JudikaturBVwG

I424 2169742-2 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
12. Juni 2025

Spruch

I424 2169742-2/2Z

TEILERKENNTNIS

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Barbara EBNER, Bakk.phil. als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. NIGERIA, vertreten durch RA Dr. Christina Haslwanter, Stadtgraben 15/1, 6060 Hall in Tirol als Erwachsenenvertreterin und die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (in der Folge: BBU GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.04.2025, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit verfahrensgegenständlich angefochtenem Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA/belangte Behörde) vom 28.04.2025 wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: BF), Staatsangehörigkeit Nigeria, auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt II.), eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nicht erteilt (Spruchpunkt III.), eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.), festgestellt, dass die Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.), ein auf die Dauer von 10 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VI.), der Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VII.) und ausgesprochen, dass keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VIII.).

In Bezug auf den hier relevanten Spruchpunkt VII. stützte sich die belangte Behörde auf § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I. 87/2012 in der geltenden Fassung (in der Folge: BFA-VG) und führte begründend im Wesentlichen aus, der BF sei mehrfach vorbestraft und bestehe jedenfalls das Risiko eines neuerlichen, massiven gewalttätigen Rückfalls. Dies in Anbetracht der verschiedenen Anlässe zu denen sich das Gewaltpotential des BF bereits realisiert habe. Der BF stelle daher eine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. 2. Mit dem am 30.05.2025 beim BFA eingebrachten Schriftsatz erhob der BF durch seine Rechtsvertretung fristgerecht und vollumfänglich Beschwerde gegen den vorangeführten Bescheid. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig in Folge der Verletzung von Verfahrensvorschriften und leide zudem an einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung.

Der BF halte sich seit März 2004 in Österreich auf. Spätestens seit dem Jahr 2006 leider der BF unter einer paranoiden-halluzinatorischen Schizophrenie und wurde dem BF auch eine Intelligenzminderung diagnostiziert. Im Jahr 2010 wurde er wegen einer in diesem Zustand begangenen strafbaren Handlung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Nach einer vorübergehenden Entlassung sei der BF im Jahr 2023 aufgrund des Deliktes Widerstand gegen die Staatsgewalt neuerlich in einem forensisch-therapeutischen Zentrum untergebracht worden. Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 13.09.2024 sei der BF bedingt, unter der Erteilung von Weisungen aus der Unterbringung entlassen worden. Dies, da die Schizophrenie nunmehr in das Residualstadium eingetreten sei und die Symptomatik optimal medikamentös supprimiert sei. Die Gefährlichkeit, gegen welche sich die Maßnahme gerichtet habe, bestehe nun nicht mehr.

Die belangte Behörde habe keine ausreichenden Ermittlungen zur medizinischen Behandlung des BF angestrengt. Der BF benötige engmaschige ärztliche und medizinische Versorgung. Diese könne ihm im Herkunftsstaat nicht garantiert werden. Die belangte Behörde hätte ein medizinisches Sachverständigengutachten einholen müssen und feststellen müssen, welche konkreten Beeinträchtigungen der BF aufgrund seiner Krankheit aufweise und welche Therapien er benötige. Es wäre auch eine Prognose anzustellen gewesen, welche Auswirkungen auf den Gesundheitszustand des BF zu erwarten wären, wenn ihm die Therapien nicht zuteilwerden würden. In Bezug auf den schwer psychisch kranken und behandlungsbedürftigen BF sei davon auszugehen, dass dieser nicht in der Lage ist sich in Nigeria ausreichend selbst zu versorgen, sich um seine medizinische Versorgung zu kümmern und für seine Behandlungskosten aufzukommen, dies insbesondere auch unter Berücksichtigung der geminderten Arbeitsfähigkeit des BF.

Überdies würden starke Zweifel an der Einvernahmefähigkeit des BF aufgrund seiner psychischen Krankheiten und seiner medikamentösen Behandlung bestehen. Die belangte Behörde habe ihre Ermittlungspflicht auch dadurch verletzt, dass sie keine aktuellen Bestätigungen über die Einkommenssituation des BF eingeholt habe. In der Beschwerde wird bezweifelt, dass der BF tatsächlich in Bezug der Invaliditätspension steht.

Der BF verfüge in Österreich über ein familiäres Netzwerk, da sich seine Eltern und sein Zwillingsbruder in Österreich aufhalten würden. Aufgrund seiner Erkrankung falle es dem BF schwer soziale Kontakte zu knüpfen und seien die familiären Bindungen für den BF daher umso bedeutender.

