JudikaturVfGH

E559/2023 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
28. November 2023

Spruch

I. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird im beantragten Umfang stattgegeben.

II. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

III. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Syriens. Am 26. November 2020 stellte er im Bundesgebiet einen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Wesentlichen damit, dass er seine Heimat bereits im Jahr 2013 im Alter von 13 Jahren gemeinsam mit seiner Familie wegen des Krieges und der schlechten Sicherheitslage verlassen habe. Er fürchte sich vor dem Krieg und dem syrischen Militär. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 18. November 2021 konkretisierte der Beschwerdeführer sein Vorbringen insoweit, als er angab, er würde im Fall seiner Rückkehr zum Militärdienst eingezogen werden. Einen Einberufungsbefehl habe er nicht erhalten, weil er seine Heimat bereits im Alter von zwölf oder 13 Jahren verlassen habe.

2. Mit Bescheid vom 14. März 2023 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihm den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine auf ein Jahr befristete Aufenthaltsberechtigung (Spruchpunkt III.).

3. Die ausschließlich gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – ohne die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 12. Jänner 2023 als unbegründet ab. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht dazu im Wesentlichen aus, dass es dem aus einer von den syrischen Streitkräften kontrollierten Provinz stammenden Beschwerdeführer, der sich nach wie vor im wehrdienstfähigen Alter befinde, nicht gelungen sei, eine asylrelevante Verfolgung glaubhaft zu machen. Seine Feststellung, dass dem Beschwerdeführer keine Gefahr drohe, im Fall seiner hypothetischen Rückkehr am Flughafen Damaskus zum Militärdienst der syrischen Streitkräfte eingezogen zu werden, begründete das Bundesverwaltungsgericht wie folgt:

"Die beschwerdeführende Partei hielt sich insgesamt bereits seit über zehn Jahren nicht mehr in Syrien auf. Wenn er auch im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme vorbrachte, dass er in Syrien zum Militär einrücken müsste, ist diesem Vorbringen entgegenzuhalten, dass die beschwerdeführende Partei diese Aussagen nicht näher konkretisieren oder belegen konnte, insbesondere vermochte er nicht darzulegen, wieso gerade er in das Blickfeld syrischer Streitkräfte geraten könnte und gefahrenerhöhende Elemente auf seine Person anzuwenden […] wären. Die Frage, ob er in Syrien einen Einberufungsbefehl erhalten hat, wurde von der beschwerdeführenden Partei bei der niederschriftlichen Einvernahme explizit verneint (AS 115).

Auch aus einer eingeholten ACCORD Anfragebeantwortung vom 16.09.2022 (Fragen zu syrischen Wehrdienstgesetzen) geht hervor, dass ein Wehrpflichtiger, der ohne gerechtfertigten Grund dem Einberufungsbefehl nicht nachkommt, an jedem Ort, an dem er angetroffen wird, verhaftet und verurteilt wird. Gerade dieses Risikoprofil trifft jedoch auf die beschwerdeführende Partei mangels Erhalts eines konkreten Einberufungsbefehls nicht zu."

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird. Begründend wird dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die Feststellung des Bundesverwaltungsgerichtes, der Beschwerdeführer sei nicht gefährdet, im Fall seiner Rückkehr nach Syrien zum Militärdienst des syrischen Regimes eingezogen zu werden, mit den vom Bundesverwaltungsgericht getroffenen Feststellungen zum Herkunftsort des Beschwerdeführers in Widerspruch stehe. Aus diesen ergebe sich, dass der im Entscheidungszeitpunkt 23 jährige Beschwerdeführer im Fall seiner Rückkehr nach Syrien seinen Pflichtwehrdienst absolvieren müsse und dabei Gefahr liefe, sich unfreiwillig an Kriegsverbrechen zu beteiligen oder deren Opfer zu werden.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen und die Abweisung der Beschwerde unter Verweis auf die Begründung seines Erkenntnisses beantragt.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 13.836/1994, 14.650/1996, 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.

Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg cit gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001, 20.374/2020; VfGH 14.3.2023, E3480/2022), oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001, 18.614/2008, 20.448/2021 und 20.478/2021).

Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001, 20.371/2020 und 20.405/2020).

3. Ein derartiger, in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:

3.1. Das Bundesverwaltungsgericht gibt in seinem Erkenntnis Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu Syrien vom 24. Jänner 2022 (im Folgenden: Länderinformationsblatt vom 24. Jänner 2022) wieder, obwohl zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl zu Syrien vom 29. Dezember 2022 zur Verfügung stand. Doch bereits aus den im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes wiedergegebenen Auszügen aus dem Länderinformationsblatt vom 24. Jänner 2022 ergibt sich, dass "jeder, der in der syrischen Armee oder in der syrischarabischen Luftwaffe dient, per Definition kategorisch zu Kriegsverbrechen" beiträgt.

3.2. Das Bundesverwaltungsgericht stützt seine Feststellung, dass dem Beschwerdeführer keine Gefahr drohe, im Fall seiner Rückkehr nach Syrien zum Militärdienst der syrischen Streitkräfte eingezogen zu werden, maßgeblich darauf, dass der Beschwerdeführer nach eigenen Angaben keinen Einberufungsbefehl erhalten habe. Zugleich stellt das Bundesverwaltungsgericht jedoch auch fest, dass der Beschwerdeführer Syrien bereits im Alter von zwölf Jahren verlassen habe. Den vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Erkenntnis wiedergegebenen Auszügen aus dem Länderinformationsblatt vom 24. Jänner 2022 ist dazu zu entnehmen, dass das syrische Regime bei der Einberufung neuer Rekruten Wehrdienstbescheide mit der Aufforderung, sich zum Militärdienst anzumelden, an Männer, die das wehrfähige Alter erreicht haben, sende. "Laut Gesetz sind in Syrien junge Männer im Alter von 17 Jahren dazu aufgerufen, sich ihr Wehrbuch abzuholen und sich einer medizinischen Untersuchung zu unterziehen. Im Alter von 18 Jahren wird man einberufen, um den Wehrdienst abzuleisten." Folglich hat der Beschwerdeführer Syrien lange, bevor er das wehrdienstfähige und für die Zustellung eines Einberufungsbefehles maßgebliche Alter erreicht hat, verlassen. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes als nicht nachvollziehbar.

3.3. Folglich stellt das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung auch nicht fest, welche Auswirkungen eine Rückkehr des Beschwerdeführers als potentiell zukünftiges Mitglied der syrischen Armee vor dem Hintergrund des herrschenden Bürgerkrieges (vgl dazu bereits VfGH 20.9.2022, E1138/2022; 15.3.2023, E2268/2022) in Syrien hätte. Aus der Entscheidung geht in der Folge auch nicht hervor, ob der Beschwerdeführer als potentiell zukünftiges Mitglied der syrischen Armee Gefahr liefe, selbst an der Begehung von Kriegsverbrechen oder Menschenrechtsverletzungen beteiligt zu werden (vgl erneut VfGH 20.9.2022, E1138/2022; 15.3.2023, E2268/2022).

4. Die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes entspricht sohin nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung gerichtlicher Entscheidungen; sie ist einer nachprüfenden Kontrolle durch den Verfassungsgerichtshof nicht zugänglich und daher mit Willkür belastet (VfSlg 20.267/2018; VfGH 11.6.2019, E183/2019; 28.11.2019, E3541/2019; 24.2.2021, E2470/2020).

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist im beantragten Umfang (§64 Abs1 Z1 lita bis c und e, Z2 sowie Z5 ZPO) stattzugeben.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

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