8Rs95/24k – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin des Oberlandesgerichts Mag. Zacek als Vorsitzende, die Richterinnen Mag. Derbolav-Arztmann und Dr. Heissenberger, LL.M., sowie die fachkundigen Laienrichter ADir Dietrich Wiedermann und Tanja Sehn Zuparic in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, vertreten durch Dr. Sven Rudolf Thorstensen, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle Burgenland, **, wegen Berufsunfähigkeitspension, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 9.7.2024, **-37, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben und das angefochtenen Urteil mit der Maßgabe bestätigt, dass es weiters lautet:
„Es besteht kein Anspruch auf Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation.“
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Berufung selbst zu tragen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.10.2022 gerichtete Klagebegehren ab.
Es legte seiner Entscheidung die auf Seiten 2 bis 8 der Urteilsausfertigung ersichtlichen Feststellungen zugrunde, auf die verwiesen wird.
Rechtlichfolgerte das Erstgericht, der Kläger habe am ** das 60. Lebensjahr überschritten, sodass die Voraussetzungen gemäß § 273 Abs 2 ASVG iVm § 255 Abs 4 ASVG zu prüfen seien. Da er sowohl in der unselbständigen als auch selbständigen Tätigkeit dieselben Arbeiten verrichtet habe, habe er im Beobachtungszeitraum 120 Kalendermonate einer Erwerbstätigkeit als Verkaufsberater/Außendienstmitarbeiter im Fenster/Türen/Sonnenschutz mit persönlicher Mitarbeit im Einbau ausgeübt und somit die Voraussetzungen nach § 255 Abs 4 ASVG erfüllt. Tätigkeitsschutz als Verkaufsberater im Türen- und Fensterhandel sei gegeben. Gemäß § 273 Abs 2 ASVG iVm § 255 Abs 4 ASVG sei ihm eine zumutbare Änderung seiner Tätigkeit als Verkaufsberater im Türen- und Fensterhandel ohne persönliche Mitarbeit im Einbau zumutbar. Er sei somit nicht berufsunfähig. Die Verweisungstätigkeit sei nach dem bisherigen Berufsverlauf als billigerweise sozial zumutbar anzusprechen. Die Vermittelbarkeit auf einen konkreten Arbeitsplatz und damit verbunden die Frage, ob der Versicherte im Verweisungsberuf tatsächlich einen Dienstposten finden werde, sei nicht zu prüfen.
Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im klagsstattgebenden Sinne abzuändern. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beteiligte sich nicht am Berufungsverfahren.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt .
Mit der allein erhobenen Rechtsrügewendet sich der Kläger gegen die rechtliche Beurteilung, wonach ihm eine Änderung seiner Tätigkeit als Verkaufsberater im Türen- und Fensterhandel ohne persönliche Mitarbeit im Einbau zumutbar sei. Gemäß § 255 Abs 4 ASVG seien zumutbare Änderungen der Tätigkeit zu berücksichtigen. Fest stehe, dass in Österreich für die genannte Verweisungstätigkeit eine Anzahl von mindestens 100 Arbeitsplätzen existiere. Jedoch seien hier regionale Aspekte nicht mitberücksichtigt worden. Der Kläger wohne im **. In der Begründung sei eine hohe Anzahl an freien Arbeitsplätzen für die Zumutbarkeit angeführt, ohne hiebei regionale Distanzen mitzuberücksichtigen. Dem Kläger sei es jedenfalls unzumutbar, sich auf Stellen außerhalb des ** (denn genau darauf zielten die „über 100 Arbeitsplätze“ ab) zu bewerben. Unberücksichtigt bleibe der Umstand, dass es nicht Intention des Gesetzgebers sei, die Zumutbarkeit der Änderungen einer Tätigkeit losgelöst von regionalen Distanzen zu sehen. Letztendlich habe die Zumutbarkeit der Änderungen einer Tätigkeit (damit ua gemeint: Strapazen einer Anreise) für einen Über-60-Jährigen jedenfalls regionale Grenzen, zumal der (zeitliche) Aufwand, eine (neue) Arbeitsstätte außerhalb des ** (so das Gutachten: „bundesweit“, also auch zB **) aufzusuchen, mitberücksichtigt werden müsse. Irrig bejahe das Erstgericht die Zumutbarkeit vor dem Hintergrund der mehr als 100 Arbeitsplätze, wenn doch in dieser Berechnung keine landesspezifische auf den Tätigkeitsbereich des Klägers bezogene Anzahl an freien Arbeitsplätzen ins Treffen geführt worden sei. Im Ergebnis zeige sich, dass es dem Kläger unzumutbar sei, woanders zu arbeiten.
