20Bs105/25z – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Mag. Jilke als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. Neubauer und Mag. Wolfrum, LL.M., als weitere Senatsmitglieder im Verfahren zur strafrechtlichen Unterbringung des A*in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 15. April 2025, (nunmehr) GZ **-27 (des Landesgerichts für Strafsachen Wien), nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Die vorläufige Unterbringung des A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum wird gemäß § 431 Abs 1 StPO aus den Haftgründen der Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO und der Tatausführungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit d StPO fortgesetzt.
Die vorläufige Unterbringung ist gemäß § 431 Abs 1 StPO iVm § 175 Abs 5 StPO durch eine Frist nicht mehr begrenzt.
Text
Begründung:
Die gemäß § 28 Abs 1 StPO zuständig gewordene Staatsanwaltschaft St. Pölten stellte am 16. April 2025 beim Landesgericht für Strafsachen Wien den Antrag auf Unterbringung des A* in ein forensisch-therapeutisches Zentrum gemäß § 429 StPO iVm § 21 Abs 1 StGB.
Dabei geht die Staatsanwaltschaft St. Pölten einwandfrei vom objektiv wie subjektiv bestehenden dringenden Verdacht aus, A* habe am 26. März 2025 in ** unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung, und zwar eines affektlabilen Zustandsbild bei bereits vordiagnostizierter Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis und eine Psychische und Verhaltensstörung durch Cannabisabusus nachgenannte Tat begangen, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht ist, und zwar
./ die Staatsanwältin Mag. B* und die Richterin Mag. C* gefährlich mit dem Tod einer ihrem Schutz unterstellten Person bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er, nachdem Mag. B* Anklage gegen den Genannten wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung zum Nachteil von D* zu AZ ** einbrachte, wobei ihm vorgeworfen wurde, D* durch mehrere Faustschläge und Tritte gegen den Kopf einen Nasentrümmerbruch, Brüche beider Jochbeine, Brüche des Gesichtsschädels mit Luftübertritt in die mittlere Schädelgrube sowie einen Bruch des linken Schläfenbeins, verbunden mit einer raumfordernden Blutung zwischen harter Hirnhaut und Schädelknochen absichtlich zugefügt, mittels eines Schreibens an die zuständige Staatsanwältin und Richterin mitteilte, dass er den für die Hauptverhandlung erforderlichen Zeugen D* ganz töten werde, wenn er bei Gericht erscheine, lieber sein Leben im Knast leben werde und ein Streifenpolizist gegen ihn sein Leben riskieren würde, weshalb die WEGA ihn „k.o.“ schlagen müsste (gemeint: um ihn von der angekündigten Tat abzuhalten)
./ sohin eine Tat begangen, die mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedroht ist und die ihm, wäre er zum Tatzeitpunkt zurechnungsfähig gewesen, als das Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 und 2 StGB ,zuzurechnen wäre, wobei er nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er im Zeitpunkt der Taten wegen dieser Störung zurechnungsunfähig (§ 11 StGB) war, und aufgrund seiner Person, seines Zustandes und der Art der Taten, insbesondere einer nicht effizient behandelten Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis in Kombination mit regelmäßigem Cannabisabusus, sohin dem Bestehen einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass er sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen, insbesondere schwere Körperverletzungsdelikte, begehen wird.
Mit dem angefochtenen Beschluss wandelte das Erstgericht unter Zugrundelegung des im Antrag auf Unterbringung dargestellten Sachverhalts die mit Beschluss vom 1. April 2025 über A* verhängte Untersuchungshaft in eine vorläufige Unterbringung unter Annahme von Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a und b StPO sowie Tatausführungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit d StPO iVm § 431 Abs 1 StPO um.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des A* (ON 30.1), der keine Berechtigung zukommt.
Gemäß § 21 Abs 1 StGB (idF Maßnahmenvollzugsanpassungsgesetz 2022, BGBl I Nr. 223/2022) ist in einem forensisch-therapeutischen Zentrum unterzubringen, wer unter dem maßgeblichen Einfluss einer schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung eine Tat nach § 21 Abs 3 StGB (Anlasstat) begangen hat und nur deshalb nicht bestraft werden kann, weil er im Zeitpunkt der Tat wegen dieser Störung zurechnungsunfähig (§ 11 StGB) war, wenn nach seiner Person, nach seinem Zustand und nach der Art der Tat mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten ist, dass er sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen begehen werde (Prognosetat). Anlasstaten können nach § 21 Abs 3 StGB nur Taten sein, die mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht sind. Wenn die angedrohte Freiheitsstrafe dieser (Anlass-)Tat drei Jahre nicht übersteigt, muss sich die Befürchtung nach Abs 1 leg cit (Prognosetat) auf eine gegen Leib und Leben gerichtete mit mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe bedrohte Handlung oder auf eine gegen die sexuelle Integrität und Selbstbestimmung gerichtete mit mehr als einem Jahr Freiheitsstrafe bedrohte Handlung beziehen.
