JudikaturVfGH

E4076/2020 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Entscheidung

Entscheidung
08. Juni 2021

Spruch

I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak und gegen die Feststellung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK verletzt worden.

Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.

2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.

Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist irakischer Staatsangehöriger und stellte nach seiner Einreise in das Bundesgebiet am 9. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Vater des Beschwerdeführers sei ein hoher Offizier der irakischen Armee gewesen und sei seit 2014 verschollen. Laut Ansicht des Beschwerdeführers seien die Schiiten für das Verschwinden seines Vaters verantwortlich, weswegen er befürchte, auf Grund der Abstammung von seinem Vater im Zusammenhang mit seiner Religionsgruppenangehörigkeit getötet oder entführt zu werden.

Der Beschwerdeführer ist seit Mai 2019 in aufrechter Lebensgemeinschaft mit einer irakischen Staatsangehörigen, welche in Österreich anerkannte Asylberechtigte ist. Gemeinsam mit ihr hat der Beschwerdeführer eine am 22. August 2020 geborene Tochter, welche ebenfalls anerkannte Asylberechtigte ist.

2. Mit Bescheid vom 13. September 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ab. Es erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei. Des Weiteren räumte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ein.

3. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht – nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 18. August 2020, schriftlich ausgefertigt am 2. Oktober 2020, ab. Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht aus, dass dem Beschwerdeführer hinsichtlich seines Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukomme. Der Beschwerdeführer verfüge im Herkunftsland über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Mutter und Schwester. Er sei arbeitsfähig und es könne deswegen davon ausgegangen werden, dass er seinen Lebensunterhalt wie bereits vor seiner Ausreise wieder als Friseur bestreiten könne. Dass der Beschwerdeführer bei der Rückkehr in den Herkunftssaat Folter, einer erniedrigenden Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, habe nicht festgestellt werden können. In Bezug auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die damit zusammenhängenden Aussprüche führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen Folgendes aus:

"Der BF brachte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor, dass er mit der irakischen Staatsangehörigen (…), der in Österreich der Status der Asylberechtigten zukommt, ein Kind erwartet. Der BF ist diese Beziehung jedoch zu einem Zeitpunkt eingegangen, zu dem dem BF die Unsicherheit seines lediglich auf einen Asylantrag gegründeten Aufenthaltes im Bundesgebiet längst klar war, zumal seine Anträge mit Bescheid der belangten Behörde abgelehnt worden waren und er sich bereits im Beschwerdeverfahren befand. Auch die Zeugung des Kindes fällt in diesen Zeitraum. Die Beziehung des BF und seiner Freundin entwickelte sich somit zur Gänze während des laufenden Beschwerdeverfahrens und somit auch zur Gänze in einem Zeitraum, zu dem der BF sich der Unsicherheit seines Aufenthalts in Österreich bewusst sein musste.

Das mit seiner Freundin gemeinsame Kind soll laut eingetragenem Geburtstermin auf der vorgelegten Kopie des Mutter-Kind-Passes seiner Freundin an einem bestimmten Tag Ende August geboren worden sein.

Vor dem Hintergrund, dass sich der BF der Unsicherheit seines einzig durch einen – letztlich – unbegründeten Asylantrag vorübergehend legitimierten Aufenthaltes bewusst war, hat sein erst kürzlich begründetes Familienleben eine Relativierung hinzunehmen.

Der BF reiste rechtswidrig in das Bundesgebiet ein und stellte in der Folge einen Antrag auf internationalen Schutz. Er ist seither als Asylwerber in Österreich aufhältig. Das Gewicht des fünfjährigen faktischen Aufenthalts des BF in Österreich ist allerdings maßgeblich dadurch abgeschwächt, dass der BF seinen Aufenthalt durch einen unberechtigten Antrag auf internationalen Schutz zu legalisieren versuchte, er konnte alleine durch die Stellung seines Antrags jedoch nicht in begründeter Weise von der zukünftigen dauerhaften Legalisierung seines Aufenthalts ausgehen. Einem inländischen Aufenthalt von weniger als fünf Jahren kommt ohne Hinzutreten weiterer maßgeblicher Umstände nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs noch keine maßgebliche Bedeutung hinsichtlich der durchzuführenden Interessensabwägung zu (VwGH 15.3.2016, Zl Ra 2016/19/0031 mwN).

Zwar ist der BF gerade seit 5 Jahren in Österreich, es sind jedoch keinerlei Bemühungen erkennbar, sich in Österreich zu integrieren.

