Das Oberlandesgericht Wien hat durch den Senatspräsidenten Dr. Aichinger als Vorsitzenden sowie die Richterin Mag. Staribacher und den Richter Mag. Trebuch LL.M. als weitere Senatsmitglieder in der Strafsache gegen A*wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall SMG und weiterer strafbarer Handlungen über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten vom 26. November 2024, GZ **-104, nichtöffentlich den
Beschluss
gefasst:
Der Beschwerde wird Folge gegeben, der angefochtene Beschluss aufgehoben und der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Widerruf des Aufschubs des Strafvollzugs vom 14. November 2024 abgewiesen.
Begründung:
Der am ** geborene österreichische Staatsbürger A* wurde mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 5. Oktober 2023 (ON 49.2) wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter und dritter Fall, Abs 3 erster Fall SMG, des Vergehens der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach §§ 223 Abs 1, 224 StGB, des Vergehens nach § 50 Abs 1 Z 3 WaffG, des Vergehens der Urkundenfälschung nach § 223 Abs 1 StGB und des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von achtzehn Monaten verurteilt, wovon gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil im Ausmaß von dreizehn Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Gemäß §§ 50 Abs 1, 51 StGB wurde ihm (mit nicht gesondert ausgefertigtem Beschluss, vgl. RIS-Justiz RS0126528, RS0101841; Jerabek, WK-StPO § 494 Rz 1) die Weisung erteilt, sich in offener Probezeit einer Suchtberatung bei der Caritas oder bei einer anderen geeigneten Einrichtung zu unterziehen und über den Beginn und den weiteren Fortlauf im Abstand von jeweils drei Monaten dem Gericht unaufgefordert Bericht zu erstatten. Gemäß §§ 50 Abs 1, 52 StGB wurde für ihn Bewährungshilfe angeordnet.
Nach Einholung eines neurologischen und psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen DI Dr. B* vom 20. Jänner 2024 (ON 54) wurde A* am 24. Jänner 2024 (ON 56) für den zu verbüßenden fünfmonatigen Strafteil gemäß § 39 Abs 1 SMG ein Strafaufschub für höchstens zwei Jahre gewährt, um sich der notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahme ihm Rahmen einer zunächst sechs Monate dauernden stationären Entwöhnungsbehandlung samt anschließender ambulanter Nachbetreuung in der Dauer von 18 Monaten zu unterziehen.
Mit E-Mail vom 21. Februar 2024 (ON 58) teilte A* mit, sich bis 2. Februar 2024 in Haft befunden und den Beschluss erst am 6. Februar 2024 in seinem digitalen Postfach entdeckt zu haben. Er ersuchte daher um einen kurzen Aufschub für den Therapiebeginn, aber auch – ob der Zusage einer (nicht näher dargelegten) Arbeitsstelle – mit Arbeitsbeginn eine ambulante Therapie absolvieren zu können.
Daraufhin teilte ihm der Erstrichter mit Note vom 21. Februar 2024 (ON 59) mit, dass ihm der Strafaufschub nach § 39 SMG nur unter den im Beschluss ON 56 genannten Voraussetzungen gewährt worden und eine ambulante Therapie laut eingeholtem Sachverständigengutachten nicht ausreichend sei. Auch wies er ihn auf die in § 39 Abs 4 Z 1 SMG normierten Folgen hin. Mit Note vom 6. März 2024 (ON 61) erinnerte der Erstrichter den Verurteilten an die mit dem Strafaufschub verbundene Weisung und abermals auf die Rechtsfolgen des § 39 Abs 4 Z 1 SMG. In beiden Fällen wurden – laut Verfahrensautomation Justiz - die Noten an den elektronischen Zustelldienst übergeben ohne dass elektronische Verständigungen ersichtlich sind, zudem dem Verein Neustart zur Kenntnisnahme elektronisch übermittelt.
Sodann befand sich A* vom 22. bis 29. April 2024 stationär in der Einrichtung der C* in **, wobei er den Aufenthalt durch Verlassen der Station ohne Abmeldung verließ (ON 67).
Mit Note vom 31. Mai 2024 wurde A* vom Erstgericht neuerlich an die Einhaltung der Weisung erinnert (vgl ON 71), wobei auch hier im VJ-Register keine elektronische Verständigung ersichtlich ist.
