3R8/25f – OLG Wien Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Iby als Vorsitzenden sowie den Richter Mag. Resetarits und die KR Prilisauer in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geb. **, Pensionistin, **, vertreten durch Mag. a Barbara Freundorfer, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei B* OG , FN **, **, vertreten durch Hochedlinger Luschin Marenzi Kapsch Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen (zuletzt) EUR 29.546,-- s.A. und Feststellung (Streitwert EUR 5.000,--), über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 10.06.2024 (ausgefertigt am 04.11.2024), **-61, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 3.662,52 (darin enthalten EUR 610,42 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteigt EUR 30.000,--.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Entscheidungsgründe:
Text
Der Klägerin wurden im Jahr 2013 oder 2014 im Zuge einer Koloskopie drei Polypen aus dem Darm entfernt. Ihr wurde damals vom behandelnden Arzt mitgeteilt, dass sie zur Darmkrebsvorsorge regelmäßig Koloskopien durchführen lassen sollte. Dieser Empfehlung ist die Klägerin nicht nachgekommen.
Im Februar 2020 wurde die Klägerin im Ambulatorium der Beklagten vorstellig. Eine geplante Koloskopie wurde letztlich aus nicht feststellbaren Gründen nicht durchgeführt.
Im Frühjahr 2022 kam es zu einer erneuten Vorsprache der Klägerin bei der Beklagten wegen Blutdruckschwankungen und einem Vorhofflimmern. Der Klägerin wurde dabei neuerlich von der behandelnden Ärztin der Beklagten geraten, im Zuge einer Vorsorgeuntersuchung (auch) eine Koloskopie durchführen zu lassen.
Am 07.07.2022 wurde vom Geschäftsführer der Beklagten bei der Klägerin eine Koloskopie durchgeführt. Der Eingriff war medizinisch indiziert und wurde lege artis durchgeführt. Die Klägerin konnte am 07.07.2022 nach Hause entlassen werden. Im Verlauf des 07.07.2022 sowie des 08.07.2022 verschlechterte sich der Gesundheitszustand der Klägerin. Sie litt unter Bauchkrämpfen und Schmerzen, weshalb sie am Vormittag des 08.07.2022 erneut in die Ordination der Beklagten kam. Die Klägerin wurde am 08.07.2022 von einer weiteren Ärztin der Beklagten untersucht. Zu diesem Zeitpunkt bestand bei der Klägerin keine Darmperforation. Es zeigte sich zu diesem Zeitpunkt lediglich ein nicht selten vorkommender Zustand nach einer Gastro-Koloskopie mit heftiger Schmerzsymptomatik aufgrund der postinterventionellen starken Blähungen. Die Klägerin wurde nach der Untersuchung von der zuständigen Ärztin der Beklagten mit der Bemerkung nach Hause entlassen, dass, sollte sich ihr Zustand verschlechtern, sie jedenfalls eine Notfallaufnahme eines Krankenhauses aufsuchen soll. Im Verlauf des nächsten Tages verschlechterte sich die Schmerzsymptomatik bei der Klägerin erneut, weshalb sie letztlich stationär in der Klinik ** behandelt werden musste. Die Klägerin musste sich einer Operation unterziehen, es musste ein künstlicher Darmausgang gelegt werden.
Im Rahmen der Vorbereitung zur Koloskopie oder bei der Untersuchung selbst war es zu einer Entzündung eines Divertikels (Divertikulitis) und in der Folge zu den heftigen Schmerzen in diesem Bereich gekommen. Im Verlauf des Nachmittags des 08.07.2022 war es dann zu einer Perforation dieses Divertikels gekommen. Die Entstehung einer Divertikulitis nach einer Koloskopie ist eine sehr seltene Komplikation (0,029 %). Dass es bei der Klägerin in weiterer Folge zu einer Divertikelperforation gekommen ist, ist aus medizinischer Sicht ein schicksalhaftes Unglück.
Der weitere Krankheitsverlauf der Klägerin ist auf keinen ärztlichen Behandlungsfehler zurückzuführen. Es handelt sich dabei insgesamt um eine schicksalhafte Folge der medizinisch indizierten und lege artis durchgeführten Koloskopie vom 07.07.2022.
