E2617/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung
Spruch
Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Ghana, reiste mit einem für den Zeitraum von 10. Juli 2014 bis 23. Oktober 2014 gültigen Visum C in das österreichische Bundesgebiet ein. Am 25. Februar 2015 heiratete sie einen österreichischen Staatsbürger, den sie 2012 in Ghana kennengelernt hatte. Am 24. Juli 2015 wurde das gemeinsame Kind geboren, dem die österreichische Staatsbürgerschaft zukommt.
2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Weiz vom 29. Mai 2015 wurde der – am 24. März 2015 durch ihren Rechtsvertreter und nach Belehrung (§19 Abs1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG) am 14. April 2015 persönlich eingebrachte – Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung des Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" (§8 Abs1 Z8 iVm §47 NAG), auf Zulassung der Inlandsantragstellung (§21 Abs3 NAG) sowie auf Absehen vom Nachweis von Deutschkenntnissen bei Stellung eines Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels (§21a Abs5 NAG) abgewiesen. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung vom Landesverwaltungsgericht Steiermark mit Erkenntnis vom 10. November 2015 abgewiesen.
Zur in §21 Abs2 und 3 ausnahmsweise vorgesehenen Möglichkeit der Inlandsantragstellung bei Erstanträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels traf das Landesverwaltungsgericht Steiermark folgende Ausführungen:
"Gemäß §21 Abs1 NAG sind Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Vertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.
Abweichend von §21 Abs1 NAG kann die Behörde gemäß §21 Abs3 NAG auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß §11 Abs1 Z1, 2 oder 4 NAG vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK (§11 Abs3 NAG) nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist. Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des erstinstanzlichen Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren.
Bei der nach §21 Abs3 NAG erforderlichen Interessensabwägung im Sinne des Art8 EMRK berücksichtigte die belangte Behörde den rechtswidrigen Aufenthalt der Beschwerdeführerin seit 24.10.2014, das Entstehen des Privat- und Familienlebens[…] der Beschwerdeführerin zu einem Zeitpunkt, in dem sie sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen ist, die fehlenden Kenntnisse der deutschen Sprache und die strafrechtliche Unbescholtenheit. Der Entscheidung wurde auch zu Grunde gelegt, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin Staatsangehöriger von Österreich ist und der Beschwerdeführerin auch bei bestehender Schwangerschaft die Ausreise aus dem Bundesgebiet zur Antragstellung aus dem Ausland zumutbar gewesen wäre.
Geht man nun davon aus, dass die Beschwerdeführerin mit ihrem nunmehrigen Ehemann, Herrn R[.] R[.], seit 25.02.2015 verheiratet ist, somit zu einem Zeitpunkt die Ehe eingegangen ist, als sich die Beschwerdeführerin bereits rechtswidrig im Bundesgebiet aufgehalten, den Antrag am 25.03.2015 gestellt hat und aus der Ehe das am 24.07.2015 geborene gemeinsame Kind, R[.] C[.] R[.], stammt, ist zwar grundsätzlich von einem Eingriff in das Familienleben der Beschwerdeführerin nach Art8 EMRK auszugehen, allerdings war ihr im Hinblick darauf, dass sie seit Oktober 2014 rechtswidrig im Bundesgebiet aufhältig ist, zu diesem Zeitpunkt und auch davor durchaus zumutbar, zur Antragstellung im Ausland aus dem Bundesgebiet auszureisen (VwGH 07.05.2014, ZI. 2012/22/0084). Zu berücksichtigen ist, dass die Beschwerdeführerin zu diesem Zeitpunkt weder verheiratet noch schwanger war [und] das Privat- und Familienleben zu diesem Zeitpunkt noch nicht so lange bestanden hat, dass eine Antragstellung vom Ausland nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre.
§21 Abs2 NAG sieht eine Ausnahme vom Prinzip der Auslandsantragsstellung unter anderem für Familienangehörige sowie für Drittstaatsangehörige, die zur visumsfreien Einreise berechtigt sind[, vor] und erfordert für beide Ausnahmen bei der Antragstellung den rechtmäßigen Aufenthalt. Da die Beschwerdeführerin zwar legal in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist ist, sich aber nach Ablauf ihres Visums C für den Schengenbereich seit 24.10.2014 rechtswidrig im Bundesgebiet aufhielt, erfüllt sie nicht die Voraussetzungen als Familienangehörige eines Österreichers für eine Inlandsantragstellung.
