JudikaturOLG Wien

18Bs85/25v – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
07. April 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat durch die Senatspräsidentin Mag. Frohner als Vorsitzende sowie die Richterinnen Mag. Primer und Dr. Hornich, LL.M., als weitere Senatsmitglieder in der Strafvollzugssache des A*wegen vorläufigen Absehens vom Strafvollzug wegen Einreiseverbotes oder Aufenthaltsverbotes nach § 133a StVG über die Beschwerde des Genannten gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 14. März 2025, GZ ***, nichtöffentlich den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Der am ** geborene albanische Staatsangehörige A* verbüßt in der Justizanstalt ** eine über mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 31. März 2021, rechtskräftig seit 16. November 2021, AZ **, wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG, des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG und des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 1 WaffG verhängte Freiheitsstrafe in der Dauer von zehn Jahren. Das errechnete Strafende fällt auf den 6. Dezember 2029. Die zeitlichen Voraussetzungen einer bedingten Entlassung gemäß § 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 1 StVG liegen seit 6. Dezember 2024 vor, jene nach 46 Abs 1 StGB iVm § 152 Abs 1 Z 2 StVG werden am 6. August 2026 erfüllt sein.

Mit dem angefochtenen Beschluss lehnte das Landesgericht Wiener Neustadt als zuständiges Vollzugsgericht – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt (ON 1.3) - den Antrag des Strafgefangenen auf vorläufiges Absehen vom Strafvollzug gemäß § 133a StVG (ON 2) aus generalpräventiven Erwägungen ab.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die fristgerechte Beschwerde des A* (ON 5), der keine Berechtigung zukommt.

Hat ein Verurteilter die Hälfte der Strafzeit, mindestens aber drei Monate verbüßt, so ist nach § 133a Abs 1 StVG vom weiteren Vollzug der Strafe vorläufig abzusehen, wenn gegen ihn ein Einreise- oder Aufenthaltsverbot besteht (Z 1), er sich bereit erklärt, seiner Ausreiseverpflichtung in den Herkunftsstaat unverzüglich nachzukommen und zu erwarten ist, dass er dieser Verpflichtung auch nachkommen wird (Z 2) und der Ausreise keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen (Z 3). Hat ein Verurteilter die Hälfte, aber noch nicht zwei Drittel einer Freiheitsstrafe verbüßt, so ist trotz Vorliegens der Voraussetzungen nach Abs 1 solange nicht vorläufig vom weiteren Vollzug der Strafe abzusehen, als es im Hinblick auf die Schwere der Tat ausnahmsweise des weiteren Vollzugs bedarf, um der Begehung strafbarer Handlungen durch andere entgegenzuwirken (Abs 2 leg.cit).

In Bezug auf den Strafgefangenen besteht eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung und ein unbefristetes Einreiseverbot (ON 3.8), er erklärte sich auch bereit, seiner Ausreiseverpflichtung umgehend nachzukommen (ON 3.5); Anhaltspunkte dafür, dass er dieser Verpflichtung nicht nachkommen werde, liegen nicht vor. Auch stehen der Ausreise des Beschwerdeführers nach dem Akteninhalt weder tatsächliche noch rechtliche Hindernisse entgegen (ON 3.7, 2).

Die Anwendung des § 133a StVG vor Verbüßung von zwei Drittel der Strafzeit kommt jedoch aus generalpräventiven Erwägungen nicht in Betracht.

Nach dem zusammengefassten und gegenständlich relevanten Inhalt der Anlassverurteilung hat der Strafgefangene in ** und an anderen Orten vorschriftswidrig Suchtgift

1) in einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, wobei sein Vorsatz auf eine Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtet war und auch die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Deliktszeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt sowie die Überschreitung der Grenzmenge mitumfasste, indem er von einem unbekannten Zeitpunkt im Jahr 2017 bis zu seiner Festnahme am 6. Dezember 2019 insgesamt mindestens 231 Kilogramm Cannabiskraut (26.796 Gramm Delta-9-THC, 1.339 Grenzmengen) sowie 800 Gramm Kokain (240 Gramm Kokain-Base, 16 Grenzmengen) an verschiedene, teils nicht ausgemittelte Abnehmer gewinnbringend veräußerte;

2) am 6. Dezember 2020 in einer das 15-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem er insgesamt rund 73.800 Gramm Cannabiskraut (8.560 Gramm Delta-9-THC, 428 Grenzmengen) im ** mit dem Kennzeichen ** zum Zwecke des gewinnbringenden Verkaufes lagerte.