Ist der Betroffene einer strafbaren Handlung dringend verdächtig und liegen hinreichende Gründe für die Annahme, dass die Voraussetzungen des § 21 Abs 1 StGB gegeben seien, sowie einer der in § 173 Abs 2 StPO angeführten Haftgründe gegeben ist, vor, so ist der Betroffene vorläufig in einem forensisch-therapeutischen Zentrum unterzubringen. Über die Zulässigkeit der vorläufigen Unterbringung ist in sinngemäßer Anwendung des § 173 Abs 1, 3 und 5 StPO sowie der §§ 174 bis 178 StPO zu entscheiden (§ 431 Abs 1 StPO).
Somit setzt auch die vorläufige Unterbringung einen dringenden Tatverdacht nach § 431 Abs 1 iVm 173 Abs 1 StPO voraus, der mehr als eine Vermutung und mehr als ein einfacher oder gewöhnlicher Verdacht ist ( Kirchbacher/Rami,aaO § 173 Rz 3 mwN; RIS-Justiz RS0107304; RS0040284) und in Bezug auf alle Voraussetzungen der strafrechtlichen Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum vorliegen muss.
Der von der Staatsanwaltschaft St. Pölten angenommene, dem Antrag auf Unterbringung zugrunde liegende Sachverhalt erschließt sich objektiv aus dem von A* an die Staatsanwältin Mag. B* und Richterin Mag. C* gerichteten Brief des hier inkriminierten Inhalts, das er den für die Hauptverhandlung erforderlichen Zeugen ganz töten werde, wenn er bei Gericht erscheine (ON 2) und der zur Verfassung dieses Textes auch geständigen Verantwortung des A*. Die subjektive Tatseite erschließt sich zunächst aus dem Textinhalt im Zusammenhalt mit der zuvor gegen den Zeugen D* gerichtete Gewalttaten (Gegenstand des Verfahrens **), was den Bedeutungsinhalt nahelegt, der im Verfahren zu AZ ** zuständigen Staatsanwältin Mag. B* und der zuständigen Richterin Mag. C* eine Rechtsgutbeeinträchtigung in Form des Todes einer ihrem Schutz unterstellten Person, nämlich des genannten Zeugen, in Aussicht zu stellen. Aus der Intensität der Tathandlungen im Verfahren AZ ** des Landesgerichts für Strafsachen Wien sowie aus dem massiv bedrohlichen Brieftext (ON 2) ist nicht nur der Vorsatz des A* zu schließen, wonach die von ihm in seinem Schreiben getätigten Äußerungen den Eindruck bei den Briefadressaten einer ernstgemeinten Ankündigung der bevorstehenden Rechtsgutbeeinträchtigung in Form des Todes des genannten Zeugen erwecken, sondern auch die dem innewohnende Absicht, Mag. B* und Mag. C* in Furcht und Unruhe im Sinne eines nachhaltigen, das ganze Gemüt ergreifenden, peinvollen Seelenzustandes zu versetzen. Die die subjektive Tatseite im Wesentlichen abstreitende Verantwortung des Angeklagten vermag die Annahme derselben nicht entscheidend in Frage zu stellen.
Die Voraussetzungen der Zurechnungsunfähigkeit nach § 11 StPO ergeben sich aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. E* vom April 2025 (ON 22.2). Danach lag bei A* zum Zeitpunkt der Taten eine akute Psychose im Rahmen der bestehenden Erkrankung aus dem schizophrenen Formenkreis vor, die für die ihm vorgeworfene Tat ursächlich war bzw. die dafür verantwortlich war, dass die Tat als Psychose geleitet zu beurteilen ist. Aufgrund der zum Zeitpunkt der Taten vorgelegenen psychosebedingten Erlebniswahrnehmungs- und Erlebnisverarbeitungsstörung, der pathologisch veränderten Denkprozesse und Affektstörung war A* nicht in der Lage, zwischen subjektiven inneren Erleben und äußerer Realität ausreichend zu unterscheiden, um den dafür notwendigen Perspektivenwechsel durchzuführen, sodass sowohl Diskretionsfähigkeit wie auch Dispositionsvermögen aufgehoben waren.
Aus eben diesen Gutachten ergibt sich aber auch eine für die vorläufige Unterbringung vorausgesetzte negative Prognose in Bezug auf die Gefährlichkeit des A*. Zusammenfassend hält der Sachverständige - zunächst zu den Grundvoraussetzungen des § 11 StGB - fest, dass die bei A* vorliegende psychische Störung, nämlich eine nicht effizient behandelte Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis in Kombination mit regelmäßigem Cannabisabusus eine schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung darstellt und die Taten auch unter einem maßgeblichen Einfluss dieser schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung begangen wurden. Die Gefährlichkeitsprognostik ist ungünstig und es sind in Zukunft Taten, wie die (aktuell) mutmaßlichen Taten, diesen äquivalenten Taten aber auch mit Strafe bedrohte Taten mit schweren Folgen - wie schwere Körperverletzung mit zu erwartenden Knochenbrüchen, umfänglichen Weichteilverletzungen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchten und dass der Beschuldigte in absehbarer Zukunft, nämlich in den nächsten Monaten unter dem maßgeblichen Einfluss seiner schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung aufgrund impulsiven, unkontrollierten Verhaltens, leichter Reizbarkeit, mangelnder Selbstbeherrschung und irrationaler Gedanken diese begehen werde, sodass aus forensisch-psychiatrischer Sicht eine Maßnahme in Form der strafrechtlichen Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB indiziert ist.
