9Bs198/25v – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende, Mag. Kuranda und den Richter Mag. Huemer-Steiner in der Maßnahmenvollzugssache betreffend A* B*wegen § 25 Abs 3 StGB und bedingter Entlassung aus der strafrechtlichen Unterbringung gemäß § 21 Abs 2 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 28. August 2025, BE*-13, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
BEGRÜNDUNG:
Der am ** geborene A* B* wurde mit Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 15. März 2006, AZ Hv* (ON 5), wegen mehrerer Verbrechen der Vergewaltigung nach §§ 201 Abs 1, 15 Abs 1 StGB und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach §§ 206 Abs 1, 15 Abs 1 StGB zu einer zweijährigen Freiheitsstrafe verurteilt, wovon ein Strafteil von 18 Monaten gemäß § 43a Abs 3 StGB mit dreijähriger Probezeit bedingt nachgesehen wurde, und nach § 21 Abs 2 StGB (aF) in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Der verhängte sechsmonatige unbedingte Strafteil gilt seit 18. April 2006 als verbüßt (§ 24 StGB). Derzeit wird die Maßnahme der Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum (seit 21. Mai 2024) im FTZ C* vollzogen.
Laut dem Einweisungserkenntnis des Schöffengerichts setzte der damals (noch) 17-jährige B* im Juni und Oktober 2005 insgesamt sechs sexuell motivierte Übergriffe auf fremde Mädchen im Alter zwischen sieben und zehn Jahren, wobei er bei den zur Vollendung gelangten Delikten zwei Mädchen in einen Keller bzw eine Tiefgarage zerrte und dort digital im Vaginalbereich penetrierte (vgl ON 9, 1). Auf Basis des eingeholten psychiatrischen Gutachtens konstatierte das Gericht eine tatkausale geistige oder seelische Abnormität von höherem Grad in Form einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit unsicheren, narzisstischen, schizoiden und impulsiven Anteilen, sowie die hohe Wahrscheinlichkeit neuer (urteilsanaloger) Sexualstraftaten mit schweren Folgen.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 28. August 2025 (ON 13) stellte das Erstgericht im Zuge der amtswegigen jährlichen Überprüfung (§ 25 Abs 3 StGB) nach Einholung einer forensischen Stellungnahme (ON 8), Beischaffung einer Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST) (ON 9), Einholung eines Sachverständigengutachtens (ON 10) und Durchführung einer Anhörung (ON 12) fest, dass die weitere Unterbringung des Betroffenen in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß § 21 Abs 2 StGB notwendig ist.
Die sogleich angemeldete (ON 12, 2) und in der Folge vom Betroffenen selbst ausgeführte Beschwerde (ON 15), welche erkennbar eine abändernde Entscheidung anstrebt, ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 47 Abs 2 StGB setzt eine bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme voraus, dass nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in einer Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen – mit einfacher Wahrscheinlichkeit (OLG Wien 23 Bs 208/24t; Michel-Kwapinski/Oshidari, StGB 15 § 47 Rz 2; Birklbauer , SbgK § 47 Rz 56 mwN) – anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht. Hingegen ist von einem Fortbestehen der Gefährlichkeit, deren Realisierung der Maßnahmenvollzug gerade verhindern soll, dann auszugehen, wenn die der Unterbringung zugrundeliegende Gefährlichkeit weiter vorliegt undsie außerhalb des forensisch-therapeutischen Zentrums („extra muros“) nicht hintangehalten werden kann (14 Os 37/24h; Haslwanterin WK² StGB § 47 Rz 5).
Das Erstgericht hat in seiner Entscheidung den bisherigen Verfahrensablauf aktenkonform wiedergegeben, sodass auf die zutreffende Begründung dieses Beschlusses identifizierend verwiesen wird (RIS-Justiz RS0115236 [T1]; RS0124017 [insb T2]). Zudem hat das Erstgericht die seiner Entscheidung zugrundeliegenden Stellungnahmen (des FTZ C* vom 1. Juli 2025 [ON 8] sowie der BEST vom 9. Juli 2025 [ON 9]) und Expertisen (allen voran das kriminalprognostische Gutachten des Facharztes für Psychiatrie, Prof. Priv. Doz. MMag. DDr. D* vom 21. Juli 2025 [ON 10]) zutreffend, aktenkonform, vorbildhaft ausführlich und vollständig dargestellt und ist solcherart (im Ergebnis daher auch nicht zu kritisieren) zum rechtlichen Schluss gelangt, dass die einweisungsrelevante Gefährlichkeit noch nicht ausreichend abgebaut und die weitere Anhaltung des A* B* in der vorbeugenden Maßnahme gemäß § 21 Abs 2 StGB weiterhin notwendig ist.