Die Klägerin begehrt die Zahlung von Schmerzengeld sowie den Ersatz von vorfallskausalen Aufwendungen und bringt – soweit im Berufungsverfahren noch von Relevanz – vor, sie sei nicht ordnungsgemäß über das mit der Untersuchung einhergehende Blutungs- und Perforationsrisiko aufgeklärt worden. Wäre sie über das Risiko einer Darmperforation und einer daraus resultierenden Peritonitis (Bauchfellentzündung) aufgeklärt worden, hätte sie die Untersuchung gleich in einer Krankenanstalt und nicht in einer Ordination im niedergelassenen Bereich durchführen lassen. Die Nachbehandlung am 08.07.2022 sei nicht lege artis erfolgt, weil unrichtigerweise nicht der Verdacht einer Darmperforation (oder einer Bauchfellentzündung) gestellt worden sei. Die Mitarbeiter der Beklagten hätten die Klägerin sofort und ohne weitere Verzögerung in die nächste Notaufnahme verweisen müssen.
Die Beklagte beantragt Klagsabweisung und bringt zusammengefasst vor, sowohl die Aufklärung als auch die Behandlungen seien lege artis erfolgt. Die Klägerin sei über den konkreten Eingriff und die damit verbundenen Risiken und Komplikationen sowie gleichwertige Behandlungsalternativen sorgfältig und ausreichend aufgeklärt worden. Bei der Untersuchung am 08.07.2022 haben keine Hinweise auf eine Perforation bzw. Peritonitis bestanden. Das Vorgehen der Beklagten bei der Nachuntersuchung sei lege artis gewesen. Bauchschmerzen treten nach einer Koloskopie sehr häufig auf. Dies indiziere noch nicht, dass eine Perforation bzw. Peritonitis vorliege und ein Patient sofort hospitalisiert oder zu einer CT-Untersuchung überwiesen werden müsse.
Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Es stellte den auf den Urteilsseiten 2 und 9 bis 15 ersichtlichen Sachverhalt fest, auf den verwiesen wird. Insbesondere traf es folgende bekämpfte Feststellungen:
„ In Vorbereitung auf diese Untersuchung kam es am 14.02.2020 zu einem Aufklärungsgespräch der Klägerin bei Dr. in C* als der behandelnden Ärztin der Beklagten. Diese ging bereits damals den von der Beklagten zur Aufklärung zu Koloskopien verwendeten Aufklärungsbogen (vgl Beilage ./2) durch. Sowohl die Ärztin der Beklagten als auch die Klägerin unterfertigten diesen Aufklärungsbogen im Februar 2020. “ bekämpfte Feststellung [F1]
„ Am 02.05.2022 führte Dr. in C* auch das (erneute) Aufklärungsgespräch mit der Klägerin zu der geplanten Koloskopie durch. Dabei ging sie als aufklärende Ärztin das im Ambulatorium der Beklagten dafür in Verwendung stehende Formular zur Aufklärung über eine „Koloskopie gegebenenfalls mit endoskopischer Resektion/Polypektomie, Spiegelung des Dickdarms, gegebenenfalls mit Beseitigung krankhafter Veränderungen“ (vgl Beilage./2), das einen integrierten Bestandteil dieser Entscheidung darstellt, durch.[…]
In den dafür vorgesehenen Zeilen hat die aufklärende Ärztin Dr. in C* in den „Arztanmerkungen zum Aufklärungsgespräch“ folgende Eintragung vor bzw während des Aufklärungsgesprächs vorgenommen (Beilage./2, Seite 5 des Aufklärungsbogens):
„Pat. aufgeklärt über Vorbereitung und Sedierung, mögliche Perforationen und Verletzung der Nebenorgane, sowie mögliche Blutungen. Derzeit keine weiteren Fragen.“ bekämpfte Feststellung [F2]
„ Es war aus medizinischer Sicht im Zeitpunkt der Nachuntersuchung der Klägerin bei der Beklagten am 08.07.2022 medizinisch nicht indiziert, die Klägerin zu einer weiteren medizinischen Untersuchung oder Abklärung in ein Krankenhaus einliefern zu lassen oder in ein solches zu überweisen. Das gilt für den Vormittag des 08.07.2022.
