JudikaturVfGH

G149/2016 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
13. Dezember 2016

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

I. Antrag

Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B VG gestützten Antrag begehrt die Antragstellerin, "die Wortfolge im §1121 ABGB erster Satz ', wenn es in die öffentlichen Bücher eingetragen ist,' in eventu den gesamten zweiten Satz des §1121 ABGB, in eventu §1121 ABGB insgesamt," als verfassungswidrig aufzuheben. Darüber hinaus stellt die Antragstellerin den Antrag, "im §480 ZPO die Wortfolgen 'im einzelnen Fall' und 'so etwa wegen der Komplexität der zu entscheidenden Rechtssache' gemeinsam, in eventu einzeln, in eventu die Wortfolge 'wenn der Berufungssenat dies im einzelnen Fall, so etwa wegen der Komplexität der zu entscheidenden Rechtssache, für erforderlich hält' in eventu die Wortfolge 'wenn der Berufungssenat dies im einzelnen Fall, so etwa wegen der Komplexität der zu entscheidenden Rechtssache, für erforderlich hält; sonst erfolgt die Entscheidung über die Berufung in nicht öffentlicher Sitzung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung'", als verfassungswidrig aufzuheben.

II. Rechtslage

1. Die maßgebliche Bestimmung des §1121 des Allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuches für die gesammten deutschen Erbländer der Oesterreichischen Monarchie (Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch – ABGB), JGS 946/1811 idF RGBl. 69/1916, lautet (die angefochtene Gesetzesbestimmung ist hervorgehoben):

" §1121. Bei einer zwangsweisen gerichtlichen Veräußerung ist das Bestandrecht, wenn es in die öffentlichen Bücher eingetragen ist, gleich einer Dienstbarkeit zu behandeln. Hat der Ersteher das Bestandrecht nicht zu übernehmen, so muß ihm der Bestandnehmer nach gehöriger Aufkündigung weichen. "

2. Die maßgebliche Bestimmung des §480 des Gesetzes vom 1. August 1895, über das gerichtliche Verfahren in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten (Zivilprozessordnung – ZPO), RGBl. 113/1895 idF BGBl I 52/2009, lautet (die angefochtenen Gesetzesbestimmungen sind hervorgehoben):

"Anberaumung der Berufungsverhandlung.

§480. (1) Fehlt es an den Voraussetzungen für die Einholung einer Entscheidung des Berufungssenates oder wurde vom Berufungssenat die Berufungsschrift als zur Bestimmung einer Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung geeignet befunden, so ist eine mündliche Verhandlung über die Berufung anzuberaumen, wenn der Berufungssenat dies im einzelnen Fall, so etwa wegen der Komplexität der zu entscheidenden Rechtssache, für erforderlich hält; sonst erfolgt die Entscheidung über die Berufung in nicht öffentlicher Sitzung ohne vorhergehende mündliche Verhandlung . Die Tagsatzung zur mündlichen Berufungsverhandlung ist vom Vorsitzenden des Berufungssenats so anzuberaumen, dass zwischen der Zustellung der Ladung an die Parteien und der Tagsatzung ungefähr der Zeitraum von 14 Tagen liegt. In dringenden Fällen kann diese Frist auch abgekürzt werden.

(2) Gleiches gilt, wenn die wegen irriger Annahme einer Versäumung, wegen Unzuständigkeit des Gerichts, wegen der Entscheidung über die Streitanhängigkeit oder Rechtskraft oder wegen Nichtigkeit erhobene Berufung in nicht öffentlicher Sitzung vom Berufungsgerichte verworfen wurde, in der Berufungsschrift aber auch noch andere, der mündlichen Verhandlung vorbehaltene Anfechtungsgründe geltend gemacht sind.

(3) Haben die Parteien bereits die im Berufungsverfahren sie vertretenden Rechtsanwälte namhaft gemacht, so ist die Ladung zur mündlichen Verhandlung an letztere zu richten."

III. Antragsvorbringen

1. Die Antragstellerin stellt aus Anlass einer Revision gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 11. April 2016, Z 1 R 235/15i, beim Verfassungsgerichtshof den vorliegenden Antrag.

2. Die Antragstellerin erstattet zusammengefasst folgendes Vorbringen:

2.1. Der Kläger des Ausgangsverfahrens habe die Liegenschaft, welche die Antragstellerin als Beklagte des Ausgangsverfahrens für eine Vertragsdauer von 30 Jahren in Bestand genommen hat, in einer Zwangsversteigerung ersteigert.