Der BF verfügt in Österreich abgesehen von seiner Freundin zwar behaupteter Maßen über gewöhnliche soziale Kontakte, hat allerdings hierorts keine Anknüpfungspunkte in Form von Familie, einer legalen Erwerbstätigkeit oder anderweitiger maßgeblicher wirtschaftlicher Interessen und ist bislang zur Sicherstellung seines Auskommens auf Leistungen der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber angewiesen. Seine Freundin hat bereits 2 Kinder aus einer vorangegangen Beziehung und ist bei der Bestreitung ihres Lebensunterhaltes nicht auf den BF angewiesen.

Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige besondere Integration des BF in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht sind schon im Hinblick auf die kurze Dauer seines bisherigen Aufenthalts in Österreich, unter Verweis auf die Judikatur des VwGH, wonach dieser sogar einen durchgehenden Aufenthalt von nicht fünf Jahren noch als kurz bezeichnet, (vgl VwGH vom 08.03.2005, Zl 20040/18/0354), nicht erkennbar. Der BF verfügt nur über Grundkenntnisse der deutschen Sprache. Er hat die Deutschprüfung A1 abgelegt und versteht lediglich simpel formulierte Fragen. Er verständigt sich – bis auf eine kurze Passage – während der gesamten Verhandlung über den Dolmetscher. Ein Interesse des BF an einem raschem Spracherwerb ist nicht erkennbar und gibt er an, dass es ihm seelisch zu schlecht ging, um Deutsch zu lernen. Medikamente nimmt der BF jedoch nicht. Es ist insofern nicht nachvollziehbar, dass er nicht zumindest das letzte Jahr genutzt hat, um seine Deutschkenntnisse zu verbessern.

[…]

Der BF hat sich in beruflicher Hinsicht nicht integriert. Er hat während seines Aufenthalts im Bundesgebiet Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezogen.

Anlassbezogen konnte festgestellt werden, dass der BF im Bundesgebiet – sieht man von seiner irakischen Freundin ab – keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte aufzuweisen hat. Daraus ergibt sich, dass die Rückkehrentscheidung keinen unzulässigen Eingriff in dessen Recht auf Schutz des Familienlebens bildet.

[…]

Der Umstand, dass der BF mit einer irakischen Staatsangehörigen, auch wenn ihr in Österreich Asylstatus zukommt, ein Kind erwartet, vermag alleine nicht die nahezu vollständig fehlende Integration des BF aufzuwiegen, zumal diese Beziehung erst vor einem Jahr und rund vier Monaten begonnen hat. Würde man einer Schwangerschaft der Freundin derartige Bedeutung zukommen lassen, könnte jeder Asylwerber, dessen Asylantrag in erster Instanz abgelehnt wurde, durch das Zeugen eines Kindes mit einer in Österreich zum Aufenthalt berechtigten Person, Tatsachen schaffen, die auf den Erhalt eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen aufgrund besonders berücksichtigungswürdiger Integration hinauslaufen bzw der Abschiebung durch die bevorstehende Vaterschaft ein faktisches Hindernis entgegensetzen.

[…]"

4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der Entscheidung beantragt wird. Die Beschwerde wendet sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak sowie gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung.

Begründend wird dazu im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:

Das Bundesverwaltungsgericht habe seine Entscheidung mit Willkür belastet, indem es eine ordnungsgemäße Ermittlungstätigkeit in Bezug auf das Vorbringen des Beschwerdeführers, sein Bruder sei nach seiner Rückkehr in den Irak ermordet worden und würde deswegen die Bedrohung des Lebens und der Unversehrtheit für den Beschwerdeführer tatsächlich vorliegen, unterlassen habe. Zudem habe sich das Bundesverwaltungsgericht nicht mit den Länderberichten auseinandergesetzt und hätte es auf die Auswirkungen der COVID-19 Pandemie im Irak eingehen müssen, weswegen der Beschwerdeführer in seinen Rechten gemäß ArtI Abs1 BVG-Rassendiskriminierung sowie Art20, 21, 41 und 47 GRC verletzt worden sei. Weiters verletze die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts den Beschwerdeführer in seinen gemäß Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechten, da die Kombination der Länderfeststellungen mit den Faktoren des Beschwerdeführers – Zugehörigkeit zur sunnitisch-arabischen Minderheit, Funktion seines Vaters als hoher Schlüssel-Polizeioffizier unter "Saddam Hussein", Verschollenheit seines Vaters sowie Ermordung des Bruders des Beschwerdeführers im März 2019 – zur Feststellung hätte führen müssen, dass der Beschwerdeführer im Irak der Bedrohung seines Lebens und seiner Unversehrtheit ausgesetzt sei. Darüber hinaus stelle die Entscheidung einen Eingriff in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK und Art24 Abs3 GRC dar. Das Bundesverwaltungsgericht führe zwar den Geburtstermin Ende August 2020 an, gehe aber weder auf das Familienleben zwischen Vater und Tochter noch auf das Kindeswohl der Tochter ein. Zwischen dem Beschwerdeführer, seiner Lebensgefährtin und seiner Tochter bestehe ein aufrechtes Privat- und Familienleben im Sinne des Art8 EMRK. Bei der Prüfung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme seien die Auswirkungen auf das Kindeswohl zu berücksichtigen, weswegen der diesbezüglich maßgebliche Sachverhalt zu ermitteln sei, was nicht erfolgt sei.

