15R81/25d – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Schaller als Vorsitzenden und die Richter Dr. Miljevic-Petrikic und Mag. Eberwein in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geb. am **, **, vertreten durch Dr. Florian Striessnig, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei B* Limited , **, MALTA, vertreten durch CERHA HEMPEL Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 21.790 s.A., über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten vom 26.3.2025, **-9, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit EUR 2.482,62 (darin enthalten EUR 413,77 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe
Die Beklagte hat ihren Sitz in Malta und betreibt die Webseite **, in deren Rahmen sie Online-Glücksspiele anbietet. Sie ist Inhaberin einer aufrechten maltesischen Glücksspielkonzession, verfügt jedoch über keine Glücksspiellizenz nach dem österreichischen GSpG.
Die Beklagte richtet ihr Glücksspielangebot unter anderem auf Österreich aus. Ihre Webseite ist in verschiedenen Sprachen abrufbar, darunter auch auf Deutsch. Bei der Registrierung eines Online-Accounts können im Rahmen der Länderauswahl die Bundesländer Österreichs ausgewählt werden.
Die Klägerin ist Verbraucherin und hat ihren Wohnsitz in **. Sie wurde auf die Beklagte über Werbungen im Internet aufmerksam. Um bei der Beklagten Online-Glücksspiele spielen zu können, musste sie sich registrieren und AGBs akzeptieren, die sie nur überflog. Die Homepage war ebenso wie der Registrierungsprozess in deutscher Sprache gefasst.
Von ihrem Wohnsitz in Österreich aus nahm die Klägerin von 25.7.2024 bis 26.8.2024 an von der Beklagten betriebenen Glücksspielen, bei denen die Entscheidung über das Spielergebnis ausschließlich oder vorwiegend vom Zufall abhing, teil und erlitt dabei einen Gesamtspielverlust von EUR 21.790.
Die Klägerin wusste nicht, dass die Beklagte in Österreich keine gültige Glücksspiellizenz aufweist. Erst aufgrund der Höhe der von ihr erlittenen Spielverluste erkundigte sie sich im Internet und erfuhr kurz nach ihrer letzten Spieltätigkeit von der Rückforderbarkeit der Glücksspielverluste.
Mit der am 10.09.2024 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Rückzahlung ihrer Spielverluste von EUR 21.790 samt 4 % Zinsen seit 27.8.2024. Die Beklagte biete in Österreich Glücksspiele an, ohne über eine Konzession nach dem österreichischen Glücksspielgesetz zu verfügen. Aufgrund dessen sei der Glücksspielvertrag unwirksam, die Klägerin könne daher ihre Spieleinsätze aus dem Titel der Bereicherung und des Schadenersatzrechtes zurückfordern. Der Eingriff ins Glücksspielmonopol sei eine Schutzgesetzverletzung.
Die Beklagte beantragte Klagsabweisung und wendete – soweit im Berufungsverfahren noch relevant - ein, das österreichische Glücksspielmonopol sei inkohärent und mit dem Unionsrecht unvereinbar. Folglich sei das von der Beklagten angebotene Glücksspiel nicht rechtswidrig und die geschlossenen Verträge wirksam. Die Beklagte verfüge über eine aufrechte und gültige Glücksspiellizenz in Malta und unterliege der Aufsicht der maltesischen Glücksspielbehörde. Sie verfüge somit über eine Lizenz aus einem EU-Mitgliedstaat, auf deren Basis sie rechtmäßig Online-Glücksspiel im europäischen Binnenmarkt, so auch in Österreich, anbiete.
Jedes Gericht habe die Unionsrechtsmäßigkeit sowie die Verhältnismäßigkeit der Geschäftsstrategie des Monopolinhabers selbst zu prüfen, eigene Feststellungen zu treffen und dürfe nicht bloß Entscheidungen höherer Gerichte übernehmen. Überdies regte die Beklagte die Einleitung eines Vorabentscheidungsverfahrens an.
Das Erstgerichtgab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es traf die eingangs dargestellten Feststellungen und kam rechtlich zum Ergebnis, das Recht zur Durchführung von Glücksspielen sei - soweit im GSpG nichts anderes bestimmt werde - dem Bund vorbehalten. Das Finanzamt Österreich könne sowohl das Recht zur Durchführung der Ausspielungen bestimmter Lotterien wie auch das Recht zum Betrieb einer Spielbank durch Erteilung einer Konzession übertragen. Das GSpG verstoße nach der erklärten Zielsetzung des Gesetzgebers nicht gegen das Unionsrecht. Tatsächliche Umstände, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten, habe die Beklagte nicht dargelegt, weshalb in Übereinstimmung mit der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung nicht von der Unionsrechtswidrigkeit des Glücksspielgesetzes auszugehen sei.
