JudikaturVwGH

Ra 2021/14/0013 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
02. Februar 2021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Mag. Armin Windhager, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz Josefs Kai 5/9, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. November 2020, G307 1311064 4/21E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, stellte am 19. Juni 2006 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).

2 Mit Bescheid vom 13. März 2007 wies das Bundesasylamt diesen Antrag hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab und erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu. Unter einem erteilte ihm die Behörde eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

3 Nach hier nicht weiter relevanten Rechtsgängen wies letztlich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl mit Bescheid vom 30. Oktober 2019 den Antrag des Revisionswerbers auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten ab, erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen ab, entzog ihm die befristete Aufenthaltsberechtigung, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen und erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung. Es stellte weiters fest, dass seine Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina zulässig sei, erließ ein auf zehn Jahre befristetes Einreiseverbot und legte die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

4 Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zulässig sei.

5 Nach Art. 133 Abs. 4 B VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8 In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit zunächst vorgebracht, das Bundesverwaltungsgericht habe nicht ermittelt, wie in der individuellen Situation des Revisionswerbers, dessen Familie überwiegend in Österreich aufhältig sei, sich die Unterstützung bei der Reintegration gestalten solle, insbesondere auch in Bezug auf die weitere Aufrechterhaltung der familiären Kontakte. Das Verwaltungsgericht hätte die Würdigung der Behörde nicht summarisch übernehmen dürfen und davon ausgehen, dass eine Verfolgung des Revisionswerbers nicht festgestellt werden könne, obwohl er entsprechende Angaben gemacht habe. Feststellungsmängel lägen auch im Hinblick auf die Deutschkenntnisse des Revisionswerbers vor.

9 Werden Verfahrensmängel wie hier Ermittlungs bzw. Feststellungsmängel als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden. Dies setzt voraus, dass auch in der gesonderten Begründung für die Zulässigkeit der Revision zumindest auf das Wesentliche zusammengefasst jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des Verfahrensmangels als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 5.11.2020, Ra 2020/14/0363, mwN). Dieser Anforderung wird die Revision mit ihrem lediglich pauschalen Vorbringen nicht gerecht, weil nicht dargelegt wird, aufgrund welcher Beweisergebnisse welche konkreten Feststellungen zu treffen gewesen wären.

10 Soweit sich die Revision gegen die Rückkehrentscheidung und die Nichtbeachtung des Kindeswohls wendet, ist auszuführen, dass eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde nicht revisibel ist (vgl. VwGH 8.4.2020, Ra 2020/14/0108, mwN).

11 Dieses Vertretbarkeitskalkül ist vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu sehen, wonach der Verwaltungsgerichtshof im Revisionsmodell nicht dazu berufen ist, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten. Dem Verwaltungsgerichtshof kommt im Revisionsmodell eine Leitfunktion zu. Aufgabe des Verwaltungsgerichtshofes ist es, im Rahmen der Lösung einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (erstmals) die Grundsätze bzw. Leitlinien für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts festzulegen, welche von diesem zu beachten sind. Die Anwendung dieser Grundsätze im Einzelfall kommt hingegen grundsätzlich dem Verwaltungsgericht zu, dem dabei in der Regel ein gewisser Anwendungsspielraum überlassen ist. Ein Aufgreifen des vom Verwaltungsgericht entschiedenen Einzelfalls durch den Verwaltungsgerichtshof ist nur dann unausweichlich, wenn das Verwaltungsgericht die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet hat und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine krasse bzw. unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 14.12.2020, Ra 2020/20/0408 bis 0411, mwN).

12 Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA VG ergebenden Wertungen in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 18.11.2020, Ra 2020/14/0113, mwN).

13 Auch entspricht es der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, jedenfalls dann für gerechtfertigt erachtet werden kann, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist. Insbesondere schwerwiegende kriminelle Handlungen, aus denen sich eine vom Fremden ausgehende Gefährdung ergibt, können die Erlassung einer Rückkehrentscheidung daher auch dann tragen, wenn diese zu einer Trennung von Familienangehörigen führt (vgl. wiederum VwGH 18.11.2020, Ra 2020/14/0113, mwN).

14 Zur Beurteilung dieses öffentlichen Interesses bedarf es einer einzelfallbezogenen Einschätzung der vom Fremden aufgrund seiner Straffälligkeit ausgehenden Gefährdung, wozu es näherer Feststellungen über die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild bedarf (vgl. VwGH 22.8.2019, Ra 2019/21/0162, mwN).

15 Im vorliegenden Fall berücksichtigte das Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung neben dem 14-jährigen überwiegend rechtmäßigen Aufenthalt des Revisionswerbers und seinen beruflichen Integrationsbemühungen insbesondere auch, dass die Ehefrau und seine fünf Kinder in Österreich aufenthaltsberechtigt seien und seine Mutter einen erhöhten Pflegeaufwand aufweise. Dem gegenüber stünden jedoch fünf näher festgestellte strafgerichtliche Verurteilungen, derentwegen er wiederholt in Strafhaft angehalten worden sei. So habe auch der zuletzt viereinhalb Jahre andauernde durchgehende Aufenthalt in Strafhaft zu einer Abschwächung der familiären Bezüge in Österreich geführt. Der Revisionswerber neige zu strafbaren Handlungen. Auch familiäre Bezüge und der mögliche Verlust der Möglichkeit, sein Familienleben in Österreich weiterzuführen, hätten ihn nicht von der Begehung wiederholter Straftaten abgehalten. Das gezeigte Verhalten lege nahe, dass der Revisionswerber eigene Bereicherungsinteressen vor andere stelle, was wiederum einen nachhaltigen und wahren Integrationswillen, insbesondere im Einklang mit gültigen Normen und gesellschaftlichen Regeln in Österreich zu leben, nicht erkennen lasse. Die Rückkehr müsse auch nicht zum Abbruch seiner im Bundesgebiet gelegenen Beziehungen führen, weil er seine Kontakte unter Zuhilfenahme moderner Kommunikationsmittel oder Besuchsfahren nach Bosnien und Herzegowina seitens seiner Angehörigen aufrechterhalten werde können.

16 Vor dem Hintergrund der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gelingt es der Revision mit dem bloßen Verweis auf Umstände, die vom Bundesverwaltungsgericht ohnehin bereits berücksichtigt wurden, weder darzutun, dass sich das Bundesverwaltungsgericht von den Leitlinien der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entfernt hätte, noch dass die fallbezogen vorgenommene Beurteilung in Bezug auf die Interessenabwägung oder in Bezug auf die Gefährdungsprognose unter Berücksichtigung des strafrechtlichen Fehlverhaltens des Revisionswerbers in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre. Die in der Revision genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes zur Aufenthaltsverfestigung erweisen sich als nicht zielführend, weil sich der dem angefochtenen Erkenntnis zugrunde liegende Sachverhalt entscheidungswesentlich von den Sachverhalten der zitierten Fälle unterscheidet.

17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 2. Februar 2021

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