JudikaturOLG Wien

16R37/25s – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
28. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Sonntag als Vorsitzenden sowie die Richterinnen des Oberlandesgerichts Mag. Elhenicky und Dr. Rieder in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geboren **, **, vertreten durch Salburg Rechtsanwalts GmbH in Wien, wider die beklagten Parteien 1. B* Sàrl , **, vertreten durch Brandl Talos Rechtsanwälte GmbH in Wien, und 2. C* Limited , **, vertreten durch andréewitch partner rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen EUR 20.123,92 sA, über den Rekurs der erstbeklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 15.11.2024, **-22, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird in Ansehung der erstbeklagten Partei ersatzlos behoben und dem Erstgericht insoweit die Fortsetzung des unterbrochenen Verfahrens aufgetragen.

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit EUR 1.111,25 bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Begründung:

Text

Der Kläger begehrt von den Beklagten die solidarische Zahlung von zuletzt (siehe die Ausdehnung mit Schriftsatz vom 26.2.2024) EUR 20.123,92 sA. Er bringt dazu im Wesentlichen vor, er habe sog „Lootboxen“ im Spiel D* über die Spielkonsole E* gegen Echtgeld erworben. Konkret habe der Kläger von der Zweitbeklagten gegen Echtgeld D*-Points erworben, mit denen er wiederum von der Erstbeklagten die Lootboxen erworben habe. Die Erstbeklagte sei ein „Publisher“ von Computerspielen. Sie sei verantwortlich für den Spielablauf im Spielmodus D* F* und somit auch für die Ausschüttungen der Lootboxen. Die Zweitbeklagte sei eine Gesellschaft, welche für das E* Network verantwortlich sei, über das sie die D*-Points, das seien Casino Chips, mit denen die Lootboxen erworben würden, anbiete. Die Lootboxen unterlägen dem österreichischen Glücksspielgesetz. Folglich seien die abgeschlossenen Verträge nichtig, weil die Beklagten, die gemeinsam ein (verbotenes) Glücksspiel betrieben, über keine Konzession nach dem Glücksspielgesetz verfügten.

Die Beklagten beantragen die Abweisung der Klage, bestreiten jeweils ihre Passivlegitimation und wenden Unschlüssigkeit der Klage ein. Im Übrigen bringen sie gegen den Klageanspruch insbesondere vor, D* und D*F* -Packs seien kein Glücksspiel. D* sei ein Geschicklichkeitsspiel, den D*F* Packs komme keine Eigenständigkeit als Spiel zu. Die Beklagten wenden den dem Kläger zugekommenen Unterhaltungswert als Gegenforderung ein.

Mit dem angefochtenen Beschluss unterbrach das Erstgericht das Verfahren und sprach aus, dass dieses nur über Antrag fortgesetzt werde. Begründend führte es aus, dass der Kläger die Unterbrechung angeregt habe. Die Klagevertretung werde in einem Parallelverfahren gegen die Entscheidung des OLG Wien zu G* Revision erheben. Das OLG Wien habe in dieser Entscheidung die Revision zugelassen zu der auch hier präjudiziellen Rechtsfrage des Glücksspielcharakters des Erwerbs und Öffnens der im Videospiel „D*" erhältlichen „D*F*-Packs" (und „Lootboxen" im Allgemeinen) im Sinn des Glücksspielgesetzes. Der Sachverhalt im Verfahren zu G* sei mit dem hier vorliegenden Sachverhalt weitestgehend ident. Die beklagten Parteien seien dieselben. Es handle sich um das gleiche Spiel, lediglich die Streitwerte und Spielzeiträume unterschieden sich. Die hier relevante zentrale Frage über die Qualifizierung der D*-Packs als verbotenes Glücksspiel sei auch die zentral zu klärende Frage im Revisionsverfahren, weshalb der Anregung auf Unterbrechung zu folgen gewesen sei.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Erstbeklagten aus den Gründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und die Rechtssache zur Fortsetzung des Verfahrens an das Erstgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt .

1. In ihrer Rechts- und Verfahrensrüge moniert die Erstbeklagte zu Recht, dass das Erstgericht keinen Unterbrechungsbeschluss hätte fassen dürfen. Der erkennende Senat hat bereits in einem Parallelverfahren ausgesprochen, dass die Voraussetzungen für eine Unterbrechung nicht vorliegen (OLG Wien, **). An dieser Rechtsansicht ist ungeachtet der vom Kläger ins Treffen geführten Argumente zur Verfahrensökonomie aus den folgenden Erwägungen festzuhalten.

2. Die Unterbrechung eines Rechtsstreits wegen eines anderen, bereits anhängigen Gerichtsverfahrens ist gemäß § 190 Abs 1 ZPO nur zulässig, wenn die Frage des Bestehens eines Rechtsverhältnisses, die im Rechtsstreit als Vorfrage gelöst werden müsste, in einem anderen Verfahren, das bereits anhängig ist, als Hauptfrage gelöst werden muss und das Gericht an diese Lösung gebunden ist. Unter einer Vorfrage versteht man eine Frage, deren Beurteilung für die Lösung einer anderen Frage (= Hauptfrage) logische Voraussetzung ist, also ein präjudizielles Rechtsverhältnis.