Das Erstgericht habe auch keinen Anlass gesehen, ein Vorabentscheidungsersuchen zu stellen, da zu den Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit eines Gewinnspielmonopols sowie der dadurch bewirkten Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit umfangreiche Rechtsprechung des EuGH vorliege.
Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Mangelhaftigkeit des Verfahrens. Sie beantragt, die Klage abzuweisen, in eventu das Urteil aufzuheben und die Rechtssache zur Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückzuverweisen.
Die Klägerin beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
1.1 Die Beklagte moniert als Verfahrensmangel, das Erstgericht habe das beantragte Sachverständigengutachten aus dem Bereich Marktforschung und Marketing nicht eingeholt. Damit hätte unter Beweis gestellt werden können, dass die von den Konzessionsinhabern betriebene Werbung nicht maßvoll oder darauf beschränkt sei, Verbraucher zu den kontrollierten Spielernetzwerken zu lenken, gezielt vulnerable Gruppen anspreche, Glücksspiel verharmlose und ein positives Image verleihe, Gewinne verführerisch in Aussicht stelle, die Anziehungskraft durch zugkräftigere Botschaften erhöhe und jene Personen zur aktiven Teilnahme an Glücksspiel anrege, die bis dato nicht gespielt hätten.
1.2Ein primärer Verfahrensmangel im Sinn des § 496 Abs 1 Z 2 ZPO liegt schon deshalb nicht vor, weil das Erstgericht gerade keine von den Behauptungen der Beklagten abweichenden Feststellungen getroffen hat. Sollten die Tatsachen, die die Beklagte mit dem beantragten Gutachten beweisen möchte, rechtlich relevant sein, könnte nur ein sekundärer Feststellungsmangel nach § 496 Abs 1 Z 3 ZPO vorliegen (vgl Pimmer in Fasching/Konecny 3§ 496 ZPO Rz 55 ff). Auf die Frage, ob in Zusammenhang mit der Beurteilung der Kohärenz des österreichischen Glücksspielmonopols sekundäre Feststellungsmängel vorliegen, wird im Rahmen der Behandlung der Rechtsrüge näher eingegangen.
2. Gegenstand der Rechtsrüge ist die von der Beklagten behauptete Unionsrechtswidrigkeit des in § 3 GSpG normierten Glücksspielmonopols.
2.1Der Oberste Gerichtshof geht seit seiner am 22. November 2016 zu 4 Ob 31/16m ergangenen Entscheidung in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass das im GSpG normierte Monopol- oder Konzessionssystem bei gesamthafter Würdigung sämtlicher damit verbundener Auswirkungen (insbesondere der Werbemaßnahmen der Konzessionäre) auf dem Glücksspielmarkt allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts zur Verhältnismäßigkeit und Kohärenz entspricht (RS0130636 [T7]; 7 Ob 213/21f; 4 Ob 223/21d; 4 Ob 213/21h; 4 Ob 200/21x; 1 Ob 74/22x; 2 Ob 23/23f; 7 Ob 203/23p; 7 Ob 86/24h; 3 Ob 147/24z; uva). Zuletzt hat der Oberste Gerichtshof diese Ansicht etwa zu 6 Ob 33/25h bestätigt. Bereits mehrfach hat der Oberste Gerichtshof unter Berücksichtigung der Rechtsprechung der anderen österreichischen Höchstgerichte und des Europäischen Gerichtshofs die Unionsrechtskonformität des österreichischen Glücksspielmonopols als abschließend beantwortet erachtet (3 Ob 72/21s; 9 Ob 20/21p; 5 Ob 30/21d; uva).
2.2Die genannten Entscheidungen setzen sich mit den von der Beklagten vorgebrachten Argumenten auseinander, die Konzessionsinhaberinnen würden exzessive Werbemaßnahmen betreiben und ausweiten, Glücksspiel verharmlosen und ihnen ein positives Image verleihen oder Personen zur Teilnahme anregen, die bisher nicht gespielt haben. Sie begründen, wieso auch eine Politik der kontrollierten Expansion von Glücksspielen mit dem Ziel, Spieler zu schützen und Straftaten im Zusammenhang mit verbotenen Spielen zu bekämpfen, im Einklang stehe, wenn Spieler dadurch veranlasst werden, von verbotenen Spielen zu erlaubten und geregelten Spielen überzugehen, bei denen davon ausgegangen werden könnte, dass sie „frei von kriminellen Elementen“ und darauf ausgelegt seien, die Verbraucher vor übermäßigen Ausgaben und Spielschulden zu schützen (vgl etwa 1 Ob 229/20p).
2.3Der Oberste Gerichtshof beleuchtete in den genannten Entscheidungen auch die Fragen der unterschiedlichen Behandlung von Online-Sportwetten und Online-Glücksspiel sowie Online-Glücksspiel und Offline-Glücksspiel (vgl 7 Ob 213/21f; RS0129268 [T6, T8] = 5 Ob 30/21d).