Die bei A* B* für die Anlasstaten ursächlich gewesene und auch weiterhin bei ihm vorliegende schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung in der Ausprägung einer Pädophilie (F65.4) sowie einer kombinierten Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen, selbstunsicheren und dissozialen Anteilen (F61) ist auf Basis des schlüssigen Gutachtens vom 21. Juli 2025 (vgl ON 10, 46, 50 und 55) zweifelsfrei zu konstatieren, wobei sich diese Diagnose (seit dem Einweisungsgutachten vom 11. Jänner 2006) an eine Reihe von weiteren Gutachten (s hiezu ON 8, 6 bis 8) nahtlos anfügt, laut denen übereinstimmend eine psychische Störung der Sexualpräferenz diagnostiziert wurde (vgl auch ON 8, 14 f).
Weiters ist auch die vom Erstgericht festgestellte hohe Wahrscheinlichkeit (vgl RIS-Justiz RS0089988), dass der Angehaltene unter dem maßgeblichen Einfluss dieser Störung in absehbarer Zukunft weitere Prognosetaten mit schweren Folgen begehen werde (ON 13, 3 und 7), sowohl in zeitlicher Hinsicht (rasch und jederzeit innerhalb eines Zeitraum von null bis fünf Jahren) als auch in Bezug auf die sachverhaltsmäßige Beschreibung der Prognosetaten (insbesondere Verbrechen der Vergewaltigung und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen) bedenkenlos zu übernehmen, wobei sich diese negative Prognose nachvollziehbar und schlüssig aus den folgenden Verfahrensergebnissen ableitet:
Ungeachtet der (bloß) durchschnittlichen Rückfallwahrscheinlichkeit (vgl ON 8, 16) laut gewissen aktuarischen Prognoseinstrumenten (Static-99; VRAG-R [vgl ON 10, 11 und 39]), der mittleren Ausprägung psychopathischer Persönlichkeitszüge (laut PCL-R [vgl ON 10, 11 und 37]) und der Absolvierung eines umfassenden therapeutischen Programms im bisherigen Vollzugsverlauf gehen die forensischen Dienste in der Stellungnahme vom 1. Juli 2025 mit Blick auf die noch unzureichende – als schwankend bezeichnete – Compliance des Angehalten in Bezug auf Risikomanagementstrategien, insbesondere durch Einzelpsychotherapie und medikamentöse Triebkontrolle, von einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Taten mit schweren Folgen aus (ON 8, 11 und 17). Insofern sei auch das Rückfallrisiko laut ILRV-Risikomatrix bei unkontrollierter Entlassung oder Lockerung als hoch bis sehr hoch zu bewerten (ON 10, 42 f). In diesem Zusammenhang verwies der Sachverständige in seinem Gutachten unter anderem auf die in sich widersprüchliche und instabile Haltung des Beschwerdeführers zu Therapie, Medikation und sozialen Reintegrationsmaßnahmen. Weiters bestünden bei B* nach wie vor kindbezogene sexuelle Fantasien (ON 10, 47). Als zentrales Risikoelement hob der Sachverständige den unklaren und ambivalenten Medikationsverlauf bezüglich der Verabreichung des Depotpräparats Trenantone hervor, zumal der Angehaltene behauptete, dass die Behandlung im Mai 2024 „von oben“ beendet worden sei, wobei es auch zu versäumten Terminen für die Wiederaufnahme der medikamentösen Behandlung gekommen sei (ON 10, 48; vgl auch ON 12, 4). Laut den Forensischen Diensten würde B* zwar die Notwendigkeit der Medikation anerkennen, jedoch deren tatsächliche Einhaltung nicht konsequent verfolgen (ON 10, 49 und 51; ON 8, 14 und 17). Der Vollzugsplan sehe die Abklärung der antiandrogenen Medikation vor, die als conditio sine qua non für einen Gefährlichkeitsabbau betrachtet wird (ON 12, 4). Zudem präsentierte auch die BEST in ihrer Stellungnahme vom 9. Juli 2025 eine deutlich ungünstige Risikoeinschätzung, zumal beim Angehaltenen nur ein oberflächliches Risikomanagement Anwendung finde, was in Hochrisikosituationen keinen belastbaren Schutz biete; im Ergebnis sei von keinen bedeutsamen risikorelevanten Veränderungen auszugehen (ON 9, 3; ON 10, 49).
