Das Oberlandesgericht Wien hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Mag. Zacek als Vorsitzende, die Richterinnen Mag. Derbolav-Arztmann und Dr. Heissenberger LL.M., sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Marianne Zeckl Draxler und Michael Grandinger in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* B*, **, vertreten durch Dr. Astrid Hinterberger, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt , Landesstelle **, **, vertreten durch Mag. C*, ebendort, wegen Ausgleichszulage, über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 14.10.2024, ** 17, in nichtöffentlicher Sitzung I. zu Recht erkannt und II. beschlossen:
Der Berufung wird teilweise Folge gegeben.
I. Das angefochtene Urteil – das hinsichtlich des Ausspruchs, dass die Ausgleichszulage ab 1.4.2022 bis 30.9.2022, ab 1.11.2022 bis 31.5.2023 und ab 1.10.2024 EUR O monatlich betrage - unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist, wird teilweise bestätigt, sodass es einschließlich des unbekämpften Teils als Teilurteil lautet:
„1. Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei eine Ausgleichszulage von 1.4.2022 bis 30.9.2022, von 1.11.2022 bis 31.5.2023 und ab 1.10.2024 zu gewähren, wird abgewiesen.
2. Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei eine Ausgleichszulage von EUR 651,28 monatlich von 1.10.2022 bis 31.10.2022 sowie die mit EUR 1.557,87 (darin enthalten EUR 259,64 USt) bestimmten Kosten des Verfahrens binnen 14 Tagen zu bezahlen.“
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 731,90 (darin enthalten EUR 121,98 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
II. Im Übrigen – also betreffend den Anspruch auf eine Ausgleichszulage ab 1.6.2023 in Höhe von EUR 901,47 monatlich und ab 1.1.2024 bis 30.9.2024 in Höhe von EUR 994,56 monatlich – wird das angefochtene Urteil aufgehoben und die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Entscheidungsgründe
und Begründung:
Der am ** geborene Kläger ist verheiratet. Er lebt mit seiner Ehegattin und der gemeinsamen Tochter (geboren am **) und den zwei minderjährigen Stiefkindern im gemeinsamen Haushalt. Dem Kläger wurde mit Bescheid vom 3.5.2022 die Berufsunfähigkeitspension zuzüglich Kinderzuschuss für 2 Kinder ab 1.4.2022 gewährt. Er bezog 2022 monatlich eine Berufsunfähigkeitspension (inklusive Kinderzuschuss) von EUR 1.313,07 brutto, 2023 monatlich EUR 1.364,02 brutto und 2024 monatlich EUR 1.490,69 brutto.
Die Ehegattin des Klägers bezog von 3.10.2021 bis 4.10.2022 Krankengeld in Höhe von EUR 34,59 täglich. Dieses endete wegen Erreichen der Höchstdauer. Am 30.3.2022 stellte der Kläger für die Ehegattin einen Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension. Im November 2022 wurde der Kläger darüber informiert, dass er aufgrund des laufenden Pensionsverfahrens einen Antrag auf Pensionsvorschuss beim AMS für seine Ehegattin stellen kann. Dies machte er am 8.11.2022. Daraufhin bezog die Ehegattin von 08.11.2022 bis 31.12.2022 Notstandshilfe in Höhe von EUR 35,54 täglich und von 1.1.2023 bis 23.5.2023 in Höhe von EUR 38,07 täglich. Ihr Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension wurde mit Bescheid vom 9.5.2023 abgelehnt. Dagegen wurde keine Klage erhoben. Der Kläger meldete sodann beim AMS, dass der Pensionsantrag seiner Ehegattin abgelehnt wurde und meldete sie vom Bezug der Notstandshilfe ab. Der Kläger nahm die Abmeldung deshalb vor, weil sich seine Ehegattin trotz ablehnenden Pensionsbescheids aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeitsfähig fühlte. Seit 2.10.2024 bezieht sie wieder Notstandshilfe in Höhe von etwa EUR 40 täglich. Am 08.10.2024 stellte sie erneut einen Antrag auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension. Von 24.5.2023 bis 1.10.2024 hatte die Ehegattin des Klägers keinerlei Einkünfte.
Mit Bescheid vom 29.12.2023 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Ausgleichszulage vom 16.3.2022 ab, da das maßgebliche monatliche Gesamteinkommen die Höhe des in Betracht kommenden Richtsatzes erreichen bzw. übersteigen würde.