Die Beschwerden der Klägerin am Vormittag des 08.07.2022 sind nicht offensichtlich über die normalen Beschwerden oder Schmerzzustände einer länger anhaltenden Koloskopie samt Abtragungen von Polypen oder Adenomen hinausgegangen. Es handelt sich dabei durchaus um eine Schmerzsystematik, die bei Patienten nach einer Koloskopie regelmäßig vorkommt. “ bekämpfte Feststellung [F3]
Rechtlich erwog das Erstgericht zusammengefasst, aus dem festgestellten Sachverhalt sei weder ein Aufklärungs- noch ein Behandlungsfehler ableitbar.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Grund der unrichtigen Tatsachenfeststellungen aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung mit dem Antrag, das Urteil abzuändern und dem Klagebegehren zur Gänze stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Berufung ist nicht berechtigt.
1. Feststellung [F1]
1.1. Die Berufungswerberin strebt den ersatzlosen Entfall der Feststellung [F1] an. Weder seien Urkunden aus dem Jahr 2020 vorhanden, noch habe die Klägerin einen Besuch bei der Beklagten im Jahr 2020 geschildert.
1.2. Ungeachtet der Frage, ob das Begehren des ersatzlosen Entfalls von Feststellungen im Rahmen der Beweisrüge zulässig ist (verneinend zB RS0041835 [T3], Pimmer in Fasching/Konecny 3 § 467 ZPO Rz 40/1), zeigt die Berufungswerberin schon die Relevanz der bekämpften Feststellung nicht auf. Verfahrensgegenstand sind behauptete Verfehlungen von Ärzten der Beklagten im Jahr 2022. Ob die Klägerin hinsichtlich eines im Jahr 2020 nicht durchgeführten Eingriffes aufgeklärt wurde, ist für die hier wesentlichen Fragen, was sich im Jahr 2022 zugetragen hat, irrelevant. Ein Eingehen auf diesen Punkt der Beweisrüge ist damit entbehrlich.
2. Feststellung [F2]
2.1. Anstelle dieser Feststellung begehrt die Berufungswerberin folgende Ersatzfeststellung:
„ Am 02.05.2022 suchte die Klägerin die Ordination der Beklagten wegen Blutdruckproblemen auf und besprach diese und eine neue Medikamentation mit der Ärztin der Beklagten, Frau Dr. C*. Der Klägerin wurde vorgeschlagen, eine Vorsorge-Koloskopie durchzuführen. Über die Koloskopie wurde kurz gesprochen. Die Klägerin hat ausgesagt, dass über konkrete Risiken, wie zB eine Darmperforation nicht gesprochen wurde. Die behandelnde Ärztin hat selbst keine Erinnerung mehr an das Gespräch und aus dem vorgelegten Aufklärungsbogen lassen sich keine konkreten Gesprächsinhalte ableiten. Bei dem Hinweis auf Seite 5/6 Aufklärungsbogen (Beilage ./2, Seite 4) „Arztanmerkungen“ handelt es sich um einen gedruckten Aufkleber, der sich bereits vor Beginn des Gespräches auf dem Aufklärungsbogen befunden hat. Da keine konkreten Inhalte des Aufklärungsgespräches dokumentiert sind, ist davon auszugehen, dass keine Besprechung der Komplikationen und Risiken stattgefunden hat und erfolgte die „Beruhigung“ der Klägerin nicht aufgrund dessen, dass die Klägerin über Risiken der Koloskopie, die Darmperforation im speziellen, aufgeklärt worden wäre, sondern aufgrund ihrer sehr allgemein gehaltenen Äußerung, dass sie sich vor der Untersuchung fürchte. Die Klägerin stellte auch keine Fragen zu möglichen Risiken, weil ihr als medizinischer Laiin diese gar nicht bekannt waren, sie also auch nicht danach fragen konnte. “ Ersatzfeststellung [F2]
Die Berufungswerberin meint, der Vermerk „Pat. aufgeklärt…“ sei ein Vordruck. Die aufklärende Ärztin habe keine Erinnerung mehr an das Aufklärungsgespräch gehabt. Die Klägerin habe hingegen angegeben, dass nicht über das konkrete Risiko einer Darmperforation gesprochen worden sei.