Schließlich stelle die Kombination einer sexuellen Devianz mit einer strukturell gestörten Impulskontrolle und Affektregulation laut Gutachten eine hochrisikogene Konstellation beim Angehaltenen dar (ON 10, 50). Die vom Sachverständigen attestierte hohe spezifische Rückfallwahrscheinlichkeit wurde auf multiple, im Gutachten gut nachvollziehbar dargestellte Risikofaktoren (pädosexuelle Fantasien, brüchige Medikations-Compliance, defizitäre soziale Kontrollmechanismen, Belastungsintoleranz, Passivität sowie geringe Selbststeuerung in Kombination mit einer devianten Sexualstruktur) gegründet (ON 10, 51). Es sei von keiner ausreichend stabilen strukturellen Veränderung wesentlicher Kernbereiche (Sexualstruktur, Persönlichkeit, psychosoziale Integration und Kontrollstruktur) auszugehen.
Im Ergebnis erweist sich der im Einklang mit der Einschätzung der Maßnahmeneinrichtung und der BEST stehende Schluss des Sachverständigen auf eine ungünstige Gefährlichkeitsprognose aus klinischer Sicht aufgrund strukturell persistenter Risikokonstellation (ON 10, 55) als hoch fundiert und frei von jeglichen Zweifeln.
Warum die bestehende Gefährlichkeit – weiterhin – auch durch Maßnahmen iSd §§ 50 bis 52 StGB außerhalb des forensisch-therapeutischen Zentrums nicht hintangehalten werden kann, hat der Sachverständige ebenfalls anschaulich und stichhaltig begründet (ON 10, 53 f). Da die Risikofaktoren beim Angehaltenen in der Persönlichkeitsstruktur und sexuellen Orientierung tief verankert seien, bilde gerade die engmaschige Betreuung samt therapeutischem Kontakt in der Maßnahmeneinrichtung den einzigen stabilisierenden Faktor; eine Überführung in ein weniger geschütztes Setting wäre derzeit nicht vertretbar. Dies resultiere aus Rückschritten in der Compliance, Ambivalenz gegenüber therapeutischen Maßnahmen und fehlenden belastbaren Außenstrukturen (ON 10, 56), was insbesondere auch dadurch verdeutlicht wird, dass beim Angehaltenen die geplante Phase begleiteter Lockerungen bislang nicht realisiert werden konnte, da sich B* „nicht belastbar“ zeige und beispielsweise auf die Verlegung in ein „Mehrmannzimmer“ im Zuge des Probewohnens mit Panikreaktionen reagiert habe (ON 10, 48). Dass Vollzugslockerungen zwischenzeitig wegen zu großer Bedenken beendet wurden (ON 12, 2), spricht für sich.
Gegen diese Einschätzung der derzeitigen Nichtsubstituierbarkeit des intramuralen Maßnahmenvollzugs, welcher laut Gutachter zwingend erforderlich bzw alternativlos sei (ON 10, 58), gibt die Beschwerde keine stichhaltigen Argumente an die Hand.
Soweit der Beschwerdeführer – unter Hinweis auf seine bisherigen Bemühungen während des knapp 20-jährigen Maßnahmenvollzugs – die Unverhältnismäßigkeit der weiteren Unterbringung thematisiert, ist er darauf zu verweisen, dass sich der Gesetzgeber mit Blick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit bewusst mit der genauen Klarstellung der Voraussetzungen für Anordnung und Verbleib in der Maßnahme begnügt (vgl hiezu Haslwanterin WK² StGB Vor §§ 21-25 Rz 6). Um die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme auch nach deren Anordnung sicherzustellen, sieht § 25 Abs 3 StGB feste Mindestintervalle für die Prüfung vor, ob die Unterbringung noch notwendig ist. Ansonsten sind die Voraussetzungen abschließend in § 47 Abs 2 StGB geregelt.
