JudikaturVwGH

Ro 2021/04/0016 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Entscheidung

Entscheidung
Datenschutzrecht
01. Februar 2024

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Kleiser, Hofrat Dr. Mayr, Hofrätin Mag. Hainz Sator sowie die Hofräte Dr. Pürgy und Mag. Brandl als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Löffler, LL.M., über die Revision der V GmbH in W, vertreten durch Dr. Hans Peter Sauerzopf und Dr. Michael Franz Sauerzopf, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Börsegasse 9/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25. Februar 2021, Zl. W274 2238717 1/4E, betreffend eine datenschutzrechtliche Angelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Datenschutzbehörde; weitere Partei: Bundesministerin für Justiz; mitbeteiligte Partei: C M in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Die Revisionswerberin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

I.

1 1. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2020 erhob die Mitbeteiligte bei der Datenschutzbehörde (DSB, belangte Behörde) eine gegen die Revisionswerberin als Beschwerdegegnerin gerichtete Datenschutzbeschwerde, in der eine Verletzung im Grundrecht auf Geheimhaltung gemäß § 1 Abs. 1 Datenschutzgesetz (DSG) sowie ein Verstoß gegen Art. 5 Datenschutz Grundverordnung (DSGVO) geltend gemacht wurde. Begründend brachte die Mitbeteiligte vor, sie habe am 2. Oktober 2020 von der Revisionswerberin, einer Immobiliengesellschaft, ein persönlich an sie gerichtetes Schreiben betreffend ein Kaufinteresse der Revisionswerberin an einer näher bezeichneten Liegenschaft erhalten.

2 2. Mit dem (insbesondere) auf § 1 DSG sowie Art. 5 und 6 DSGVO gestützten Bescheid vom 1. Dezember 2020 gab die DSB dieser Datenschutzbeschwerde statt und stellte fest, die Revisionswerberin habe die Mitbeteiligte dadurch im Recht auf Geheimhaltung verletzt, indem sie deren Namen und Anschrift ermittelt und diese sodann zwecks möglicher Akquisition einer Liegenschaft per Brief kontaktiert habe.

3 Begründend hielt die DSB im Wesentlichen fest, die Revisionswerberin habe die im Wege einer Grundbuchsabfrage ermittelten Kontaktdaten der Mitbeteiligten verwendet, um diese zwecks möglicher Akquise einer Liegenschaft einmalig postalisch zu kontaktieren. Es liege eine Verarbeitung gemäß Art. 4 Z 2 DSGVO vor, die eines Erlaubnistatbestandes bedürfe. Zwar handle es sich um keine besonders schutzwürdigen Daten und der Revisionswerberin komme als Immobilientreuhänderin ein wirtschaftliches Interesse am Erwerb von zu entwickelnden Immobilien im Rahmen ihres Unternehmensgegenstandes zu. Allerdings befinde sich die gegenständliche Liegenschaft im Alleineigentum der Mutter der Mitbeteiligten, weshalb die Mitbeteiligte als „tauglicher Adressat“ des vorliegenden Schreibens nicht in Betracht komme. Die Datenverarbeitung sei daher für den ins Treffen geführten Zweck ungeeignet und auch überschießend. Somit würden die berechtigten Interessen der Mitbeteiligten gegenüber den Interessen der Revisionswerberin überwiegen.

4 3. Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom 25. Februar 2021 wurde der dagegen erhobenen Beschwerde der Revisionswerberin keine Folge gegeben. Die Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B VG für zulässig erklärt.

5 Das BVwG legte seiner Entscheidung neben den von der belangten Behörde getroffenen Feststellungen im Wesentlichen zugrunde, dass sich aus dem Grundbuch für die in Rede stehende Liegenschaft das Alleineigentum der CR (Mutter der Mitbeteiligten) ergebe; einem (in der Urkundensammlung abrufbaren) Einantwortungsbeschluss (nach dem Tod des Vaters der Mitbeteiligten) lasse sich eine Erbsentschlagungserklärung der Mitbeteiligten entnehmen. Die Revisionswerberin, eine Immobilientreuhänderin, habe in ihrem (im angefochtenen Erkenntnis wiedergegebenen) Schreiben an die Mitbeteiligte darauf hingewiesen, deren Kontaktdaten aus dem Grundbuch zu haben. Eine anderweitige Verwendung der Kontaktdaten der Mitbeteiligten durch die Revisionswerberin (über das erwähnte Schreiben hinaus) sei nicht erfolgt.

