Ra 2015/21/0023 3 – Verwaltungsgerichtshof (VwGH) Rechtssatz
Hinsichtlich der Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 ist unstrittig, dass eine einstweilige Verfügung nach § 382b oder § 382e EO nicht erlassen worden ist. Warum eine solche aber auch nicht erlassen werden hätte können, wird vom VwG im angefochtenen Erkenntnis nicht begründet. §§ 382b und 382e EO setzen voraus, dass eine Person einer anderen Person "durch einen körperlichen Angriff, eine Drohung mit einem solchen oder ein die psychische Gesundheit erheblich beeinträchtigendes Verhalten" das weitere Zusammenleben (§ 382b EO) bzw. Zusammentreffen (§ 382e EO) unzumutbar macht. Die Fremde hat sowohl körperliche Angriffe als auch Drohungen durch ihren (geschiedenen) Ehemann behauptet und zur Untermauerung ihres Vorbringens auch eine Strafanzeige vorgelegt. Das VwG hätte sich mit diesen insgesamt nicht nur "vagen und unbestimmten" - Behauptungen näher auseinandersetzen und Feststellungen zu den Angriffen und Drohungen treffen müssen, wozu zweckmäßigerweise auch in die Akten des Strafverfahrens Einsicht zu nehmen gewesen wäre. Nur auf Basis solcher auf einer schlüssigen und nachvollziehbaren Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen wäre eine Beurteilung dahingehend möglich gewesen, ob eine einstweilige Verfügung nach § 382b oder § 382e EO erlassen werden hätte können. Bejahendenfalls wäre weiters - ausgehend von den Angaben der Fremden, der die Glaubhaftmachung dieser Voraussetzung oblag - zu erheben gewesen, ob der Aufenthaltstitel nach § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist. Dabei ist es verfehlt, nur darauf abzustellen, dass es seit der räumlichen Trennung der Ehepartner abgesehen von den behaupteten Drohungen bei der Besuchsrechtsausübung zu keiner tatsächlichen Gewaltausübung mehr gekommen ist. Vielmehr ist die Situation im Herkunftsland in den Blick zu nehmen, wo der Fremden -
folgt man ihren Behauptungen im Verfahren vor dem VwG - im Fall der Abschiebung sowohl von ihrem ebenfalls einer Ausreiseverpflichtung nach Armenien unterliegenden geschiedenen Ehemann als auch von dessen dort lebenden Verwandten Gewalt droht. Sollten diese Behauptungen zutreffen, wäre der Aufenthaltstitel nach § 57 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 nur dann nicht zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich, wenn feststünde, dass in Armenien ausreichender staatlicher Schutz vor derartigen Bedrohungen gewährleistet ist. Diese Beurteilung würde eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Situation in Armenien in Bezug auf den Schutz vor Gewalt an Frauen, insbesondere mit dem im Verfahren vor dem VwG vorgelegten Bericht der Schweizer Flüchtlingshilfe voraussetzen.