19Bs222/25y – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Baumgartner als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Körber und Dr. Hornich, LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 3. September 2025, GZ **-42, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Die über A* verhängte Untersuchungshaft wird aus dem Haftgrund derTatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO fortgesetzt.
Die Wirksamkeit dieses Beschlusses ist gemäß § 175 Abs 5 StPO nicht durch eine Haftfrist begrenzt.
Text
Begründung:
Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 25. April 2025 (ON 26.4) wurde A* des Vergehens des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster „und zweiter“ Fall StGB schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 39 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt.
Danach hat er am 8. Oktober 2024 in Wiener Neustadt die Justizwachebeamtin Insp B* dadurch, dass er sie am Hemdkragen zu packen trachtete und ihr lautstark mit den – durch intensives In-die-Augen-Blicken sowie eine Bewegung mit der Hand verdeutlichten – Worten: „Du Tod und sterben“ zumindest eine Verletzung am Körper in Aussicht stellte, mit Gewalt und durch gefährliche Drohung an einer Amtshandlung, nämlich seiner Verbringung in den Wartehaftraum der Justizanstalt Wiener Neustadt, zu hindern versucht.
Gegen dieses Urteil meldete der Angeklagte rechtzeitig Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe an (ON 28), sodass dieses nicht rechtskräftig ist.
Am 3. September 2025 verhängte die Einzelrichterin des Landesgerichts Wiener Neustadt nach Durchführung einer Beschuldigtenvernehmung (ON 41) mit dem angefochtenen Beschluss (ON 41 S 4; ON 42) - dem Antrag der Staatsanwaltschaft entsprechend (ON 1.26) - die Untersuchungshaft über A* aus den Haftgründen der Flucht- und Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 1 und Abs 2 Z 1 und 3 lit b StPO mit Wirksamkeit ab 5. September 2025 (= Haftende einer 18-monatigen Freiheitsstrafe - ON 25).
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die unmittelbar nach Entscheidungsverkündung erhobene (ON 41 S 4), zu ON 44 ausgeführte Beschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Im Falle eines – wenn auch nicht rechtskräftigen – Schuldspruchs in erster Instanz ist die Dringlichkeit des Tatverdachts bei Vorliegen eines schöffen- oder geschworenengerichtlichen Urteils nicht weiter fraglich, da im Nichtigkeitsbeschwerdeverfahren keine Neuerungen vorgebracht werden dürfen ( Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz ,WK StPO § 173 Rz 4; siehe auch RIS-Justiz RS0061112). Fallbezogen liegt jedoch ein vom Angeklagten umfassend bekämpftes Urteil eines Einzelrichters vor, dessen Tatsachengrundlagen im Wege der Berufung wegen Schuld ohne Bindung an das Neuerungsverbot angefochten werden können. Das Beschwerdegericht hat daher – wie auch sonst im Beschwerdeverfahren nach § 89 Abs 2b StPO reformatorisch (RIS-Justiz RS0116421) ohne Bindung an die erstgerichtlichen Sachverhaltsannahmen - die Dringlichkeit des Tatverdachts zu prüfen.
Dabei gilt: Die Untersuchungshaft darf nach § 173 Abs 1 StPO nur dann verhängt oder fortgesetzt werden, wenn der Beschuldigte einer bestimmten Tat dringend verdächtig, sohin mit hoher Wahrscheinlichkeit der Täter ist. Ein solcher Verdacht besteht, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme der Wahrscheinlichkeit des Vorliegens von bestimmten Umständen rechtfertigen. Dringender Tatverdacht ist mehr als eine bloße Vermutung und mehr als einfacher oder gewöhnlicher Verdacht ( Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz ,WK StPO § 173 Rz 3). Es genügt das Vorliegen von Indizien, die zwar nicht für sich allein, jedoch in ihrem Zusammenhang eine logisch und empirisch einwandfreie und tragfähige Begründung der Annahme der Täterschaft darstellen ( Mayerhofer/Salzmann , Strafprozessordnung 6§ 173 Rz 4) bzw die Kenntnis von Tatsachen, aus denen nach der Lebenserfahrung auf die Begehung eines Vergehens oder Verbrechens geschlossen werden kann. Ein Schuldbeweis ist nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0107304).