Die belangte Behörde ist somit zu Recht von einem zwingenden Abweisungsgrund bzw. Erteilungshindernis gemäß §11 Abs1 Z5 NAG ausgegangen."
Zu §11 Abs3 NAG 2005 führt das Landesverwaltungsgericht Steiermark aus:
"Gemäß §11 Abs3 NAG 2005 können Aufenthaltstitel unter anderem trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs2 Z3 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK geboten ist. Bei dieser Beurteilung [ist] unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an der Versagung des Aufenthaltstitels mit de[n] gegenläufigen privaten und familiären Interessen und der Berücksichtigung der in §11 Abs3 NAG 2005 näher angeführten Kriterien in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen (VwGH 22.12.2009, ZI. 2009/21/0348; VwGH 26.01.2012, ZI. 2010/21/0356).
Nach der einschlägigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes besteht nach Art8 EMRK weder das Recht, den geeignetsten Ort für die Entwicklung für das Familienleben zu wählen, noch die grundsätzliche Verpflichtung zur Herstellung des Familienlebens. Es bleibt jedem Vertragsstaat unbenommen, die Einreise von Nichtstaatsangehörigen einer Kontrolle zu unterwerfen. Gemäß Art8 EMRK besteht auch nicht die generelle Verpflichtung eines Vertragsstaates, die Wahl des Familienwohnsitzes durch verschiedene Familienmitglieder anzuerkennen und die Zusammenführung einer Familie auf seinem Gebiet zu erlauben (VfGH 08.10.2003, ZI. G119/03).
Es ist davon auszugehen, dass die österreichische Ankerperson, der Ehegatte der Beschwerdeführerin, bei Nichtgewährung des beantragten Aufenthaltstitels nicht gezwungen ist, Österreich und das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. Die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedsstaates aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Union wünschenswert erscheinen könnte, dass Familienangehörige, die nicht die Staatsbürgerschaft eines Mitgliedsstaats besitzen, sich mit ihnen zusammen im Gebiet der Union aufhalten […] können, rechtfertigt nicht die Annahme, dass der Unionsbürger, im gegenständlichen Fall der Ehegatte der Beschwerdeführerin und der gemeinsame Sohn, gezwungen wären, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn dem Familienangehörigen kein Aufenthaltsrecht gewährt wird. Im gegenständlichen Fall ist außerdem zu berücksichtigen, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin vor der Eheschließung jeweils mehrere Monate pro Jahr in Afrika verbracht hat.
Die belangte Behörde ist zu Recht davon ausgegangen, dass im gegenständlichen Fall die öffentlichen Interessen an einem geordneten Zuwanderungswesen und der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen durch eine Antragstellung im Ausland wesentlich höher zu gewichten sind, als die privaten Interessen der Antragstellerin. So lagen zu Gunsten der Antragstellerin weder ein besonders langer Aufenthalt im Bundesgebiet noch eine nachhaltige vertiefte Integration und nur ein seit kurzer Zeit bestehendes Familienleben vor. Die Beschwerdeführerin hat, wie im gegenständlichen Verfahren von ihrem Ehemann offen eingestanden, bewusst die Einwanderungsbestimmungen missachtet[,] um sich in Bezug auf die Ausgleichszulage einen finanziellen Vorteil zu verschaffen. Dass der Beschwerdeführerin der Flug in ihr Heimatland unzumutbar wäre, konnte aus den getroffenen Feststellungen nicht abgeleitet werden. Ein Vorbringen, wonach tatsächlich ein schwieriger Verlauf der Schwangerschaft vorgelegen habe oder gar eine Gefährdung des Kindes mit einem Flug verbunden gewesen wäre, wurde weder erbracht, noch durch irgendwelche Beweismittel untermauert.
In Anbetracht der Abwägung der Umstände gelangt das Landesverwaltungsgericht Steiermark zu dem Ergebnis, dass die Nichterteilung des beantragten Aufenthaltstitels auch unter Berücksichtigung des Art8 EMRK verhältnismäßig ist, weshalb der Beschwerdeführerin der beantragte Aufenthaltstitel, wie im Spruch ersichtlich, nicht erteilt werden konnte."
3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK behauptet wird.
