Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Mag. Novak und Dr. Sutter sowie die Hofrätinnen Dr.in Lachmayer und Dr.in Wiesinger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision des E P in B, gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 1. Februar 2021, Zl. RS/5100003/2021, betreffend Zurückweisung einer Säumnisbeschwerde gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 240,00 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
1 Dem Revisionswerber, einem Rechtsanwalt, waren am 23. September 2011 Bescheide des Finanzamtes X betreffend Umsatzsteuer 2009, Einkommensteuer 2007 bis 2009 und Anspruchszinsen zugestellt worden.
2 In seiner mit 16. Dezember 2020 datierten Säumnisbeschwerde brachte der Revisionswerber vor, er habe gegen die Bescheide vom 23. September 2011 am 14. Oktober 2011 Berufung erhoben und diese am 19. Oktober 2011 per Post an das Finanzamt geschickt. Am 20. Oktober 2011 sei die Berufung auch per E Mail an das Finanzamt übermittelt worden. Das Finanzamt X habe noch nicht über die Berufung entschieden. Es werde daher beantragt, dass das Bundesfinanzgericht betreffend die Berufung (nunmehr Beschwerde) vom 14. Oktober 2011 dem Finanzamt ein Vorgehen gemäß § 284 BAO auftrage oder selber in der Sache entscheide.
3 Die Säumnisbeschwerde wurde am 16. Dezember 2020 beim Finanzamt X eingebracht. Sie wurde sodann am 27. Jänner 2021 vom Finanzamt Österreich an das Bundesfinanzgericht weitergeleitet.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Bundesfinanzgericht die Säumnisbeschwerde gemäß § 260 Abs. 1 lit. a BAO als nicht zulässig zurück und führte nach teilweiser Wiedergabe des § 323b BAO aus, fraglich sei, ob im Jänner 2021 noch eine Säumnis des Finanzamts X gegeben sein könne.
5 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes führe die Bezeichnung einer Behörde, welche die Entscheidungspflicht nicht treffe, deren Verletzung mit der Säumnisbeschwerde geltend gemacht werde, zur Zurückweisung der Säumnisbeschwerde (Hinweis auf VwGH 21.10.2010, 2010/16/0208; 21.9.2009, 2009/16/0174, 23.10.2008, 2008/16/0116; und 19.9.2007, 2007/13/0074).
6 Das Finanzamt Österreich und das Finanzamt für Großbetriebe seien am 1. Jänner 2021 für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2020 zuständig gewesenen Finanzämter getreten. Das Finanzamt X existiere seit diesem Zeitpunkt nicht mehr. Daher könne auch keine Entscheidungspflicht dieses Finanzamtes mehr bestehen und geltend gemacht werden. Schon deswegen sei nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen.
7 Eine allfällige Säumnis des Finanzamtes Österreich habe bei Einbringung der Säumnisbeschwerde beim Bundesfinanzgericht (27. Jänner 2021) ebenfalls noch nicht bestanden, weil das Finanzamt Österreich erst mit 1. Jänner 2021 zur Entscheidung über die Beschwerde zuständig geworden sei (Hinweis auf VwGH 29. April 2014, Fr 2014/16/0001).
8 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, in der zu ihrer Zulässigkeit ausgeführt wird, die vom Bundesfinanzgericht zur Begründung zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei im Revisionsfall nicht anwendbar. Es liege auch keine Judikatur zur Frage vor, wie die Änderung der Behördenbezeichnung während eines anhängigen Verfahrens zu behandeln seien.
9 Das Finanzamt hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.
10 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
11 Die Revision ist zulässig und begründet.
12 Gemäß § 323 Abs. 37 BAO traten u.a. die §§ 243 bis 291 BAO, jeweils in der Fassung des Finanzverwaltungsgerichtsbarkeitsgesetz 2012 (FVwGG 2012), BGBl. I Nr. 14/2013, mit 1. Jänner 2014 in Kraft und sind auch auf alle an diesem Tag unerledigten Berufungen (und Devolutionsanträge) anzuwenden.