In Zusammenhang mit dem verhängten Einreiseverbot habe es die belangte Behörde unterlassen eine individualisierte Gefährdungsprognose zu erlassen und habe somit die vom BF ausgehende Gefährdung nicht im erforderlichen Ausmaß geprüft.

Es wurden die Anträge gestellt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Verhandlung durchführen, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen, dem BF den Status des Asylberechtigten zuerkennen, in eventu ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen, in eventu den angefochtenen Bescheid bezüglich den Spruchpunkt IV. beheben bzw. die Rückkehrentscheidung für auf Dauer unzulässig erklären, in eventu den angefochtenen Bescheid beheben und das Verfahren an die belangte Behörde zurückzuverweisen, das Einreiseverbot beheben sowie dem BF eine Frist zur freiwilligen Ausreise gewähren, in eventu das Einreiseverbot auf eine angemessene Dauer herabsetzen und alle nicht geltend gemachten Rechtswidrigkeiten von Amts wegen aufgreifen.

3. Die gegenständliche Beschwerde und der Bezug habende Verwaltungsakt wurden in weiterer Folge vom BFA vorgelegt und sind am 10.06.2025 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Nigeria, Angehöriger der Volksgruppe der Esan und bekennt sich zum römisch-katholischen Christentum.

Die belangte Behörde stellt im angefochtenen Bescheid die Arbeitsfähigkeit des BF fest. Wenige Zeilen später stellt die Behörde fest, dass der BF ab dem Jahr 2009 „nur mehr als eingeschränkt erwerbsfähig angesehen werden kann“. Aus der Beweiswürdigung geht hervor, dass sich die belangte Behörde bei der Feststellung der eingeschränkten Erwerbsfähigkeit auf den Pensionsbescheid der PVA aus dem Jahr 2016 sowie auf die Einsicht in den aktuellen AJ-Web-Auszug des BF stützt.

Die belangte Behörde stellte fest, dass Geschwister des BF in Nigeria leben. Der BF verfüge somit über ein familiäres Netzwerk und könne die Familie auch die tägliche Medikamenteneinnahme des BF überwachen. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass sich das Federal Neuro Psychiatric Hospital als erste Anlaufstelle für Rückkehrer anbietet. Im Wesentlichen geht die belangte Behörde davon aus, dass der BF durch den Bezug der österreichischen Pension finanziell gut gestellt ist und daher in Nigeria Zugang zu medizinischer Versorgung habe. Sein familiäres Netzwerk würde ihn zudem unterstützen und vor etwaigen Gefahren aufgrund der Stigmatisierung als psychisch erkrankte Person bewahren. In Bezug auf die Verfügbarkeit der für den BF erforderlichen Medikamente verweist die belangte Behörde in der Beweiswürdigung auf diverse Anfragebeantwortungen. Feststellungen finden sich hierzu jedoch keine.

Die Feststellungen zum schützenswerten Familienleben des BF im angefochtenen Bescheid stützen sich überwiegend auf ältere Aussagen des Vaters des BF aus dem Jahr 2002, den erteilten Aufenthaltstitel, älteren Bescheiden und Stellungnahmen aus den Jahren 2015 und 2018 sowie auf die Ausführungen in einer Beschwerde aus dem Jahr 2017.

Mit Schreiben vom 24.08.2024 an das Landesgericht XXXX regte behandelnde Ärztin der Psychiatrie und Psychotherapie Station A des LKA XXXX die bedingte Entlassung des BF aus der forensisch-therapeutischen Maßnahme an. Begründend wurde ausgeführt, der BF sei aktuell optimal medikamentös eingestellt.

Mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 10.09.2024 wurde der BF unter Setzung einer fünfjährigen Probezeit bedingt entlassen. Es wurden dem BF die Weisungen erteilt im vollzeitbetreuten PSP/Return-Wohnheim XXXX Wohnsitz zu nehmen und an den Therapie- und Beschäftigungsprogrammen teilzunehmen, der regelmäßigen Medikamenteneinnahme nachzukommen, an regelmäßige fachärztliche Kontrollen teilzunehmen und unaufgefordert Nachweis betreffend die Einhaltung der Weisungen an das Vollzugsgericht zu übermitteln. Begründend wurde ausgeführt aus Sicht des Vollzugsgerichts bestehe die Gefährlichkeit gegen die sich die vorbeugende Maßnahme gerichtet habe unter Berücksichtigung der angeordneten Weisungen nicht mehr.

Der BF lebt momentan im Wohnheim XXXX in XXXX .

