9Bs159/25h – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr Engljähringer als Vorsitzende und Mag Kuranda und den Richter Mag Huemer-Steiner in der Maßnahmenvollzugssache des A*wegen § 25 Abs 3 StGB und bedingter Entlassung über die Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 26. Juni 2025, BE*-13, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird Folge gegeben; der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Sache wird an das Erstgericht zu neuer Entscheidung nach Verfahrensergänzung verwiesen.
Text
Begründung:
Über A* wurde mit Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 25. Juni 2024, Hv*-67, rechtskräftig (vgl dort ON 78 und ON 84.4) wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 3 StGB und mehrerer Vergehen (§ 107 Abs 1 StGB; § 50 Abs 1 Z 3 WaffG; § 125 StGB) eine unbedingte 15-monatige Freiheitsstrafe verhängt; überdies wurde aus Anlass der erstgenannten Tat seine strafrechtliche Unterbringung in einem forensisch-therapeutischen Zentrum nach § 21 Abs 2 StGB angeordnet. Die Freiheitsstrafe ist seit 21. Mai 2025 im Weg der Vikariierung verbüßt. Seit 19. März 2025 wird die Maßnahme im FTZ B* vollzogen (ON 3, 1; LG Salzburg Hv*-94 und -95.1).
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 26. Juni 2025 (ON 13) stellte das Erstgericht nach Einholung einer Strafregisterauskunft (ON 5), einer forensischen Stellungnahme des FTZB* vom 28. März 2025 (ON 6) und einer Stellungnahme des Psychologischen Diensts der JA C* vom 14. März 2025 (ON 7), welche dort der Prüfung einer bedingten Entlassung des Verurteilten aus der erwähnten Freiheitsstrafe gedient hatte, sowie Durchführung einer Anhörung (ON 12) die Notwendigkeit der weiteren Unterbringung des A* in einem forensisch-therapeutischen Zentrum fest und wies dessen Antrag auf bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug ab.
Dagegen wendet sich die Beschwerde des Betroffenen (ON 15). Sie macht mit Erfolg geltend, dass es vor neuerlicher Beschlussfassung zunächst noch der Verbreiterung der Entscheidungsgrundlagen durch das Erstgericht bedarf (§ 89 Abs 2a Z 3 StPO).
Rechtliche Beurteilung
Vorbeugende Maßnahmen sind auf unbestimmte Zeit anzuordnen und solange zu vollziehen, wie es ihr Zweck erfordert (§ 25 Abs 1 StGB). Die bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme ist zu verfügen, wenn nach der Aufführung und der Entwicklung des Angeklagten in der Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und nach seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen (mit einfacher Wahrscheinlichkeit: OLG Wien 23 Bs 208/24t mN; Birklbauer SbgK § 47 Rz 56; Leukauf/Steininger/ Tipold StGB 4§ 47 Rz 2) anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht (§ 47 Abs 2 StGB). Hingegen ist von einem – in einem abweislichen Beschluss durch entsprechende Sachverhaltsannahmen zu unterfütternden – Fortbestehen der Gefährlichkeit, deren Realisierung der Maßnahmenvollzug gerade verhindern soll, dann auszugehen, wenn die der Unterbringung zugrunde liegende Gefährlichkeit weiter vorliegt und sie außerhalb des forensisch-therapeutischen Zentrums („extra muros“) nicht hintangehalten werden kann (14 Os 37/24h; 13 Os 116/24v; Haslwanterin WK² StGB § 47 Rz 5 und Rz 10). Die spezifische Gefährlichkeit besteht im hier vorliegenden Fall einer Anlasstat, die – entgegen der offenkundigen Auffassung des Beschwerdeführers (ON 15, 5 f) – mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe bedroht ist (vgl § 21 Abs 3 StGB), in der Befürchtung (im Sinn hoher Wahrscheinlichkeit: HaslwanterVor §§ 21–25 Rz 4 mwH; RIS-Justiz RS0089988 [T7]), dass der Untergebrachte sonst in absehbarer Zukunft unter dem maßgeblichen Einfluss seiner schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störung eine mit Strafe bedrohte Handlung mit schweren Folgen (§ 21 Abs 1 StGB) begehen werde (14 Os 37/24h [Rz 6 f] mwN = EvBl 2025/25, Ś widerski ).