13 Über Bescheidbeschwerden, die weder zurückzuweisen noch für gegenstandslos zu erklären sind, ist gemäß § 262 BAO nach Durchführung der etwa noch erforderlichen Ermittlungen von der Abgabenbehörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat, mit als Beschwerdevorentscheidung zu bezeichnendem Bescheid abzusprechen, wobei die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung unter bestimmten in § 262 BAO konkret angeführten Bedingungen zu unterbleiben hat und die Bescheidbeschwerde in diesem Fällen unverzüglich dem Verwaltungsgericht vorzulegen ist.
14 Gemäß § 284 BAO kann die Partei wegen Verletzung der Entscheidungspflicht Beschwerde (Säumnisbeschwerde) beim Verwaltungsgericht erheben, wenn ihr Bescheide der Abgabenbehörden nicht innerhalb von sechs Monaten nach Einlangen der Anbringen oder nach dem Eintritt zur Verpflichtung zu ihrer amtswegigen Erlassung bekanntgegeben (§ 97) werden.
15 Der mit dem 2. Finanz Organisationsreformgesetz (2. FORG), BGBl. I Nr. 99/2020, eingeführte § 323b BAO, lautet auszugsweise:
„Übergangsbestimmungen im Zusammenhang mit der Finanz Organisationsreform 2020
§ 323b. (1) Das Finanzamt Österreich und das Finanzamt für Großbetriebe treten für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich am 1. Jänner 2021 an die Stelle des jeweils am 31. Dezember 2020 zuständig gewesenen Finanzamtes. [...].
(2) Die am 31. Dezember 2020 bei einem Finanzamt [...] anhängigen Verfahren werden von der jeweils am 1. Jänner 2021 zuständigen Abgabenbehörde in dem zu diesem Zeitpunkt befindlichen Verfahrensstand fortgeführt.
[...]
(6) Bis 31. Dezember 2021 können Anbringen, für deren Behandlung entweder das Finanzamt Österreich, das Finanzamt für Großbetriebe oder das Amt für Betrugsbekämpfung zuständig ist, auch unter Verwendung der Bezeichnung der Finanzämter gemäß § 4 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen zur Durchführung des Abgabenverwaltungsorganisationsgesetzes 2010 (AVOG 2010 DV), BGBl. II Nr. 165/2010, in der Fassung der Verordnung BGBl. II Nr. 375/2016, sowie unter Verwendung der zum 31. Dezember 2020 kundgemachten Anschriften der Finanzämter wirksam eingebracht werden.
[...]“
16 Im angefochtenen Beschluss wird der Standpunkt vertreten, es liege keine Säumnis vor, weil das Finanzamt X zum Zeitpunkt des Einlangens der Säumnisbeschwerde beim Bundesfinanzgericht für die Erledigung bzw. Weiterleitung des im Oktober 2011 eingebrachten Rechtsmittels mangels Existenz nicht mehr zuständig gewesen sei und das Finanzamt Österreich erst am 1. Jänner 2021 für die Erledigung bzw. Weiterleitung zuständig geworden sei.