5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber Abstand genommen.

6. Am 6. April 2021 langte beim Verfassungsgerichtshof ein Schreiben der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers mit der Information ein, dass der Beschwerdeführer – nach Bereitstellung der Dokumente bezüglich seiner Beschwerdeführung beim Verfassungsgerichtshof – die Beziehung zu ihr beendet und den Kontakt zu ihr und der gemeinsamen, am 22. August 2020 geborenen Tochter abgebrochen habe, weswegen kein Familienleben mehr bestehe.

7. Am 8. Juni 2021 langte beim Verfassungsgerichtshof eine Äußerung des Beschwerdeführers ein, in welcher dieser mitteilte, dass die Ausführungen im Schreiben der Lebensgefährtin vom 6. April 2021 unrichtig seien und er nach wie vor regelmäßig die Wahrnehmung seines Kontaktrechtes mit seiner Tochter pflege und das Familienleben mit ihr aufrecht halte.

II. Erwägungen

1. Die Beschwerde ist zulässig.

2. Soweit sich die Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak und gegen die Feststellung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise richtet, ist sie begründet.

3. Ein Eingriff in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich garantierte – unter Gesetzesvorbehalt stehende – Recht ist dann verfassungswidrig, wenn die ihn verfügende verwaltungsgerichtliche Entscheidung ohne jede Rechtsgrundlage ergangen ist, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsvorschrift beruht oder wenn das Verwaltungsgericht bei Erlassung der Entscheidung eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise angewendet hat; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn das Verwaltungsgericht einen so schweren Fehler begangen hat, dass dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre, oder wenn es der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellt hat (vgl VfSlg 11.638/1988, 15.051/1997, 15.400/1999, 16.567/2002).

4. Dem Bundesverwaltungsgericht ist bei der gemäß Art8 Abs2 EMRK gebotenen Abwägung ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler unterlaufen:

4.1. Das Bundesverwaltungsgericht führt im Rahmen seiner Interessenabwägung aus, dass beim Beschwerdeführer keine Hinweise auf eine zum Entscheidungszeitpunkt vorliegende berücksichtigungswürdige besondere Integration in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht erkennbar seien. Der Beschwerdeführer verfüge über Grundkenntnisse der deutschen Sprache; ein Interesse am raschen Spracherwerb sei jedoch nicht erkennbar. Der Beschwerdeführer sei auch in beruflicher Hinsicht nicht integriert, da er während seines Aufenthaltes im Bundesgebiet Leistungen aus der Grundversorgung bezogen habe. Vor dem Hintergrund, dass der Beschwerdeführer – abgesehen von seiner irakischen Freundin – keinerlei familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich aufzuweisen habe, ergebe sich, dass die Rückkehrentscheidung keinen unzulässigen Eingriff in das Recht auf Schutz des Familienlebens des Beschwerdeführers bilde.

4.2. Die vom Beschwerdeführer gerügte unzutreffende Berücksichtigung seiner privaten Interessen im Rahmen der Interessenabwägung – insbesondere die Berücksichtigung des Kindeswohles seiner Tochter – ist aus nachfolgenden Überlegungen zumindest teilweise zutreffend:

4.2.1. So ist dem Bundesverwaltungsgericht zwar zuzustimmen, dass nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes der Umstand, dass die nunmehrige Beziehung zwischen dem Beschwerdeführer und seiner irakischen Freundin zu einem Zeitpunkt eingegangen wurde, zu dem sich der Beschwerdeführer seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst gewesen sein musste, bei der nach Art8 Abs2 EMRK gebotenen Interessenabwägung zu berücksichtigen ist (vgl etwa VfSlg 18.223/2007 mwN). Jedoch führt dieser Umstand nicht dazu, dass eine aufenthaltsbeendende Maßnahme keinen Eingriff in das Recht auf Achtung des Familien- und Privatlebens darstellen würde (vgl etwa VfGH 25.2.2013, U2241/12; vgl auch VfGH 1.7.2009, U992/08, wonach die Aufnahme des Familienlebens während des Asylverfahrens gerade von jenen Fällen zu unterscheiden ist, in denen erst nach rechtskräftigem Abschluss des Asylverfahrens das Familienleben im Bundesgebiet aufgenommen wird und deshalb eine geringere Schutzwürdigkeit besteht, sowie VfGH 19.6.2015, E426/2015; 10.3.2020, E4269/2019).