Dass der BF seinen gerichtlichen Weisungen nicht nachkomme, ist dem Gericht nicht bekannt und ist aufgrund der betreuten Wohnsituation nicht davon auszugehen.

II.2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Volksgruppenzugehörigkeit und zum Religionsbekenntnis des BF stützen sich auf den angefochtenen Bescheid. Diese Feststellungen wurden in der Beschwerde nicht bestritten.

Die Ausführungen in Bezug auf die festgestellte Arbeitsfähigkeit, die vorgenommene Einschränkung, der BF sei nur eingeschränkt erwerbsfähig und die dazu vorgenommene Beweiswürdigung stützen sich auf den angefochtenen Bescheid (s. insbesondere Seite 36 und 123).

Die Feststellungen in Bezug auf das von der belangten Behörde festgestellte familiäre Netzwerk des BF sowie die Feststellungen zur Verfügbarkeit der medizinischen Versorgung in Nigeria stützen sich auf den angefochtenen Bescheid (s. insbesondere Seite 129f).

Die Feststellung, dass sich die Behörde bei der Feststellung des schützenswerten Familienlebens des BF in Österreich auf ältere Unterlagen bezieht, stützen sich auf den angefochtenen Bescheid (s. insbesondere Seite 130).

Die Feststellungen zur beantragten bedingten Entlassung des BF durch seine behandelnde Ärztin stützen sich auf das im Akt befindliche Schreiben vom 24.08.2024 (s. Aktenseite 615ff).

Die Feststellungen zum Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 10.09.2024 stützen sich auf die Einsichtnahme in diesen Beschluss (s. Aktenseite 627ff).

Dass der BF derzeit im Wohnheim XXXX in XXXX wohnt ergibt sich aus der Einsichtnahme in den aktuellen ZMR-Auszug des BF.

Im vorliegenden Verwaltungsakt findet sich kein Hinweis darauf, dass der BF seinen gerichtlichen Weisungen nicht nachkomme. Da er in einer vollbetreuten Wohneinheit lebt und regelmäßig dem Vollzugsgericht die Einhaltung der Weisungen nachweisen muss, geht das erkennende Gericht davon aus, dass der BF sich an die gerichtlichen Weisungen hält.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung

Gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Die belangte Behörde begründete den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung im gegenständlichen Fall damit, dass an der sofortigen Ausreise des BF ein öffentliches Interesse bestehen würde. Sein Verbleib in Österreich stelle eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar. Dies, da der BF im Zeitraum 2004 bis 2022 unter dem Einfluss seiner Erkrankung zahlreiche Straftatbestände verschiedener Art verwirklicht habe und das Risiko eines neuerlichen, massiv gewalttätigen Rückfalls bestehe.

Der VwGH hielt fest, dass zur Begründung der Notwendigkeit der sofortigen Ausreise darzutun ist, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort - ohne Aufschub und unabhängig vom Ergebnis des Beschwerdeverfahrens - zu erfolgen hat. Voraussetzung ist also der Nachweis, dass besondere Umstände vorliegen, die wegen der Dringlichkeit der aufenthaltsbeendenden Maßnahme die sofortige Durchsetzbarkeit der erstinstanzlichen Entscheidung erfordern (VwGH 5.5.2020, Ra 2019/21/0061; 11.12.2024, Ra 2021/17/0117). Es genügt nicht, auf eine - die Aufenthaltsbeendigung als solche rechtfertigende - Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch den Fremden zu verweisen, sondern es ist darüber hinaus darzutun, warum die Aufenthaltsbeendigung sofort zu erfolgen hat; dazu ist es nicht ausreichend, jene Überlegungen ins Treffen zu führen, die schon bei der Entscheidung über die Verhängung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme selbst maßgeblich waren (vgl. VwGH 12.9.2013, 2013/21/0094; 3.7.2018, Ro 2018/21/0007). Die Notwendigkeit der sofortigen Ausreise als gesetzliche Voraussetzung für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung betreffend die Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung erfordert also das Vorliegen besonderer Umstände, die mit den Voraussetzungen für die Aufenthaltsbeendigung als solche nicht gleichzusetzen sind (VwGH 21.12.2022, Ra 2020/21/0248).

Dass an der sofortigen Ausreise der BF ein öffentliches Interesse besteht, ist Voraussetzung für die Erlassung der Rückkehrentscheidung, taugt jedoch für sich alleine genommen - entsprechend der zitierten Judikatur des VwGH - nicht zur Begründung des Ausschlusses der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG. Die belangte Behörde begründet den Ausschluss der aufschiebenden Wirkung mit der Gefahr eines Rückfalles des BF.

