19Bs172/25w – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in der Strafsache gegen A*wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Berufung des Genannten wegen Nichtigkeit, Schuld und Strafe gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 9. Mai 2025, GZ **-54.1, nach der unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten Mag. Baumgartner, im Beisein der Richterinnen Mag. Körber und Dr. Hornich, LL.M. als weitere Senatsmitglieder, in Gegenwart der Oberstaatsanwältin Mag. Salfelner, LL.M., in Anwesenheit des Angeklagten A* und seiner Verteidigerin Mag. Claudia Fessler, LL.M. durchgeführten Berufungsverhandlung am 9. September 2025 zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wegen Nichtigkeit und Schuld wird nicht Folge gegeben. Hingegen wird in Stattgebung der Berufung wegen Strafe die verhängte Freiheitsstrafe auf zwei Jahre und sechs Monate herabgesetzt.
Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen – auch einen rechtskräftigen Freispruch enthaltenden - Urteil wurde der polnische Staatsangehörige A* des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 15, 84 Abs 4 StGB (I./) und des Vergehens des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (II./) schuldig erkannt und hiefür unter Anwendung des § 28 Abs 1 StGB sowie des § 39 Abs 1a StGB nach dem Strafsatz des § 84 Abs 4 StGB unter aktenkonformer Vorhaftanrechnung zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Jahren verurteilt.
Nach dem Inhalt des Schuldspruchs hat A* in **
I./ am 7. August 2024 B* am Körper verletzt und dadurch eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung herbeizuführen versucht, indem er diesem mit seiner rechten Hand einen Schlag ins Gesicht versetzte und ihm anschließend mit seinem rechten Bein ins Gesicht trat und mehrere Schläge ins Gesicht versetzte, wodurch der Genannte eine blutende Wunde im Gesicht erlitt;
II./ Nachgenannten Verfügungsberechtigten fremde bewegliche Sache (ergänzt) mit dem Vorsatz sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern, wegzunehmen versucht, und zwar
1./ am 3. Oktober 2024 Verfügungsberechtigten des Unternehmens C* Waren im Gesamtwert von € 126,78, indem er die Waren in der Tasche verbarg und den Kassenbereich passierte, ohne dafür zu bezahlen, wobei er durch einen Ladendetektiven beobachtet und in weiterer Folge angehalten wurde;
2./ am 24. Oktober 2024 Verfügungsberechtigten der D* GmbH einen Bolzenschneider und eine Beißzange im Gesamtwert von € 90,98, indem er die Gegenstände in seinem Einkaufstrolley verstaute und anschließend den Kassabereich, ohne zu zahlen, passierte, wobei er vom Ladendetektiv beobachtet und nach Passieren der Kassenzone angehalten wurde.
Bei der Strafbemessung wertete das Erstgericht 17 einschlägige Vorstrafen und das Zusammentreffen von einem Verbrechen und einem Vergehen als erschwerend, die teilweise geständige Verantwortung und den Umstand, dass es beim Versuch geblieben ist, als mildernd.
Gegen dieses Urteil richtet sich die rechtzeitig angemeldete (ON 55.2), fristgerecht zu ON 62.2 ausgeführte Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und Schuld, beides ausschließlich zu Schuldspruchsfaktum I./, sowie Strafe.
Rechtliche Beurteilung
Bei der Behandlung der Berufungspunkte und Nichtigkeitsgründe geht eine wegen des Ausspruchs über die Schuld erhobene Berufung einer Rüge wegen der Z 9 bis Z 10a des § 281 Abs 1 StPO vor, jener wegen formeller Nichtigkeitsgründe jedoch nach ( Ratz , WK-StPO § 476 Rz 9).
