JudikaturOLG Wien

11R87/25g – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
21. August 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Primus als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Aigner und Mag. Zwettler-Scheruga in der Rechtssache der klagenden Partei A* B* , Pensionist, geboren am **, **, vertreten durch Mag. Stefan Unterleithner, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei C* B* , selbstständig, geboren am **, **, zuletzt vertreten durch Mag. Katarzyna Sowa, Rechtsanwältin in Wien, wegen EUR 19.000 sA, hier wegen Verfahrenshilfe, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 24.4.2025, GZ **-92, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig .

Text

Begründung:

Der Kläger begehrte mit Mahnklage vom 26.9.2022 die Zahlung von EUR 19.000 sA und brachte vor, er habe einen PKW ** gekauft, den er um den Klagsbetrag an die Beklagte weiterverkauft habe, wobei sie ihm den Kaufpreis schulde.

Die Beklagte bestritt und brachte vor, die Parteien hätten das Fahrzeug gemeinsam gekauft. Aufgrund der Zusage des Klägers, dass der PKW der Beklagten alleine gehören werde und sie in den Typenschein bzw Zulassungsschein als Alleineigentümerin und Fahrzeugbesitzerin eingetragen werde, habe sie das alleinige Eigentum erworben. Sie wandte eine Gegenforderung von EUR 30.000 aus dem Titel eines Privatdarlehens, welches sie dem Kläger gewährt habe, bis zur Höhe des Klagsbetrags ein.

Mit (nicht rechtskräftigem) Urteil vom 25.10.2024 (ON 47) erkannte das Erstgericht die Klagsforderung mit EUR 19.000, die Gegenforderung mit EUR 4.000 als zu Recht bestehend und verurteilte die Beklagte zur Zahlung von EUR 15.000 sA sowie der Prozesskosten. Das Urteil wurde der rechtsfreundlichen Vertreterin der Beklagten am 28.10.2024 zugestellt. Am 5.11.2024 gab diese die Vollmachtsauflösung bekannt.

Mit am 22.11.2024 (ON 50) eingelangter und in Folge mehrfach verbesserter Eingabe beantragte die Beklagte unter Vorlage eines Vermögensbekenntnisses samt Beilagen die Bewilligung der Verfahrenshilfe nach § 64 Abs 1 Z 1 lit a und lit f, Z 2 und Z 3 ZPO zur Erhebung einer Berufung gegen das genannte Urteil. Der Kläger sprach sich gegen die Bewilligung aus.

Mit Beschluss des Erstgerichts vom 7.1.2025 (ON 65) bewilligte es der Beklagten die Verfahrenshilfe im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a und f sowie Z 3 ZPO und wies den Antrag im Umfang des § 64 Abs 1 Z 2 ZPO ab. Dem gegen die Bewilligung erhobenen Rekurs des Klägers gab das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 25.2.2025 (ON 81; 11 R 23/25w) Folge, hob den Beschluss erkennbar im Umfang der Anfechtung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs als nichtig auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf.

Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zum Verfahrenshilfeantrag wies das Erstgericht diesen mit dem nunmehr angefochtenen Beschlussauch im Umfang des § 64 Abs 1 Z 1 lit a und f sowie Z 3 ZPO ab.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten mit dem auf Antragsstattgebung gerichteten Abänderungantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Die Revisorin verzichtete auf Rechtsmittel (ON 95).

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt .

1. Das Erstgericht traf im angefochtenen Beschluss nachstehende Feststellung, die es auf die Aussage der Beklagten gründete (vgl die Beweiswürdigung BS 3):

„Nach Abzug aller Zahlungen verbleiben der Beklagten monatlich zumindest EUR 900. Ihr verblieben die letzten Jahre EUR 900 monatlich.“

Die Beklagte moniert, ihre Aussage in der mündlichen Verhandlung sei im Beschluss missverständlich bzw falsch wiedergegeben worden. Ihr würden erst seit ein paar Monaten EUR 900 monatlich übrig bleiben; was ihr davor geblieben sei, könne sie nicht sagen. Darüber hinaus handle es sich bei den EUR 900 monatlich um kein frei verfügbares Einkommen. Es müssten davon auch Kosten für Lebensmittel, Hygieneartikel, Reinigungsmittel, Kleidung, Medikamente, Ausgaben für eine Katze sowie unregelmäßige Ausgaben wie Zahnarzt, Reparaturen, öffentliche Verkehrsmittel abgezogen werden.

