JudikaturOLG Wien

8Rs46/25f – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
29. April 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, die Richterin Mag. Derbolav Arztmann und den Richter MMag. Popelka, sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Elisabeth Hirt und Thorsten Brandtstetter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*, **, vertreten durch Mag. Daniel Kirch, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Landesstelle **, **, vertreten durch Mag. Barbara Horacek u.a., ebendort, wegen Versehrtenrente, über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Arbeits und Sozialgerichts Wien vom 9.12.2024, ** 10, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Entscheidungsgründe:

Text

Der Kläger stürzte am 28.11.1989 während der Arbeit von einer Schalungsplatte aus ca. drei Meter Höhe zu Boden. Er erlitt dadurch einen Bruch des Speichenkopfes und einen Abriss vom großen Rollhöcker des Oberschenkels links.

Mit Bescheid vom 10.11.1989 wurde der Antrag des Klägers auf Zuerkennung einer Versehrtenrente durch die beklagte Partei abgewiesen, da keine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20 % vorliege. Dagegen erhob der Kläger Klage. Das hierzu vor dem Arbeits und Sozialgericht Wien zu ** geführte Verfahren endete mit abweisendem Urteil. Grundlage der Beurteilung war das im Verfahren eingeholte unfallchirurgische Sachverständigengutachten von Dr. B* vom 22.3.1999. Einer Berufung des Klägers wurde nicht Folge gegeben.

Mit Antrag vom 24.5.2024 machte der Kläger eine Verschlimmerung der Verletzungsfolgen geltend.

Mit Bescheid vom 5.7.2024 lehnte die beklagte Partei den Antrag auf Zuerkennung einer Versehrtenrente ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die Klage des Klägers mit dem wesentlichen Vorbringen, er habe zahlreiche Nachbehandlungen sowie operationen gehabt. Sein Zustand aufgrund des Arbeitsunfalls vom 28.11.1989 habe sich massiv verschlechtert.

Die Beklagtewandte im Wesentlichen ein, eine Verschlimmerung der Verletzungsfolgen gemäß § 183 ASVG sei seit dem Vorverfahren nicht eingetreten.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren, dem Kläger aufgrund der Folgen des Arbeitsunfalls vom 28.11.1989 ab 24.5.2024 eine Versehrtenrente als Dauerrente im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab.

Es ging dabei von dem auf Seiten 2 bis 3 der Urteilsausfertigung festgestellten Sachverhalt aus, auf welchen zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen wird.

Rechtlich folgerte es, gemäß § 203 Abs 1 ASVG bestehe Anspruch auf Versehrtenrente, wenn die Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch die Folgen eines Arbeitsunfalles oder einer Berufskrankheit über drei Monate nach dem Eintritt des Versicherungsfalls hinaus mindestens 20% vermindert sei. Es könnten nur jene Funktionseinschränkungen berücksichtigt werden, die ursächlich auf einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit zurück zu führen seien.

Gemäß § 183 Abs 1 ASVG habe bei einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse, die für die Feststellung einer Rente maßgebend gewesen seien, der Träger der Unfallversicherung auf Antrag oder von Amts wegen die Rente neu festzustellen. Als wesentlich gelte eine Veränderung der Verhältnisse nur, wenn durch sie die Minderung der Erwerbsfähigkeit des Versehrten durch mehr als drei Monate um mindestens 10 % geändert werde, durch die Änderung ein Rentenanspruch entstehe oder wegfalle oder die Schwerversehrtheit entstehe oder wegfalle. Zum Vergleich dafür, ob eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei, sei der Tatsachenkomplex heran zu ziehen, der jener Entscheidung zugrunde gelegen sei, deren Rechtskraftwirkung bei unveränderten Verhältnissen einer neuen Feststellung der Rente im Wege stehe. Entscheidend sei, ob sich der tatsächliche Zustand des Versicherten seit der die Grundlage der Gewährung bildenden Untersuchung wesentlich geändert habe. Da ausgehend von den Feststellungen eine Verschlimmerung der Unfallfolgen nicht eingetreten sei und überdies eine unfallskausale Minderung der Erwerbsfähigkeit von (nur) 10% vorliege, sei das Klagebegehren abzuweisen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtigen Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klagsstattgebung abzuändern; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt .

1. Mangelhaftigkeit des Verfahrens:

Der Kläger rügt, das Gericht habe auf den Seiten 3 und 4 der Urteilsausfertigung undifferenziert auf die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen verwiesen, ohne dass diese zitiert oder sonst irgendwie implementiert worden wären. Auch die Beweiswürdigung des Erstgerichts sei formelhaft und undifferenziert, sodass eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens im Sinne der §§ 272, 417 ZPO vorliege. Bei ordnungsgemäßen Tatsachenfeststellungen zum aktuellen Gesundheitszustand des Klägers wäre eindeutig ersichtlich gewesen, dass bei ihm eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes sowie eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 20% eingetreten sei.

Zutreffend gibt der Kläger im Wesentlichen den Rechtssatz RS0040217 wieder, wonach sich aus den Bestimmungen der §§ 272, 417 ZPO ergibt, dass die Entscheidungsgründe eines Urteils die für die Entscheidung erforderlichen Tatsachenfeststellungen enthalten müssen. Das Gericht muss daher klar und zweifelsfrei und zwar zunächst in geschlossener Darstellung und nicht mit der Beweiswürdigung vermengt aussprechen, welche Tatsachen seiner Meinung nach vorliegen.

Die Begründungspflicht des § 272 Abs 3 ZPO bezieht sich auf die objektiven Elemente der richterlichen Beweiswürdigung; der Richter muss offenlegen, aufgrund welcher Erfahrungssätze er zur Auffassung gelangt ist, dass die festgestellten Tatsachen für wahr zu halten sind. Das Urteil muss klar und zweifelsfrei die erforderlichen Tatsachenfeststellungen und die Begründung dafür enthalten, warum es die festgestellten Tatsachen als erwiesen und andere behauptete Tatsachen als nicht erwiesen angenommen hat. Der Mangel einer Begründung stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel dar (Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 272 Rz 3 mwN).

Kein Begründungsmangel liegt vor, wenn in einer Entscheidung in knapper, jedoch überprüfbarer und logisch einwandfreier Form dargelegt ist, warum aufgrund bestimmter Beweisoder Verhandlungsergebnisse bestimmte Tatsachen festgestellt wurden und sowohl die Parteien als auch das Rechtsmittelgericht die Schlüssigkeit dieser Werturteile zu überprüfen in der Lage sind (RS0040122, RS0040165, 1 Ob 2368/96h, 2 Ob 206/99d).

Das erstinstanzliche Urteil entspricht diesen Anforderungen. Es wurden ausdrücklich Tatsachenfeststellungen getroffen („Sachverhaltsfeststellung“, US 2 f), und getrennt davon im Rahmen der Beweiswürdigung ausgeführt, auf welche Beweisergebnisse diese Sachverhaltsfeststellungen gründen („Beweiswürdigung“, US 3 f). In der Beweiswürdigung wurde auch nicht lediglich „undifferenziert“ auf das Gutachten des bestellten Sachverständigen Dr. C* verwiesen, sondern dessen wesentliche Ausführungen dargelegt und als nachvollziehbar befunden. Auch wurde darauf hingewiesen, dass der Sachverständige sich auch bei der Erörterung mit dem vorgelegten Arztbrief vom 3.5.2024 auseinandersetzte und auch nachvollziehbar darlegte, dass die Folgen eines Unfalls aus 2006 keine Folgen des gegenständlichen Arbeitsunfalles sind. Damit hat das Erstgericht das Gutachten als nachvollziehbar und schlüssig den Feststellungen zugrunde gelegt, und ist die Schlüssigkeit dieses Werturteils auch vom Rechtsmittelgericht überprüfbar.

Es liegt daher kein Verfahrensmangel gemäß § 496 Abs 1 Z 2 ZPO vor.