Am 19. Juni 2024 bewarb er sich in der Vorbetreuung des D* um eine stationäre Aufnahme in das dortige Therapieprogramm (ON 75). Nachdem er dort am 9. Juli 2024 stationär aufgenommen worden war (ON 77), brach er die Therapie bereits am 24. Juli 2024 wieder ab, um sich am nächsten Tage wieder bei der dortigen Vorbetreuungsstelle zu melden; die Wiederaufnahme war für den 27. August 2024 avisiert (ON 79, ON 81). Sodann war er von 27. bis 29. August 2024 wieder im D* zur stationären Drogentherapie, wobei er wegen Verdachts auf Konsum verbotener Substanzen auf dem Gelände der Einrichtung und Nichteinhaltung der Hausregeln vom Therapieprogramm entlassen wurde (ON 83).
Am 21. September 2024 wurde er in Haft genommen und schließlich mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten zu AZ ** wegen des – u.a. am 21. und 26./27. Mai sowie 27. Juni 2024 begangenen - Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls teils durch Einbruch nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 3, 130 Abs 1 erster Fall, Abs 2 zweiter Fall StGB zu einer Freiheitsstrafe von 23 Monaten verurteilt (ON 98).
Mit dem angefochtenen Beschluss wurde – dem Antrag der Staatsanwaltschaft folgend (ON 99), jedoch entgegen der Stellungnahme der Bewährungshilfe (ON 102) und jener des Beschwerdeführers (ON 103) - der Strafaufschub gemäß § 39 Abs 4 Z 2 SMG mit der wesentlichen Begründung widerrufen, dass A* die seiner neuen Verurteilung zugrunde liegenden Taten begangen habe, um sich Geldmittel für den Erwerb von Suchtmittel zu verschaffen, und angesichts seines Vorlebens, der mangelnden beruflichen Integration, der mehrfach erfolglos gebliebenen stationären Behandlung und des äußerst raschen Rückfalls eine rasche Rückfälligkeit in die Beschaffungskriminalität zu erwarten sei.
Dagegen richtet sich die rechtzeitige Beschwerde des A* (ON 107), der Berechtigung nicht abgesprochen werden kann.
Der Aufschub ist gemäß § 39 Abs 4 Z 2 SMG zu widerrufen und die Strafe zu vollziehen, wenn der Verurteilte wegen einer Straftat nach diesem Bundesgesetz oder wegen einer im Zusammenhang mit seiner Gewöhnung an Suchtmittel begangenen Straftat neuerlich verurteilt wird und der Vollzug der Freiheitsstrafe geboten erscheint, um ihn von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten.
Zusätzlich zu diesen Voraussetzungen muss nach § 39 Abs 4 letzter Satz SMG für den Widerruf der Vollzug der Freiheitsstrafe geboten erscheinen, um den Verurteilten von der Begehung weiterer Straftaten abzuhalten, wobei die gebotenen spezialpräventiven Erwägungen einzelfallbezogen vorzunehmen sind, vereinzelte und vorübergehende Rückfälle nicht einmal die Grundvoraussetzung der Therapieunwilligkeit verwirklichen und den Widerruf auch spezialpräventiv nicht erforderlich machen ( Schwaighofer, aaO Rz 46).
A* wurde im Verfahren des Landesgerichts St. Pölten zu AZ ** – nach Einholung eines Sachverständigengutachtens (dort ON 70) – ein Strafaufschub gemäß § 39 SMG gewährt (dort ON 78) und befindet sich seit 16. Dezember 2024 beim Verein E* (ON 110). Nach eingeholter telefonischer Auskunft durch das Beschwerdegericht vom 20. Februar 2025 unterzieht sich der Beschwerdeführer nach wie vor laufend der stationären gesundheitsbezogenen Maßnahme.
Angesichts des Umstandes, dass A* seit bereits zweieinhalb Monaten stationär behandelt wird und damit nunmehr seine Bereitschaft zeigt, sich der notwendigen gesundheitsbezogenen Maßnahme zu unterziehen, und ihm das zuletzt eingeholte klinisch-psychologische Gutachten neben Therapiebedürftigkeit auch eine Therapiefähigkeit attestierte und bei aktuell noch glaubhafter Therapiemotivation die Erfolgsaussichten als noch nicht aussichtslos einstufte (vgl ON 70 in AZ ** des Landesgerichts St. Pölten), kann von einem spezialpräventiven Erfordernis auf Widerruf des Strafaufschubs nicht ausgegangen werden.
Es war daher der Beschwerde des A* Folge zu geben und der angefochtene Beschluss aufzuheben, um den Beschwerdeführer die Möglichkeit zu geben, die ihm aufgetragene Therapie, zu der er sich freiwillig verpflichtet hat, fortzusetzen.
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