Der Kläger erhob dagegen Klage und begehrte die Beklagte schuldig zu erkennen, ihm ab dem gesetzlichen Stichtag eine Ausgleichszulage im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren. Die Berechnung der Beklagten sei nicht nachvollziehbar. Die Ehegattin des Klägers leide an den Folgen einer Covid-Erkrankung und sei ein Pflegefall. Es sei zu keinem Zeitpunkt Rechtsmissbrauch vorgelegen, die Abmeldung vom AMS erkläre sich mit dem schlechten Allgemeinzustand der Ehegattin des Klägers. Ein (fiktives) Einkommen könne dem Kläger nicht angerechnet werden.
Die Beklagte bestritt. Es sei der Richtsatz für Pensionisten, die mit der Ehegattin im gemeinsamen Haushalt leben, in der jeweiligen Höhe herangezogen worden. Dieser Richtsatz sei um den Erhöhungsbetrag für D* B* sowie E* F* entsprechend erhöht worden. Ein Erhöhungsbetrag für G* F* sei fälschlicherweise nicht berücksichtigt worden. Ein solcher werde von 1.4.2022 bis 31.12.2022 in Höhe von monatlich EUR 159 und ab 01.01.2023 in Höhe von monatlich EUR 171,31 zugestanden. Auch dann errechne sich aber keine Ausgleichszulage. Als maßgebliches Einkommen sei die Berufsunfähigkeitspension des Klägers zu berücksichtigen. Von 01.04.2022 bis 04.10.2022 sei das Krankengeld der Ehegattin mit monatlich EUR 1.037,70 zu berücksichtigen, für Oktober 2022 anteilig EUR 138,36. Für den Zeitraum vom 5.10.2022 bis 7.11.2022 sei ein fiktives Einkommen heranzuziehen, da sich die Ehegattin erst am 8.11.2022 beim AMS rückgemeldet habe und in der Folge Notstandshilfe von täglich EUR 35,54 bis 31.12.2023 erhalten habe. Ausgehend von einem fiktiven Einkommen von täglich EUR 35,54 ergebe sich für 5.10.2022 bis 31.10.2022 ein Betrag von EUR 924,04, für 1.11.2022 bis 7.11.2022 ein Betrag von EUR 248,78. Ab 08.11.2022 habe die Ehegattin Notstandshilfe erhalten, sodass im November 2022 ein Betrag von insgesamt EUR 1.066,20 zu berücksichtigen sei. Ab 1.1.2023 bis 24.5.2023 habe die Ehegattin Notstandshilfe von täglich EUR 38,07, sohin monatlich EUR 1.142,10 bezogen. Da sich die Ehegattin ohne hinreichende Gründe und freiwillig vom AMS abgemeldet habe, sei ab 24.5.2023 ein fiktives Einkommen von monatlich EUR 1.142,10 bei der Berechnung zu berücksichtigen.
Auch fiktive Einkommen seien bei der Ausgleichszulagenbemessung als Einkommen zu berücksichtigen, soweit sie tatsächlich zufließen oder rechtsmissbräuchlich nicht realisiert würden. Die Ehegattin habe rechtsmissbräuchlich keine Notstandshilfe bezogen. Der subsidiäre Sozialhilfe-ähnliche Charakter der Ausgleichszulage verbiete es im Allgemeinen, auf realisierbare Leistungen zu verzichten. Die Ehegattin bzw der Kläger als Bevollmächtigter hätte gegen den ablehnenden Bescheid vom 9.5.2023 Klage erheben können. Die Ehegattin habe hingegen den Antrag zurückgezogen und auf eine Klage verzichtet. Es wäre ihr zumutbar gewesen, eine Klage gegen den Bescheid zu erheben oder sich neuerlich beim AMS anzumelden. Der Kläger bzw seine Ehegattin hätten daher rechtsmissbräuchlich gehandelt.
Mit dem nunmehr angefochtenen Urteil erkannte das Erstgericht die Beklagte schuldig, dem Kläger von 1.10.2022 bis 31.10.2022 eine Ausgleichszulage in Höhe von EUR 651,28 monatlich, von 1.6.2023 bis 31.12.2023 in Höhe von EUR 901,47 monatlich und von 1.1.2024 bis 30.9.2024 in Höhe von EUR 994,56 monatlich zu bezahlen.
