JudikaturOLG Wien

8Rs74/25y – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
22. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, den Richter Mag. Zechmeister und die Richterin Dr. Heissenberger, LL.M., (Dreiersenat gemäß § 11a Abs 2 ASGG) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, MSc , **, vertreten durch Mag. Marvin Neuhauser MSc, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, wegen Waisenpension, hier wegen Zulässigkeit des Rechtswegs, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 16.4.2025, **-12, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Der ordentliche Revisionsrekurs ist nicht zulässig.

Text

Begründung:

Die Klägerin bezog nach Vollendung des 18. Lebensjahres eine Waisenpension nach ihrem verstorbenen Vater. Nach Beendigung ihres Psychologiestudiums am 24.11.2022 verständigte sie die Beklagte davon. Diese erließ den nunmehr bekämpften Bescheid vom 23.12.2022, wonach die Waisenpension mit Ablauf des Monats November 2022 entzogen werde. Ein Zustellnachweis liegt nicht vor.

Infolge eines Antrags auf Weitergewährung der Waisenpension verpflichtete sich die Beklagte in dem beim Arbeits- und Sozialgericht Wien zu ** geführten Verfahren mit Vergleich vom 10.12.2024, der Klägerin eine Waisenpension ab 1.8.2023 zu gewähren.

Mit Klage vom 12.2.2025 begehrte die Klägerin Waisenpension für den Zeitraum 1.12.2022 bis 31.7.2023. Der Entziehungsbescheid sei ihr erstmals am 22.1.2025 zugestellt worden. Sie habe im Vorverfahren von dessen Existenz erfahren. Es liege kein Zustellnachweis für die Zustellung des Bescheids vom 23.12.2022 vor, weshalb die Klage rechtzeitig sei. Sie habe der Beklagten am 24.11.2022 nur die Information über den Studienabschluss erteilt und keinen Antrag oder Mitteilung auf Einstellung der Waisenpension gemacht. Aufgrund einer falschen Information sei sie davon ausgegangen, dass die Waisenpension nur bis zur Beendigung des Psychologiestudiums ausbezahlt werde. Im September 2023 habe sie eine Aufforderung der PVA erhalten, einen Antrag auf Weitergewährung zu stellen. Sie habe diesen gestellt und sei davon ausgegangen, dass die Waisenpension rückwirkend ab Dezember 2022 überwiesen werde. Aufgrund der zielstrebigen postgradualen Ausbildung zur klinischen Psychologin sei die Entziehung der Waisenpension rechtswidrig.

Die Beklagte beantragte die Zurückweisung der Klage aufgrund der Rechtskraft des bekämpften Bescheids, in eventu die Abweisung.

Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Erstgericht die gegen den Bescheid vom 23.12.2022 erhobene Klage zurück.

Es ging dabei von dem eingangs wiedergegebenen unstrittigen Sachverhalt sowie den auf Seite 3 der Beschlussausfertigung ersichtlichen Feststellungen aus. Rechtlich folgerte es, dass der Bescheid nicht innerhalb der Klagefrist bekämpft worden sei. Der Rechtsweg sei damit nicht zulässig und die Klage zurückzuweisen.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Klägerin aus den Rekursgründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung, der unrichtigen Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und wesentlicher Verfahrensmängel mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Erstgericht die meritorische Entscheidung über die Klage aufzutragen, in eventu den angefochtenen Beschluss aufzuheben und an das Erstgericht zurückzuweisen.

Die Beklagte hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1. Die Klägerin macht in ihrer Rechtsrüge sekundäre Feststellungsmängel geltend. Das Erstgericht habe keine Feststellungen bezüglich einer Zustellung ohne Zustellnachweis gemäß § 26 Abs 2 ZustellG getroffen. Es würden auch entsprechende Feststellungen bezüglich der diversen Formen einer Zustellung mit Zustellnachweis fehlen. Es würden daher die erforderlichen Feststellungen für die Bejahung der Zustellung des Bescheids an die Klägerin fehlen. Die Feststellung „zeitnah“ lasse keinen Schluss darauf zu, wann die Zustellung tatsächlich erfolgt sei. Auf Grundlage der getroffenen Feststellungen hätte die rechtliche Beurteilung dahingehend lauten müssen, dass der Bescheid rechtzeitig bekämpft worden sei.