4.2.2. Darüber hinaus ist zu beachten, dass nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes im Lichte des Art8 EMRK auch zu berücksichtigen ist, wenn die Lebensgefährtin oder Ehefrau eines Beschwerdeführers schwanger ist (vgl VfSlg 18.393/2008, 19.776/2013; VfGH 27.2.2018, E3775/2017; 26.2.2019, E3079/2018). Zudem sind nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes bei der Interessenabwägung nach Art8 Abs2 EMRK die konkreten Auswirkungen einer Aufenthaltsbeendigung für ein Elternteil auf das Wohl des Kindes zu ermitteln und zu berücksichtigen (vgl VfSlg 19.362/2011; VfGH 25.2.2013, U2241/2012; 19.6.2015, E426/2015; 9.6.2016, E2617/2015; 12.10.2016, E1349/2016; 14.3.2018, E3964/2017; 11.6.2018, E345/2018; 11.6.2018, E435/2018; 26.2.2019, E3079/2018; 10.3.2020, E4269/2019).

Im Zeitpunkt der Bestätigung der gegenständlichen Rückkehrentscheidung durch das am 18. August 2020 mündlich verkündete und am 2. Oktober 2020 schriftlich ausgefertigte angefochtene Erkenntnis war es für das Bundesverwaltungsgericht bereits im Zeitpunkt der mündlichen Verkündung der Entscheidung absehbar, dass der Beschwerdeführer demnächst (22. August 2020) Vater eines Kindes werden würde. Deshalb hätte das Bundesverwaltungsgericht eingehend begründen müssen, weshalb die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und die damit verbundene Trennung des Beschwerdeführers von seinem Kind im öffentlichen Interesse geboten erscheint (vgl VfSlg 19.776/2013). Das Bundesverwaltungsgericht erwähnt in diesem Zusammenhang lediglich, dass der Umstand, dass der Beschwerdeführer mit einer irakischen Staatsangehörigen – auch wenn dieser in Österreich Asylstatus zukomme – ein Kind erwarte, alleine nicht die nahezu vollständig fehlende Integration des Beschwerdeführers aufwiege, da die Beziehung erst vor einem Jahr und vier Monaten begonnen habe. Zudem könne dadurch jeder Asylwerber, dessen Asylantrag in erster Instanz abgelehnt werde, durch das Zeugen eines Kindes mit einer in Österreich zum Aufenthalt berechtigten Person, Tatsachen schaffen, die auf den Erhalt eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen auf Grund besonders berücksichtigungswürdiger Integration hinauslaufen bzw der Abschiebung durch die bevorstehende Vaterschaft ein faktisches Hindernis entgegensetzen würden. Mit diesen Ausführungen hat das Bundesverwaltungsgericht auf die Beziehung zwischen Vater und Kind aber gerade nicht im erforderlichen Ausmaß Bedacht genommen und insbesondere die Auswirkungen der Entscheidung auf das Kindeswohl (und hier vor allem auch die Bedeutung der Bindung eines Vaters zum Kind in den ersten Lebensmonaten für die Entwicklung eines Kindes) nicht berücksichtigt (vgl zur zu berücksichtigenden Beziehung zwischen Vater und Kind etwa VfGH 11.6.2018, E343/2018; 10.3.2020, E4269/2019 mwN). Das Vorbringen der Lebensgefährtin des Beschwerdeführers sowie die Äußerung des Beschwerdeführers, welche am 6. April bzw am 8. Juni 2021 beim Verfassungsgerichtshof einlangten, sind in diesem Zusammenhang unbeachtlich, da der Verfassungsgerichtshof seiner Prüfung nur jene Sachlage zugrunde legt, welche zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes maßgeblich ist.

4.3. Vor dem Hintergrund, dass das Bundesverwaltungsgericht bei der Abwägung zwischen dem subjektiven Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung seines Privat- und Familienlebens und dem öffentlichen Interesse an der Aufenthaltsbeendigung gebotene Kriterien außer Acht gelassen hat, ist diesem ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler bei der gemäß Art8 EMRK gebotenen Abwägung vorzuwerfen.

5. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten und gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:

Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.

Die Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.

Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten richtet, abzusehen.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die erlassene Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak und gegen die Feststellung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) verletzt worden.

2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

3. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.

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