Es legte seiner Entscheidung den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt zugrunde und folgerte rechtlich, dass kein Rechtsmissbrauch vorliege. Es erfolge keine Überwälzung einer Leistungspflicht von einem persönlich haftenden Schuldner auf die öffentliche Hand, da auch die Notstandshilfe von der öffentlichen Hand, nämlich der Arbeitslosenversicherung geleistet werde. Selbst wenn man eine mögliche Anrechnung einer fiktiven Leistung aus der Arbeitslosenversicherung in Betracht ziehen würde, liege kein Überwiegen unlauterer Motive vor. Die Familie des Klägers hätte bei Annahme einer rechtsmissbräuchlichen Abmeldung von der Notstandshilfe auf ein höheres Einkommen verzichtet. Zudem sei durch die beantragte Weiterversicherung der Ehegattin ein monatlicher Betrag von EUR 483,05 zu entrichten, während beim Bezug von Notstandshilfe für die Pensionsversicherung keine Beiträge angefallen wären.
Gegen dieses Urteil, soweit dem Klagebegehren stattgegeben wurde, richtet sich die Berufung der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Urteil in eine vollständige Klagsabweisung abzuändern; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, der Berufung nicht Folge zu geben.
Die Berufung ist teilweise berechtigt.
1. Mangelhaftigkeit
Die Beklagte macht einen Stoffsammlungsmangel geltend. Der als Zeuge beantragte Abteilungsleiter des Erstservices des AMS sei nicht einvernommen worden. Die Zeugeneinvernahme sei erforderlich gewesen, um zu klären, ob die Ehegattin tatsächlich nicht in der Lage gewesen sei, einen Antrag auf Notstandshilfe zu stellen bzw wer tatsächlich mit dem AMS kommuniziert und auf die Notstandshilfe verzichtet habe. Das Erstgericht hätte feststellen müssen, dass es der Ehegattin des Klägers möglich gewesen wäre, gegen die Ablehnung der Invaliditätspension vorzugehen und die Zuerkennung einer solchen bei Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen im Gerichtswege auch durchzusetzen.
Der Anfechtungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens ist nur dann gegeben, wenn der Verstoß gegen ein Verfahrensgesetz abstrakt geeignet war, eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Streitsache zu hindern (RS0043049, RS0043027).
Die gesetzmäßige Ausführung des Berufungsgrundes der Mangelhaftigkeit erfordert, dass der Berufungswerber die für die Entscheidung wesentlichen Feststellungen anführt, die bei mängelfreiem Verfahren zu treffen gewesen wären (RS0043039). Er muss nachvollziehbar ausführen, welche für ihn günstigen Verfahrensergebnisse zu erwarten gewesen wären, wenn der Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre und in welcher Hinsicht sich bei Unterbleiben des behaupteten Verfahrensfehlers eine abweichende Sachverhaltsgrundlage ergeben hätte (RS0043039 [T4, T5]).
Der Beklagten ist zunächst entgegenzuhalten, dass ein von einer Partei gestellter Beweisantrag die Tatsache, die bewiesen werden soll, also das Beweisthema, genau zu bezeichnen hat (vgl RS0039882).
Die Beklagte hat zwar mit Eingabe vom 8.10.2024 (eingebracht beim Erstgericht am 9.10.2024) „aus prozessualer Vorsicht“ die Einvernahme des Abteilungsleiters Erstservice des AMS beantragt. Sie hat für diesen Beweisantrag aber kein Beweisthema angegeben. Der Schriftsatz enthält zwar Ausführungen zur Rechtsmissbräuchlichkeit, bezieht sich aber im Wesentlichen auf einen Antrag der Ehegattin auf Weiterversicherung in der Pensionsversicherung. Die Beklagte führt darin weiters aus, dass sich die Klägerin freiwillig vom AMS am 24.5.2023 abgemeldet habe und dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stehen habe wollen.
Darüber hinaus ist die Frage, ob Rechtsmissbrauch vorliegt, eine nach den Umständen des Einzelfalls zu klärende Rechtsfrage (RS0038599 [T6]). Selbst „Rechtsmissbrauch“ wäre demnach kein ausreichendes Beweisthema, weil es sich dabei um kein Tatsachenvorbringen handelt.
Das Übergehen des Beweisantrags der Beklagten kann schon mangels Bezeichnung eines erheblichen Beweisthemas keinen Verfahrensmangel begründen.
Der Beklagten gelingt es daher nicht, einen Verfahrensmangel aufzuzeigen.
2. Rechtsrüge
2.1. Die Beklagte wirft dem Erstgericht vor, sich nicht mit der Entscheidung 10 ObS 153/95 auseinandergesetzt zu haben. Ein Verzicht auf Ansprüche mit Einkommenscharakter sei bei der Feststellung der Ausgleichszulage dann unbeachtlich, wenn er offenbar den Zweck habe, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen. Dies gelte gerade auch bei der Unterlassung der Durchsetzung gesetzlicher Ansprüche.