4. Die Bezirkshauptmannschaft Weiz und das Landesverwaltungsgericht Steiermark legten den Verwaltungs- bzw. Gerichtsakt vor und nahmen von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG), BGBl I 100/2005 idF BGBl I 70/2015, lauten wie folgt:
"3. Hauptstück
Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen
Arten und Form der Aufenthaltstitel
§8. (1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:
[…]
8. Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' für die befristete Niederlassung mit der Möglichkeit, anschließend einen Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt – EU' (Z7) zu erhalten;
[…]
4. Hauptstück
Allgemeine Voraussetzungen
Allgemeine Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel
§11. (1) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn
1. gegen ihn ein aufrechtes Einreiseverbot gemäß §53 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß §67 FPG besteht;
2. gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;
3. gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß §21 Abs1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;
4. eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§30 Abs1 oder 2) vorliegt;
5. eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit §21 Abs6 vorliegt oder
6. er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.
(2) Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nur erteilt werden, wenn
1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;
2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;
3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;
4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;
5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden, und
6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß §14a rechtzeitig erfüllt hat.
(3) Ein Aufenthaltstitel kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs1 Z3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs2 Z1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;
4. der Grad der Integration;
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(4) Der Aufenthalt eines Fremden widerstreitet dem öffentlichen Interesse (Abs2 Z1), wenn
1. sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden würde oder
2. der Fremde ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung hat und im Hinblick auf deren bestehende Strukturen oder auf zu gewärtigende Entwicklungen in deren Umfeld extremistische oder terroristische Aktivitäten derselben nicht ausgeschlossen werden können.
[(5)–(7) …]
[…]
Verfahren bei Erstanträgen
§21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.
(2) Abweichend von Abs1 sind zur Antragstellung im Inland berechtigt:
1. Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;
2. Fremde bis längstens sechs Monate nach Ende ihrer rechtmäßigen Niederlassung im Bundesgebiet, wenn sie für diese Niederlassung keine Bewilligung oder Dokumentation nach diesem Bundesgesetz benötigt haben;
[3.–4. …]
5. Fremde, die an sich zur visumfreien Einreise berechtigt sind, während ihres erlaubten visumfreien Aufenthalts;
6. Fremde, die eine Aufenthaltsbewilligung als Forscher (§67) beantragen, und deren Familienangehörige jeweils nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;
7. Drittstaatsangehörige, die einen Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte' gemäß §41 Abs1 beantragen, während ihres rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet mit einem Visum gemäß §24a FPG;
8. Drittstaatsangehörige, die einen Aufenthaltstitel 'Rot-Weiß-Rot – Karte' gemäß §41 beantragen, während ihres rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet mit einer Bestätigung gemäß §64 Abs4;
9. Drittstaatsangehörige, die gemäß §1 Abs2 liti oder j AuslBG oder §1 Z5, 7 oder 9 AuslBVO vom Anwendungsbereich des AuslBG ausgenommen sind oder die unter §1 Z4 Personengruppenverordnung 2014 – PersGV 2014, BGBl II Nr 340/2013, fallen und die eine Aufenthaltsbewilligung 'Sonderfälle unselbständiger Erwerbstätigkeit' oder eine Aufenthaltsbewilligung 'Studierender' beantragen, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts und
10. […]
(3) Abweichend von Abs1 kann die Behörde auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn kein Erteilungshindernis gemäß §11 Abs1 Z1, 2 oder 4 vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist:
1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§2 Abs1 Z17) zur Wahrung des Kindeswohls oder
2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK (§11 Abs3).
Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Fremde zu belehren.
(4) Beabsichtigt die Behörde den Antrag nach Abs3 zurück- oder abzuweisen, so hat die Behörde darüber im verfahrensabschließenden Bescheid abzusprechen.
(5) […]
(6) Eine Inlandsantragstellung nach Abs2 Z1, Z4 bis 10, Abs3 und 5 schafft kein über den erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalt hinausgehendes Bleiberecht. Ebenso steht sie der Erlassung und Durchführung von Maßnahmen nach dem FPG nicht entgegen und kann daher in Verfahren nach dem FPG keine aufschiebende Wirkung entfalten.