17 Diese Begründung trägt die mit dem angefochtenen Beschluss erfolgte Zurückweisung der Säumnisbeschwerde nicht.
18 Soweit die Zurückweisung der Säumnisbeschwerde damit begründet wird, dass deshalb keine Säumnis vorliege, weil das Finanzamt X im Zeitpunkt des Einlangens der Säumnisbeschwerde nicht mehr existiert habe, ist ihr folgendes zu entgegnen: Das Finanzamt Österreich ist aufgrund der Finanz Organisationsreform 2020 mit 1. Jänner 2021 an die Stelle des Finanzamtes X getreten, das bis dahin für die Erledigung eines Rechtsmittels des Revisionswerbers zuständig war. Der mit dem 2. FORG eingeführte § 323b Abs. 2 BAO sieht in diesem Zusammenhang vor, dass die am 31. Dezember 2020 bei einem Finanzamt oder Zollamt anhängigen Verfahren von der jeweils am 1. Jänner 2021 zuständigen Abgabenbehörde in dem zu diesem Zeitpunkt befindlichen Verfahrensstand fortgeführt werden. Die in § 284 Abs. 1 BAO normierte sechsmonatige Frist für die Erledigung des in Rede stehenden Rechtsmittels war der Sachverhaltsdarstellung in der Säumnisbeschwerde zufolge, welcher das Bundesfinanzgericht nicht entgegen tritt, am 31. Dezember 2020 bereits abgelaufen. Das Finanzamt Österreich wäre demnach in ein Beschwerdeverfahren eingetreten, dass sich im Stadium der Säumnis befand.
19 Die Säumnisbeschwerde vom 16. Dezember 2020 weist als belangte Behörde das damals noch bestehende Finanzamt X aus und wurde am 16. Dezember 2020 bei diesem Finanzamt eingebracht. Sie wurde am 27. Jänner 2021 vom Finanzamt Österreich an das Bundesfinanzgericht weitergeleitet.
20 Säumnisbeschwerden im Sinne des § 284 BAO sind beim Verwaltungsgericht einzubringen; beim Finanzamt eingebrachte Säumnisbeschwerden sind dem Verwaltungsgericht weiterzuleiten (vgl. Fischerlehner/Brennsteiner , Abgabenverfahren I3, § 284 Rz 8).
21 Die in § 323b Abs. 6 BAO enthaltene Übergangsbestimmung sieht vor, das Anbringen, für deren Behandlung das Finanzamt Österreich zuständig ist, bis zum 31. Dezember 2021 auch unter Verwendung der Bezeichnung der Finanzämter gemäß § 4 der Verordnung des Bundesministers für Finanzen zur Durchführung des Abgabenverwaltungsorganisationsgesetzes 2010 (AVOG 2010 DV), BGBl. II Nr. 165/2010, in der Fassung der Verordnung BGBl. II Nr. 375/2016, sowie unter Verwendung der zum 31. Dezember 2020 kundgemachten Anschriften der Finanzämter wirksam eingebracht werden können. Vor diesem Hintergrund erachtet es der Verwaltungsgerichtshof auch nicht als schädlich, wenn bei Säumnisbeschwerden, die innerhalb des durch § 323b Abs. 6 BAO vorgegebenen Zeitraumes beim Bundesfinanzgericht eingebracht oder an dieses weitergeleitet wurden, noch ein bis zum 31. Dezember 2020 bestandenes Finanzamt als säumige Abgabenbehörde (§ 285 Abs. 1 lit. a BAO) genannt wird.
22 Der angefochtene Beschluss erweist daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
23 Für das fortzusetzende Verfahren sei auf Folgendes hingewiesen: Aus dem vorgelegten Verwaltungsakt ergeben sich Hinweise, dass über die mit 16. Dezember 2020 datierte Beschwerde des Revisionswerbers bereits dahingehend entschieden worden ist, dass sie als verspätet zurückgewiesen worden ist. Sollte eine solche Erledigung ergangen sein, wären die Voraussetzungen des § 284 Abs. 1 BAO (Verletzung der Entscheidungspflicht) nicht (mehr) gegeben.
24 Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.
25 Das Mehrbegehren betreffend Schriftsatzaufwand war abzuweisen, weil nach § 48 Abs. 1 Z 2 VwGG nur der Ersatz des Aufwandes gebührt, der für den Revisionswerber als obsiegende Partei mit der Einbringung der Revision durch einen Rechtsanwalt (Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer) verbunden war. Ersatz für Schriftsatzaufwand kommt daher dann nicht in Betracht, wenn ein Rechtsanwalt wie im Revisionsfall in eigener Sache einschreitet.
Wien, am 25. Mai 2022