2.2.Ein Anspruch auf Ausgleichszulage besteht gemäß § 292 Abs 1 und 2 ASVG, wenn die Pension zuzüglich eines aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens und gegebenenfalls des Nettoeinkommens des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten und der gemäß § 294 ASVG zu berücksichtigenden Unterhaltsansprüche die Höhe des für den Pensionsberechtigten gemäß § 293 ASVG geltenden Richtsatzes nicht erreicht. Unter Nettoeinkommen im Sinne dieser Bestimmung ist, sofern nicht einer der in § 292 Abs 4 bis 13 ASVG geregelten Sonderfälle vorliegt, nach § 292 Abs 3 ASVG die Summe sämtlicher Einkünfte in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge zu verstehen.
Der Ausgleichszulagenrichtsatz im Sinn des § 293 ASVG ist jener Betrag, der das „konventionelle Existenzminimum“ des Pensionsberechtigten (und des mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten) sichern soll. Für Ehegatten, die im gemeinsamen Haushalt leben, hat der Gesetzgeber einen eigenen „Familienrichtsatz“ (§ 293 Abs 1 lit a sublit aa ASVG) geschaffen, da er sie auch im Ausgleichszulagenrecht als Wirtschaftsgemeinschaft behandelt. Es ist daher bei der Feststellung eines Anspruchs auf Ausgleichszulage gemäß § 292 Abs 2 ASVG auch das gesamte Nettoeinkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten zu berücksichtigen (vgl 10 ObS 38/12d mwN).
Der Familienrichtsatz korrespondiert mit der Berücksichtigung des Nettoeinkommens des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten nach § 292 Abs 2 ASVG. Die Definition des Nettoeinkommens in § 292 Abs 3 ASVG ist daher auch für das Einkommen des Ehegatten nach Abs 2 dieser Bestimmung maßgebend. Maßgebend ist - abgesehen von den Fällen, in denen eine der Ausnahmen (Abs 4) oder Sonderregelungen zur Anwendung kommen (Abs 5 bis 13) - stets die Summe aller Einkünfte der betreffenden Person in Geld oder Geldeswert, wobei ein Ausgleich mit Verlusten sowie eine Verminderung um die gesetzlichen Abzüge stattzufinden hat (10 ObS 77/13s mwN).
Nettoeinkommen ist im Sinn des § 292 Abs 3 ASVG jenes Einkommen, das als Aktivsaldo aus allen Einkommensarten letztlich verfügbar ist. Das ist jener Betrag, der dem Pensionisten real zur Verfügung steht. Es kommt daher nicht auf seine gesetzlichen oder vertraglichen Ansprüche an, sondern auf die ihm tatsächlich zukommenden Einkünfte ( Ziegelbauer in Sonntag[Hrsg], ASVG 15 § 292 Rz 11 mwN). Eine Ausnahme besteht lediglich im Hinblick auf rechtsmissbräuchlich nicht realisierte Ansprüche. Der Pensionist ist nicht verpflichtet, zur Verminderung seines Anspruchs auf Ausgleichszulage überhaupt ein Einkommen zu erzielen oder sich auf Einkunftsarten zu beschränken, die Erträge abwerfen. Der „Anspannungsgrundsatz“ kommt bei der Einkommensermittlung nicht zum Tragen, solange nicht Rechtsmissbrauch vorliegt ( Ziegelbauer in Sonntag[Hrsg], ASVG 15 § 292 Rz 12 mwN, 10 ObS 77/13s).
Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass ein Pensionsberechtigter grundsätzlich auf Ansprüche mit Einkommenscharakter verzichten darf. Ein solcher Verzicht ist jedoch bei der Feststellung der Ausgleichszulage dann unbeachtlich, wenn er offenbar den Zweck hatte, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen (RS0038599).
Aus der Entscheidung 10 ObS 77/13s ist abzuleiten, dass auch ein rechtsmissbräuchlicher Verzicht der Ehegattin des Klägers den Anspruch des Klägers auf Ausgleichszulage vermindert, wenn der Verzicht offenbar den Zweck hatte, den Versicherungsträger zu schädigen.