Dem ist Folgendes entgegen zu halten:
Als invalid gilt gemäß § 255 Abs 4 Satz 1 ASVG der Versicherte, der das 60. Lebensjahr vollendet hat, wenn er infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer Tätigkeit, die er in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen.
Dabei handelt es sich nicht um einen Arbeitsplatzschutz, sondern um eine – besondere – Form des Berufsschutzes, dies im Sinn eines „Tätigkeitsschutzes“ (RS0087658 [T3, T4]; etwa 10 ObS 59/24k). § 255 Abs 4 ASVG stellt nicht auf die Anforderungen an einem bestimmten Arbeitsplatz ab, sondern auf die „Tätigkeit“ mit dem am allgemeinen Arbeitsmarkt typischerweise gefragten Inhalt (etwa 10 ObS 59/24k; RS0087658 [T2]; RS0087659 [T9]).
Der Versicherte darf nur nicht auf andere als die bisher überwiegend geleisteten Tätigkeiten verwiesen werden. Es ist aber zulässig, ihn auf Tätigkeiten zu verweisen, die zwar im Kernbereich völlig mit der bisherigen Tätigkeit übereinstimmen, bei denen jedoch Nebentätigkeiten wegfallen, die mit der Haupttätigkeit nicht typischerweise verbunden sind (RS0087659).
Dass er die vom Erstgericht herangezogene Verweisungstätigkeit eines Verkaufsberaters im Türen- und Fensterhandel ohne persönliche Mitarbeit im Einbau unter Einhaltung des medizinischen Leistungskalküls weiterhin ausüben kann und auf eine solche grundsätzlich verwiesen werden kann, bestreitet der Berufungswerber - zu Recht - nicht. Er meint lediglich, nur auf Arbeitsplätze im Bundesland seines Wohnsitzes verwiesen werden zu können. Damit entfernt er sich allerdings vom festgestellten Sachverhalt. Fest steht, dass – trotz seines Alters - (medizinisch) gegen Wochenpendeln bzw einen Ortswechsel keine Einwände bestehen; der Anmarschweg zur Arbeit ist nicht eingeschränkt, auf Witterungseinflüsse ist nicht Bedacht zu nehmen; der Kläger ist auch in der Lage, ein öffentliches Verkehrsmittel zu benützen, auch das berufliche Lenken eines Fahrzeugs ist möglich. Eine von ihm gewünschte Einschränkung der Verweisbarkeit auf den regionalen Arbeitsmarkt ergibt sich daraus nicht.
Richtig ist, dass als Verweisungsberufe nur solche Berufstätigkeiten in Betracht kommen, die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in ausreichender Anzahl vorhanden sind (RS0084857; etwa 10 ObS 130/08b zu § 255 Abs 4 ASVG). Bezogen auf den gesamten österreichischen Arbeitsmarkt müssen zumindest 100 Arbeitsstellen vorhanden sein (etwa 10 ObS 130/08b zu § 255 Abs 4 ASVG; RS0084772 [T2]).
Nach den Feststellungen stehen in den für den Kläger in Betracht kommenden Verweisungsberufen österreichweit mindestens 100 Arbeitsplätze (ohne persönliche Mitarbeit im Einbau) zur Verfügung. Dabei ist nicht entscheidend, wie viele Arbeitsplätze konkret im näheren Umkreis des Wohnsitzes des Versicherten zur Verfügung stehen (10 ObS 130/08b zu § 255 Abs 4 ASVG; RS0084743 [T13]), zumal eine Einschränkung auf den regionalen Arbeitsmarkt medizinisch nicht gegeben ist. Ebenso entspricht es der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass nicht zu berücksichtigen ist, ob der Kläger im Verweisungsberuf auch tatsächlich einen Arbeitsplatz finden wird, weil für den Fall der Arbeitslosigkeit die Leistungszuständigkeit der Arbeitslosenversicherung besteht (10 ObS 130/08b; RS0084833). Auf freie Arbeitsplätze kommt es daher nicht an. Solche hat auch das Erstgericht zutreffend nicht geprüft.
Der Berufung kommt somit keine Berechtigung zu.
Aufgrund der Klage ist der gesamte Bescheid gemäß § 71 Abs 1 ASGG außer Kraft getreten. Im Fall der Verneinung des gegen den Bescheid erhobenen Klagebegehrens ist der Bescheidinhalt im Urteil zu wiederholen. Dies war mit der Maßgabebestätigung zu berichtigen.
Ein Zuspruch von Kosten des Berufungsverfahrens nach Billigkeit nach § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG hatte nicht zu erfolgen, weil keine Billigkeitsgründe dargelegt wurden und auch aus dem Akt nicht ersichtlich sind.
Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil Rechtsfragen von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zur Beurteilung standen.