Dem Vorbringen in der Beschwerde, wonach sich der Gesundheitszustand des A* in der Haft massiv verbessert habe, ist entgegenzuhalten, dass sich auch der Sachverständige mit diesem Umstand auseinandergesetzt hat (siehe postdeliktische Persönlichkeitsentwicklung AS 42 in ON 22.2) aber ungeachtet dessen von den Voraussetzungen der §§ 11 und 21 Abs 1 StGB ausgeht. Zweifel an der Schlüssigkeit vermag die Beschwerde damit nicht aufzuzeigen.
Dass eine Vollzugsortsänderung für A* aufgrund der nur eingeschränkten Besuchsmöglichkeit für seine Eltern und der Kontaktaufnahme mit seinen Verteidigern nachteilig wäre, vermag die Unterbringungsvoraussetzungen nicht in Frage zu stellen.
Auch die weiteren, der Conclusio zitierten Gutachtens entgegenstehenden eigenen Schlüsse des A* sind nicht geeignet, Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens aufkommen zu lassen. Dass sich der Sachverständige nicht mit der Möglichkeit einer Depotmedikation auseinandergesetzt bzw. diese nicht behandelt habe, kann ebenfalls nicht behauptet werden. So bringt der Sachverständige klar zum Ausdruck, dass nach seinem aktuellen Gutachten die Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 1 StGB alternativlos ist, womit aber eine Depotmedikation bzw ein Aufenthalt des A* extra muros eben nicht in Frage kommt.
Davon, dass – wie in der Beschwerde behauptet - von A* keine Gefahr ausgehe kann daher nicht die Rede sein.
Ausgehend von dem angenommenen Sachverhalt und der Gefährlichkeitsprognose liegen nach wie vor die bisher angezogenen Haftgründe der Tatbegehungs- und Ausführungsgefahr in der Ausprägung gemäß § 173 Abs 2 Z 3 lit a, b und d StPO vor. Zutreffend hat das Erstgericht die genannten Haftgründe aus dem bestehenden psychischen Zustandsbild, der Persönlichkeit des Betroffenen und der schon Gegenstand des Verfahrens ** zugrundeliegenden Taten, zu welchen sich A* im Wesentlichen geständig zeigte sowie dem dem Unterbringungsantrag zugrundeliegenden Schreibens abgeleitet, sodass zu befürchten ist, der Beschwerdeführer werde auf freiem Fuß ungeachtet des wegen der mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohten Straftat gegen ihn geführten strafrechtlichen Unterbringungsverfahrens weitere mit mehr als sechs Monaten Freiheitsstrafe bedrohte strafbare Handlungen mit schweren bzw. nicht bloß leichten Folgen begehen, die gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind, wie die ihm angelastete strafbare Handlung. Demnach sind Angriffe wie schwere Körperverletzungen mit zu erwartenden Knochenbrüchen bzw. umfänglichen Weichteilverletzungen zu erwarten. Aufgrund der schon einmal gegen denselben Tatzeugen gerichteten Gewaltexzess ist aufgrund der intensiven und ernst zu nehmenden, gegen diesen Zeugen gerichteten schriftlichen Drohungen auch zu befürchten, A* werde wie angekündigt den Zeugen neuerlich mit den Folgen schwerster Verletzungen oder gar des Todes begegnen.
Die vorläufige Unterbingung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum darf zur Bedeutung der Sache und der zu verhängenden strafrechtlichen Reaktion nicht außer Verhältnis stehen (RIS-Justiz RS0119896). Im Hinblick auf das Gewicht der Anlasstat, den Geisteszustand und die Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen steht der erst seit 1. April 2025 andauernden Untersuchungshaft bzw. nunmehr vorläufigen Unterbringung das Verhältnismäßigkeitsgebot nicht entgegen.
Unter Bedachtnahme auf die Intensität jener Gründe, welche die vorläufige Unterbringung rechtfertigen, insbesondere aber die hochgradige gegen den genannten Zeugen gerichtete Gefährlichkeit des A* kommt auch deren Substituierung durch Anwendung gelinderer Mittel zumindest derzeit nicht in Betracht. Fallbezogen kann somit - dem Beschwerdevorbringen zuwider - auch der Zweck der vorläufigen Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nicht dadurch erreicht werden, dass der Betroffene ohne eine solche Behandlung betreut wird (§ 431 Abs 2 StPO).
Da seitens der Anklagebehörde bereits ein Antrag gemäß § 21 Abs 1 StGB eingebracht wurde ist die vorläufige Unterbringung gemäß § 431 Abs 1 StPO iVm § 175 Abs 5 StPO durch eine Frist nicht mehr begrenzt.