2.3.Rechtsmissbrauch liegt nicht erst dann vor, wenn die Absicht des Ausgleichszulagenbeziehers, den Träger der Ausgleichszulage zu schädigen, der einzige Grund des Verzichtes ist, sondern schon dann, wenn das unlautere Motiv des Verzichtes die lauteren Motive eindeutig überwiegt, also so augenscheinlich im Vordergrund steht, dass andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, demnach zwischen den vom Verzichtenden (vorsätzlich) verfolgten und den beeinträchtigten Interessen des Trägers der Ausgleichszulage ein krasses (und zu missbilligendes) Missverhältnis besteht (RS0038599 [T1]). Die objektive Beweislast für die Umstände, aus denen sich ein eindeutiges Überwiegen der unlauteren Motive des Verzichtenden ergibt, liegt bei dem Versicherungsträger (RS0038599 [T3]).
Der Beklagten ist darin beizupflichten, dass es nicht – wie vom Erstgericht angenommen – darauf ankommt, ob eine Überwälzung einer Leistungslast von einem persönlich haftenden Schuldner auf die öffentliche Hand vorliegt. Vielmehr kann ein rechtsmissbräuchlicher Verzicht auch bei Verzicht auf realisierbare Leistungen anderer Art, die von der öffentlichen Hand gewährt werden, vorliegen (10 ObS 153/95 – dort hatte die Klägerin auf Arbeitslosengeld verzichtet).
Nach der Rechtsprechung des OGH (vgl 10 ObS 429/02i) bedarf es Feststellungen, ob Umstände vorliegen, die einen Schluss zulassen, ob der Verzicht auf realisierbare Ansprüche rechtsmissbräuchlich erfolgt ist.
Rechtsmissbrauch liegt jedenfalls dann vor, wenn die an sich zulässige Gestaltung der rechtlichen Verhältnisse anders als mit der Absicht der Umgehung gesetzlicher Regelungen nicht erklärt werden kann (vgl 10 ObS 73/22s Rz 18; 10 ObS 108/23i Rz 18).
Das Erstgericht hat unbekämpft festgestellt, dass der Kläger beim AMS meldete, dass der Pensionsantrag seiner Ehegattin abgelehnt worden sei, und er sie vom Bezug der Notstandshilfe abmeldete. Zum Motiv für die Abmeldung stellte es fest: „Der Kläger nahm die Abmeldung deshalb vor, weil sich seine Ehegattin trotz ablehnenden Pensionsbescheids aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeitsfähig fühlte.“ Es traf aber keine Feststellungen zum Motiv für die Nichtbekämpfung des ablehnenden Pensionsbescheids der Ehegattin, obwohl die Beklagte auch damit den Rechtsmissbrauch begründete, sodass das Verfahren sekundär mangelhaft blieb. Es fehlen auch Feststellungen zum eigenen Vorbringen des Klägers (ON 9, S. 2), auf welches auch die Beklagte zur Begründung des Rechtsmissbrauchs verwies (ON 11), wonach ihm kurz vor Ende des Krankengeldbezugs der Ehegattin (mit 4.10.2022) mitgeteilt wurde, dass seine Ehegattin automatisch Anspruch auf Ausgleichszulage über ihn hätte, da die Ausgleichszulage vom tatsächlichen Einkommen abhängig sei. (Demnach war dem Kläger bekannt, dass er eine höhere Ausgleichszulage erhalte, wenn seine Ehegattin kein Einkommen (Krankengeld, Notstandshilfe etc) bezieht). Es fehlen damit Feststellungen zu Umständen, die die Beklagte zum Beweis der Rechtsmissbräuchlichkeit ins Treffen führte.
2.4.Hinsichtlich Oktober 2022 verwies die Beklagte in erster Instanz lediglich auf eine verspätete Antragstellung ohne nähere Begründung. In der Berufung kommt sie inhaltlich auf die verspätete Antragstellung - erst am 8.11.2022 stellte der Kläger für seine Ehegattin einen Antrag auf Pensionsvorschuss beim AMS, nachdem ihm mitgeteilt worden war, dass er aufgrund des laufenden Pensionsverfahrens einen solchen Antrag für seine Ehegattin stellen könne – und damit auf den Zeitraum Oktober 2022 nicht zurück, weshalb hinsichtlich des Zuspruchs einer Ausgleichszulage für Oktober 2022 eine Bestätigung des Ersturteils als Teilurteil vorzunehmen war. Dies hat auch die Bestätigung des angefochtenen Urteils im Kostenpunkt zur Folge (RW0000390).
Es liegen wie dargelegt sekundäre Feststellungsmängel vor, die hinsichtlich der Ausgleichszulage für den Zeitraum 1.6.2023 bis 30.9.2024 die Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung erforderlich machen.
