JudikaturVfGH

G74/2025 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
05. Juni 2025
Leitsatz

Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen der IO und des VfGG mangels Möglichkeit, einen Parteiantrag im Insolvenzverfahren zu stellen

Spruch

I. Der Antrag wird zurückgewiesen.

II. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird abgewiesen.

Begründung

I. Sachverhalt und Antragsvorbringen

1. Das Landesgericht Salzburg eröffnete mit Beschluss vom 25. Juni 2024 über das Vermögen der Antragstellerin das Insolvenzverfahren und bestellte eine näher bezeichnete Person als Masseverwalter.

2. Mit Beschluss vom 29. April 2025 wies das Landesgericht Salzburg den Antrag der Antragstellerin auf Auszahlung von Beträgen vom Massekonto zur Sicherung des Lebensunterhaltes ab. Das Landesgericht Salzburg wies unter einem den Antrag der Antragstellerin auf Ablehnung des für die Antragstellerin bestellten Masseverwalters und auf Bestellung einer anderen, geeigneten Person ab.

3. Aus Anlass eines Rekurses gegen diesen Beschluss des Landesgerichtes Salzburg stellt die Antragstellerin einen Parteiantrag gemäß Art140 Abs1 Z1 litd BVG auf Aufhebung des §62a Abs1 Z8 VfGG sowie auf Aufhebung näher bezeichneter Bestimmungen der Insolvenzordnung (§78 Abs2 und Abs3 IO, §79 IO, §80 a und b IO, §81 IO) wegen Verfassungswidrigkeit. Die Antragstellerin bringt unter einem eine "Verfassungsgerichtshofbeschwerde gemäss Art144 B VG" ein und begehrt die Bewilligung der Verfahrenshilfe im folgenden Umfang: "1. Befreiung von der Entrichtung aller Kosten und Gebühren, 2. Beigebung eines Rechtsanwalts, 3. Erstattung notwendiger Barauslagen."

II. Rechtslage

1. §62a Abs1 Z8 Verfassungsgerichtshofgesetz L 1953 (VfGG), BGBl 85/1953, idF BGBl I 88/2023 lautet wie folgt:

"§62a. (1) Eine Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, kann einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben (Art140 Abs1 Z1 litd B VG). Die Stellung eines solchen Antrages ist unzulässig:

[…]

8. im Insolvenzverfahren;

[…]"

2. Die maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über das Insolvenzverfahren (Insolvenzordnung – IO), RGBl. 337/1914, idF BGBl I 147/2021 lauten:

" Sicherungsmaßnahmen und Benachrichtigungen von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens

§78. (1) […]

(2) Das Gericht hat zugleich mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Post- und Telegraphendienststellen, die nach Lage der Wohnung und der Betriebsstätte in Betracht kommen, von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu benachrichtigen. Solange es keinen gegenteiligen Beschluß faßt, haben diese Stellen dem Insolvenzverwalter alle Sendungen auszuhändigen, die sonst dem Schuldner auszufolgen wären. Das gilt nicht für die mit der Post beförderten gerichtlichen oder sonstigen amtlichen Briefsendungen, sofern sie mit einem auf die Zulässigkeit der Zustellung trotz der Postsperre hinweisenden amtlichen Vermerk versehen sind.

(3) Der Insolvenzverwalter darf die ihm ausgehändigten Sendungen öffnen. Er hat gerichtliche und sonstige amtliche Schriftstücke, die die Masse nicht berühren, mit einem auf die Anhängigkeit des Insolvenzverfahrens hinweisenden Vermerk zurückzusenden. Ansonsten hat der Insolvenzverwalter dem Schuldner Einsicht in die an diesen gerichteten Mitteilungen zu gewähren und ihm die Sendungen, die die Masse nicht berühren, unverzüglich auszufolgen.

[…]

Bekanntmachung der Aufhebung des Insolvenzverfahrens

§79. (1) Ist der Beschluss, mit dem das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, auf Grund eines Rekurses rechtskräftig abgeändert worden, so ist dies in derselben Weise öffentlich bekannt zu machen, wie die Eröffnung des Insolvenzverfahrens.

