G46/2015 – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz
Abweisung des - zulässigen - Parteiantrags der zweitantragstellenden Privatstiftung und der drittantragstellenden Wirtschaftstreuhandgesellschaft auf Aufhebung der Worte "konkret" im ersten Satz und "solche" im zweiten Satz des §112 Abs2 StPO idF BGBl I 29/2012.
Wenn im (strafrechtlichen) Ermittlungsverfahren von einem Gericht über eine Frage entschieden wird, die im allfälligen Hauptverfahren nicht mehr aufgerollt werden kann, ist bei verfassungskonformen Verständnis der Regelung des §62a VfGG schon aus Rechtsschutzerwägungen von einer eigenständigen "entschiedenen Rechtssache" und damit von der grundsätzlichen Zulässigkeit eines aus Anlass eines gegen eine solche erstinstanzliche Entscheidung erhobenen Rechtsmittels gestellten Parteiantrages auszugehen.
Dies gilt jedenfalls für im Übrigen am Verfahren nicht weiter beteiligte Dritte, die im Ermittlungsverfahren eine gerichtliche Kontrolle initiierten, um - wie im vorliegenden Fall - ihnen zukommende subjektive Rechte zu wahren.
§112 StPO dient insbesondere dem Schutz des Verschwiegenheitsrechtes, das bestimmten Berufsgruppen aus rechtsstaatlichen Gründen im Strafverfahren eingeräumt wird. Ein von einem betroffenen Berufsgeheimnisträger gemäß § 112 Abs2 StPO erwirkter - mittels Beschwerde nach §87 Abs1 StPO anfechtbarer - Gerichtsbeschluss darüber, ob und in welchem Umfang sichergestellte Unterlagen zum Ermittlungsakt genommen werden dürfen, spricht hinsichtlich des Geheimnisträgers über die Frage der Zulässigkeit des Eingriffs in seine geschützten Rechte abschließend ab. Ein Beschluss nach §112 Abs2 StPO führt somit bereits im Ermittlungsverfahren eine "entschiedene Rechtssache" herbei, sodass die Prozessvoraussetzung des Art140 Abs1 Z1 litd B-VG insoweit erfüllt ist.
Unzulässigkeit des Parteiantrags in Ansehung des erstantragstellenden Beschuldigten, da dieser die Möglichkeit hat, einen allfälligen Schuldspruch, der sich auf die Einbringung von im Ermittlungsverfahren entgegen dem Verwendungsverbot des §112 Abs2 StPO gewonnenen Erkenntnissen in die Hauptverhandlung stützt, mittels Nichtigkeitsbeschwerde (gestützt auf §281 Abs1 Z2 StPO) zu bekämpfen.
Der Antrag macht nicht bloß Vollzugsfehler geltend, sondern trägt hinreichend deutlich Bedenken gegen die angefochtene Regelung des §112 Abs2 StPO vor. Dass sich diese Bedenken allenfalls erst bei Zugrundlegung des dieser Bestimmung (vor allem dem Wort "konkret") vom Landesgericht für Strafsachen Wien beigemessenen Verständnisses ergeben, schadet indes nicht und macht den Antrag nicht zufolge Fehlens geeigneter Bedenken unzulässig.
Die Aufhebung auch des Wortes "solche" wird nur wegen seines vermeintlich untrennbaren Zusammenhangs mit dem Wort "konkret" begehrt. Ein allenfalls zu weites Aufhebungsbegehren macht den Antrag, da die Bestimmung des §112 Abs2 StPO im Anlassfall vom Gericht jedenfalls angewendet wurde, nicht unzulässig.
Das Bezeichnungserfordernis des §112 Abs2 StPO idF BGBl I 29/2012 genügt den Anforderungen des Art18 B-VG.
Durch die Verwendung des Wortes "konkret" und dessen Bedeutung im ersten Satz des §112 Abs2 StPO kommt hinreichend klar zum Ausdruck, dass eine nähere Bezeichnung der Unterlagen vorausgesetzt wird. Darüber hinaus wird das Erfordernis der konkreten Bezeichnung durch die Bezugnahme auf einzelne "Teile" der Aufzeichnungen oder Datenträger im Gesetz selbst näher bestimmt. Auf Grund der Bezeichnung muss also eindeutig erkennbar sein, welche Teile der sichergestellten Aufzeichnungen (oder Datenträger) wegen der Geheimhaltungspflicht nicht offengelegt werden dürfen. Die Bezeichnung hat demgemäß derart zu erfolgen, dass keine Unklarheiten darüber bestehen, welche Dokumente gemeint sind. Das Erfordernis einer behauptetermaßen vom Gericht verlangten Bezeichnung "Seite für Seite" ist dem Gesetz indes nicht zu entnehmen.
Entgegen der Auffassung der Zweit- und der Drittantragstellerin erfließt aus §112 Abs2 StPO kein Begründungserfordernis: §112 Abs2 StPO setzt eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den sichergestellten Unterlagen durch den Betroffenen nicht voraus, eine solche darf auch von der sichtenden Stelle (Gerichte oder Staatsanwaltschaft) nicht vorgenommen werden.
Die Sicherstellung und allenfalls in weiterer Folge die Übernahme zu den Akten (als Folge der Unterlassung der Bezeichnungspflicht) stellt zwar einen Eigentumseingriff dar; aus welchen Gründen die Bezeichnungspflicht selbst in dieses Grundrecht eingreifen soll, wird nicht nachvollziehbar dargelegt und ist dem VfGH auch nicht ersichtlich.
Zweck der Einführung der in Rede stehenden Bezeichnungspflicht war, Verfahrensverzögerungen zu vermeiden. Sie soll dem Gericht ersparen, auch die nach eigener Einschätzung des Berufsgeheimnisträgers nicht berufsgeheimen Unterlagen zu sichten und ihm ermöglichen, sich nur mit jenen Unterlagen, die der betroffene Berufsgeheimnisträger als geschützt bezeichnet, zu beschäftigen und zu entscheiden, welche davon tatsächlich zu einer Umgehung des Verschwiegenheitsrechtes führen würden. Damit wird aber ein angemessener Ausgleich zwischen den Verschwiegenheitsrechten von Berufsgeheimnisträgern einerseits und dem Recht des Beschuldigten bzw Angeklagten auf ein faires Verfahren innerhalb angemessener Frist gemäß Art6 EMRK sowie dem öffentlichen Interesse an der Strafverfolgung andererseits geschaffen. Es ist daher nicht unsachlich, von Inhabern bzw. Erstellern von Aufzeichnungen oder Datenträgern zu verlangen, unter den sichergestellten Unterlagen jene eindeutig zu bezeichnen, deren Offenlegung ihrer Einschätzung nach eine Umgehung ihres Rechtes auf bzw ihrer Pflicht zur Verschwiegenheit bedeuten würde, zumal sie in der Regel rasch und bestmöglich in der Lage sein werden, dies zu beurteilen.
Kein Verstoß gegen das Verbot der Zwangs- und Pflichtarbeit; als "Zwangs- oder Pflichtarbeit" gelten nur "höchstpersönliche Dienstleistungen" (vgl VfSlg 10114/1984).