Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler sowie die Hofräte Dr. Chvosta und Mag. Schartner als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. a Wagner, über die Revision der M T, vertreten durch Mag. Dr. Anton Karner, Rechtsanwalt in Graz, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Jänner 2025, G316 2298551 1/17E, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
1 Die Revisionswerberin, eine bulgarische Staatsangehörige, war ihren Angaben zufolge von Mitte des Jahres 2024 bis zu ihrer am 23. August 2024 erfolgten Abschiebung nach Bulgarien in Österreich aufhältig. Sie war abgesehen von ihrem Aufenthalt in Schubhaft vom 12. August 2024 bis 23. August 2024 zu keinem Zeitpunkt im Bundesgebiet behördlich gemeldet. Sie führte eine Beziehung zu einem österreichischen Staatsbürger, lebte mit diesem jedoch nicht in einem gemeinsamen Haushalt. Ihren Unterhalt bestritt sie ohne sozialversicherungsrechtliche Meldung durch die Ausübung von Prostitution in einem Bordell in Graz, wo sie auch wohnte. Ein finanzstrafrechtliches Verfahren wurde gegen die Revisionswerberin in Österreich nicht geführt.
2 Die Revisionswerberin ist strafrechtlich unbescholten, wobei gegen sie ein Strafverfahren wegen der Vergehen des (teilweise versuchten) Diebstahls gemäß §§ 127, 15 StGB im Zusammenhang mit ihr vorgeworfenen Ladendiebstählen am 7. August 2024, 8. August 2024 und 12. August 2024 geführt wird.
3 Vor diesem Hintergrund erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 19. August 2024 gegen die Revisionswerberin gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot, gewährte ihr in Anwendung des letzten Halbsatzes des § 70 Abs. 3 FPG keinen Durchsetzungsaufschub und erkannte einer Beschwerde gemäß § 18 Abs. 3 BFA VG die aufschiebende Wirkung ab.
4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 9. Jänner 2025 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung der gegen den Bescheid des BFA vom 19. August 2024 erhobenen Beschwerde der Revisionswerberin insoweit statt, als es die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf 18 Monate herabsetzte. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab und sprach gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung des Vorverfahrens, in dessen Rahmen keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde, in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Dreiersenat erwogen hat:
6 Die Revision erweist sich entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG iSd Art. 133 Abs. 4 B VG als zulässig. Sie ist auch berechtigt, weil das BVwG, wie in der Zulässigkeitsbegründung der Revision aufgezeigt wird, von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist, indem es von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen hat.
7 Das BVwG stützte das Absehen von einer mündlichen Verhandlung auf § 21 Abs. 7 BFA VG. Diese Bestimmung erlaubt das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt bereits aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint.
8 Ein geklärter Sachverhalt im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG liegt nach ständiger Rechtsprechung unter anderem nur dann vor, wenn in der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender Sachverhalt behauptet wird (vgl. VwGH 29.8.2024, Ra 2021/21/0105, Rn. 12, mwN). Von einem geklärten Sachverhalt im Sinne der genannten Bestimmung kann bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen darüber hinaus im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zu Gunsten des Fremden sprechenden Fakten auch dann kein günstigeres Ergebnis für ihn zu erwarten ist, wenn sich das Verwaltungsgericht einen (positiven) persönlichen Eindruck von ihm verschafft (vgl. etwa VwGH 29.8.2024, Ra 2022/21/0035, Rn. 12, mwN).
9 Das BVwG gründete die für das Aufenthaltsverbot zu treffende Gefährdungsprognose gemäß § 67 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG (tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt) im Rahmen der rechtlichen Beurteilung tragend auf das in Rn. 2 genannte Strafverfahren. Schon im Hinblick auf die von der Revisionswerberin erhobene Beschwerde, in welcher sie es ausdrücklich bestritt, die ihr vorgeworfenen Ladendiebstähle begangen zu haben und sie unter anderem vorbrachte, dass die Unschuldsvermutung gelte und lediglich ein Verdacht „zweier Diebstähle über zirka € 660, “ bestehe, hätte das BVwG aber nicht vom Vorliegen eines „geklärten Sachverhaltes“ im Sinne des § 21 Abs. 7 BFA VG ausgehen und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung für entbehrlich erachten dürfen. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass das der Revisionswerberin vorgeworfene Fehlverhalten lediglich solche Ladendiebstähle betrifft, aus denen für sich nicht auf einen eindeutigen Fall zu schließen ist, der es dem BVwG ausnahmsweise erlaubt hätte, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen (vgl. etwa VwGH 16.7.2025, Ra 2024/21/0231, Rn. 10, mwN).
10 Im fortgesetzten Verfahren wird das BVwG nach Durchführung der gebotenen mündlichen Verhandlung konkrete Feststellungen dazu zu treffen haben, ob und allenfalls welche der der Revisionswerberin vorgeworfenen Taten es aufgrund welcher beweiswürdigenden Erwägungen als erwiesen annimmt, und deren Umstände näher zu beschreiben haben (vgl. zur Notwendigkeit konkreter Feststellungen in diesem Zusammenhang etwa VwGH 26.9.2024, Ra 2022/21/0072, Rn. 12, mwN; zum Erfordernis Feststellungen zum Fehlverhalten selbst zu treffen und nicht bloß zu einer allenfalls bestehenden, nicht weiter verifizierten Verdachtslage etwa VwGH 24.10.2024, Ra 2024/21/0095, Rn. 11, mwN; VwGH 24.4.2020, Ra 2020/21/0008, Rn. 9, mwN).
11 Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
12 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 23. Oktober 2025