6 In seinen rechtlichen Erwägungen wies das BVwG zunächst darauf hin, dass das Grundbuch gemäß § 7 Abs. 1 Grundbuchsgesetz 1955 öffentlich sei und jedermann Auszüge daraus erheben könne. Zwar sei das Bestehen eines schutzwürdigen Geheimhaltungsinteresses nach § 1 Abs. 1 zweiter Satz DSG bei allgemein verfügbaren Daten ausgeschlossen. Allerdings sei die generelle Annahme des Nichtvorliegens einer Verletzung schutzwürdiger Geheimhaltungsinteressen für zulässigerweise veröffentlichte Daten mit den Bestimmungen der DSGVO nicht vereinbar. Der Datenschutz für bereits veröffentlichte Daten unterscheide sich grundsätzlich nicht vom Schutzumfang für sonstige personenbezogene Daten. Es dürften daher nicht alle Daten, die öffentlich zugänglich seien, von einem Verantwortlichen für beliebige eigene Zwecke verwendet werden. Die verfassungsrechtliche Ausnahme für veröffentlichte Daten nach § 1 Abs. 1 DSG habe daher „unionsrechtlich zurückzutreten“. Zudem könne der Umstand, dass die Daten der Mitbeteiligten auf einer bestimmten Webseite ersichtlich seien, nicht dazu führen, dass diese Daten als allgemein verfügbar zu gelten hätten. Die Tatsache, dass es sich beim Grundbuch um ein öffentliches Register handle, bedeute nicht, dass „die dem Register zu entnehmenden Tatsachen allgemein bekannt oder auch nur gerichtskundig“ seien (Verweis auf OGH 4.11.2010, 8 Ob 11/10s).

7 Durch die Verwendung der Daten zur möglichen Akquise einer Liegenschaft werde ein neues Element mit diesen Daten verknüpft und es liege eine Verarbeitung gemäß Art. 4 Z 2 DSGVO vor; diese bedürfe eines Erlaubnistatbestandes nach Art. 6, 9 oder 10 DSGVO. Vorliegend sei zu prüfen, ob die Datenverarbeitung nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO rechtmäßig sei. Dafür müsse ein berechtigtes, vom Verantwortlichen wahrgenommenes Interesse vorliegen, die Datenverarbeitung müsse zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich sein und es dürften keine überwiegenden Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person vorliegen. Die Verarbeitung von personenbezogenen Daten zum Zweck der Direktwerbung könne zwar als eine einem berechtigten Interesse dienende Verarbeitung angesehen werden. Allerdings ergebe sich aus dem Grundbuch kein Hinweis darauf, dass die Mitbeteiligte (Mit)Eigentümerin der gegenständlichen Liegenschaft sei. Ausgehend davon bestehe selbst bei Anerkennung eines berechtigten Interesses der Revisionswerberin am Erwerb von Liegenschaften keine Erforderlichkeit der Kontaktierung der Mitbeteiligten. Der Beschwerde gelinge es daher nicht, ein unrichtiges Ergebnis der bekämpften Entscheidung aufzuzeigen.

8 Von der (auch nicht beantragten) Durchführung einer mündlichen Verhandlung habe abgesehen werden können, weil der Sachverhalt feststehe und sich keine Anhaltspunkte für eine Erörterungsbedürftigkeit ergeben hätten.

9 Die Zulassung der Revision begründete das BVwG mit der fehlenden Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Verhältnis des § 1 Abs. 1 DSG bezüglich eines Ausschlusses eines schutzwürdigen Geheimhaltungsinteresses im Fall allgemein verfügbarer Daten zu den Vorgaben der DSGVO. Gleiches gelte für die Frage, ob grundbuchsöffentliche Daten als datenschutzrechtlich „allgemein verfügbar“ anzusehen seien.

10 4. Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zum einen Beschwerde gemäß Art. 144 B VG. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom 22. Juni 2021, E 1382/2021, ab.

11 Zum anderen wurde die vorliegende außerordentliche Revision erhoben.

12 Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der sie die Abweisung der Revision beantragt.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

13 1. Die Revision erweist sich im Hinblick auf die erstgenannte vom BVwG aufgeworfene und von der Revisionswerberin aufgegriffene Rechtsfrage als zulässig; sie ist aus folgenden Erwägungen aber nicht berechtigt.