Das letztlich zu prüfende Kriterium der Tatschwere ist aufgrund des Ausnahmecharakters restriktiv auszulegen (vgl Birklbauer, SbgK § 46 Rz 73) und stellt auf den sozialen Störwert (die kriminelle Bedeutung [RIS-Justiz RS0091863]) einer Tat ab, der durch Handlungs- und Erfolgsunwert determiniert wird. Die Verweigerung des vorläufigen Absehens vom Strafvollzug wegen Einreiseverbots oder Aufenthaltsverbots aus generalpräventiven, sich aus der Schwere der Taten ergebenden Gründen setzt gewichtige Umstände voraus, welche sich aus Sicht der Allgemeinheit von den regelmäßig vorkommenden Begleiterscheinungen strafbaren Verhaltens auffallend abheben. Dabei ist nicht nur der bloße Abschreckungseffekt bei potentiellen Tätern, sondern (im Sinne positiver Generalprävention) auch das Interesse an der Festigung genereller Normtreue in der Bevölkerung zu beachten. Diese Aspekte generalpräventiver Natur müssen aus der Schwere der Taten ableitbar sein ( Jerabek/Ropper, WK² StGB § 46 Rz 16; Pieber, WK² StVG § 133a Rz 18). Bezugspunkt der generalpräventiven Erforderlichkeitsprüfung ist somit nicht nur die auf die Anlasstaten angewendete rechtliche Kategorie, sondern es sind auch die konkreten tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen.

Mit Normierung eines Strafrahmens der dem Strafvollzug zugrunde liegenden Verurteilung von einem bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe bringt der Gesetzgeber zunächst eine Vorbewertung zum Ausdruck, wonach das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 4 Z 3 SMG einen hohen sozialen Störwert aufweist, wobei die Qualifikation des § 28a Abs 4 Z 3 SMG bereits bei einer das 25-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge erfüllt ist. Fallbezogen überließ der Strafgefangene anderen vorschriftswidrig Suchgift in einer das 1.300-fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge (ON 3.9, 2) im Zuge eines professionell organisierten Suchtgifthandels (ON 3.9, 6) und erzielte dabei Erlöse von mindestens 346.000,-- Euro (ON 3.9, 28).

Die professionelle Tatbegehung, der lange Tatzeitraum und die exorbitant hohe Suchtgiftmenge stellen insgesamt jene Begleitumstände dar, die sich aus Sicht der Allgemeinheit von regelmäßig vorkommendem Suchtgifthandel deutlich und auffallend abheben und nach den oben dargelegten Kriterien insgesamt eine Schwere der Tat begründen, die im Sinne des § 133a StVG aus generalpräventiven Gründen ausnahmsweise des Vollzugs über die Hälfte der Strafzeit hinaus bedarf, um potenzielle Nachahmungstäter aus dem Verkehrskreis des Verurteilten von der Begehung gleichartiger strafbarer Handlungen abzuhalten und die generelle Normtreue zu festigen.

Gerade bei dieser Art der Kriminalität bedarf es dringend einer konsequenten Strafverfolgung, um der Allgemeinheit die soziale Unerwünschtheit derartiger strafbarer Handlungen aufzuzeigen und diese Kriminalitätsform erfolgreich bekämpfen zu können. Hingegen würde ein stark verkürzter Strafvollzug dazu führen, dass Personen aus dem Umfeld des Verurteilten mit einem frühestmöglichen Absehen vom weiteren Strafvollzug rechnen, wodurch die Hemmschwelle zur Straffälligkeit leichter überwunden würde als bei einem die Proportionen von Schuldgehalt und Strafhöhe wahrenden Strafvollzug.

Der Beschwerdeführer vermag diesem negativen Kalkül keine stichhaltigen Argumente entgegenzusetzen. Sein Vorbringen, das Erstgericht habe sich auf verallgemeinernde Zitate gestützt, ohne eine konkrete Einzelfallprüfung des Strafgefangenen vorzunehmen, insbesondere sei keine fundierte soziale Prognose erstellt worden, die eine sachgerechte Resozialisierungschance des Strafgefangenen ermöglicht hätte (ON 5.1, 3), übergeht die zutreffende Begründung des Erstgerichts (BS 2) und verkennt, dass bei der Ablehnung des vorläufigen Absehens vom weiteren Vollzug der Strafe vor Verbüßung von zwei Drittel der Freiheitsstrafe aufgrund generalpräventiver Erwägungen iSd § 133 Abs 2 StVG spezialpräventive Aspekte ebenso unbeachtlich sind wie die mögliche Einsparung von Kosten für den österreichischen Staat bzw die Steuerzahler (ON 5.1, 4).

Da der angefochtene Beschluss der Sach- und Rechtslage entspricht, ist der Beschwerde ein Erfolg zu versagen.