Wie festgestellt, wurde der BF mit Beschluss des Landesgerichtes XXXX vom 10.09.2024 unter Setzung von Weisungen aus der forensisch-therapeutischen Maßnahme bedingt entlassen. Der Beschluss stützt sich im Wesentlichen auf das Schreiben der behandelnden Ärztin der Psychiatrie und Psychotherapie Station A des LKA XXXX vom 24.08.2024. Die bedingte Entlassung aus einer forensisch-therapeutischen Maßnahme setzt voraus, dass die Gefährlichkeit gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtete unter Berücksichtigung der angeordneten Weisungen nicht mehr besteht und wurde dies vom Vollzugsgericht auch so festgestellt.

Wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid ausführt aufgrund der Vorstrafen des BF bestehe die Gefahr eines neuerlichen, massiven gewalttätigen Rückfalls, wäre es aus Sicht des erkennenden Gerichts notwendig, diese Einschätzung unter Berücksichtigung der gegenteiligen Ausführungen im genannten Gerichtsbeschluss und der diesem zugrundeliegenden Gutachten zu begründen. Dies hat die belangte Behörde jedoch unterlassen bzw. dazu lediglich ausgeführt, der BF sei bereits im Jahr 2021 aus einem Maßnahmenvollzug entlassen worden und danach wieder rückfällig geworden, weswegen die damalige Einschätzung unzutreffend war (s. angefochtener Bescheid Seite 149). Allein aus der Tatsache, dass sich die Gefährlichkeitsprognose im Jahr 2021 nicht bewahrheitete, ist jedoch nicht nachvollziehbar, wie die belangte Behörde aktuell zur Einschätzung gelangt, der BF sei nach wie vor gefährlich. Dass der BF seinen gerichtlichen Weisungen nicht nachkomme, ist dem Gericht nicht bekannt und ist aufgrund der betreuten Wohnsituation nicht davon auszugehen, weshalb dem Gericht auch amtswegig keine Hinweise auf eine nach wie vor bestehende akute Gefährlichkeit des BF bekannt geworden sind.

Mangels gegenteiliger Hinweise geht erkennende Gericht im aktuellen Verfahrensstadium davon aus, dass die Einschätzung der behandelnden Ärztin und der darauf aufbauende Beschluss des Landesgerichtes XXXX korrekt sind und vom BF - bei Einhaltung der Weisungen - keine Gefährlichkeit mehr ausgeht. Somit kann aber auch keine Notwendigkeit für eine sofortige Ausreise des BF aus Österreich erkannt werden.

Aufgrund der Tatsache, dass § 18 Abs 5 BFA-VG vom Bundesverwaltungsgericht binnen einer Woche in einem Eilverfahren eine Annahme über die Gefahr einer Grundrechtsverletzung verlangt, ist davon auszugehen, dass hier mit einer Prognose aufgrund der Aktenlage vorzugehen ist. Schon im Hinblick darauf, dass Grundrechte oder sonstige massive Interessen des BF beeinträchtigt werden könnten, dürfen die anzulegende Prüfdichte und der Wahrscheinlichkeitsgrad nicht allzu hoch sein. Gewissheit kann in diesem Stadium des Verfahrens nicht vorausgesetzt werden, weil damit das Schicksal der Beschwerde schon entschieden wäre. Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten; vielmehr handelt es sich dabei um eine der Sachentscheidung vorgelagerte Verfügung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen.

Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des VwGH fehlt es im gegenständlichen Fall an einer gesetzlichen Voraussetzung für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung - nämlich der Notwendigkeit der sofortigen Ausreise. Der Beschwerde war somit schon aus diesem Grund die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Der VwGH führt hinsichtlich der Verhandlungspflicht nach § 21 Abs. 7 BVA-VG in ständiger Judikatur wie folgt aus: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des BVwG immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das BVwG die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes eben außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten ist bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 08. September 2015, Ra 2014/01/022, mwN und viele andere mehr).

Der BF machte in der Beschwerde ein reales Risiko einer Verletzung der zu berücksichtigenden Konventionsbestimmungen sowie der Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK geltend. Im Wesentlichen führt der BF an, ihm drohe eine Verletzung der genannten Rechte aufgrund seiner psychischen Erkrankung. Im Falle der Rückkehr des BF nach Nigeria sei davon auszugehen, dass dieser nicht in der Lage ist sich ausreichend selbst zu versorgen, sich um seine medizinische Versorgung zu kümmern und für seine Behandlungskosten aufzukommen, dies insbesondere auch unter Berücksichtigung der geminderten Arbeitsfähigkeit des BF.