14 2. Die maßgeblichen Erwägungsgründe und Bestimmungen der Verordnung (EU) 2016/679 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. April 2016 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten, zum freien Datenverkehr und zur Aufhebung der Richtlinie 95/46/EG (Datenschutz-Grundverordnung DSGVO), ABl. L 119 vom 4.5.2016, S. 1, lauten auszugsweise:

„[Erwägungsgrund] (4) [...] Das Recht auf Schutz der personenbezogenen Daten ist kein uneingeschränktes Recht; es muss im Hinblick auf seine gesellschaftliche Funktion gesehen und unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gegen andere Grundrechte abgewogen werden. Diese Verordnung steht im Einklang mit allen Grundrechten und achtet alle Freiheiten und Grundsätze, die mit der Charta anerkannt wurden und in den Europäischen Verträgen verankert sind, insbesondere Achtung des Privat und Familienlebens, der Wohnung und der Kommunikation, Schutz personenbezogener Daten, Gedanken , Gewissens und Religionsfreiheit, Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit, unternehmerische Freiheit, Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein faires Verfahren und Vielfalt der Kulturen, Religionen und Sprachen.

[...]

(47) Die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung kann durch die berechtigten Interessen eines Verantwortlichen, auch eines Verantwortlichen, dem die personenbezogenen Daten offengelegt werden dürfen, oder eines Dritten begründet sein, sofern die Interessen oder die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person nicht überwiegen; dabei sind die vernünftigen Erwartungen der betroffenen Person, die auf ihrer Beziehung zu dem Verantwortlichen beruhen, zu berücksichtigen. [...] Die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zwecke der Direktwerbung kann als eine einem berechtigten Interesse dienende Verarbeitung betrachtet werden.

[...]

Artikel 4

Begriffsbestimmungen

Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

[...]

2. ‚Verarbeitung‘ jeden mit oder ohne Hilfe automatisierter Verfahren ausgeführten Vorgang oder jede solche Vorgangsreihe im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie das Erheben, das Erfassen, die Organisation, das Ordnen, die Speicherung, die Anpassung oder Veränderung, das Auslesen, das Abfragen, die Verwendung, die Offenlegung durch Übermittlung, Verbreitung oder eine andere Form der Bereitstellung, den Abgleich oder die Verknüpfung, die Einschränkung, das Löschen oder die Vernichtung;

[...]

Artikel 6

Rechtmäßigkeit der Verarbeitung

(1) Die Verarbeitung ist nur rechtmäßig, wenn mindestens eine der nachstehenden Bedingungen erfüllt ist:

[...]

f) die Verarbeitung ist zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen, insbesondere dann, wenn es sich bei der betroffenen Person um ein Kind handelt.

[...]“

15 § 1 Datenschutzgesetz (DSG), BGBl. I Nr. 165/1999 in der Fassung BGBl. I Nr. 51/2012, lautet auszugsweise:

Artikel 1

(Verfassungsbestimmung)

Grundrecht auf Datenschutz

§ 1. (1) Jedermann hat, insbesondere auch im Hinblick auf die Achtung seines Privat- und Familienlebens, Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht. Das Bestehen eines solchen Interesses ist ausgeschlossen, wenn Daten infolge ihrer allgemeinen Verfügbarkeit oder wegen ihrer mangelnden Rückführbarkeit auf den Betroffenen einem Geheimhaltungsanspruch nicht zugänglich sind.

[...]“

16 § 7 Allgemeines Grundbuchsgesetz 1955 (GBG 1955), BGBl. Nr. 39, lautet:

§ 7. (1) Das Grundbuch ist öffentlich.

(2) Jedermann kann das Grundbuch in Gegenwart eines Grundbuchsbeamten einsehen und Abschriften oder Auszüge daraus erheben; der Grundbuchsführer hat sie zu erteilen.“

17 3.1. Die Revisionswerberin bringt vor, sie habe die Daten der Mitbeteiligten dem Grundbuch entnommen. Dieses sei gemäß § 7 GBG 1955 öffentlich und jedermann habe das Recht, das Grundbuch einzusehen und Abschriften oder Auszüge daraus zu erheben. Die Revisionswerberin habe die gegenständlichen Daten nicht veröffentlicht oder Dritten zugänglich gemacht. Es liege daher kein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 DSG vor. Aus der vom BVwG zitierten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes lasse sich für den vorliegenden Fall nichts ableiten, weil § 1 DSG nicht darauf abstelle, ob Daten „allgemein bekannt“ oder „gerichtskundig“ seien, sondern darauf, ob sie „allgemein verfügbar“ seien, was im Hinblick auf die „unbeschränkte Offenheit der Grundbücher“ zweifellos der Fall sei.