2.2. Richtig ist, dass der Aufkleber mit dem zitierten Vermerk nach den Angaben der Zeugin Dr. in C* (vgl S 16 in ON 31.2.) - entgegen dem Zweck dieses Teils des Aufklärungsbogens - bereits vor dem Aufklärungsgespräch auf dem Aufklärungsbogen aufgebracht wurde. Ob und welche Dinge auf dem Aufklärungsbogen vermerkt wurden, ist aber nicht von entscheidender Bedeutung. Vielmehr ist relevant, welche aufklärenden Angaben gegenüber der Klägerin gemacht wurden. Zu dieser Frage überzeugt die Beweisrüge nicht:
2.3. Auch die Berufungswerberin versteht die bekämpfte Feststellung insgesamt so, dass im Rahmen des Aufklärungsgespräches auch über mögliche Perforationen (sowie eine daraus resultierende Peritonitis) gesprochen wurde. Das Erstgericht hat diese Feststellung auf den Urteilsseiten 19 bis 21 nachvollziehbar begründet. Dabei hat es auch die (wenig schlüssige) Angabe der Klägerin, sie habe den Aufklärungsbogen nicht mitbekommen, sowie den Umstand in seine Beweiswürdigung miteinbezogen, dass die Zeugin Dr. in C* die Aufklärung über eine allfällige Perforation sogar in der Krankengeschichte vermerkt hat (S 7 in ./1). Auf die Erwägungen des Erstgerichtes zur bekämpften Feststellung geht die Berufungswerberin in ihren Ausführungen nicht ein. Der bloße Umstand, dass nach den Beweisergebnissen allenfalls auch andere Feststellungen möglich gewesen wären, oder dass es einzelne Beweisergebnisse gibt, die für den Prozessstandpunkt des Berufungswerbers sprechen, reicht jedoch noch nicht aus, eine unrichtige oder bedenkliche Beweiswürdigung aufzuzeigen (RS0041830). Maßgeblich ist alleine, ob für die richterliche Einschätzung im Rahmen der freien Beweiswürdigung ausreichende Gründe bestanden ( Klauser/Kodek 18 § 467 ZPO E 39/1). Dass dies nicht der Fall wäre zeigt die Berufungswerberin nicht auf. Zwar hatte die Zeugin keine konkreten Erinnerungen mehr an das Gespräch am 02.05.2022. Dieser Umstand ist jedoch wegen der bis zur Einvernahme verstrichenen Zeit und der zahlreichen Aufklärungsgespräche, die eine Ärztin führt, für sich kein Argument gegen ihre Glaubwürdigkeit. Aus dem – wenngleich vorgedruckten – Aufkleber und dem Eintrag in die Krankengeschichte ist ersichtlich, dass die Aufklärung über das Risiko der Perforation einen hohen Stellenwert in der Ordination der Beklagten hat. Es ist daher glaubwürdig, wenn die Zeugin erklärte, gerade darüber („Durchstoßen der Darmwand“; S 16 in ON 31.2.) immer aufzuklären. Bereits das Erstgericht hat nachvollziehbar darauf verwiesen, es sei üblich, dass Patienten hauptsächlich das (richtigerweise) dargestellte niedrige Risiko eines Eingriffs in Erinnerung bleibe. Die bekämpfte Feststellung ist nicht zu beanstanden.
3. Feststellung [F3]
3.1. Anstelle dieser Feststellung wird folgende Ersatzfeststellung begehrt:
„ Bereits nach der Koloskopie am 07.07.2022 begannen – nachdem die Klägerin nach Hause gekommen war – Schmerzen und krampfartige Beschwerden bei der Klägerin. Diese steigerten sich in der Nacht auf den 08.07.2022, weshalb die Klägerin und ihr Ehemann die Beklagte kontaktierten und in weiterer Folge auch die Ordination der Beklagten aufsuchten. Die Schmerzen waren zu diesem Zeitpunkt (etwa 09:30) schon so stark, dass die Klägerin nicht imstande war, die fünfminütige Gehdistanz zur Ordination zu bewältigen, weshalb ihr Ehemann sie mit dem Auto hinführen musste. Die Ärztin der Beklagten, Frau Dr. D* hat die Klägerin untersucht, konnte jedoch keine Anzeichen einer Entzündung, Divertikulitis, Perforation oder bereits einsetzender Peritonitis erkennen. Die Klägerin wurde nach Gabe einer Schmerz-Infusion nach Hause entlassen. Die behandelnde Ärztin sah keine Notwendigkeit, die Empfehlung auszusprechen, die „sehr starken Schmerzen“ (Beilage ./1) in einem Krankenhaus abklären zu lassen. Dies trotzdem bekannt war, dass in derselben Ordination am Vortag eine Koloskopie durchgeführt worden war und sehr starke Schmerzen am Folgetag immer ein Warnsignal darstellen und der raschen Abklärung bedürfen. Entweder ist der letztlich am nächsten Tag vorliegende lebensbedrohliche Zustand (daher Not-OP!) durch die unterlassene unverzügliche Überweisung in eine Notaufnahme entstanden oder er lag bereits vor und wurde von der Ärztin der Beklagten fälschlicherweise nicht erkannt. Beides stellt einen Behandlungsfehler dar,