Die belangte Behörde stützte sich in der Begründung des angefochtenen Bescheides im Wesentlichen auf die Tatsache, dass der BF durch den Bezug der österreichischen Pension finanziell gut gestellt sei und daher in Nigeria Zugang zu medizinischer Versorgung habe. Sein familiäres Netzwerk würde ihn zudem unterstützen und vor etwaigen Gefahren aufgrund der Stigmatisierung als psychisch erkrankte Person bewahren.

Im angefochtenen Bescheid finden sich jedoch keine Feststellungen zu den Lebensumständen der Angehörigen in Nigeria, insbesondere zu deren Wohnort. Es geht aus dem angefochtenen Bescheid nicht hervor, ob der BF bei seinen Angehörigen Wohnsitz nehmen könnte und ihm gleichzeitig der - in Nigeria grundsätzlich eingeschränkte - Zugang zur benötigten medizinischen Versorgung auch möglich wäre. Dieser Punkt wird daher im Rahmen einer mündlichen Verhandlung zu erörtern sein.

Die belangte Behörde stellte zudem die Arbeitsfähigkeit bzw. „eingeschränkte Erwerbsfähigkeit“ des BF fest, geht gleichzeitig jedoch vom Bezug einer Invaliditätspension aus. Da Voraussetzung für den Bezug einer Invaliditätspension jedoch eine Arbeitsunfähigkeit ist, liegt hier nach Ansicht des Gerichts ein nicht auflösbarer Widerspruch in den Feststellungen der belangten Behörde vor. Zudem wird der bestehende Bezug einer Invaliditätspension in der Beschwerde bestritten bzw. in Frage gestellt. In Bezug auf die Arbeits(un)fähigkeit des BF und seiner Einkommenssituation bzw. der Einkommenssituation im Falle einer Rückkehr nach Nigeria werden daher ergänzende Ermittlungen notwendig sein.

Wie festgestellt stützt sich die belangte Behörde in Bezug auf die Feststellungen zum schützenswerten Privat- und Familienleben des BF auf veraltete Dokumente. Insbesondere aufgrund der langen Aufenthaltsdauer des BF in Österreich und seines Gesundheitszustandes wäre es jedoch aus Sicht des erkennenden Gerichts notwendig abzuklären welches tatsächliche Privat- und Familienleben der BF aktuell führt, wie der Kontakt mit seinen Angehörigen gestaltet ist und wie sich die Rückkehr des BF und der Verlust seiner familiären Kontakte in Österreich auf ihn auswirken würde, insbesondere auch ob ein Abhängigkeitsverhältnis zu seinen Angehörigen in Österreich besteht. Feststellungen hierzu ergeben sich aus dem angefochtenen Bescheid keine. Auch in diesem Punkt kann daher nicht von einem vollständig erhobenen Sachverhalt ausgegangen werden.

In Bezug auf die Rückkehrentscheidung führt die belangte Behörde selbst aus, es handle sich im gegenständlichen Fall um eine Wahrscheinlichkeitsprognose deren pro- und contra-Argumente sich gleichmäßig die Waage halten würden. Die belangte Behörde entscheide im Sinne der Vorsichts- und Gemeinwohlprinzipien. Das Risiko einer Verletzung der Rechte anderer Personen sei zu groß, um im Inland zu beobachten, ob der BF von seiner Geisteskrankheit geheilt sei (s. angefochtener Bescheid Seite 150).

Aufgrund der dargestellten Sachlage (insbesondere der Erkrankung des BF, der langen Aufenthaltsdauer, der Rückkehr in einen Staat mit eingeschränkter medizinischer Versorgung, der nicht eindeutig geklärten Verfügbarkeit eines familiären Netzwerkes im Heimatstaat und der nicht geklärten Bedeutung des familiären Netzwerkes des BF in Österreich) ist im gegenständlichen Fall nicht von einer unbestrittenen und aktuellen Sachlage auszugehen und wird eine Beweisaufnahme sowie die Einvernahme der BF im Rahmen einer mündlichen Verhandlung notwendig sein, was ebenfalls dafürspricht, der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.

Gegenständlich war ein Teilerkenntnis (vgl. auch § 59 Abs. 1 letzter Satz AVG) zu erlassen, da das BVwG über die Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde zu entscheiden hat (vgl. VwGH 19.06.2017, Fr 2017/19/0023).

Eine mündliche Verhandlung entfällt, weil über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung ohne weiteres Verfahren und unverzüglich zu entscheiden ist (VwGH 09.06.2015, Ra 2015/08/0049).

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Rückverweise