18 Weiters verweist die Revisionswerberin auf die Entscheidungspraxis der DSB, wonach bei einer einmaligen Kontaktaufnahme zur Ergründung eines Verkaufsinteresses einer Liegenschaft die Interessen des Immobilientreuhänders überwiegen würden. Unter Hinweis auf eine Entscheidung der DSB zur „Ärzte Bewertungsplattform“ monierte die Revisionswerberin, die DSB habe „im Dunkeln“ gelassen, worin im vorliegenden Fall eine „Verknüpfung“ mit weiteren Daten bzw. die „Schaffung eines informationellen Mehrwerts“ gelegen sein solle. Vor dem Hintergrund der dargestellten Entscheidungspraxis der DSB sei nicht verständlich, dass das BVwG die Verwendung der Daten zum Zweck der Akquise bzw. zu Werbezwecken einer derartigen Verknüpfung gleichgehalten habe.

19 3.2. Zudem geht die Revisionswerberin davon aus, dass der Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO erfüllt sei. Das BVwG habe bei seiner Interessenabwägung berechtigte Interessen der Revisionswerberin nicht beachtet und unberücksichtigt gelassen, dass die DSGVO auch durch primärrechtliche Unionsvorschriften, wie etwa die (der Revisionswerberin zustehenden) Rechte nach Art. 11 (Informationsfreiheit), Art. 15 (Berufsfreiheit) und Art. 16 (unternehmerische Freiheit) der Charta der Grundrechte (GRC) determiniert werde. Es „mag schon sein“, dass § 1 Abs. 1 DSG gegenüber der DSGVO unionsrechtlich zurückzutreten habe, die DSGVO sei allerdings wie sich auch aus Erwägungsgrund 4 zur DSGVO ergebe unter Beachtung der dargelegten Grundrechte nach der GRC auszulegen. Bei der Anwendung der DSGVO sei auf die in der GRC verbürgten Rechte Rücksicht zu nehmen und bei einer (wie hier erfolgten) Interessenabwägung seien dem Recht auf Datenschutz die (oben genannten) Grundrechte der Revisionswerberin gegenüberzustellen.

20 Die den Unternehmensgegenstand der Revisionswerberin bildende Immobilienentwicklung umfasse auch künftige Erwerbsmöglichkeiten. Vor diesem Hintergrund sei ein einmaliges postalisches Schreiben an die Mitbeteiligte, die Tochter der Liegenschaftseigentümerin, weder ungeeignet noch überschießend. Es komme häufig vor, dass Kinder nach dem Tod eines Elternteils das Erbe im Wissen ausschlagen, dass sie den Nachlass nach dem Tod des zweiten Elternteils ohnehin erhalten; zudem sei anzunehmen, dass die Mitbeteiligte ihre Mutter von einem bestehenden Kaufinteresse in Kenntnis setzen werde, sofern ein Verkaufsinteresse besteht. Es sei nicht unzulässig, gegenüber Personen, die mit der Liegenschaftseigentümerin in verwandtschaftlicher Beziehung stünden, ein Ankaufsinteresse zu bekunden. Die von der Revisionswerberin gewählte Vorgehensweise sei durch die ihr zustehende Informationsfreiheit, Berufsfreiheit und unternehmerische Freiheit gedeckt. Nach Erwägungsgrund 47 zur DSGVO sei die Direktwerbung als eine einem berechtigten Interesse dienende Verarbeitung anzusehen. Gemäß § 107 Telekommunikationsgesetz 2003 (TKG 2003) seien Anrufe oder die Zusendung von elektronischer Post zur Direktwerbung an eine Einwilligung geknüpft, woraus sich e contrario ergebe, dass die Zusendung von persönlich adressierter Werbung per Post ohne eine solche Einschränkung zulässig sei. Bei zutreffender Interessenabwägung hätte das BVwG daher zum Ergebnis gelangen müssen, dass die rechtlichen Interessen der Revisionswerberin als Unternehmerin die Interessen der Mitbeteiligten überwiegen würden.