Schließlich ist auch die Kritik am Gutachten des zuletzt beigezogenen Sachverständigen nicht geeignet, die Befundaufnahme samt Schlussfolgerungen in relevanter Weise in Frage zu stellen.
Aus welchen – nicht vom Beschwerdeführer selbst zu verantwortenden – Gründen dessen Äußerungen im Zuge der Exploration nicht stimmen würden, weil diese im Wege einer Videokonferenz durchgeführt worden sei, legt die Beschwerde nicht nachvollziehbar dar. Der Sachverständige konnte anhand des „fachexplorativen Gesprächs“ (samt psychodiagnostischer Untersuchung und spontaner Interaktionsbeobachtung; vgl ON 10, 8) einen entsprechenden Gesamteindruck (vgl ON 10, 25 ff, 28) anschaulich darstellen. Inwieweit die persönliche Befundaufnahme mit dem Probanden erforderlich ist, obliegt allein der Einschätzung und Expertise des Sachverständigen, der fallkonkret den Gesprächskontakt zweifelsfrei als ausreichend empfunden hat.
Dass wichtige Tests entweder nicht gemacht worden seien oder die Ergebnisse fehlen würden, erschöpft sich in einer bloßen Behauptung des Beschwerdeführers. Durch den Gutachter wurden jedenfalls spezielle Befundungssysteme (AMDP-System, IDCL-P Checkliste, PCL nach Hare [ON 10, 30 ff]) und Instrumente zur Einschätzung des Rückfallrisikos (SORAG, VRAG-R, ILRV [ON 10, 38 ff]) berücksichtigt (vgl Ergebnisse per 17. Juni 2025 in ON 8, 19 ff).
Zu den monierten Stellungnahmen durch die Therapeutin E* geht aus dem Gutachten hervor, dass der Angehaltene laut einer Äußerung vom 27. Juni 2025 (ON 10, 8) grundsätzlich therapiebereit sei, jedoch mit Einschränkungen in der emotionalen Verarbeitung deliktsrelevanter Inhalte und in der nachhaltigen Risikosteuerung; der Therapieprozess befinde sich in einer Phase oberflächlicher Stabilisierung ohne fundierten strukturellen Wandel (ON 10, 23 f). Diese Äußerung offenbare bezüglich der kognitiven Reflexion laut Gutachten Skepsis im Hinblick auf die Umsetzung in deliktsrelevanten Alltagssituationen (ON 10, 51). Die sonstigen getroffenen Aussagen sind hingegen auf Schilderungen des Beschwerdeführers selbst zurückgeführt worden (vgl ON 10, 26 [„… laut Herrn B* …“]; ON 10, 28 [„Ihr Evaluationsbericht fiel laut B* jedoch eher zurückhaltend aus“]). Wie es dem Sachverständigen möglich sein sollte, ohne Einverständnis an eine (spezifische) Äußerung der Therapeutin E* zu gelangen, erschöpft sich in einer nicht nachvollziehbaren bloßen Behauptung. Im Übrigen erweist sich die inhaltliche Darstellung auch konsistent, zumal die Psychotherapeutin im Zuge des letzten Evaluationsgesprächs vom 30. Juni 2025 den Angehaltenen kritisch gesehen habe, insbesondere mit Blick auf einen unbegleiteten Therapiegang (vgl ON 12, 4).
Die Bekundungen des Beschwerdeführers bezüglich absolvierter Therapien, seines Risikobewusstseins und seiner Medikationsbereitschaft spiegelt im wesentlichen den bestehenden Befund wieder, wonach dem Angehaltenen eine entsprechende Absichtsbildung (samt stabiler Veränderungsmotivation) nicht abgesprochen wurde (ON 8, 11 ff; ON 9, 3; ON 12, 4). Nichtsdestotrotz sind derzeit ausreichend konkrete Verhaltensänderungen des noch mitten im therapeutischen Prozess stehenden Angehaltenen nicht fassbar.
Der Beschwerde war daher ein Erfolg zu versagen. Es wird am Beschwerdeführer liegen, den für seine Person erforderlichen weiteren Therapieprozess zuzulassen und dadurch den im Gutachten aufgestellten Voraussetzungen (insbesondere in Bezug auf stabile Depotmedikation und soziale Eingliederung) gerecht zu werden.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).