Indem der Nichtigkeitswerber in seiner Mängelrüge nach § 281 Abs 1 Z 5 fünfter Fall StPO die vom Erstgericht zur Begründung der Feststellung, wonach der Angeklagte das Opfer B* zunächst mit der rechten Rückhand (Faust) geschlagen, sich sodann vor ihn hingestellt und mit dem rechten Bein getreten und sodann wieder mit der rechten Hand geschlagen hat, dies jeweils ins Gesicht, herangezogenen Lichtbilder (samt Beschreibung durch die Kriminalpolizei ON 2.20) inhaltlich anders interpretiert und andere Schlüsse aus diesen zieht als das Erstgericht, macht er keine Aktenwidrigkeit geltend, sondern bekämpft damit im Nichtigkeitsverfahren unzulässig bloß die tat-richterliche Beweiswürdigung. Wie die Oberstaatsanwaltschaft zutreffend ausführt, begründet nämlich Aktenwidrigkeit nur die unrichtige Wiedergabe des Inhalts von Beweismitteln, deren Wertung – wie hier, ob der Tritt gegen das Gesicht oder den Oberarm geführt wurde - hingegen erfolgt im Rahmen des § 258 Abs 2 StPO (RIS-Justiz RS0099431).
Auch die auf § 281 Abs 1 Z 5 vierter Fall StPO gestützte, eine offenbar unzureichende Begründung zur subjektiven Tatseite zu Faktum I./ behauptende Mängelrüge stellt den erstrichterlichen Erwägungen eigene Überlegungen mit dem Anspruch auf alleinige Gültigkeit gegenüber und bekämpft somit wiederum die tatrichterliche Beweiswürdigung. Die – eine erhöhte Körperkontrolle zum Ausdruck bringen wollende - Verantwortung des Angeklagten, Kampfsportler zu sein und lediglich gegen den Oberarm getreten zu haben, wurde zudem vom Erstgericht in seine beweiswürdigenden Überlegungen einbezogen (US 5f).
Der Erledigung der Schuldberufung ist voranzustellen, dass die sogenannte freie Beweiswürdigung als kritisch-psychologischer Vorgang begriffen wird, bei dem durch Subsumierung der Gesamtheit der durchgeführten Beweise in ihrem Zusammenhang unter allgemeine Erfahrungssätze logische Schlussfolgerungen zu gewinnen sind (RIS-Justiz RS0098390; Mayerhofer, StPO 6 § 258 E 30f; Kirchbacher, StPO 15 § 258 Rz 8). Demnach prüft das Gericht die im Verfahren vorgekommenen Beweismittel in Ansehung ihrer Glaubwürdigkeit (ob dasjenige, was durch ein Beweismittel zutage gefördert werden sollte, auch wirklich dadurch bewiesen wurde) und Beweiskraft (ob der durch das Beweismittel als bewiesen anzunehmende Umstand auch geeignet ist, die Tatsache, die er bestätigen soll, für wahr halten zu können) und kommt aufgrund des Ergebnisses dieses Vorgangs zur Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen – entscheidender – Tatsachen, die es im Urteil feststellt ( Lendl in Fuchs/Ratz,WK StPO § 258 Rz 25). Die Beweismittel sind dabei nicht nur einzeln, sondern in ihrer Gesamtheit, auch in ihrem inneren Zusammenhang zu prüfen. Ihre Bewertung hat unter Beachtung der Gesetze folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungswissens zu erfolgen, wobei nicht nur logisch zwingende, sondern auch Wahrscheinlichkeitsschlüsse das Gericht zu Tatsachenfeststellungen berechtigen ( Lendl aaO Rz 26). Bei Würdigung von Angaben von Personen, die das Gericht selbst vernommen hat, ist oft der persönliche Eindruck des erkennenden Richters entscheidend, der sich nicht immer erschöpfend in Worte kleiden lässt und darum im Urteil auch nicht in allen Einzelheiten dargelegt und wiedergegeben werden muss ( LendlaaO Rz 27; RIS-Justiz RS0098413). Dass die vom Gericht aus den Verfahrensergebnissen gezogenen Schlussfolgerungen denkgesetzlich die einzig möglichen wären, wird vom Gesetz nicht gefordert; sie dürfen nur nicht den Denkgesetzen widersprechen ( MayerhoferaaO E 39, 38). Das Gericht ist zu einer gedrängten Darstellung seiner Gründe verpflichtet und keineswegs dazu verhalten, jedes Verfahrensergebnis im Einzelnen zu analysieren (RIS-Justiz RS0104976). Die Schuldberufung richtet sich nur gegen die faktische Richtigkeit des Ausspruchs über – für die Schuld- und Subsumtionsfrage – entscheidende Tatsachen ( Ratz in Fuchs/Ratz, WK StPO § 464 Rz 2; vgl. auch 11 Os 82/18w; zum Begriff Ratz in Fuchs/Ratz, WK StPO § 281 Rz 21 f, 399; RIS-Justiz RS0117264).