21 Schließlich sieht die Revisionswerberin eine Verletzung von Verfahrensvorschriften darin, dass sich das BVwG begründend auf eine (rechtlich nicht bindende) Stellungnahme der (lediglich eine beratende Funktion innehabenden) „Art 29 Datenschutzgruppe“ gestützt habe, ohne der Revisionswerberin diese Stellungnahme zur Kenntnis zu bringen und ihr dazu Parteiengehör einzuräumen.

22 4.1. Die belangte Behörde bringt in ihrer Revisionsbeantwortung zunächst vor, dass weder Art. 8 GRC noch die DSGVO eine Privilegierung zugunsten „allgemein verfügbarer Daten“ kennen würden, weshalb § 1 Abs. 1 DSG insoweit von unionsrechtlichen Vorgaben verdrängt werde. Darüber hinaus bestreitet die belangte Behörde unter Verweis auf Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes, dass es sich bei den Daten aus dem öffentlichen Grundbuch per se um „allgemein verfügbare Daten“ handle.

23 4.2. Zu den von der Revisionswerberin ins Treffen geführten Grundrechten nach der GRC verweist die DSB auf (näher zitierte) Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH), wonach im Allgemeinen von einem Überwiegen der durch Art. 7 und 8 GRC gewährleisteten Rechte zumindest gegenüber dem Recht nach Art. 11 GRC auszugehen sei. Vorliegend falle die Interessenabwägung jedenfalls zugunsten von Art. 8 GRC aus, weil nicht nachvollziehbar sei, weshalb zum Zweck der Akquise eines Grundstückes aus der Urkundensammlung des Grundbuchs Daten einer Person ermittelt worden seien, die über das Grundstück überhaupt nicht verfügungsberechtigt sei. Diese Person müsse daher auch nicht damit rechnen, dass ein Dritter ihre Daten verarbeite, um sie zu kontaktieren.

24 5.1. Anders als die Verfassungsbestimmung des § 1 Abs. 1 zweiter Satz DSG enthalten weder Art. 8 GRC (Schutz personenbezogener Daten) noch die DSGVO eine Ausnahme für Daten, die allgemein verfügbar bzw. öffentlich zugänglich sind. Der EuGH hat zu der dem Grunde nach vergleichbaren unionsrechtlichen Rechtslage vor der DSGVO eine allgemeine Ausnahme von der Anwendung der (damals noch) Richtlinie 95/46/EG zugunsten veröffentlichter Daten ausdrücklich abgelehnt, weil dies die Richtlinie weitgehend leerlaufen lassen würde (siehe EuGH 16.12.2008, C 73/07, Satakunnan Markkinapörssi und Satamedia , Rn. 48 f). Dies kann für die DSGVO nicht anders beurteilt werden (siehe zur Vergleichbarkeit der jeweiligen Bestimmungen über den Anwendungsbereich EuGH 20.10.2022, C 306/21, Koalitsia „Demokratichna Bulgaria Obedinenie“ , Rz. 37.

25 Im Hinblick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts ist somit in einem Fall, der (wie vorliegend) in den Anwendungsbereich der DSGVO und daher des Unionsrechts fällt, eine Datenverarbeitung auch dann nicht vom Recht auf Schutz personenbezogener Daten ausgenommen, wenn es sich um allgemein verfügbare Daten im Sinn des § 1 Abs. 1 zweiter Satz DSG handeln sollte (vgl. auch Thiele/Wagner , DSG 2 § 1 DSG Rz. 115, 118; sowie noch zur Rechtslage vor der DSGVO Jahnel , Handbuch Datenschutzrecht, Rz. 1/52, 4/27).

26 Ausgehend davon ist für die Revisionswerberin mit ihrem Hinweis auf die das Recht auf Schutz personenbezogener Daten gegenüber den unionsrechtlichen Vorgaben einschränkende Ausnahme des § 1 Abs. 1 zweiter Satz DSG hinsichtlich allgemein verfügbarer Daten im vorliegenden Fall nichts zu gewinnen. Mangels Maßgeblichkeit dieser Ausnahmeregelung kommt es fallbezogen auch nicht darauf an, ob es sich bei den in der Urkundensammlung des Grundbuchs einsehbaren Daten um allgemein verfügbare Daten im Sinn dieser Bestimmung handelt bzw. ob aus der ins Treffen geführten Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes (OGH 4.11.2010, 8 Ob 11/10s), wonach sich aus der Öffentlichkeit des Grundbuchs nicht ergibt, dass die dem Register zu entnehmenden Tatsachen allgemein bekannt oder gerichtskundig sind, für die Frage der allgemeinen Verfügbarkeit etwas ableiten lässt.