Nachweis von Deutschkenntnissen
§21a. (1) Drittstaatsangehörige haben mit der Stellung eines Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §8 Abs1 Z2, 4, 5, 6 oder 8 Kenntnisse der deutschen Sprache nachzuweisen. Dieser Nachweis hat mittels eines allgemein anerkannten Sprachdiploms oder Kurszeugnisses einer durch Verordnung gemäß Abs6 oder 7 bestimmten Einrichtung zu erfolgen, in welchem diese schriftlich bestätigt, dass der Drittstaatsangehörige über Kenntnisse der deutschen Sprache zumindest zur elementaren Sprachverwendung auf einfachstem Niveau verfügt. Das Sprachdiplom oder das Kurszeugnis darf zum Zeitpunkt der Vorlage nicht älter als ein Jahr sein.
(2) Abs1 gilt auch für Drittstaatsangehörige, die einen Antrag auf erstmalige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß §8 Abs1 Z2, 4, 5, 6 oder 8 im Zuge eines Verfahrens gemäß §24 Abs4 oder §26 stellen.
(3) Der Nachweis gilt überdies als erbracht, wenn die Voraussetzungen zur Erfüllung des Moduls 1 oder 2 der Integrationsvereinbarung (§§14a und 14b) vorliegen.
(4) Abs1 gilt nicht für Drittstaatsangehörige,
1. die zum Zeitpunkt der Antragstellung unmündig sind,
2. denen auf Grund ihres physischen oder psychischen Gesundheitszustandes die Erbringung des Nachweises nicht zugemutet werden kann; dies hat der Drittstaatsangehörige durch ein amtsärztliches Gutachten oder ein Gutachten eines Vertrauensarztes einer österreichischen Berufsvertretungsbehörde nachzuweisen, oder
3. die Familienangehörige von Inhabern eines Aufenthaltstitels gemäß §§41 Abs1, 42 oder 45 Abs1, letztere sofern der Zusammenführende ursprünglich einen Aufenthaltstitel 'Blaue Karte EU' innehatte, sind.
(5) Die Behörde kann auf begründeten Antrag eines Drittstaatsangehörigen von einem Nachweis nach Abs1 absehen:
1. im Fall eines unbegleiteten Minderjährigen (§2 Abs1 Z17) zur Wahrung des Kindeswohls, oder
2. zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK (§11 Abs3).
Die Stellung eines solchen Antrages ist nur bis zur Erlassung des Bescheides zulässig. Über diesen Umstand ist der Drittstaatsangehörige zu belehren; §13 Abs3 AVG gilt.
[(6)–(7) …]
[…]
2. Hauptstück
Familienangehörige und andere Angehörige von dauernd in Österreich wohnhaften Zusammenführenden
Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' und 'Niederlassungsbewilligung – Angehöriger'
§47. (1) Zusammenführende im Sinne der Abs2 bis 4 sind Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.
(2) Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ist ein Aufenthaltstitel 'Familienangehöriger' zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.
[(3)–(5) …]"
III. Erwägungen
Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
1. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende verwaltungsgerichtliche Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn es der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl. VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.657/2002).
2. Dem Landesverwaltungsgericht Steiermark ist bei der gemäß Art8 Abs2 EMRK gebotenen Abwägung ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen:
2.1. Gemäß §11 Abs3, §21 Abs3 Z2 bzw. §21a Abs5 Z2 NAG kann ein Aufenthaltstitel, die ausnahmsweise Inlandsantragstellung sowie eine Nachsicht vom Nachweis von Deutschkenntnissen erteilt bzw. zugelassen werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK geboten ist bzw. die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art8 EMRK nicht möglich oder nicht zumutbar ist.
2.2. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark begründet seine Entscheidung in Bezug auf die Inlandsantragstellung gemäß §21 Abs3 NAG insbesondere damit, dass, obgleich auf Grund der Ehe der Beschwerdeführerin mit einem österreichischen Staatsbürger und ihres am 24. Juli 2015 geborenen gemeinsamen Kindes von einem Eingriff in ihr Familienleben auszugehen sei, die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Antragstellung weder verheiratet noch schwanger gewesen sei und das Privat- und Familienleben zu diesem Zeitpunkt noch nicht so lange bestanden habe, dass eine Antragstellung vom Ausland nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre.