Hinsichtlich der Ausgleichszulage für diesen Zeitraum 1.6.2023 bis 30.9.2024 wird das Erstgericht im fortzusetzenden Verfahren bzw bei neuerlicher Entscheidungsfindung zu berücksichtigen haben, dass ein konkreter Anhaltspunkt für einen offenbaren Rechtsmissbrauch etwa der enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Verzicht und der beabsichtigten Inanspruchnahme der Ausgleichszulage sein kann. Ebenso auch der Umstand, dass für den Verzicht keine allgemein verständlichen lauteren Motive vorlagen.
Es ist zwar richtig, dass die Familie des Klägers bei Bezug der Notstandshilfe durch die Ehegattin, ein den (erhöhten) Familienrichtsatz der Ausgleichszulage übersteigendes Gesamteinkommen zur Verfügung gehabt hätte. Dieses Argument gegen die Annahme eines Rechtsmissbrauchs überzeugt dennoch nicht. Es gibt nämlich keinerlei Feststellung bzw überhaupt Hinweis darauf, dass das dem Kläger und seiner Ehegattin bewusst war. Dem Kläger war nach seinem eigenen Vorbringen mitgeteilt worden, dass seine Ehefrau automatisch Anspruch auf Ausgleichszulage über ihn hätte, da die Ausgleichszulage vom tatsächlichen Einkommen abhängig sei (ON 9, S. 2). Daraus ergibt sich keinerlei Mitteilung über die Höhe der Ausgleichszulage.
Aus der beantragten Weiterversicherung der Ehegattin kann nichts geschlossen werden, zumal dieser Antrag erst am 31.5.2024 gestellt wurde und damit nach Einbringung der gegenständlichen Klage. Bei Abmeldung der Ehegattin des Klägers vom Bezug der Notstandshilfe wurde ein solcher Antrag gerade nicht gestellt.
Das Erstgericht wird festzustellen haben, warum die Ehegattin des Klägers den negativen Bescheid der Beklagten vom 9.5.2023 nicht mit Klage bekämpft hat. Wenn sich die Klägerin zu diesem Zeitpunkt – wie festgestellt - nicht arbeitsfähig gefühlt haben sollte, wäre es naheliegend, den Bescheid zu bekämpfen. Dabei wird auch zu berücksichtigen sein, dass die Klägerin eigens erklärte, ihren Antrag vom 30.3.2022 zurückzuziehen und auf eine Klage gegen den negativen Pensionsbescheid unwiderruflich zu verzichten (Blg ./4) und ausdrücklich darauf Bezug nahm, dass durch den Rechtsmittelverzicht die Entscheidung im Bescheid ab sofort rechtskräftig sei.
Auch das eigene Vorbringen des Klägers (ON 9, S. 2), auf das die Beklagte ebenfalls hinwies, wird zu berücksichtigen sein.
3. Der Berufung der Beklagten war daher teilweise im Sinne des Aufhebungsantrags Folge zu geben und die Rechtssache insoweit an das Erstgericht zurückzuverweisen. Das Erstgericht kann dabei an die bisherigen Beweisergebnisse anknüpfen, wohingegen das Berufungsgericht zu einer kompletten Beweiswiederholung gezwungen gewesen wäre. Es wird selbst zu beurteilen haben, ob es eine Beweisergänzung erforderlich hält oder nicht.
4.Bei dem streitgegenständlichen Anspruch handelt es sich um eine wiederkehrende Leistung nach § 77 Abs 2 ASGG, für die der Fixstreitwert des Abs 2 auch bei teilweisem Obsiegen heranzuziehen ist (8 ObS 5/09g; RW0000390). Bei einem stattgebenden Teilurteil sind daher die bisherigen Kosten auf Basis von EUR 3.600 zur Gänze zuzusprechen ( Obermaier , Kostenhandbuch 4 Rz 1.496; Sonntag in Köck/Sonntag, ASGG § 77 Rz 18). Aufgrund des teilweisen Obsiegens (Teilurteil) waren daher dem Kläger für das Verfahren in erster Instanz seine tarifmäßigen Kosten zuzuerkennen.
Auch die Kostenentscheidung im Berufungsverfahren gründet sich auf § 77 Abs 2 ASGG. Kosten für eine Pauschalgebühr sind nicht aufgelaufen.
5.Die ordentliche Revision war nicht zuzulassen, weil eine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG geforderten Qualität nicht entscheidungserheblich ist.
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