2. Unrichtige Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung:

Der Kläger bekämpft folgende Feststellungen:

1. „ Durch die Unfallfolgen aus dem Ereignis vom 28.11.1989 besteht aufgrund der Bewegungseinschränkung und der belastungsabhängigen Beschwerden wegen der Arthrose im Ellbogengelenk am allgemeinen Arbeitsmarkt ab 24.5.2024 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 10%.“

Stattdessen wird die Feststellung gefordert, dass ab 24.5.2024 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20% besteht.

2. „ Im Vergleich des Zustandes mit jenem aus Anlass der Begutachtung am 22.3.1999 (Sachverständigengutachten Dr. B* im Verfahren **) kam es zu keiner kalkülsrelevanten Veränderung der unfallkausalen Folgen.“

Stattdessen wird die Feststellung begehrt, dass es zu einer kalkülsrelevanten Veränderung der unfallkausalen Folgen kam.

3. „ Diese Beschwerden [ gemeint: im Bereich der Lendenwirbelsäule und der linken Leiste ] sind nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auf das Unfallgeschehen vom 28.11.1989 zuzuordnen. Vielmehr ist anzunehmen, das die in der linken Hüfte ausstrahlenden Schmerzen durch degenerative Veränderungen der Lendenwirbelsäule verursacht werden.“

Stattdessen wird die Feststellung begehrt, dass die Beschwerden mit überwiegender Wahrscheinlichkeit dem Unfallgeschehen vom 28.11.1989 zuzuordnen sind.

Weiters werden ergänzende Feststellungen dazu, dass der Kläger im Jahr 2006 einen Schenkelhalsbruch an der der rechten Hüfte mit einer dynamischen Schraube erlitt und im Jahr 2019 einen Zustand nach Arthroskopie der rechten Schulter bei Verletzung des Ansatzes der langen Bizepssehne hatte, gefordert.

Soweit der Kläger die zuletzt genannten ergänzenden Feststellungen fordert, ist festzuhalten, dass er damit das Fehlen entscheidungswesentlicher Feststellungen und daher einen Verfahrensmangel gemäß § 496 Abs 1 Z 3 ZPO geltend macht. Dieser ist im Rahmen der Rechtsrüge zu behandeln.

Im Übrigen gelingt es dem Kläger nicht, die Unrichtigkeit der erstgerichtlichen Beweiswürdigung und der darauf gegründeten Feststellungen darzulegen. Das Erstgericht gründete sein Urteil auf das schlüssige und nachvollziehbare Gutachten des Sachverständigen Dr. C*. Dieser hat sich im Gutachten mit sämtlichen Beweisergebnissen auseinandergesetzt und nachvollziehbar dargelegt, wie er auf Basis seiner Fachkunde zur Beurteilung der unfallkausalen Beeinträchtigungen nach eigener Befundaufnahme beim Kläger gelangte.

Zutreffend ist, dass der Sachverständige in seinem Gutachten unter Punkt 9. unter der medizinischen Vorgeschichte auch den Schenkelhalsbruch rechts 2006 und Depressionen festhielt. Dies aber unter der Rubrik „medizinische Vorgeschichte (vom Ereignis unabhängige Erkrankungen oder Verletzungen)“. Daraus lässt sich daher für den Standpunkt des Klägers nichts ableiten.

Die bekämpften Feststellungen widerlegende Beweisergebnisse lassen sich den Berufungsausführungen nicht entnehmen. Dass das Gutachten Dr. C* einen grauen Balken auf der rechten Seite aufweist begründet keine Zweifel an der Richtigkeit des Gutachtens. Der Sachverständige selbst hat dazu ausgeführt, möglicherweise sei es zu dem Balken durch einen Fehler beim Exportieren von Word in die PDF Datei gekommen.

Wenn der Kläger ausführt, es sei „als völlig nicht nachvollziehbar anzusehen“, dass der Schenkelhalsbruch im Jahr 2006 keinen Einfluss auf den (unfallkausalen) Bruch des großen Rollbügels am linken Oberschenkelknochen gehabt habe, und es sei „verwunderlich“, dass die behandelnden Ärzte des Klägers zu anderen Ergebnissen als der gerichtlich bestellte Sachverständige kommen würden (welche konkret werden nicht genannt), widerlegt dies nicht die erstgerichtliche Beweiswürdigung.