da bei einer rechtzeitigen Reaktion am 08.07.2022 eine Peritonitis verhindert worden wäre oder sich nicht in dem vorliegenden Ausmaß verwirklicht hätte. Die Not-Operation und damit Stoma Anlage hätte verhindert werden können oder wäre der Umfang der Operation bzw Sanierung viel kleiner (minimalinvasiv) gewesen, was das Risiko der späteren Folgeschäden, wie zB Hernien massiv eingeschränkt hätte. Es ist ein nachvollziehbarer geltender Grundsatz, dass der behandelnde Arzt immer den für die Gesundheit des Patienten sichersten Weg wählen muss. Weiter gilt, dass bei sämtlichen Diagnosen, bei Vorliegen des Verdachtes einer Darmperforation, diese mit
Sicherheit auszuschließen ist, will man die Konsultation eines Krankenhauses vermeiden. Die Verbringung der Klägerin in die Notaufnahme einer Krankenanstalt oder zumindest die Aufforderung, sich unverzüglich zur Abklärung dorthin zu begeben, wären die richtige Empfehlung gewesen! “ Ersatzfeststellung [E3]
Die Berufung argumentiert, das Erstgericht hätte nicht den Aussagen des Sachverständigen, sondern vielmehr den Angaben der Klägerin und ihres Gatten folgen müssen. Dabei releviert sie auch, dass der Sachverständige dem Gutachten die Dokumentation in der Krankengeschichte zu Grunde gelegt habe, die aber nicht richtig sei.
3.2. Gegenstand der bekämpften Feststellung ist die Frage, ob die medizinische Indikation bestand, die Klägerin zum Zeitpunkt der Untersuchung am 08.07.2022 in ein Krankenhaus zu überweisen. Die Sätze 1 bis 5 der Ersatzfeststellung betreffen den Zustand der Klägerin und die Untersuchung am 08.07.2022 selbst, wozu das Erstgericht jedoch unbekämpfte (teilweise andere) Feststellungen getroffen hat. Die restlichen Sätze der Ersatzfeststellung wollen insgesamt die Aussage, dass jedenfalls eine Überweisung in ein Krankenhaus geboten war. Die Beweisrüge muss in diesem Punkt jedoch schon daran scheitern, dass die Ersatzfeststellung in Widerspruch zum nicht bekämpften Sachverhalt steht. Das Erstgericht stellte nämlich unbekämpft fest, dass am Vormittag bzw zu Mittag des 08.07.2022 bei der Klägerin keine Darmperforation bestand, sondern sich lediglich ein nicht selten vorkommender Zustand nach einer Gastro-Koloskopie mit heftiger Schmerzsymptomatik aufgrund der postinterventionellen starken Blähungen zeigte. Auch eine Abwehrspannung, ein Zeichen einer Peritonitis bzw eines akuten Abdomens wie bei einer Darmperforation, ist zum Untersuchungszeitpunkt nicht feststellbar gewesen. Erst am Nachmittag des 08.07.2022 ist es durch die Entzündung eines Divertikulitis zur Perforation gekommen. Zudem steht unbekämpft fest, dass der weitere Krankheitsverlauf der Klägerin nicht Folge ärztlicher Behandlungsfehler (was eine fehlerhafte Untersuchung am 08.07.2022 mit einschließt) war, sondern eine schicksalhafte Folge der medizinisch indizierten und lege artis durchgeführten Koloskopie vom 07.07.2022. Nach dem Vorbringen der Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren wurde bei der Nachbehandlung zu Unrecht nicht der Verdacht einer Perforation (bzw allenfalls einer Peritonitis) geäußert und entsprechend keine Überweisung ins Krankenhaus veranlasst. Schon im Hinblick auf die unbekämpften Teile des festgestellten Sachverhaltes ist dieser Vorwurf nicht berechtigt. Die begehrte Ersatzfeststellung kann mit diesen unbekämpften Feststellungen nicht in Einklang gebracht werden. Zudem spricht die Ersatzfeststellung zwar von einem bereits am 08.07.2022 vorliegenden „lebensbedrohlichen Zustand“, formuliert aber nicht, worin dieser Zustand konkret bestand. Auch die inhaltlichen Bedenken gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichtes überzeugen nicht:
