JudikaturVfGH

G83/2024 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
Zivilrecht
29. November 2024
Leitsatz

Abweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung einer Bestimmung des ABGB betreffend die Voraussetzungen, wann ein Geschenknehmer zum Kreis der pflichtteilsberechtigten Personen gehört sowie die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen zur Verlassenschaft; kein Verstoß gegen die Unversehrtheit des Eigentums wegen hinreichender Zeit für den Erblasser zur Vornahme von Änderungen der letztwilligen Verfügung nach Inkrafttreten der Bestimmung

Abweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung des §783 ABGB idF BGBl I 33/2024.

Kein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot gemäß Art18 Abs1 B‑VG:

Der wie §782 ABGB mit dem Erbrechts-Änderungsgesetz 2015, BGBl I 87/2015, geschaffene §783 ABGB regelt die Hinzurechnung von Schenkungen an Personen, die im Schenkungszeitpunkt dem Kreis der Pflichtteilsberechtigten angehören, zur Verlassenschaft und die Anrechnung dieser Schenkungen auf den Pflichtteil des Beschenkten. Die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen nach dieser Bestimmung können gemäß §783 Abs1 erster Satz ABGB Pflichtteilsberechtigte und Erben verlangen. Gemäß §783 Abs1 zweiter Satz ABGB kann auch ein Geschenknehmer, der im Schenkungszeitpunkt allgemein zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten gemäß §757 ABGB gehörte, und dem kein Pflichtteil zukommt, weil er auf seinen Pflichtteil verzichtet oder die Erbschaft ausgeschlagen hat (§758 Abs1 ABGB), die Hinzu- und Anrechnung von Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte verlangen. §783 Abs2 ABGB regelt das Recht des Vermächtnisnehmers auf die Hinzu- und Anrechnung.

Im Unterschied zu §785 Abs2 ABGB in der Fassung vor dem Erbrechts-Änderungsgesetz 2015 sieht §783 ABGB keine Einschränkung bei der Aktivlegitimation vor. §785 Abs2 ABGB in der Fassung vor dem Erbrechts-Änderungsgesetz 2015 sah vor, dass das Recht zur Hinzu- und Anrechnung einem pflichtteilsberechtigten Kind nur hinsichtlich solcher Schenkungen zustand, die der Erblasser zu einer Zeit gemacht hat, zu der er ein pflichtteilsberechtigtes Kind gehabt hat, dem pflichtteilsberechtigten Ehegatten nur hinsichtlich solcher Schenkungen, die während seiner Ehe mit dem Erblasser gemacht worden sind.

Die Frage, ob die in §782 Abs2 ABGB aufgestellten Voraussetzungen, welche die Aktivlegitimation beschränken, nämlich das Vorhandensein eines Kindes bei der Schenkung an Kinder bzw das Vorhandensein des Ehegatten für die Hinzurechnung der Schenkungen zur Verlassenschaft auch für die Anrechenbarkeit von Schenkungen an pflichtteilsberechtigte Personen gemäß §783 ABGB analog anwendbar sind, wird im Schrifttum uneinheitlich beantwortet: Teilweise wird die Auffassung vertreten, dass den Erläuterungen zur Regierungsvorlage zum Erbrechts-Änderungsgesetz 2015 nicht zu entnehmen sei, dass der Gesetzgeber die Einschränkung bewusst nur für Schenkungen an nicht Pflichtteilsberechtige normiert habe, weshalb eine analoge Anwendung des §782 Abs2 ABGB in Fällen von Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte geboten sei. Ein anderer Teil der Lehre lehnt die analoge Anwendung des §782 Abs2 ABGB für Schenkungen an Pflichtteilsberechtigte ab. Begründet wird dies im Wesentlichen mit dem Wortlaut der §§782, 783 ABGB und der Gesetzessystematik, auf Grund derer nicht von einer planwidrigen Lücke ausgegangen werden könne.

Nach Auffassung des VfGH ist auf Grund der im ABGB enthaltenen Determinanten §783 ABGB mit den herkömmlichen Interpretationsmethoden einer Auslegung zugänglich. Dies zeigt auch die Rsp des OGH. Der im Antrag hervorgehobene Umstand, dass in der wissenschaftlichen Literatur unterschiedliche Lehrmeinungen, die zum Teil auch auf unterschiedlichen Vorstellungen über die Zweckmäßigkeit der Auslegung der gesetzlichen Regelung beruhen, vertreten werden, macht die angefochtene Regelung nicht unbestimmt.

Kein Verstoß gegen das Grundrecht auf Unversehrtheit des Eigentums gemäß Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK:

Die Testierfreiheit, dh das Recht eines Erblassers, privatautonom von Todes wegen über sein Vermögen zu verfügen, fällt in den Schutzbereich des Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK. Die Position der Erben ist ebenso durch Art5 StGG und Art1 1. ZPEMRK geschützt, wenn ihnen nach den erbrechtlichen Vorschriften ein Anteil am Nachlass zusteht. Dies gilt für den Pflichtteilsanspruch als ein mit dem Tod des Erblassers jedenfalls dem Grunde nach feststehendes Recht an einem Mindestanteil am Nachlass.

Der Sache nach machen die Antragsteller geltend, dass der verstorbene Vater der Antragsteller durch die an die Handlung in der Vergangenheit anknüpfende Regelung des §783 ABGB idF BGBl I 87/2015 in seinem Eigentumsgrundrecht verletzt worden sei. Entgegen dem Vorbringen der Antragsteller kann eine solche Verletzung durch die Änderung mit BGBl I 87/2015 nicht erkannt werden. Die Neufassung des §783 ABGB durch das Erbrechts-Änderungsgesetz 2015 – ErbRÄG 2015, BGBl I 87/2015 wurde am 30.07.2015 kundgemacht (und trat am 01.01.2017 in Kraft). Der verstorbene Vater der Antragsteller, der im Jahr 2013 in vollem Bewusstsein und Kenntnis über die zum damaligen Zeitpunkt geltende Rechtslage (insbesondere §785 ABGB idF vor BGBl I 87/2015) eine Disposition hinsichtlich seines Eigentums getroffen habe, heiratete die Klägerin im Ausgangsverfahren im Jahr 2016, also zu einem Zeitpunkt, zu welchem die mit BGBl I 87/2015 geschaffene Rechtslage bereits kundgemacht war, und verstarb im November 2022. Es bestand daher für den Testator eine ausreichend lange Zeit, gegebenenfalls gewünschte entsprechende Änderungen letztwilliger Verfügungen im Hinblick auf die Neufassung des §783 ABGB vorzunehmen.