27 Gemäß Art. 4 Z 2 DSGVO erfasst die „Verarbeitung“ von Daten jeden Vorgang im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten wie (ua.) das Erfassen oder die Verwendung. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff „Verarbeitung“ weit zu verstehen (vgl. EuGH 24.2.2022, C 175/20, Valsts ieņēmumu dienests [Verarbeitung personenbezogener Daten für steuerliche Zwecke] , Rn. 35). Eine (von der Revisionswerberin in Zweifel gezogene) Verknüpfung mit weiteren Daten ist für eine Einstufung als Verarbeitung nicht zwingend geboten. Vor diesem Hintergrund ist für den Verwaltungsgerichtshof nicht zweifelhaft, dass es sich beim hier zugrundeliegenden Vorgang, dem Auslesen von Daten aus der Urkundensammlung des Grundbuchs und der Verwendung dieser Daten zum Zweck der Bekanntgabe eines Kaufinteresses an die betroffene Person, um eine Verarbeitung personenbezogener Daten im Sinn des Art. 4 Z 2 DSGVO handelt. Dem vermag die Revisionswerberin auch mit ihrem Verweis auf eine „Entscheidungspraxis“ der DSB nicht wirksam entgegenzutreten.

28 5.2. Ausgehend davon ist das BVwG zutreffend davon ausgegangen, dass für die Rechtmäßigkeit der Verarbeitung der Erlaubnistatbestand des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO erfüllt sein muss (das Vorliegen eines der Rechtfertigungsgründe der lit. a bis e des Art. 6 Abs. 1 DSGVO steht fallbezogen nicht in Rede). Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist gemäß Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO rechtmäßig, wenn die Verarbeitung zur Wahrung der berechtigten Interessen des Verantwortlichen oder eines Dritten erforderlich ist, sofern nicht die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Person, die den Schutz personenbezogener Daten erfordern, überwiegen.

29 5.2.1. Nach der Rechtsprechung des EuGH ist der Rechtfertigungsgrund nach (ua.) der lit. f des Art. 6 Abs. 1 DSGVO eng auszulegen. Die Beweislast dafür, dass Daten auf rechtmäßige Weise verarbeitet werden, trägt der Verantwortliche (vgl. zu allem EuGH 4.7.2023, C 252/21, Meta Platforms u.a. , Rn. 93, 95).

30 Weiters hat der EuGH wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass Verarbeitungen personenbezogener Daten nach Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO unter drei kumulativen Voraussetzungen rechtmäßig sind: Erstens muss von dem für die Verarbeitung Verantwortlichen oder von einem Dritten ein berechtigtes Interesse wahrgenommen werden, zweitens muss die Verarbeitung der personenbezogenen Daten zur Verwirklichung des berechtigten Interesses erforderlich sein und drittens dürfen die Interessen oder Grundrechte und Grundfreiheiten der Person, deren Daten geschützt werden sollen, gegenüber dem berechtigten Interesse des Verantwortlichen oder eines Dritten nicht überwiegen (vgl. wiederum EuGH C 252/21, Rn. 106, mwN).

31 Der EuGH hat (in einem Fall betreffend die Vorgängerregelung des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO in Art. 7 lit. f der Richtlinie 95/46/EG) auch anerkannt, dass für die Abwägung (der einander gegenüberstehenden Rechte und Interessen) auch die unterschiedlich schwere Beeinträchtigung der Grundrechte der betroffenen Person durch die Datenverarbeitung je nachdem, ob die in Rede stehenden Daten öffentlich zugänglich sind oder nicht, berücksichtigt werden kann (vgl. EuGH 11.12.2019, C 708/18, TK , Rn. 54).