Vor diesem Hintergrund liegt gegen den Angeklagten ein dringender Tatverdacht im Sinne des wiedergegebenen, nicht rechtskräftigen Schuldspruchs vor.
In subjektiver Hinsicht steht A* im dringenden Verdacht, er habe die Justizwachebeamtin dadurch, dass er sie am Hemdkragen zu packen trachtete und ihr lautstark mit den – durch intensives In-die-Augen-Blicken sowie eine Bewegung mit der Hand verdeutlichten – Worten: „Du Tod und sterben“ zumindest eine Verletzung am Körper in Aussicht stellte, mit Gewalt und durch gefährliche Drohung an einer Amtshandlung, nämlich seiner Verbringung in den Wartehaftraum der Justizanstalt Wiener Neustadt, hindern wollen.
Der Angeklagte ist somit dringend verdächtig, das Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB begangen zu haben.
Dieser – in der Beschwerde explizit gar nicht bestrittene - dringende Verdacht stützt sich in objektiver Hinsicht auf die Anzeige der Justizanstalt Wiener Neustadt (ON 2.1 und ON 2.2), die Ermittlungsergebnisse der Polizeiinspektion ** (ON 11) sowie insbesondere die Angaben der Zeugin Insp B* (ON 11.6 und ON 26.3 S 7 ff), die den Angeklagten im Sinne des gegen ihn vorliegenden dringenden Tatverdachts belastete, und die diese bekräftigenden Ausführungen des unbeteiligten Zeugen C* (ON 11.5 und ON 26.3 S 17 ff). Es sind dem Akteninhalt nicht die geringsten Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass die Anschuldigungen gegen den Beschwerdeführer zu Unrecht erhoben wurden.
Aus dem beschriebenen objektiven Tathergang ergibt sich eine qualifizierte Verdachtslage im Hinblick auf die subjektive Tatseite (vgl RIS-Justiz RS0098671, RS0116882).
All dem vermag der Angeklagte nur seine bis zuletzt leugnende Verantwortung entgegenzuhalten (ON 11.4 und ON 26.3 S 3 ff). Angesichts der massiven vorliegenden Belastungen gelingt es ihm damit aber nicht, den gegen ihn bestehenden dringenden Tatverdacht zu entkräften.
Ausgehend von der dargelegten qualifizierten Verdachtslage ist der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr in Ausformung des § 173 Abs 2 Z 3 lit b und c StPO zu bejahen.
Die Variante des § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO verlangt neben einer Anlasstat und einer gegen dasselbe Rechtsgut gerichteten strafbaren Handlung mit nicht bloß leichten Folgen als Prognosetat als Zusatzerfordernis, dass der Beschuldigte entweder wegen einer solchen strafbaren Handlung bereits verurteilt worden ist, oder wegen wiederholter oder fortgesetzter strafbarer Handlungen im dringenden Tatverdacht steht ( Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz ,WK StPO § 173 Rz 45). Der Haftgrund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit c StPO (zu welchem der Verteidigerin Gelegenheit zur Äußerung eingeräumt wurde) erfordert eine Anlasstat und eine strafbare Handlung mit einer Strafdrohung von mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe als Prognosetat, die ebenso wie die ihm angelastete strafbare Handlung gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist, wie die Straftaten, deretwegen er bereits zwei Mal verurteilt worden ist.