3. Eine Bindung an präjudizielle Zivilentscheidungen wird dabei nur bejaht, wenn Parteienidentität vorliegt (RS0041572) und eine bindende Entscheidung im Vorprozess dort die entscheidende Hauptfrage (nicht nur Vorfrage) und nunmehr eine Vorfrage (nicht die Hauptfrage) bildet. In allen Fällen, in denen die Vorfragenbeurteilung durch das betreffende Gericht keine Bindungswirkung begründet, also nicht präjudiziell ist, scheidet eine auf § 190 Abs 1 ZPO gestützte Unterbrechung des Verfahrens aus ( Höllwerth in Fasching/Konecny³ § 190 ZPO Rz 71 ff).

4. Zwischen den Parteien dieses Verfahrens und jenen des Verfahrens ** (OLG Wien G*) liegt keine Parteienidentität vor, weshalb eine Bindungswirkung der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs für das vorliegende Verfahren nicht in Frage kommt. Dass die zu lösenden Rechtsfragen in beiden Verfahren inhaltsgleich sind, spielt für die Beurteilung der Präjudizialität, bei welcher es nur auf die unmittelbare Bindungswirkung der Entscheidung ankommt, keine Rolle. Zweckmäßigkeitserwägungen rechtfertigen ein Vorgehen nach § 190 Abs 1 ZPO nicht, sondern wären erst bei Vorliegen der dargelegten Voraussetzungen für eine Unterbrechung nach § 190 Abs 1 ZPO anzustellen. Auf die in der Rekursbeantwortung vom Kläger angestellten Überlegungen zur Zweckmäßigkeit einer Unterbrechung in Hinblick auf ein allfälliges Vorabentscheidungsersuchen des OGH zu ** muss überdies deshalb nicht eingegangen werden, weil auch nach der Behauptung des Klägers eine solche Vorlage an den EuGH bislang nicht erfolgt ist.

5. Ein fehlendes Rechtsschutzbedürfnis und damit eine fehlende Beschwer wären allenfalls nur dann anzunehmen, wenn sämtliche Parteien mit der Verfahrensunterbrechung einverstanden gewesen wären und dieser zugestimmt hätten ( Höllwerth in Fasching/Konecny 3 § 190 Rz 88 und 89).

Im vorliegenden Fall hat sich die Rekurswerberin zu der vom Kläger angeregten und vom Erstgericht beabsichtigten Unterbrechung nicht geäußert. Von einer Zustimmung der Erstbeklagten zur Unterbrechung kann daher nicht ausgegangen werden.

6. Dem Rekurs war daher Folge zu geben und der Unterbrechungsbeschluss ersatzlos zu beseitigen, dies allerdings nur in Ansehung der Erstbeklagten als ausschließlicher Rekurswerberin. Jeder der einfachen Streitgenossen ist dem Gegner gegenüber im Prozess nämlich derart selbständig, dass die Handlungen oder Unterlassungen des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen (§ 13 ZPO; 9 Ob 61/20s; zur Unterbrechung bei Streitgenossen vgl Schneider in Fasching/Konecny 3II/1 § 13 ZPO Rz 17). Die Selbständigkeit der Streitgenossen im Prozess gilt auch für die Rechtsmittel (RS0126310).

7. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Der im Zwischenstreit über die Unterbrechung ( Fucik in Rechberger/Klicka 5 § 52 Rz 5 mwN) unterlegene Kläger hat der Erstbeklagten die Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen. Die Argumentation des Klägers, selbst bei Stattgebung des Rekurses gebührten der Erstbeklagten keine Rekurskosten, weil sie (aus prozessökonomischen Erwägungen) kein rechtliches Interesse an einer Fortführung des Verfahrens habe und der Rekurs daher zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung nicht notwendig gewesen sei, lässt das primär geltende Prinzip der Erfolgshaftung außer Acht. Dabei kommt es auf den Grund des Erfolgs nicht an ( Fucik in Rechberger/Klicka, ZPO 5 § 41 Rz 1 mwN).

Da der Rekurs kein verfahrenseinleitender Schriftsatz nach § 23a RATG ist, gebührt lediglich ein ERV Zuschlag von EUR 2,60 ( Obermaier , Kostenhandbuch 4Rz 3.29). Umsatzsteuer war der Erstbeklagten nicht zuzusprechen (siehe dazu RS0114955 [T13]). Die verzeichnete Pauschalgebühr fällt im Rekursverfahren nicht an.

8. Der Ausspruch über die Unzulässigkeit des Revisionsrekurses beruht auf § 192 Abs 2 ZPO (RS0037074).