2.4Die Beurteilung durch den Obersten Gerichtshof steht im Einklang mit den Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs (vgl E 945/2016, G 286/219) und des Verwaltungsgerichtshofs (vgl Ro 2015/17/0022, Ra 218/170048, Ra 2020/17/0001; Ra 2021/17/0031). Auch der EuGH sah die aktuellen Werbemaßnahmen der österreichischen Konzessionsinhaber in der zuletzt ergangenen Entscheidung zum österreichischen Glücksspielmonopol als kohärent an (EuGH C-920/19, Fluctus ).
2.5 Die Beklagte zeigt nicht nachvollziehbar auf, inwiefern sich durch Feststellungen zum Wachstum des Glückspielmarkts, zur Ausweitung der Geschäftstätigkeit und des Angebots der Konzessionsinhaber, zu den Werbemaßnahmen der Konzessionsinhaber, zur steigenden Kriminalität im Zusammenhang mit Glücksspiel und zur Kontrolle des Spielerschutzes ergeben würde, dass die Ausgestaltung des österreichischen Glücksspielrechts nicht geeignet wäre, die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern, die Spieler zu schützen und der Kriminalität vorzubeugen.
Die Feststellungsgrundlage ist daher auch nicht mangelhaft geblieben:Die behauptete Ausweitung der Geschäftstätigkeit, die Steigerung der Einnahmen und die Werbemaßnahmen der Konzessionsinhaber führten nach der Rechtsprechung nicht zur Unionsrechtswidrigkeit des österreichischen GSpG, weil diese als Teil einer Politik der kontrollierten Expansion im Glücksspielsektor zur wirksamen Lenkung der Spieltätigkeit in kontrollierbare, rechtmäßige Bahnen angesehen werden können (1 Ob 229/20p, EuGH C-347/09, Dickinger/Ömer , Rn 65). Auch die Zunahme von Kriminalität ist kein Indiz dafür, dass die Kriminalität durch die Monopolregelungen nicht beherrscht wird. Die Rechtsprechung des EuGH, wonach die tatsächlichen Auswirkungen des Monopols von den nationalen Gerichten „dynamisch“ zu beurteilen seien (vgl C-464/15, Admiral, Rn 32ff), möchte ein statisches Abstellen auf den Zeitpunkt der erlassenen Regelung verhindern; das Erfordernis einer ständigen Neubeurteilung der Auswirkungen in jedem einzelnen Fall lässt sich aus dieser Rechtsprechung nicht ableiten. Der Hinweis auf die Entscheidung 10 Ob 52/16v vom 11. November 2016 geht ins Leere, weil diese Entscheidung aus der Zeit vor der dargestellten, nunmehr gefestigten Rechtsprechung stammt (vgl 4 Ob 229/17f; RS0042668).
2.6 Aus der in der Berufung aufgezeigten Mehrfachfunktion des BMF als Eigentümervertreter eines Glücksspielunternehmens und dessen Aufsichtsbehörde lässt sich nicht ableiten, dass das österreichische System die Verwirklichung des Ziels, Spieler zu schützen und Straftaten in Zusammenhang mit verbotenen Spielen zu bekämpfen (vgl EuGH C-390/12, Pfleger , Rn 42), verhindert. Der bloße Umstand, dass die Bundesregierung eine Umstrukturierung des Glücksspielwesens plane, lässt nicht den Schluss zu, dass das derzeitige System nicht wirklich dem Ziel des Spielerschutzes oder der Kriminalitätsbekämpfung diene und nicht dem Anliegen entspreche, in kohärenter und systematischer Weise die Gelegenheiten zum Spiel zu verringern und die mit diesen Spielen verbundene Kriminalität zu bekämpfen.
Das Berufungsgericht sieht daher auch keinen Anlass, der Anregung der Beklagten näherzutreten, dem EuGH die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob Rechtsvorschriften, nach denen das Recht zur Durchführung von Glücksspielen ausschließlich dem Staat vorbehalten ist, und die Aufsicht über die staatlich konzessionierten Glücksspielunternehmen und die Kontrolle von Werbemaßnahmen dieser Glücksspielunternehmen von einer weisungsunterworfenen Dienststelle einer Regierungsbehörde ausgeübt werden, wenn gleichzeitig der Staat Eigentümer dieser Glücksspielunternehmen ist und die Vertretung des Eigentümers durch dieselbe Regierungsbehörde erfolgt, die für ihre Aufsicht zuständig ist, Art 49 und/oder Art 56 AEUV entgegenstehen.
2.7 Das Berufungsgericht sieht keinen Grund, von der ständigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung abzugehen, wonach abschließend geklärt ist, dass das im Glücksspielgesetz normierte Monopol- und Konzessionssystem in allen vom EuGH aufgezeigten Vorgaben des Unionsrechts entspricht.
3.Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Die ordentliche Revision war mangels Vorliegens einer Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zuzulassen.