32 Für die Beurteilung der Erforderlichkeit der Datenverarbeitung ist aber zu prüfen, ob das berechtigte Interesse an der Verarbeitung der Daten nicht in zumutbarer Weise ebenso wirksam mit anderen Mitteln erreicht werden kann, die weniger stark in die Grundrechte und Grundfreiheiten der betroffenen Personen, insbesondere die durch die Art. 7 und 8 GRC garantierten Rechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten, eingreifen (vgl. wiederum EuGH C 252/21, Rn. 108). Der EuGH hat in diesem Zusammenhang etwa davon gesprochen, dass die Verarbeitung innerhalb der Grenzen dessen zu erfolgen hat, was zur Verwirklichung des berechtigten Interesses „unbedingt notwendig“ ist (EuGH C 252/21, Rn. 126), bzw. dass sich die Ausnahmen und Einschränkungen in Bezug auf den Schutz personenbezogener Daten auf das „absolut Notwendige“ beschränken müssen (vgl. EuGH 17.6.2021, C 597/19, M.I.C.M. , Rn. 110).

33 5.2.2. Bezogen auf den vorliegenden Fall ergibt sich daraus Folgendes:

34 Zwar weist die Revisionswerberin dem Grunde nach zutreffend darauf hin, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zweck der Direktwerbung als eine einem berechtigten Interesse des Verantwortlichen dienende Verarbeitung angesehen werden kann (siehe Erwägungsgrund 47 zur DSGVO sowie darauf Bezug nehmend EuGH C 252/21, Rn. 115).

35 Allerdings ist eine unbedingte Erforderlichkeit der Verarbeitung personenbezogener Daten zur Bekanntgabe eines Kaufinteresses an einer Liegenschaft und damit zur Verwirklichung des von der Revisionswerberin wahrgenommenen Interesses in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem der betroffenen Person, deren Daten verarbeitet wurden, kein Eigentum an dieser Liegenschaft und keine Verfügungsberechtigung zukommt, für den Verwaltungsgerichtshof nicht ersichtlich. Daran vermag auch das von der Revisionswerberin ins Treffen geführte verwandtschaftliche Verhältnis (zwischen der Mitbeteiligten und der Grundstückseigentümerin) bzw. die mögliche Informationsweitergabe (von der Mitbeteiligten an die Grundstückseigentümerin) nichts zu ändern. Auch hinsichtlich der von ihr geltend gemachten Grundrechte nach Art. 11 (Freiheit der Meinungsäußerung), Art. 15 (Berufsfreiheit) und Art. 16 (unternehmerische Freiheit) GRC zeigt die Revisionswerberin nicht auf, inwieweit sich aus diesen eine Notwendigkeit ergibt, personenbezogene Daten der Mitbeteiligten (als einer vom Kaufinteresse der Revisionswerberin und damit von dem von ihr verfolgten Interesse nicht unmittelbar betroffenen Person) zu verarbeiten. Schließlich lässt sich auch aus dem Umstand, dass im (damals noch maßgeblichen) TKG 2003 (somit in einer auf die elektronische Kommunikation abstellenden Regelung; siehe nunmehr § 174 TKG 2021) die Zusendung elektronischer Post zu Zwecken der Direktwerbung ohne vorherige Einwilligung des Empfängers für unzulässig erklärt wurde, nicht der Umkehrschluss ziehen, dass die Verarbeitung personenbezogener Daten zum Zweck der Zusendung einer persönlich adressierten Werbung per Post ohne Einwilligung aus datenschutzrechtlicher Sicht jedenfalls zulässig wäre.

36 Ausgehend davon ist die Beurteilung des BVwG, dass die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO für eine Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung fallbezogen nicht erfüllt seien, nicht zu beanstanden. Schon deshalb kann auch dem von der Revisionswerberin geltend gemachten Verfahrensmangel keine Relevanz zukommen.

37 Im Hinblick auf die (auszugsweise dargestellte) eingehende Rechtsprechung des EuGH (auch) zu Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO sieht sich der Verwaltungsgerichtshof schließlich nicht veranlasst, der Anregung auf Einleitung eines Vorabentscheidungsersuchens nachzukommen. Zudem hat der EuGH bereits festgehalten, dass es Sache des vorlegenden Gerichts ist, festzustellen, ob die verschiedenen Elemente der in Rede stehenden Verarbeitung durch (zB) die in Art. 6 Abs. 1 lit. f DSGVO genannten Erfordernisse gerechtfertigt ist (vgl. erneut EuGH C 252/21, Rn. 96).

38 6. Die Revision war somit gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

39 Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 1. Februar 2024

Rückverweise