JudikaturOLG Wien

1R190/24d – OLG Wien Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
26. Februar 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Wien hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Mag. Weixelbraun als Vorsitzenden sowie die Richterinnen Mag. a Tscherner und Mag. a Müller in der Rechtssache der klagenden Partei A* , geb. **, Angestellter, **, vertreten durch die Poduschka Anwaltsgesellschaft mbH in Linz, wider die beklagte Partei B* AG , **, **, Deutschland, vertreten durch die Pressl Endl Heinrich Bamberger Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen EUR 32.514,85 sA, über den Kostenrekurs der beklagten Partei (Rekursinteresse EUR 10.552,33) gegen die Kostenentscheidung im Urteil des Landesgerichts Korneuburg vom 23.10.2024, ***, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Kostenentscheidung wird dahin abgeändert, dass sie lautet:

5.) Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 10.171,01 (darin EUR 1.245,20 USt und EUR 2.699,84 Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 684,43 (darin enthalten EUR 109,28 an 19% USt) bestimmten Kosten des Rekurses zu ersetzen.

Der Revisionsrekurs ist jedenfalls unzulässig.

Text

B e g r ü n d u n g :

Mit dem Urteil vom 23.10.2024 erachtete das Erstgericht das Klagebegehren ( 1 .) als mit EUR 21.804,37 zu Recht mit dem Mehrbegehren nicht zu Recht bestehend sowie ( 2. ) die mit EUR 32.515,85 eingewendete Gegenforderung als nicht zu Recht bestehend, verpflichtete ( 3. ) die Beklagte zur Zahlung von EUR 21.804,37 samt Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe des **, Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN): **, wies ( 4. ) das Mehrbegehren von EUR 10.710,48 samt Zinsen ab und verpflichtete mit der hier angefochtenen Kostenentscheidung ( 5. ) die Beklagte zum Kostenersatz von EUR 20.723,34 .

Die Beklagte hafte dem Kläger wegen arglistiger Irreführung nach § 874 ABGB und sittenwidriger Schädigung gem § 1295 Abs 2 ABGB. Der geschädigte Kläger sei so zu stellen, wie er ohne schädigendes Ereignis stünde. Er müsse sich ein nach der linearen Berechnungsmethode zu berechnendes Benützungsentgelt in Höhe von EUR 10.710,48 (82.325 x 0,1301) anrechnen lassen.

Das Erstgericht begründete die angefochtene Kostenentscheidung unter Bezugnahme auf §§ 43 Abs 2, 54 Abs 1a ZPO; die Entscheidung sei der Höhe nach von der Ausmittlung durch den Sachverständigen abhängig gewesen, sodass die Beklagte dem Kläger vollen Kostenersatz auf Basis des obsiegten Betrages zu leisten habe.

Dagegen richtet sich der Rekurs der Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, der Beklagten lediglich einen Kostenersatz in Höhe von EUR 10.171,01 (darin enthalten EUR 1.234,20 USt und EUR 2.699,84 Barauslagen [Rekursinteresse EUR 10.552,33]) aufzuerlegen.

Der Kläger habe zu rund 67 % obsiegt. Es liege weder ein geringfügiges Unterliegen vor noch sei der zugesprochene Betrag durch einen Sachverständigen zu ermitteln gewesen. Die Nichtanrechnung eines Benützungsentgelts durch den Kläger betreffe den Anspruchsgrund, was Kostenfolgen nach sich ziehe.

Der Kläger begehrte in seiner Rekursbeantwortung, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist berechtigt :

1. Nach § 43 Abs 1 ZPO sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Nach § 43 Abs 2 ZPO kann das Gericht einer Partei den Ersatz der gesamten, dem Gegner entstandenen Kosten auferlegen, wenn der Gegner nur in einem verhältnismäßig geringfügigen Teil seines Anspruchs, dessen Geltendmachung überdies keine besonderen Kosten veranlasst hat, unterlegen ist oder wenn der Betrag der von ihm erhobenen Forderung von der Feststellung durch richterliches Ermessen, von der Ausmittlung durch Sachverständige oder von einer gegenseitigen Abrechnung abhängig war.

Bereits aus dem Normtext folgt, dass sich die Tätigkeit des Sachverständigen auf den „Betrag der vom Kläger erhobenen Forderung“, sohin auf die Klagsforderung der Höhe nach beziehen muss. Die Nichtanrechnung des Vorteilsausgleichs bzw eines Benützungsentgelts betrifft klar den Anspruchsgrund, was Kostenfolgen nach sich zieht ( Obermaier Kostenhandbuch 4 Kapitel 1, Rz 1.176). Die Anwendung des Kostenprivilegs bei einem Unterliegen im Anspruchsgrund war zu keiner Zeit österreichischer Rechtsbestand, selbst dann, wenn Ermessensfragen den Anspruchsgrund betreffen (vgl Obermaier aaO Rz 1.156).