Da das Gericht auf das Fachwissen des gerichtlich beeideten Sachverständigen angewiesen ist, hat es sich darauf zu beschränken, ein eingeholtes Gutachten nach allgemeinen Erfahrungssätzen und besonderen im Zuge der Sozialgerichtsbarkeit erworbenen Kenntnissen auf seine Nachvollziehbarkeit zu überprüfen (SVSlg 50.106 ua).

Der versierte Sachverständige hat auch noch in der Gutachtenserörterung dargelegt, dass er die 2006 angegebenen Verletzungen nicht in seine Beurteilung einbezog, da eine Verschlechterung der Unfallfolgen aus dem Unfall vom 28.11.1989 dadurch nicht eingetreten ist. Warum dies „völlig unnachvollziehbar“ sein soll, bzw. gegenteilige Beweisergebnisse legt der Kläger nicht dar.

Das Berufungsgericht übernimmt daher den festgestellten Sachverhalt aufgrund einer schlüssigen und nachvollziehbaren Beweiswürdigung, gegen die keine Bedenken bestehen.

3. Unrichtige rechtliche Beurteilung:

Der Kläger rügt, er habe auch vorgebracht, dass er nach dem verfahrensgegenständlichen Arbeitsunfall zahlreiche Nachverhandlungen (offenbar gemeint: Behandlungen) und operationen gehabt habe, sodass er neben der Meißelfraktur aus dem Jahr 1989 an einem Schenkelhalsbruch rechts sowie einer Arthrose an der Schulter leide. Dazu seien keine Feststellungen getroffen worden.

Das Erstgericht hat die entscheidungswesentlichen Feststellungen getroffen, nämlich welche Unfallfolgen aus dem Ereignis vom 28.11.1989 bestanden und bestehen, wobei es zu keiner kalkülsrelevanten Veränderung der Unfallfolgen kam. Aus den Feststellungen lässt sich damit ableiten, dass keine weiteren objektivierbaren Unfallfolgen nach dem Arbeitsunfall am 28.11.1989 bestehen und damit die weiteren Verletzungen/Beeinträchtigungen nicht unfallkausal sind.

Die vom Kläger insofern zusätzlich begehrten Feststellungen zu unabhängig vom Arbeitsunfall eingetretenen Erkrankungen oder Verletzungen 2006 und 2019 (eine Feststellung, dass diese Unfallfolgen des Arbeitsunfalls sind, wird gar nicht begehrt) waren daher für die rechtliche Beurteilung nicht relevant. Nur unfallkausale Beschwerden und Beeinträchtigungen sind für die Beurteilung der Versehrtenrente nach einem Arbeitsunfall rechtlich relevant.

Wenn der Kläger dazu vermeint, schon nach der allgemeinen Logik und Lebenserfahrung sei eindeutig, dass der Schenkelhalsbruch im Jahr 2006 einen Einfluss auf den (unfallkausalen) Bruch des großen Rollbügels am linken Oberschenkelknochen gehabt habe, weicht er damit vom festgestellten Sachverhalt ab. Nach den Feststellungen kam es im Vergleich des Zustandes mit jenem aus Anlass der Begutachtung am 22.3.1999 zu keiner kalkülsrelevanten Veränderung der unfallkausalen Folgen und besteht durch die Unfallfolgen aus dem Ereignis vom 28.11.1989 am allgemeinen Arbeitsmarkt ab 24.5.2024 eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von (nur) 10%. Dagegen spricht weder Logik noch allgemeine Lebenserfahrung.

Entscheidungsrelevant waren nur die Tatsachenfeststellung zum medizinischen Zustand des Klägers und seine Beeinträchtigungen, die ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückzuführen sind. Es liegen daher keine Verfahrensmängel gemäß § 496 Abs 1 Z 3 ZPO vor.

4. Der unberechtigten Berufung war somit ein Erfolg zu versagen.

Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit gemäß § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG wurden in der Berufung nicht vorgebracht und sind auch aus dem Akteninhalt nicht zu erkennen.

Da keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliegen, ist die ordentliche Revision nicht zuzulassen.