JudikaturVfGH

UA2/2015 ua – Verfassungsgerichtshof (VfGH) Rechtssatz

Rechtssatz
15. Juni 2015

Teilweise Zulässigkeit der Anträge des Bundesministers für Finanzen sowie eines Viertels der Mitglieder des Hypo-Untersuchungsausschusses auf Entscheidung einer Meinungsverschiedenheit gem Art138b Abs1 Z4 B-VG; im Übrigen Zurückweisung der Anträge.

Nach Ablauf der zweiwöchigen (Nach-)Frist des §27 Abs4 VO-UA (zur Vorlage der Akten und Unterlagen) können binnen zwei Wochen von allen dazu Berechtigten Anträge an den VfGH gestellt werden (vgl §27 Abs5 leg cit und §56f Abs1 VfGG). Unbeschadet dessen macht der Umstand, dass der Antrag des Bundesministers für Finanzen vor Ablauf der zweiwöchigen (Nach-)Frist gestellt wurde, diesen nicht unzulässig; mit der Einbringung dieses Antrages entsteht die Meinungsverschiedenheit. Damit ist aber auch für den Hypo-Untersuchungsausschuss bzw für ein Viertel seiner Mitglieder die Möglichkeit eröffnet worden, (allein) im Umfang der damit konkretisierten Meinungsverschiedenheit bereits einen Antrag an den VfGH heranzutragen (ohne dass dieser als zu früh gestellt unzulässig wäre).

Die Einhaltung der Bestimmung des §106 GOG NR bildet keine Prozessvoraussetzung im Verfahren vor dem VfGH (vgl VfSlg 16752/2002).

Das Konzept des (Verfassungs-)Gesetzgebers, das Art53 Abs3 und Art138b Abs1 Z4 B-VG zugrunde liegt und das in §27 VO-UA sowie in §56f VfGG näher ausgestaltet wird, lässt deutlich erkennen, dass der VfGH angerufen werden kann, um die Klärung einer konkreten Meinungsverschiedenheit, im vorliegenden Fall der unterschiedlichen Auffassung hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der teilweisen oder gänzlichen Ablehnung der unabgedeckten Vorlage bestimmter Akten und Unterlagen an einen Untersuchungsausschuss, herbeizuführen. Einem solchen Antrag hat zwingend die an das Organ gerichtete (schriftlich begründete) Aufforderung des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder voranzugehen, innerhalb einer (Nach-)Frist von zwei Wochen der Verpflichtung zur unverzüglichen Entsprechung von Beweisbeschlüssen nachzukommen, wenn das Organ dieser (im Beschluss näher zu umschreibenden) Verpflichtung nach Auffassung des Untersuchungsausschusses oder eines Viertels seiner Mitglieder bis dahin nicht oder ungenügend nachgekommen ist. Dieser Beschluss gemäß §27 Abs4 VO-UA stellt den äußersten Rahmen eines möglichen Gegenstandes des Verfahrens nach Art138b Abs1 Z4 B-VG dar. Ein Antrag des Untersuchungsausschusses, eines Viertels seiner Mitglieder oder des informationspflichtigen Organs an den VfGH konkretisiert schließlich das Vorliegen und den Umfang der Meinungsverschiedenheit und damit den Prozessgegenstand des VfGH. Das Thema seiner Entscheidung ist jedenfalls durch den Umfang der Meinungsverschiedenheit begrenzt.

Durch die Bezugnahme auf den "Beharrungsbeschluss" (damit ist die am 30.04.2015 beschlossene, an "das Bundesministerium" für Finanzen gerichtete Aufforderung des Hypo-Untersuchungsausschusses gemäß §27 Abs4 VO-UA gemeint), der vier Akten und Unterlagen genau bezeichnet sowie die Verpflichtung konkret benennt, der der Bundesminister für Finanzen nach Auffassung des Untersuchungsausschusses ungenügend nachgekommen ist, in Verbindung mit der Begründung des Antrages zu UA2/2015 - ungeachtet der darin verwendeten Formulierung "insbesondere" - wird in hinreichend konkreter Weise dargetan, dass sich dieser Antrag gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG lediglich auf die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung durch den Bundesminister für Finanzen bezieht, die in der Aufforderung des Untersuchungsausschusses vom 30.04.2015 genannten vier Akten und Unterlagen unabgedeckt vorzulegen.

Insoweit Zulässigkeit des zu UA2/2015 protokollierten Antrags des Bundesministers für Finanzen; Unzulässigkeit des Antrags hins der darüber hinaus gestellten Feststellungsanträge.

Zulässigkeit des ersten Eventualantrags des zu UA4/2015 protokollierten Antrags eines Viertels der Mitglieder des Hypo-Untersuchungsausschusses. Unzulässigkeit des Hauptantrags.

In ihrem Hauptantrag nehmen die Zweitantragsteller auf den grundsätzlichen Beweisbeschluss des Hypo-Untersuchungsausschusses gemäß §24 VO-UA und auf "alle Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsausschusses" Bezug. Damit überschreiten die Antragsteller den Beschluss des Hypo-Untersuchungsausschusses vom 30.04.2015 gemäß §27 Abs4 VO-UA und somit den äußersten Rahmen eines Antrages nach Art138b Abs1 Z4 B-VG.

(Zur Zulässigkeit von Anträgen gem Art138b Abs1 Z4 B-VG vgl auch UA5/2015 und UA6/2015 ua, beide E v 01.07.2015).