(2) Die Beendigung der Wirkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist den Behörden und Stellen mitzuteilen, die gemäß §§75 und 78 von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens benachrichtigt worden sind.

(3) Gleichzeitig ist zu veranlassen, daß die gemäß §77 vollzogenen Anmerkungen der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und die Eintragung in die Insolvenzdatei gelöscht und alle die freie Verfügung des Schuldners beschränkenden Maßnahmen aufgehoben werden.

Auswahl des Insolvenzverwalters

§80a. (1) Das Insolvenzgericht hat eine für den jeweiligen Einzelfall geeignete Person auszuwählen, die eine zügige Durchführung des Insolvenzverfahrens gewährleistet. Dabei hat das Gericht insbesondere das Vorhandensein einer hinreichenden Kanzleiorganisation und einer zeitgemäßen technischen Ausstattung sowie die Belastung mit anhängigen Insolvenzverfahren zu berücksichtigen.

(2) Bei der Auswahl hat das Gericht weiters zu berücksichtigen:

1. allfällige besondere Kenntnisse, insbesondere der Betriebswirtschaft sowie des Insolvenz-, Steuer- und Arbeitsrechts,

2. die bisherige Tätigkeit der in Aussicht genommenen Person als Insolvenzverwalter und

3. deren Berufserfahrung.

(3) Erfüllt keine der in die Insolvenzverwalterliste aufgenommenen Personen diese Anforderungen oder ist keine bereit, die Insolvenzverwaltung zu übernehmen, oder ist eine besser geeignete, zur Übernahme bereite Person nicht in die Liste eingetragen, so kann das Insolvenzgericht eine nicht in die Insolvenzverwalterliste eingetragene Person auswählen.

Unabhängigkeit des Insolvenzverwalters

§80b. (1) Der Insolvenzverwalter muss vom Schuldner und von den Gläubigern unabhängig sein. Er darf kein naher Angehöriger (§32) und kein Konkurrent des Schuldners sein und auch nicht in einem vorangegangenen Reorganisationsverfahren Reorganisationsprüfer gewesen sein.

(2) Der Insolvenzverwalter hat Umstände, die geeignet sind, seine Unabhängigkeit in Zweifel zu ziehen, unverzüglich dem Gericht anzuzeigen. Er hat dem Insolvenzgericht jedenfalls bekannt zu geben, dass er

1. den Schuldner, dessen nahe Angehörige (§32) oder organschaftliche Vertreter vertritt oder berät oder dies innerhalb von fünf Jahren vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens getan hat,

2. einen Gläubiger des Schuldners vertritt oder berät oder einen Gläubiger gegen den Schuldner innerhalb von drei Jahren vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vertreten oder beraten hat oder

3. einen unmittelbaren Konkurrenten oder vom Verfahren wesentlich Betroffenen vertritt oder berät.

(3) Ist der Insolvenzverwalter eine juristische Person oder eine eingetragene Personengesellschaft, so hat diese das Vorliegen einer Vertretung oder Beratung nach Abs2 Z1 bis 3 auch hinsichtlich der Gesellschafter, der zur Vertretung nach außen berufenen sowie der maßgeblich an dieser juristischen Person oder dieser eingetragenen Personengesellschaft beteiligten Personen dem Insolvenzgericht bekannt zu geben.

(4) Die vom Insolvenzverwalter bekannt gegebenen Umstände sind in der ersten Gläubigerversammlung zu erörtern; bei späterer Bekanntgabe in einer zu diesem Zweck vom Gericht einberufenen Gläubigerversammlung.

Pflichten und Verantwortlichkeit des Insolvenzverwalters

§81. (1) Der Insolvenzverwalter hat die durch den Gegenstand seiner Geschäftsführung gebotene Sorgfalt (§1299 ABGB) anzuwenden und über seine Verwaltung genaue Rechnung zu legen.

(2) Gegenüber den Sonderinteressen einzelner Beteiligter hat er die gemeinsamen Interessen zu wahren.

(3) Der Insolvenzverwalter ist allen Beteiligten für Vermögensnachteile, die er ihnen durch pflichtwidrige Führung seines Amtes verursacht, verantwortlich.