Der weiteren Behandlung dieser Beweisrüge steht bereits entgegen, dass das Erstgericht die angefochtene Feststellung aufgrund der unmittelbaren Einvernahme der Beklagten am 8.4.2025 traf. Dem Rekursgericht ist es daher nach ständiger Rechtsprechung verwehrt, von der getroffenen Feststellung abzugehen (RS0044018; Sloboda in Fasching/Konecny3 IV/1 § 514 ZPO Rz 82 [Stand 1.9.2019, rdb.at]). Aufgrund eines Rekursverfahrens kann das Rekursgericht seine eigene freie Überzeugung von der Stichhaltigkeit des Vermögensverzeichnisses bilden und auch die Ergebnisse der mittelbaren Erhebungen und die Belege im Regelfall frei würdigen; eine Umwürdigung von Beweisen im Tatsachenbereich, die im Rahmen der unmittelbaren Parteieneinvernahme aufgenommen wurden, würde jedoch eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes begründen (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny3 II/1 § 66 ZPO Rz 9 [Stand 1.9.2014, rdb.at]). Dies gilt auch dann, wenn nicht nur unmittelbar, sondern auch mittelbar aufgenommene Bescheinigungen verwertet werden (RS0012391 [T5]). Stützte das Erstgericht getroffene Feststellungen – wie hier - nicht nur auf Urkunden, sondern auch auf vor ihm abgelegte Aussagen, so darf das Rekursgericht keine anderen Tatsachen feststellen.

2. Verfahrenshilfe ist einer Partei so weit zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, als sie außer Stande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Der notwendige Unterhalt ist nach der Rechtsprechung jener, der unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls eine die Bedürfnisse des Einzelnen berücksichtigende bescheidene Lebensführung gestattet ( Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 63 Rz 3 mwN; Klauser/Kodek , JN-ZPO 18§ 63 ZPO E 25-29). Er ist abstrakt zwischen dem statistischen Durchschnittseinkommen eines unselbstständig Erwerbstätigen und dem Existenzminimum anzusetzen ( M. Bydlinski in Fasching/Konecny3 II/1 § 63 ZPO Rz 2 [Stand 1.9.2014, rdb.at]).

Die schätzungsweise auflaufenden Kosten des Verfahrenshilfewerbers unter Zugrundelegung eines durchschnittlichen Verfahrensverlaufs sind dem Einkommen abzüglich der zu berücksichtigenden Verbindlichkeiten gegenüberzustellen ( Klauser/Kodek aaO E 3, 30/3). Bestehende Verbindlichkeiten (zB Kreditrückzahlungen und sonstige rechtsgeschäftlich eingegangene Ratenverpflichtungen etc) sind in dem Umfang zu berücksichtigen, in welchem sie tatsächlich regelmäßig geleistet werden. Für das Ausmaß des Abzugspostens ist nicht die absolute Höhe, sondern nur die regelmäßige (monatliche) Belastung ausschlaggebend ( Schindler in Kodek/Oberhammer,ZPO-ON § 63 ZPO Rz 6 [Stand 9.10.2023, rdb.at]).

3.Nach dem nicht revisiblen Sachverhalt verbleiben der Beklagten nach Abzug aller Zahlungen monatlich EUR 900. Daraus folgt, dass ihr bereits abzüglich der Kosten für die Lebensführung noch EUR 900 monatlich zur Verfügung stehen. Damit sind aber die dargestellten Voraussetzungen für die Bewilligung der Verfahrenshilfe nach § 63 ZPO – wie vom Erstgericht zutreffend erkannt – nicht erfüllt.

Bei einem Streitwert des Berufungsverfahrens von EUR 15.000 (Beschwer der Beklagten) für das im Urteil entschiedene Leistungsbegehren ergeben sich folgende Kosten für die Berufung:

Tarif TP3B EUR  608

Einheitssatz dreifach (150%) EUR  912

ERV Eingabe Folgeeinbringung EUR 2,60

Gesamt netto EUR 1.522,60

20% USt EUR 304,52

Gesamt inkl. USt EUR 1.827,12

Pauschalgebühr EUR 1.219

Summe EUR 3.046,12

Mit weiteren Kosten ist vorerst nicht zu rechnen.

Grundsätzlich ist der Partei bei längerer Verfahrensdauer auch die Bildung von Rücklagen während des laufenden Prozesses zumutbar, was vor allem von Bedeutung ist, wenn die Verfahrenshilfe – wie hier - erst in einem späteren Verfahrensstadium beantragt wird (vgl M. Bydlinski in Fasching/Konecny3II/1 § 66 ZPO Rz 1 mwN [Stand 1.9.2014, rdb.at]; Klauser/Kodek , JN-ZPO 18§ 63 ZPO E 44).

Die Mahnklage wurde am 26.9.2022 eingebracht, das Urteil erging am 25.10.2024; am 22.11.2024 langte der Verfahrenshilfeantrag ein. Es wäre der Beklagten – unter Zugrundelegung des festgestellten monatlich seit Jahren verbleibenden Betrags von EUR 900 – möglich gewesen, ab Klagseinbringung bis zur Urteilsfällung (Zeitraum von 2 Jahren) ohne Gefährdung ihres notwendigen Unterhalts monatlich EUR 127 anzusparen, um die Gesamtkosten der Berufung tragen zu können.

Der Rekurs zeigt daher keine Fehlbeurteilung auf.

4.Der Ausspruch über die Kosten des Rekursverfahrens gründet auf § 72 Abs 3 ZPO. Ein Kostenersatz findet in Verfahrenshilfesachen nicht statt, auch nicht unter den vom Kläger in seiner Rekursbeantwortung behaupteten Umständen.

5.Die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses ergibt sich aus § 528 Abs 2 Z 4 ZPO.