3.3. Die Berufungswerberin bezweifelt nicht, dass die Feststellung in Einklang mit dem eingeholten Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. E* steht. Sie meint aber, das Gutachten basiere auf unrichtigen Prämissen, nämlich der (unrichtigen) Dokumentation in der Krankengeschichte. Welche konkreten Dinge jedoch nicht (oder fälschlicherweise schon) Eingang in die ärztliche Dokumentation gefunden haben, legt die Berufung nicht dar. Soweit den Berufungsausführungen die Annahme zu Grunde liegt, es sei nicht klar wann und wie die Perforation ausgelöst wurde, geht sie nicht vom (unbekämpften) festgestellten Sachverhalt aus. Die Berufungswerberin stützt die Ersatzfeststellung im Wesentlichen auf die bereits zum Untersuchungszeitpunkt bestehenden starken Schmerzen. Diese allein stellen jedoch noch keinen ausreichenden Hinweis auf eine Perforation oder eine Peritonitis dar. Weitere Umstände, die eindeutige Anzeichen für eine Perforation oder eine Peritonitis gewesen und durch Ärzte der Beklagten übersehen oder unrichtig beurteilt worden wären, nennt die Berufung gerade nicht. Entgegen der Ansicht der Berufungswerberin ist die Frage, „welches Risiko [die Ärzte] eingegangen [wären], wenn sie die Klägerin zur Abklärung in ein Krankenhaus verwiesen hätte[n]“, im vorliegenden Verfahren nicht zu klären. Entscheidend ist, ob zum Untersuchungszeitpunkt die medizinische Indikation zur Überweisung bestand, was – nach dem richtigen Standpunkt der Klägerin – bei einer vorliegenden Perforation oder einer Peritonitis der Fall gewesen wäre. Wie der Sachverständige jedoch mehrfach (vgl S 7 in ON 38; S 3 in ON 49.4.) ausführte, spricht aber jedenfalls der Umstand, dass nach dem Eingriff noch ein Stuhlgang vorhanden war, gegen eine bereits zum Untersuchungszeitpunkt vorliegende Perforation. Auch eine Abwehrspannung war nicht vorhanden (vgl S 7 in ON 38). Stichhaltige Gründe für die Annahme, dass doch eine Abwehrspannung vorhanden war, zeigt die Berufung nicht auf. Richtig ist, dass der Sachverständige angab (S 4 in 49.4.), der Klägerin wäre mitzuteilen gewesen, sie solle sich in ein Krankenhaus begeben, wenn sich die Beschwerden nicht verändern oder sogar schlechter werden. Genau das hat die behandelnde Ärztin nach dem unbekämpften Sachverhalt aber ohnedies getan (US 14). Daraus ist aber nicht der – von der Berufungswerberin gewünschte - Schluss zu ziehen, dass solch eine Empfehlung bereits anlässlich der Untersuchung auszusprechen gewesen wäre. Es gibt somit keine Beweisergebnisse, die den zwingenden Schluss zulassen, dass bereits bei der Untersuchung am 08.07.2022 eine Überweisung in ein Krankenhaus medizinisch geboten war.
Der unberechtigten Berufung war der Erfolg zu versagen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.
4. Die Klägerin hat das Feststellungsbegehren in der Klage lediglich nach dem RATG und nicht nach der JN bewertet. Es kommt daher der Zweifelsstreitwert des § 56 Abs 2 JN zur Anwendung (vgl RS0042434), die im Schriftsatz vom 31.05.2023 vorgenommene nachträgliche Bewertung war unzulässig. Zwar ist das Berufungsgericht bei dem nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO vorzunehmenden Bewertungsausspruch nicht an den Zweifelsstreitwert gebunden (vgl RS0042296 [T5]), unter Berücksichtigung des Zahlungsbegehrens übersteigt der Wert des Entscheidungsgegenstandes insgesamt aber jedenfalls EUR 30.000,--. Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil die Klägerin lediglich eine Beweisrüge ausgeführt hat. Die Beweiswürdigung kann im Revisionsverfahren nicht mehr überprüft werden (RS0043371).