JudikaturVwGH

Ra 2022/02/0080 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
27. Juli 2022

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Dr. Köller als Richter sowie die Hofrätinnen Mag. Dr. Maurer Kober und Mag. Schindler als Richterinnen, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Schörner, über die Revision der Landespolizeidirektion Oberösterreich in 4020 Linz, Nietzschestraße 33, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 28. Februar 2022, LVwG 604116/2/MK, betreffend Übertretung der StVO (mitbeteiligte Partei: S in T), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

1 Mit Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Oberösterreich vom 10. November 2020 wurde der Mitbeteiligte mit Spruchpunkt 1. schuldig erkannt, an einem näher bestimmten Tatort und zu einer näher bestimmten Tatzeit ein dem Kennzeichen nach bestimmtes Fahrzeug in einem durch Suchtgift beeinträchtigten Zustand gelenkt zu haben. Er habe dadurch § 99 Abs. 1b in Verbindung mit § 5 Abs. 1 StVO verletzt, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs. 1b StVO eine Geldstrafe (Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Verwaltungsgericht der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten statt, hob Spruchpunkt 1. des bekämpften Straferkenntnisses, auf welchen die Beschwerde ausdrücklich eingeschränkt wurde, auf und stellte das Strafverfahren gegen den Mitbeteiligten in diesem Umfang ein. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für nicht zulässig erklärt.

3 Zum festgestellten Sachverhalt verwies das Verwaltungsgericht auf den unter Punkt „I. Verfahrensgang“ auszugsweise wiedergegebenen Verwaltungsstrafakt. Es führte an, dass ein vom Mitbeteiligten anlässlich der polizeilichen Untersuchung freiwillig durchgeführter Urintest ein positives Ergebnis für THC ergeben habe.

4 Anschließend gab es einen Ausschnitt aus dem polizeiärztlichen Amtsgutachten wie folgt wieder:

„Der/Die Fahrer/in war aufgrund der von dem/der Exekutivbeamten/in beobachteten Vorkommnisse, Verhaltensweisen und Erscheinungsmerkmale und aufgrund der vom/von der Arzt/Ärztin beobachteten Symptome und der Ergebnisse des psychophysischen Tests zum Zeitpunkt des Lenkens (Inbetriebnahme) des Fahrzeugs ... (X) beeinträchtigt durch ... (X) Suchtgift ... (X) Übermüdung ... und nicht fahrfähig“.

5 Weiters verwies das Verwaltungsgericht auf das eingeholte Gutachten des Forensisch toxikologischen Labors, das eine THC Konzentration von 0,5 ng/ml und eine THC COOH Konzentration von VwGH 16.9.2020, Ra 2019/11/0142) als spezifische Fahruntüchtigkeit gemäß § 5 Abs. 1 StVO anhand der Blutuntersuchung festzustellen ist. Ein Suchtmittelkonsum des Mitbeteiligten stehe auf Grundlage der erhobenen Laborwerte außer Zweifel. Aus der Anzeige und den Dokumentationsunterlagen der polizeiärztlichen Untersuchung könne auch auf ein arrogantes, präpotentes und gereiztes, in der Summe also gänzlich unangemessenes Verhalten des Revisionswerbers geschlossen werden, dessen Ursache jedenfalls als Folge eines Suchtmittelkonsums interpretiert werden könne, wohl aber auch auf andere Ursachen zurückgeführt werden könne. Die Ergebnisse der Blutuntersuchung stünden der ersten Schlussfolgerung aber objektiv entgegen. Da der Verwaltungsgerichtshof die Beeinträchtigung durch sonstige Faktoren bei der Qualifikation einer Suchtmittelbeeinträchtigung gemäß § 5 Abs. 1 StVO explizit relativiere, könne im vorliegenden Fall von einer spezifischen Suchtmittelbeeinträchtigung nicht ausgegangen werden.

6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Amtsrevision der belangten Behörde.

