beziehe, die den Mitbeteiligten in seiner von der belangten Behörde angenommenen Eigenschaft als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Q s.r.o. beträfen, scheine im Akt nicht auf. Dieser Beschluss wurde ua. dem Mitbeteiligten zuhanden Mag. W und der belangten Behörde zugestellt und blieb unangefochten.
4 In der Folge stellte die belangte Behörde das Straferkenntnis dem Mitbeteiligten persönlich zu.
5 Mit Schriftsatz vom 22. März 2021 erhob der Mitbeteiligte Beschwerde gegen das Straferkenntnis der belangten Behörde vom 10. September 2019.
6 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht Wien der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, „behob das Straferkenntnis“ und stellte das Verfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG ein. Weiters sprach es aus, der Mitbeteiligte habe keinen Beitrag zur den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten. Die Revision erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für nicht zulässig.
7 In seiner Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, die belangte Behörde sei offenbar davon ausgegangen, dass der im Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 4. Jänner 2021 festgestellte Vollmachtsmangel die Unwirksamkeit der ersten Zustellung des gegenständlichen Straferkenntnisses bewirkt habe, weshalb dieses neuerlich zugestellt worden sei. Die im Akt einliegende Vollmacht umfasse zwar nicht die Angelegenheiten des Mitbeteiligten als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Q s.r.o., jedoch enthalte sie eine Zustellvollmacht, die zur Entgegennahme jeglicher an den Mitbeteiligten gerichteten Schreiben ermächtigt habe, weshalb sich das Verwaltungsgericht der Auslegung der belangten Behörde nicht anschließe. Es bestehe nämlich kein Grund dafür, die Zustellvollmacht entgegen ihres Wortlautes einschränkend auf jegliche, den Mitbeteiligten in seiner Eigenschaft als Gesellschafter betreffende Schreiben auszulegen. Die im Verfahren erfolgte erste Zustellung des Straferkenntnisses sei daher rechtlich nicht zu beanstanden, weshalb das Straferkenntnis schon aufgrund dieser Zustellung mangels Einbringung einer Beschwerde innerhalb der vierwöchigen Rechtsmittelfrist in Rechtskraft erwachsen sei. Das nunmehr neuerlich zugestellte Straferkenntnis sei somit unter Außerachtlassung des Grundsatzes „ne bis in idem“ erlassen worden.
8 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision des Bundesministers für Finanzen, in der die Aufhebung des Erkenntnisses wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, hilfsweise wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, beantragt wird. Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Zur Zulässigkeit der Revision wird unter Zitierung von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorgebracht, die neuerliche Zustellung des rechtmäßig zuhanden des Zustellbevollmächtigten zugestellten Dokuments löse nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Rechtswirkungen aus. Das Verwaltungsgericht habe somit verkannt, dass mit der neuerlichen Zustellung gerade kein gesondert bekämpfbarer zweiter Bescheid in derselben Sache erlassen worden sei und den „zweiten“ Bescheid daher zu Unrecht aufgehoben. Mit der vorgenommenen Aufhebung verfüge das Verwaltungsgericht nämlich objektiv und rechtsrichtig betrachtet die Aufhebung eines rechtskräftigen Straferkenntnisses, bezüglich dessen die Beschwerde des Mitbeteiligten verspätet gewesen sei.
10 Damit wird die Zulässigkeit der Revision aufgezeigt. Sie ist auch berechtigt.
11 Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hindert die Erhebung einer unzulässigen Beschwerde nicht den Eintritt der Rechtskraft eines Bescheides. Die Zurückweisung einer solchen Beschwerde durch das Verwaltungsgericht hat lediglich feststellenden Charakter. Dies gilt auch für verspätete Beschwerden. Ein von einer Behörde erlassener Bescheid erwächst, wenn kein Rechtsmittelverzicht vorliegt, mit ungenutztem Ablauf der Beschwerdefrist in Rechtskraft (vgl. etwa VwGH 13.10.2022, Ra 2020/21/0508, mwN). Ist ein Dokument zugestellt, so löst gemäß § 6 ZustG die neuerliche Zustellung des gleichen Dokuments keine Rechtswirkungen aus. (vgl. VwGH 23.11.2011, 2009/11/0022, mwN).
12 Das Verwaltungsgericht Wien ging davon aus, dass das Straferkenntnis Mag. W als Zustellbevollmächtigtem des Mitbeteiligten (gemäß Punkt V. der Vollmachtsurkunde vom 24. Jänner 2018) nach dem unstrittigen Akteninhalt durch Hinterlegung am 17. September 2019 rechtswirksam zugestellt wurde. Auch Mag. W bezeichnete sich in der zuletzt erhobenen Beschwerde als Zustellungsbevollmächtigter. Da nach erfolgter Zustellung des Straferkenntnisses an den Zustellungsbevollmächtigten innerhalb der Rechtsmittelfrist eine dem Mitbeteiligten zuzurechnende Beschwerde nicht erhoben wurde, erwuchs das Straferkenntnis in Rechtskraft. Die dem Akteninhalt zufolge am 17. März 2021 durch Hinterlegung erfolgte neuerliche Zustellung des Straferkenntnisses löste daher keine Rechtswirkungen aus.
13 Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht allerdings, indem es das Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 3 VStG eingestellt hat, die Rechtslage verkannt. Da nämlich die neuerliche Zustellung keine Rechtswirkungen auslöste, existiert nur ein Straferkenntnis (vgl. auch VwGH 28.5.2019, Ra 2019/10/0054, mwN). Rechtsrichtig hätte das Verwaltungsgericht ausgehend vom Umstand, dass das Straferkenntnis bereits am 17. September 2019 rechtswirksam zugestellt wurde und in Rechtskraft erwachsen ist, die Beschwerde des Mitbeteiligten vom 22. März 2021 als verspätet zurückweisen müssen.
14 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am 10. April 2024