2. Der Oberste Gerichtshof hat am 21.2.2023 zu 10 Ob 2/23a klargestellt, dass im Zusammenhang mit dem sogenannten „Dieselskandal“ im Rahmen des gegen den Motorhersteller bestehenden Schadenersatzanspruchs (vgl zur schadenersatzrechtl Natur des Anspruchs nach § 874 ABGB I. Vonkilch in Fenyves/Kerschner/Vonkilch , Klang 3 § 874 ABGB Rz 1 ff) über Einwendung eine schadenersatzrechtlicher Vorteilsausgleichung vorzunehmen ist. Dabei ist alles zu berücksichtigen, was der Geschädigte aus dem (ungewollten) Vertrag zu seinem Vorteil hat, also auch seine tatsächliche Nutzung (bis zum Schluss der mdl Verhandlung erster Instanz). Der in der Nutzung des Fahrzeugs liegende Vorteil ist in Abhängigkeit von den gefahrenen Kilometern nach dem linearen Abwertungsmodell zu bemessen. Diese Anrechnung im Rahmen des Vorteilsausgleichs hat durch unmittelbaren Abzug von der Klageforderung und nicht aufrechnungsweise in Form einer Gegenforderung zu erfolgen (25.4.2023 10 Ob 2/23a [37 bis 41 mwN]).

Auf dieser Grundlage berechnete der Erstrichter das Benützungsentgelt auf Basis des Berechnungsschlüssels des Sachverständigen mit der Formel gefahrene Kilometer x 0,1301. Ebenso hätte er das Benützungsentgelt mit der Formel Kaufpreis x gefahrene Kilometer zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz / erwartete Gesamtlaufleistung ermitteln können.

3. Im vorliegenden Fall ist die teilweise Abweisung des Klagebegehrens nicht auf die Ausmittlung des zuzusprechenden Betrags durch Sachverständige oder die Festsetzung durch das Gericht zurückzuführen, sondern darauf, dass sich der Anspruch des Klägers bei richtiger rechtlicher Beurteilung schon dem Grunde nach um das von der Beklagten eingewendete Benützungsentgelt reduziert:

3.1. Der Kläger begehrte durchgehend den im Juni 2013 für das Fahrzeug geleisteten Kaufpreis von EUR 32.514,85 ohne Abzug eines Benützungsentgelts – trotz Einwand der Beklagten und obwohl er mit dem Fahrzeug bis zum Zeitpunkt Schluss der Verhandlung am 23.9.2024 rund 82.325 km gefahren war. Er brachte vor, dass er sich kein Benützungsentgelt anzurechnen habe, weil ansonsten die Beklagte gegenüber einem gesetzestreuen Hersteller besser gestellt sei. Allenfalls sei ein Benützungsentgelt durch Gegenüberstellung der gefahrenen Kilometer mit der bei Ankauf zu erwartenden Gesamtlaufleistung zu berechnen.

3.2. Die vom Kläger in seiner Rekursbeantwortung zitierte Entscheidungen zu 10 Ob 46/23x und 4 Ob 79/23f sind nicht einschlägig: In 10 Ob 46/23x ging es um den Zuspruch eines angemessenen Ersatzbetrags innerhalb der Bandbreite von 5% bis 15% des Kaufpreises gegenüber der beklagten Fahrzeugherstellerin, der vom Obersten Gerichtshof – unter Anwendung des § 273 Abs 1 ZPO – mit 10% des Kaufpreises festgesetzt wurde. Wenn der Oberste Gerichtshof die Kostenentscheidung aufgrund der Anwendung des § 273 ZPO auf § 43 Abs 2 ZPO stützte, ist das mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. In 4 Ob 79/23f war nicht die Motorherstellerin sondern die Verkäuferin beklagt. Dort begehrte der Kläger die Aufhebung und Rückabwicklung des Kaufvertrags und gestand dort im Verfahrensverlauf zu, dass der Beklagten ein Benützungsentgelt zustehe [12].

4. Auch die Argumentation des Klägers zur „Europarechtlichen Einordnung“ überzeugt nicht: Hier geht es nicht darum, dass sich die Beklagte auf die Unanwendbarkeit einer Richtlinie (welcher?) beruft und es wird der Kläger auch nicht von der Ausübung europarechtlicher Verbraucherrechte (welcher?) abgehalten: Die Beklagte wurde zu Schadenersatz wegen arglistiger Irreführung nach Bestimmungen des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches verurteilt. Die Bemessung des Schadenersatzes folgt hier nicht europarechtlichen Bestimmungen. Es existieren keine europarechtlichen Vorgaben zum Kostenersatz, die einem Ergebnis entgegenstehen würden, wonach ein Verbraucher nicht rund zwei Drittel seiner Vertretungskosten selbst zu tragen hat, wenn er – wie hier – schon dem Grunde nach nur teilweise obsiegt.

Das Loser-pays-Prinzip entspricht im Übrigen der Empfehlung der Europäischen Kommission in der Costs-of-Justice-Studie, aber auch insgesamt der Billigkeit, weil durch einen unvollständigen Kostenersatz eher der Normalbürger von der Rechtsverfolgung abgehalten wird als große Unternehmen und wohlhabende Bürger ( Obermaier aaO, FN 531). Daraus folgt, dass auch ein anteiliger Prozesserfolg entsprechend zu berücksichtigen ist und die Kostenentscheidung auch den Billigkeitserwägungen der Empfehlung der Europäischen Kommission entspricht.