2.2. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Bregenz vom 22. Juni 2015, Z 8  C535/14m, sei die Antragstellerin für schuldig erkannt worden, das von ihr mit ihrem Ehegatten bewohnte und zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzte Wohnhaus binnen 14 Tagen zu räumen.

2.3. Aus Anlass der Berufung gegen die Entscheidung erster Instanz habe die Antragstellerin einen Parteiantrag auf Normenkontrolle bezüglich der Bestimmung des §1121 ABGB eingebracht, dessen Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof mit Beschluss abgelehnt wurde (VfGH 25.2.2016, G363/2015).

2.4. Das Berufungsgericht habe in der Folge die Berufung ohne Durchführung der von der Antragstellerin beantragten mündlichen Verhandlung und ohne Gewährung von Parteiengehör hinsichtlich des Ablehnungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes abgewiesen. Das Urteil ändere den erstgerichtlichen Urteilsspruch ab, treffe neue Tatsachenfeststellungen und trage neue rechtliche Argumente vor.

3. Die Antragstellerin bringt vor, sie sei als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in zweiter Instanz entschiedenen Rechtssache (Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 11. April 2016) wegen Anwendung verfassungswidriger Gesetze in ihren Rechten verletzt.

3.1. Zum einen hegt die Antragstellerin vor dem Hintergrund der voneinander abweichenden Regelungen des §2 Abs1 MRG und des §1121 ABGB Bedenken in Bezug auf den Gleichheitsgrundsatz (Art7 B VG; Art2 StGG). Zum anderen macht die Antragstellerin in diesem Zusammenhang auch Bedenken hinsichtlich Art1 1. ZPEMRK geltend.

3.2. Hinsichtlich §480 ZPO bringt die Antragstellerin vor, das Landesgericht Feldkirch habe unter Berufung auf diese Bestimmung ihre durch Art6 EMRK verbürgten Rechte verletzt. Vor der Änderung des §480 ZPO im Jahr 2009 hätten alle Berufungsgerichte in Zivilsachen mündlich verhandeln müssen. Im Gefolge der Änderung rechtfertige nur mehr die Komplexität der Rechtssache nach dem Gesetz eine mündliche Verhandlung. Die Rechte auf Parteiengehör sowie auf ein faires Verfahren würden durch den Gesetzgeber ausgeblendet. Mündliche Verhandlungen dürften durch das Gesetz nicht auf Ausnahmefälle sowie Fälle von besonderer Komplexität beschränkt werden. Die angefochtene Bestimmung sei zudem der verfassungskonformen Interpretation nicht zugänglich.

IV. Zulässigkeit

1. Der Antrag ist unzulässig.

2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels.

3. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 2. Juli 2016, G95/2016, u.a. Wortfolgen in §62a Abs1 erster Satz VfGG als verfassungswidrig aufgeho-ben. Nach Aufhebung von Teilen des §62a VfGG durch dieses Erkenntnis hat der Verfassungsgerichtshof auf Grund von Art140 Abs1 Z1 litd B VG zu prüfen, ob der Antrag "aus Anlass" eines gegen eine Entscheidung eines ordentlichen Gerichts erster Instanz erhobenen Rechtsmittels gestellt wurde.

3.1. Mit der Revision, aus deren Anlass der Antrag nach Art140 Abs1 Z1 litd B VG erhoben wurde, wendete sich die Antragstellerin gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 11. April 2016 als Rechtsmittelgericht.

3.2. Der Antrag ist unzulässig, weil er aus Anlass eines Rechtsmittels gegen die Entscheidung eines Gerichtes zweiter Instanz erhoben wurde. Bei dem vorliegenden, aus Anlass einer Revision gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 11. April 2016 gestellten Parteiantrag handelt es sich nicht um eine Antragstellung "aus Anlass einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache" iSd Art140 Abs1 Z1 litd B VG (s. zur Beschränkung der Anfechtung auf in erster Instanz entschiedene Rechtssachen auch §62a Abs1 erster Satz VfGG; dazu bereits VfGH 26.9.2016, G288/2016; vgl. auch VfGH 2.7.2016, G95/2016).

3.3. Der Antragstellerin mangelt es daher an der Legitimation zur Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B VG.

3.4. Der Antrag ist schon aus diesem Grund unzulässig.

V. Ergebnis

1. Der Antrag wird als unzulässig zurückgewiesen.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite  VfGG ohne weiteres Verfahren und ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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