Ausgehend von diesen Prämissen gelangte das Erstgericht in überzeugender und nachvollziehbarer Weise nach sorgfältiger Abwägung des Beweissubstrats auch nach Ansicht des Berufungsgerichts zu einer zweifelsfrei richtigen Lösung der Schuldfrage. Das Lichtbild ON 20.20,6 stellt eine bloße Momentaufnahme dar. Dessen genaue Betrachtung zeigt, dass der Angeklagte mit Schwung (die Arme schwingen bei der Trittführung nach vorne und hinten aus) mit dem rechten Fuß von unten nach oben einen Tritt in Richtung der unteren Gesichtshälfte des Opfers führt, wobei die Schuhspitze im Kinnbereich des Opfers auszumachen ist. Der Kopf des Opfers ist nach links gedreht, was für einen Treffer im Gesichtsbereich spricht. Selbst wenn man im Zeitpunkt der Lichtbildaufnahme einen Kontakt im Oberarm/Schulterbereich annehmen würde, ergibt sich aus der Art der schwungvollen Trittführung von unten nach oben, dass in Weiterführung des Schwungs das Gesicht getroffen wird. Nimmt man an, dass sich zum Zeitpunkt der Bildaufnahme der Fuß bereits wieder in Abwärtsbewegung befindet, so muss zuvor eine Berührung im Gesichtsbereich stattgefunden haben. Dass der Angeklagte gezielt gegen den Oberarm getreten hat, ist aufgrund der Art des Versetzens des Trittes von unten nach oben mit Schwung und nicht durchgestrecktem Knie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auszuschließen, dazu hätte es wohl eines in gerader Richtung geführten Tritts bedurft. Da sich die Trittführung schon durch das Lichtbild ON 2.20,6 sowie der diese eingestehenden Verantwortung des Angeklagten (ON 39,3) ergibt, kommt dem Umstand, dass das Opfer das Versetzen eines Tritts in seiner (durch Verlesung in die Hauptverhandlung eingeflossenen [ON 54,12]) Vernehmung nicht erwähnt hat, keine für die Lösung der Schuldfrage erhebliche Bedeutung zu. Dass der Angeklagte als (ehemaliger) Kampfsportler und ehemaliges Mitglied einer Spezialabteilung (offenbar beim Heer) seine Schläge besser kontrollieren kann, als jemand ohne solchen Hintergrund, mag schon sein. Allerdings erweist sich auch die Ansicht des Erstgerichts als lebensnah und nachvollziehbar und streitet dafür auch die dem Angeklagten offenbar innewohnende, sich aus den einschlägigen Vorstrafen (ECRIS ON 14.2, 15.1, 16.1, darin beispielhaft die Verurteilungen 2, 6, 13 [Körperverletzung mit Todesfolge], 16, 20, 22) und das aufbrausende Verhalten in der Hauptverhandlung ergebende Aggressivität. Das erkennende Gericht ist nicht verpflichtet, sich bei mehreren denkbaren Schlussfolgerungen durchwegs für die dem Angeklagten günstigste Variante zu entscheiden (RIS-Justiz RS0098336), sodass die Lösung der Schuldfrage durch das Erstgericht nicht zu beanstanden ist.
Es war daher der Schuldberufung der Erfolg zu versagen.
Hingegen ist die Strafberufung im Recht.
Zugunsten des Angeklagten war die teilweise Schadensgutmachung durch die Sicherstellung der Beute unter dem Aspekt des § 32 Abs 3 StGB zu berücksichtigen (vgl R iffel in WK 2StGB § 34 Rz 33).
Mit Blick auf die nicht schweren Unrechtsfolgen erscheint ausgehend von der korrigierten Strafzumessungslage die verhängte Sanktion etwas zu hoch bemessen, weshalb sie auf das spruchgemäße Ausmaß herabzusetzen war.