7 Der Mitbeteiligte erstattete keine Revisionsbeantwortung.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

9 Die Amtsrevisionswerberin bringt zur Zulässigkeit zusammengefasst vor, das Verwaltungsgericht sei zu näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Tatbild des § 5 Abs. 1 StVO abgewichen, wonach die Strafbarkeit insbesondere auch dann gegeben sei, wenn die konsumierte Suchtgiftmenge für sich alleine noch keine Fahruntüchtigkeit bewirkt hätte. Bei der amtsärztlichen Untersuchung sei beim Mitbeteiligten eine Beeinträchtigung der Fahrtauglichkeit sowohl durch Suchtgift als auch durch Übermüdung festgestellt worden. Bei der Analyse des Blutes habe eine THC Konzentration festgestellt werden können, bei der laut „Blutgutachten“ eine straßenverkehrsrelevante Beeinträchtigung nicht auszuschließen sei. Das Verwaltungsgericht habe entgegen dem Gesetz, welches für die Beeinträchtigung durch Suchtgifte keine Grenzwerte kenne, einen Grenzwert angenommen.

10 Die Revision erweist sich im Hinblick darauf als zulässig, sie ist auch berechtigt.

11 Vom Gesetzgeber wurde weder ein Grenzwert, bei dem jedenfalls eine zur Fahruntauglichkeit führende Beeinträchtigung durch Suchtgift anzunehmen sei (wie dies bei der Frage der Beeinträchtigung durch Alkohol der Fall ist), festgesetzt, noch eine Ausnahme für Suchtgifte vorgenommen, bei denen keine Beeinträchtigung iSd § 5 Abs. 1 StVO anzunehmen sei (vgl. dazu ausführlich VwGH 24.10.2016, Ra 2016/02/0133; dem folgend etwa VwGH 4.7.2022, Ra 2021/02/0247).

12 Der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das Tatbild des § 5 Abs. 1 StVO auch dann erfüllt ist, wenn die Fahruntüchtigkeit nicht allein auf die Beeinträchtigung durch Suchtgift, sondern noch auf weitere Ursachen (wie etwa Übermüdung, Krankheit, Medikamenteneinnahme) zurückzuführen ist. Die Strafbarkeit ist also auch dann gegeben, wenn die konsumierte Suchtgiftmenge für sich alleine noch keine Fahruntüchtigkeit bewirkt hätte (ebenfalls grundlegend: VwGH 24.10.2016, Ra 2016/02/0133; dem folgend zuletzt VwGH 14.6.2022, Ra 2022/02/0098).

13 Ferner entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass durch die klinische Untersuchung zwar die Beeinträchtigung, die auf eine Suchtgifteinnahme schließen lässt, festgestellt werden kann. Nach einer solcher Feststellung ist jedoch zwingend eine Blutabnahme vorzunehmen. Erst die Blutabnahme bringt demnach die Gewissheit, ob der durch die klinische Untersuchung gewonnene Verdacht, die Beeinträchtigung sei auf eine Suchtgifteinnahme zurückzuführen, zutrifft. Die Bedeutung der klinischen Untersuchung liegt jedenfalls in der Feststellung, ob der Lenker fahrtüchtig ist (vgl. neuerlich VwGH 4.7.2022, Ra 2021/02/0247, mwN).

14 Im vorliegenden Revisionsfall wurde in der klinischen Untersuchung durch die Polizeiärztin eine Fahruntüchtigkeit durch Übermüdung des Revisionswerbers und Suchtgift (der freiwillige Urintest hatte ein positives Ergebnis für THC ergeben, unter anderem waren nach dem polizeiamtsärztlichen Befund im Rahmen der klinischen Untersuchung die Bindehäute gerötet, es lag ein aufgeregtes Verhalten und ein sehr ausgeprägtes feines Zittern der Augenlider bei geschlossenen Augen vor, die Konzentration war vermindert) festgestellt. Im Blut des Revisionswerbers wurde eine geringe Menge THC (0,5 ng/ml) nachgewiesen. Dem toxikologischen Befund zufolge konnte eine straßenverkehrsrelevante Beeinträchtigung durch diese geringe Menge der festgestellten THC Konzentration im Blut gerade nicht ausgeschlossen werden. Vor diesem Hintergrund hätte das Verwaltungsgericht jedoch nicht ohne nähere Auseinandersetzung mit den Ergebnissen der klinischen Untersuchung lediglich unter Hinweis auf die geringe Suchtgiftmenge vom Nichtvorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 StVO ausgehen dürfen, ist nämlich das Vorliegen der Kombination der Faktoren Übermüdung und Suchtmittelkonsum, sei dieser auch geringfügig, für die Annahme der Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit iSd § 5 Abs. 1 StVO nach der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ausreichend.

15 Da das Verwaltungsgericht dies verkannt hat, hat es sein Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet und war dieses schon deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am 27. Juli 2022

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