Dem Nationalrat werden in Art53 B-VG besondere Möglichkeiten eingeräumt, durch die Tätigkeit eines Untersuchungsausschusses Informationen zu erlangen, die zur Wahrnehmung der der gesetzgebenden Körperschaft von der Verfassung übertragenen Kontroll- und Gesetzgebungsfunktion notwendig sind. Ziel des Untersuchungsausschusses ist die Aufklärung von Vorgängen zu politischen Zwecken. Die Aufgabe, die die Bundesverfassung dem Nationalrat damit überträgt, begrenzt die Rechte und Pflichten des Untersuchungsausschusses. Mit seiner Einsetzung wird auch der Untersuchungsgegenstand festgelegt.

Ohne Kenntnis aller Akten und Unterlagen "im Umfang des Gegenstandes der Untersuchung" (Art53 Abs3 B-VG) ist die Erfüllung des dem Untersuchungsausschuss verfassungsgesetzlich übertragenen Kontrollauftrages nicht möglich. Einzige Ausnahmen von der Vorlageverpflichtung in Art53 Abs3 letzter Satz und Abs4 B-VG selbst normiert.

In diesem durch die Aufgaben des Untersuchungsausschusses begrenzten Umfang des Untersuchungsgegenstandes stehen der Übermittlung der vom Untersuchungsausschuss angeforderten Akten und Unterlagen somit weder die Bestimmung des §1 DSG 2000 noch jene des Art8 EMRK (sowie des Art8 GRC) entgegen. Das gleiche muss umso mehr für die - verfassungskonform zu interpretierenden - einfachgesetzlichen Bestimmungen des §38 Abs1 bis 4 BWG (BankwesenG) und des §48a BAO gelten.

Das informationspflichtige Organ hat daher ohne Rücksicht auf sonst bestehende Verschwiegenheitspflichten die angeforderten Akten und Unterlagen im Umfang des Untersuchungsgegenstandes ungeschwärzt (unabgedeckt) vorzulegen. Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen sind besonders schutzwürdige Informationen jedoch nach den Bestimmungen des InfOG (InformationsorganisationsG) zu klassifizieren, das auf der Grundlage von Art30a B-VG erlassen und gleichzeitig mit der Reform der Grundlagen und des Verfahrens von Untersuchungsausschüssen geschaffen wurde.

Aus der umfassenden Vorlageverpflichtung des informationspflichtigen Organs folgt aber nicht die Befugnis des Untersuchungsausschusses oder seiner Mitglieder, die aus den vorgelegten Akten oder Unterlagen gewonnenen Informationen in jedem Fall an die Öffentlichkeit zu bringen, auch nicht im schriftlichen Bericht gemäß §51 VO-UA (bzw in der mündlichen Berichterstattung gemäß §52 leg cit); der Untersuchungsausschuss hat vielmehr bei seiner Berichterstattung regelmäßig eine Interessenabwägung zwischen privaten Geheimhaltungsinteressen (vgl in diesem Zusammenhang insbesondere §1 DSG 2000, aber auch Art8 EMRK [sowie Art8 GRC]) und öffentlichen Interessen, zu denen unter anderem auch die Bekanntgabe der Kontrollergebnisse zählt, vorzunehmen (vgl zuletzt VfGH 09.10.2014, KR1/2014 mwN zu einem Verfahren nach Art126a B-VG). Diese Interessenabwägung hat der Untersuchungsausschuss bei seiner gesamten Tätigkeit zu beachten und erstreckt sich auch auf die Behandlung von Informationen im Bereich des Nationalrates (vgl insbes die Bestimmungen des InfOG).

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine Vorlageverpflichtung nach Art53 Abs3 B-VG - abgesehen von den in Abs3 letzter Satz und Abs4 normierten Ausnahmen - nur insoweit nicht besteht, als Akten und Unterlagen nicht vom Untersuchungsgegenstand erfasst sind. Die Beurteilung dieser Frage obliegt zunächst dem informationspflichtigen Organ. Besteht darüber eine Meinungsverschiedenheit zwischen dem Untersuchungsausschuss, einem Viertel seiner Mitglieder und dem informationspflichtigen Organ, so kann - bei Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen - der VfGH gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG angerufen werden, der diese Frage letztgültig zu entscheiden hat.

Das Vorbringen, Akten und/oder Unterlagen seien (nicht) vom Untersuchungsgegenstand erfasst, ist in einem Antrag gemäß Art138b Abs1 Z4 B-VG hinreichend detailliert zu begründen; die bloße Behauptung reicht dafür nicht aus. Fehlt eine derartige Begründung, ist dem Antrag schon aus diesem Grund der Erfolg insoweit zu versagen, es sei denn, es wäre für den VfGH evident, dass konkret bezeichnete Akten und/oder Unterlagen (nicht) vom Untersuchungsgegenstand erfasst sind. Da der Bundesminister für Finanzen im vorliegenden Fall nicht näher und substantiiert dargelegt hat, warum drei Unterlagen, die den Gegenstand der Meinungsverschiedenheit bilden, nicht vom Untersuchungsgegenstand erfasst sein sollen, ist seinem Antrag auch aus diesem Grund der Erfolg zu versagen.

Der Bundesminister für Finanzen ist verpflichtet, dem Hypo-Untersuchungsausschuss die vier in dessen Beschluss vom 30.04.2015 näher bezeichneten Akten und Unterlagen (Schreiben einer Rechtsanwaltskanzlei, E-Mail eines Gruppenleiters, Protokoll der 69. Aufsichtsratssitzung der Hypo Group Alpe Adria vom 02.12.2008 und Protokoll der 89. Sitzung des Aufsichtsrates der Hypo Alpe-Adria-Bank International AG vom 10.09.2009) unabgedeckt vorzulegen.

Rückverweise