Die Strafregisterauskunft des A* weist (unter Berücksichtigung der §§ 31 Abs 1, 40 StGB) innerhalb eines Zeitraums von lediglich drei Jahren bereits drei einschlägige Vorstrafen auf. Soweit hier relevant, musste er seit 2022 wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt, (auch qualifizierter) Körperverletzung sowie Nötigung gleich drei Mal abgestraft werden; es liegen beim Angeklagten die Voraussetzungen der Strafschärfung bei Rückfall nach § 39 Abs 1 und Abs 1a (RIS-Justiz RS0133600) StGB vor. Dass ihn seine bisherigen mehrmaligen Hafterfahrungen nicht zu einem rechtstreuen Wandel bewegen konnten, sondern er sich während seines letzten Strafvollzugs sogar zu neuerlicher einschlägiger Delinquenz verstand (im Sinne eines dringenden Verdachts), verdeutlicht die erhebliche Rückfallneigung des Rechtsmittelwerbers. Unter Berücksichtigung dieses einschlägig massiv getrübten, vor allem durch mehrfache Verurteilungen in äußerst rascher zeitlicher Abfolge gekennzeichneten Vorlebens besteht die nahe Gefahr, der Angeklagte werde ungeachtet des gegen ihn wegen einer mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat geführten Strafverfahrens auf freiem Fuß neuerlich eine strafbare Handlung mit nicht bloß leichten Folgen bzw mit einer Strafdrohung von mehr als sechsmonatiger Freiheitsstrafe begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet ist, wie die ihm nun angelastete strafbare Handlung, deretwegen er bereits zwei Mal verurteilt worden ist.
Hingegen liegt der Haftgrund der Fluchtgefahr nicht vor. Der Beschwerdeführer war vor seiner Inhaftierung im Inland stets aufrecht gemeldet (vgl die aktuelle ZMR-Auskunft - ON 5 des BS Akts) und es liegt kein konkreter Anhaltspunkt für die Annahme vor, er werde nach seiner Enthaftung untertauchen oder flüchten. Davon ausgehend vermag seine ausländische Staatsangehörigkeit selbst in Verbindung mit seiner fehlenden wirtschaftlichen und sozialen Integration nicht die konkrete Gefahr zu begründen, A* werde sich dem Strafverfahren insgesamt oder der ihm allenfalls drohenden Strafe entziehen.
Aufgrund der aus dem einschlägig massiv getrübten Vorleben zu erschließenden Beharrlichkeit des A* und der daraus ableitbaren geringen Hemmschwelle vor der Begehung von Delikten gegen die Staatsgewalt, aber auch gegen die körperliche Integrität und Freiheit, erweist sich der Haftgrund als so gewichtig, dass er durch gelindere Mittel des § 173 Abs 5 StPO nicht substituiert werden kann. Angesichts dessen Intensität und der erheblichen kriminellen Energie des Beschwerdeführers, der sich bislang von sämtlichen staatlichen Reaktionen auf sein kriminelles Verhalten unbeeindruckt zeigte, ist die Erteilung von Weisungen samt Ablegung von Gelöbnissen und dergleichen nicht geeignet, die Haftzwecke auch nur annähernd zu substituieren. Eine relevante Änderung der Verhältnisse, unter denen die angelastete Tat begangen wurde und die eine andere Beurteilung dieses Haftgrundes zulassen würde ( Kirchbacher/Rami in Fuchs/Ratz ,WK StPO § 173 Rz 59), wurde weder vom Beschwerdeführer behauptet noch ist eine solche aufgrund der Aktenlage indiziert.
Die bisherige Dauer der Untersuchungshaft von nicht einmal zwei Wochen steht weder zur Bedeutung der dem Rechtsmittelwerber angelasteten strafbaren Handlung noch zu der im Falle eines verdachtskonformen Schuldspruchs zu erwartenden Sanktion angesichts des relevanten Strafrahmens von bis zu viereinhalb Jahren Freiheitsstrafe (erster Strafsatz des § 269 Abs 1 StGB iVm § 39 Abs 1 und 39 Abs 1a StGB) außer Verhältnis, zumal im Falle eines rechtskräftigen Schuldspruchs in Anbetracht der einschlägigen Vorstrafenbelastung mit der Verhängung einer empfindlichen Freiheitsstrafe zu rechnen ist.
Der unbegründeten Beschwerde ist daher ein Erfolg zu versagen.
Ein Ausspruch über die Haftfrist hat mit Blick auf § 175 Abs 5 erster Halbsatz StPO wegen der bereits eingebrachten Anklage zu entfallen.