(4) Der Insolvenzverwalter hat die ihm zugewiesenen Tätigkeiten selbst auszuüben. Für einzelne Tätigkeiten, insbesondere die Prüfung der Bücher, die Schätzung des Anlage- und Umlaufvermögens und die vorausschauende Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Unternehmensfortführung kann er Dritte mit Zustimmung des Gerichtes heranziehen. Diese darf nur erteilt werden, wenn die betreffende Tätigkeit besondere Schwierigkeiten bietet, der zu Betrauende zur Erfüllung der Aufgabe geeignet und verläßlich ist und eine wesentliche Schmälerung der Masse nicht zu gewärtigen ist. Unter diesen Voraussetzungen kann das Gericht auch von Amts wegen oder auf Antrag des Insolvenzverwalters oder des Gläubigerausschusses die Prüfung durch Sachverständige anordnen. Gegen diesen Beschluß ist kein Rechtsmittel zulässig."

III. Zur Zulässigkeit

1. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

1.1. Gemäß Art140 Abs1a BVG iVm §62a Abs1 Z8 VfGG ist ein Parteiantrag in Insolvenzverfahren ausgeschlossen. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem von Amts wegen eingeleiteten Gesetzesprüfungsverfahren mit Erkenntnis VfSlg 20.113/2016 ausgesprochen, dass es verfassungsrechtlich unbedenklich ist, in Insolvenzverfahren die Stellung eines Parteiantrages gemäß Art140 Abs1 Z1 litd BVG auszuschließen (vgl auch zum Exekutionsverfahren VfSlg 20.060/2016). Der Verfassungsgerichtshof hielt in diesem Erkenntnis fest, dass der Ausnahmetatbestand "Insolvenzverfahren" in §62a Abs1 Z8 VfGG eng auszulegen ist. Der Tatbestand "Insolvenzverfahren" erfasst nur Verfahren nach jenen Vorschriften, die das eigentliche Insolvenzverfahren regeln. Sonstige Verfahren, die im Zusammenhang mit dem Insolvenzverfahren stehen, wie zB Verfahren zur Klärung streitiger Rechtssachen (zB Anfechtungs- oder Prüfungsverfahren), gehören hingegen nicht zum Insolvenzverfahren im Sinne des §62a Abs1 Z8 VfGG. Das Insolvenzverfahren weist auf Grund seines Zweckes Spezifika auf, die es dem Gesetzgeber erlauben, von der ihm durch Art140 Abs1a B VG eingeräumten Ermächtigung Gebrauch zu machen und für das Insolvenzverfahren die Stellung eines Parteiantrages für unzulässig zu erklären.

1.2. Da die Antragstellerin den vorliegenden Antrag auf Aufhebung näher bezeichneter Bestimmungen der Insolvenzordnung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens im Sinne des §62a Abs1 Z8 VfGG stellt, erweist sich der Antrag als unzulässig.

1.3. Bei diesem Ergebnis hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, ob weitere Prozesshindernisse bestehen.

2. Soweit sich die Antragstellerin mit einer "Verfassungsbeschwerde gemäss Art144 B VG" gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg vom 29. April 2025 wendet, ist ihr entgegenzuhalten, dass weder Art144 B VG – dieser bezieht sich nur auf Erkenntnisse und Beschlüsse der Verwaltungsgerichte (Art129 B VG) – noch eine andere Rechtsvorschrift dem Verfassungsgerichtshof die Zuständigkeit einräumt, Akte der ordentlichen Gerichtsbarkeit auf Grund einer an ihn gerichteten Beschwerde zu überprüfen (zB VfSlg 18.411/2008, 18.666/2009 mwN).

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg vom 29. April 2025 erweist sich daher als unzulässig und ist zurückzuweisen, ohne dass auf die Erfüllung sämtlicher Prozessvoraussetzungen einzugehen ist.

3. Da somit die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung vor dem Verfassungsgerichtshof als offenbar aussichtslos erscheint, ist ihr unter einem gestellter Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe abzuweisen (§63 Abs1 ZPO iVm §35 VfGG).

4. Diese Beschlüsse konnten gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG bzw §72 Abs1 ZPO ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.