5. Dem Kläger wäre es nach Erhebung des Einwands der Beklagten möglich und zumutbar gewesen, ein nach der linearen Berechnungsmethode errechnetes Benützungsentgelt in Abzug zu bringen. Er hätte so den Prozessverlust in diesem Umfang verhindern können (vgl OLG Wien 1 R 28/24f; 1 R 141/24y [II.]; 8 Ob 97/22f [15]; zur Nichtanwendung des § 43 Abs 2 ZPO in der vorliegenden Konstellation vgl auch OLG Wien 5 R 161/23t).

6. Der Rekurswerberin ist daher darin zuzustimmen, dass sich die Kostenentscheidung nach § 43 Abs 1 ZPO richtet.

6.1. Der Kläger hat im erstinstanzlichen Verfahren mit zwei Drittel (rund 67%) obsiegt. Er hat daher Anspruch auf den Ersatz von einem Drittel seiner Vertretungskosten bei einer Bemessungsgrundlage von EUR 32.514,85 und von zwei Drittel der von ihm allein getragenen Barauslagen.

6.2. Die Bemessungsgrundlage für die Honorierung und auch für den Erfolg im Berufungsverfahren ist das Berufungsinteresse.

Im ersten Rechtsgang haben sowohl der Kläger als auch die Beklagte Berufungen erhoben: Mit Berufung vom 19.9.2023 (ON 54) bekämpfte der Kläger das Urteil hinsichtlich der Abweisung in Höhe von EUR 6.250,61 (= Bemessungsgrundlage der Berufung), woraus sich nach TP3B und unter Berücksichtigung eines dreifachen Einheitssatzes Kosten der Berufung in Höhe von EUR 912,60 (zzgl EUR 182,52 USt) ergeben. Mit Berufung vom 26.9.2023 (ON 55) bekämpfte die Beklagte das Urteil hinsichtlich des Zuspruchs von EUR 18.861,65 (= Bemessungsgrundlage der Berufungsbeantwortung), woraus sich nach TP3B und unter Berücksichtigung eines dreifachen Einheitssatzes Kosten der Berufungsbeantwortung des Klägers (ON 57) von EUR 1.741,10 (zzgl EUR 348,22 USt) ergeben. Weder eine Berufung noch eine Berufungsbeantwortung sind verfahrenseinleitende Schriftsätze iSd § 23a RATG.

6.3. Das Erstgericht hat die Einwendungen der Beklagten gegen das Kostenverzeichnis des Klägers bereits geprüft und teilweise als berechtigt erkannt, wogegen der Kläger keinen Rekurs erhoben hat. Dass – von den Ausführungen zu ←6.2 abgesehen – weitere Positionen des Kostenverzeichnisses des Klägers vom 17.9.2024 zu streichen oder zu kürzen gewesen wären, behauptet die Beklagte nicht.

Insgesamt fielen dem Kläger - unter Berücksichtigung der von ihm nicht angefochtenen Kürzungen durch das Erstgericht [US 11] aufgrund der Einwendungen der Beklagten - ersatzfähige Vertretungskosten von EUR 21.907,56 (inkl EUR 3.651,26 USt) und Barauslagen von EUR 4.026 an. Die Beklagte trug Barauslagen von EUR 3.893.

Aufgrund seines Obsiegens mit zwei Drittel hat der Kläger Anspruch auf Ersatz von zwei Drittel seiner Barauslagen (= EUR 2.684) und einem Drittel seiner Vertretungskosten (= EUR 7.302,52, darin enthalten EUR 1.217,08 USt). Die Beklagte hat Anspruch auf Ersatz von einem Drittel ihrer - gesamt mit EUR 3.893 getragenen - Barauslagen (= EUR 1.297,67), der mit dem Anspruch auf Barauslagenersatz des Klägers zu saldieren ist.

Der Kostenersatzanspruch des Klägers beträgt daher richtigerweise EUR 8.688,85 (darin EUR 1.217,08 USt und EUR 1.386,33 Barauslagen). Das Rekursbegehren der Beklagten auf Kürzung des Kostenersatzanspruchs des Klägers auf EUR 10.171,01 (darin EUR 1.245,20 USt und EUR 2.699,84 Barauslagen) findet darin Deckung.

Dem Rekurs war daher Folge zu geben und die der Beklagten auferlegte Kostenersatzpflicht auf den mit dem Rekurs nicht angefochtenen Zuspruch zu kürzen.

7. Die Kostenentscheidung für das Rekursverfahren beruht auf §§ 41, 50 ZPO. Die Beklagte hat mit ihrem Rekurs zur Gänze obsiegt; ihr gebühren für den nach TP3A richtig verzeichneten Rekurs EUR 684,43 (darin EUR 109,28 an 19% USt für Deutschland, deren Höhe allgemein bekannt ist, vgl RS0114955 [T10, T12]).

8. Der Revisionsrekurs ist gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO jedenfalls unzulässig.