2.Die Klägerin macht das Fehlen entscheidungswesentlicher Feststellungen iS § 496 Abs 1 Z 3 ZPO geltend. Die Feststellungsgrundlage ist nur dann mangelhaft, wenn Tatsachen fehlen, die für die rechtliche Beurteilung wesentlich sind und dies Umstände betrifft, die nach dem Vorbringen der Parteien und den Ergebnissen des Verfahrens zu prüfen waren (RS0053317).

Das Erstgericht hat festgestellt, dass ein Zustellnachweis zum Bescheid vom 23.12.2022 nicht vorliegt. Weiters hat es festgestellt, dass die Klägerin den Bescheid vom 23.12.2022 zeitnah zugestellt erhielt. Weiterer Feststellungen, ob diese Zustellung mit oder ohne Zustellnachweis erfolgte, bedarf es aus rechtlichen Erwägungen nicht (vgl SSV NF 17/50). Wenn die Klägerin den Bescheid vom 23.12.2022 zeitnah erhalten hat, hat zu diesem Zeitpunkt die dreimonatige Klagsfrist zu laufen begonnen. Sie war daher im Februar 2025 längst abgelaufen.

3. Die Klägerin bekämpft die Festellung zur zeitnahen Zustellung des Bescheids vom 23.12.2022 auch mit Beweisrüge .

Dem ist zu entgegnen, dass das Erstgericht über die Klage mündlich verhandelt und den festgestellten Sachverhalt nicht nur aufgrund von Urkunden oder mittelbar aufgenommener Beweise, sondern auch aufgrund der Einvernahme der Klägerin festgestellt hat. Eine Tatsachen- und Beweisrüge ist aufgrund der unmittelbaren Beweisaufnahme nicht zulässig (RS0044018, RS0040120).

4. Die Klägerin erhebt weiters eine Mängelrüge . Das Erstgericht habe den Untersuchungsgrundsatz verletzt. Die Klägerin habe zum Zeitpunkt der Ausstellung des Entziehungsbescheids und dessen vermeintlicher Zustellung bei ihrer Mutter im Haus gewohnt. Dem Erstgericht sei bekannt gewesen, dass die Klägerin umgezogen sei und zuvor bei ihrer Mutter gewohnt habe. Das Erstgericht habe die Mutter nicht als Zeugin geladen und die Klägerin auch nicht angeleitet, die Einvernahme der Mutter als Zeugin zu beantragen.

Der Grundsatz der materiellen Wahrheitsforschung ist im Sozialrechtsverfahren nicht anzuwenden. § 87 Abs 1 ASGG ordnet vielmehr nur die amtswegige Beweisaufnahme an, das Verfahren ist aber im Übrigen nicht durch den Amtswegigkeitsgrundsatz beherrscht (RS0103347).

Der Klägerin ist zu entgegnen, dass in der Verhandlung vom 16.4.2025 lediglich thematisiert wurde, dass die Adresse in Blg ./1 die damals aktuelle Wohnadresse der Klägerin war (PA ON 9, S. 3). Weder aus der Blg ./1, noch aus der Aussage der Klägerin in der Verhandlung vom 16.4.2025, noch aus dem Klagsvorbringen ergibt sich, dass an der alten Adresse der Klägerin auch deren Mutter wohnhaft war bzw ist.

Das Erstgericht hat daher weder den Untersuchungsgrundsatz, noch die Anleitungspflicht verletzt.

Die Klägerin vermag keinen Verfahrensmangel aufzuzeigen.

5. Dem Rekurs war daher ein Erfolg zu versagen.

6.Für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG ergeben sich weder aus dem Vorbringen noch aus dem Akt Anhaltspunkte, weshalb die Klägerin die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen hat.

7.Obwohl der erstinstanzliche Beschluss zur Gänze bestätigt wurde, ist der Revisionsrekurs nicht jedenfalls unzulässig, weil im vorliegenden Fall die Klage ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen worden ist (§ 528 Abs 2 Z 2 ZPO). Die Zulässigkeit des Revisionsrekurses hängt in diesem Fall davon ab, ob mit der Entscheidung eine erhebliche Rechtsfrage zu lösen war ( G. Kodek in Kodek/Oberhammer, ZPO-ON § 528 Rz 42). Das ist vorliegend nicht der Fall.