Bei der Abwägung im Rahmen des §11 Abs3 NAG führt das Landesverwaltungsgericht Steiermark insbesondere aus, dass der österreichische Ehegatte und das gemeinsame Kind der Beschwerdeführerin bei Nichtgewährung des beantragten Aufenthaltstitels nicht gezwungen wären, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass der Ehegatte der Beschwerdeführerin vor der Eheschließung jeweils mehrere Monate pro Jahr in Afrika verbracht habe. Die belangte Behörde sei daher zu Recht davon ausgegangen, dass die öffentlichen Interessen an einem geordneten Zuwanderungswesen und der Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen durch eine Antragstellung im Ausland wesentlich höher zu gewichten seien, als die privaten Interessen der Antragstellerin. So seien zu Gunsten der Antragstellerin weder ein besonders langer Aufenthalt im Bundesgebiet noch eine nachhaltig vertiefte Integration und nur ein seit kurzer Zeit bestehendes Familienleben vorgelegen.
3. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark hat bei der Interessenabwägung eine Auseinandersetzung mit den Folgen, die eine durch die Abweisung des Antrages der Beschwerdeführerin drohende Ausreise – wenn auch für die Dauer des Abwartens eines Niederlassungsverfahrens – und die damit verbundene Trennung von ihrem Ehemann und ihrem Kind, das die österreichische Staatsangehörigkeit besitzt, mit sich brächten, unterlassen und beschränkt sich auf die bloße Feststellung, dass der Ehemann der Beschwerdeführerin und der gemeinsame – im Zeitpunkt der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Steiermark nur 4 Monate alte – Sohn nicht gezwungen wären, das Gebiet der Union zu verlassen, wenn der Beschwerdeführerin kein Aufenthaltsrecht gewährt werde. Das Landesverwaltungsgericht Steiermark versäumt es hinsichtlich der damit getroffenen Annahme, der Vater könne die alleinige Obsorge für das gemeinsame neugeborene Kind übernehmen, eine konkrete und fallbezogene Begründung aufzunehmen. Das Verwaltungsgericht hätte in dieser Hinsicht ermitteln und bei seiner Abwägungsentscheidung berücksichtigen müssen, welche konkreten Auswirkungen eine Ausreise der Beschwerdeführerin auf das Kindeswohl hat, insbesondere, ob nicht in der konkreten Situation – angesichts der besonderen Bedürfnisse eines Kindes in der ersten Lebensphase – eine Trennung der Mutter von ihrem Kind faktisch auch das Kind zum Verlassen des Bundesgebietes zwingt (dieser Wertung folgt im Übrigen auch der EuGH in seiner Entscheidung vom 8. März 2011, Rs. C-34/09, Gerardo Ruiz Zambrano , Rz 43, wenn er festhält, dass einer einem Drittstaat angehörenden Person in dem Mitgliedstaat des Wohnsitzes ihrer minderjährigen Kinder, die diesem Mitgliedstaat angehören und denen sie Unterhalt gewährt, der Aufenthalt und eine Arbeitserlaubnis nicht verweigert werden dürfen; vgl. idS VfGH 11.6.2012, U128/12; 25.2.2013, U2241/12; 19.6.2015, E426/2015).
4. Indem das Landesverwaltungsgericht Steiermark die besondere Beziehung zwischen einem neugeborenen Kind und seiner Mutter somit bei seiner Abwägungsentscheidung nicht berücksichtigt, hat es – ungeachtet des Umstandes, dass das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich die Beschwerdeführerin ihres Aufenthaltsstatus bewusst war – diese mit einem in die Verfassungssphäre reichenden Mangel behaftet. Dies wird insbesondere auch nicht dadurch ausgeglichen, dass das Landesverwaltungsgericht Steiermark offenbar davon ausgeht, dass eine Fortsetzung des Familienlebens in Ghana möglich wäre, weil der Ehegatte der Beschwerdeführerin vor der Eheschließung jeweils mehrere Monate pro Jahr in Afrika verbracht habe. Damit vermag das Landesverwaltungsgericht Steiermark aber keine relevanten Argumente darzutun, die die Zumutbarkeit des Familiennachzuges von österreichischen Staatsbürgern in den Herkunftsstaat der Beschwerdeführerin zu begründen vermögen (vgl. idS VfSlg 18.832/2009, 19.362/2011; VfGH 14.6.2010, B326/08; 11.6.2012, U128/12). Vor diesem Hintergrund ist die vom Landesverwaltungsgericht Steiermark vorgenommene Abwägungsentscheidung unter Art8 EMRK in verfassungsrechtlich relevanter Weise fehlerhaft.
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit durch die angefochtene Entscheidung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher aufzuheben.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nicht öffentlicher Sitzung getroffen werden.