Mit Fug kritisiert der Rechtsmittelwerber, dass das bislang aktenkundige Entscheidungssubstrat eine Ablehnung der bedingten Entlassung nicht zu tragen vermag. Zwar deuten die Beweisergebnisse aus dem Erkenntnisverfahren (vgl LG Salzburg Hv*-67), allem voran die seinerzeitigen Einschätzungen der psychiatrischen Sachverständigen zur (Einweisungs-)Diagnose einer schweren kombinierten Persönlichkeitsstörung mit Elementen einer emotional-instabilen und einer dissozialen Persönlichkeitsstörung (F61) sowie einer Psychischen und Verhaltensstörung durch Alkohol (F10.21), Cannabinoide (F12.21) und Stimulanzien (F15.21), welche mit sozialer Fehlanpassung, Kritikschwäche, Wesensvergröberung, verminderter Impulskontrolle, erhöhtem Aggressionspotenzial einhergeht (LG Salzburg Hv*-31.1, 35 und -66, 9 f), außerdem zur gesteigerten Wahrscheinlichkeit der Begehung von Prognosetaten, vergleichbar der einweisungskausalen, also schwerer Nötigungen vorrangig seinen nahen Familienangehörigen gegenüber (LG Salzburg Hv*-31.1, 37 und 66, 12 f), und zur fehlenden Substituierbarkeit der stationären Unterbringung (LG Salzburg Hv*-31.1, 30 ff und66, 13 f) vor dem Hintergrund schädlichen Gebrauchs illegaler Substanzen seit dem Jugendalter des (** geborenen) Betroffenen, wiederholter stationärer Behandlungen an der psychiatrischen Abteilung der D* (LG Salzburg Hv*-31.1, 34 f), fünf einschlägiger Vorstrafen wegen Körperverletzungs-, Freiheits-, Waffen- und Aggressionsdelikten (vgl ON 5) und zuletzt wiederum abgeurteilter Mehrfachdelinquenz (LG Salzburg Hv*-67), mangelnder Paktfähigkeit bei in früheren Verfahren auferlegten Therapie- und Alkoholkarenz-Weisungen, hoher statistischer Rückfallwahrscheinlichkeit, bislang nur eingeschränkter Krankheitseinsicht, fehlenden schutzgebenden sozialen Empfangsraums sowie intensiven Behandlungs- und Betreuungsbedarfs (LG Salzburg Hv*-66, 10 ff; dazu auch die ausführliche Stellungnahme der Clearingstelle für den Maßnahmenvollzug gemäß § 21 Abs 2 StGB der Generaldirektion für den Strafvollzug und den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen beim Bundesministerium für Justiz vom 31. März 2025 [./ Personalakt]), welcher während des vorangegangenen Aufenthalts des Betroffenen in der JA C* allein durch seine Teilnahme an einer Alkoholgruppe aufgefangen wurde (ON 6, 5; ON 7), nach forensischer Erfahrung nicht gesteigert darauf hin, dass der, der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Gefährlichkeit des Beschwerdeführers schon zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch ohne Fortsetzung der (stationären) Anhaltung, also „extra muros“ wirksam begegnet werden könnte. Anderseits hatte die Gutachterin zuletzt vor mehr als einem Jahr in der Hauptverhandlung am 25. Juni 2024 festgehalten (LG Salzburg Hv*-66, 13), dass der Betroffene in Bezug auf den Verlauf seiner psychischen Störung vom Setting seiner bis dahin etwa viermonatigen (vgl ON 3.1) Untersuchungshaft gesundheitlich bereits deutlich profitiert habe; unwahrscheinlich sei jedoch, dass er die bis dahin erreichte psychische Stabilität ohne eine intensive therapeutische Begleitung und sozialpädagogische Betreuung in das „freie Leben“ weitertragen könne, weil eine wirklich tiefgreifende Auseinandersetzung des Betroffenen mit seiner Problematik und seinen Defiziten nach dem Dafürhalten der Sachverständigen noch nicht ausreichend stattgefunden habe; dies werde noch eine Zeit lang benötigen, wobei an positiven Prognosefaktoren die in Ansätzen gegebene Krankheits- und Deliktseinsicht sowie die Möglichkeiten einer Besserung durch eine entsprechende Behandlung in Anschlag zu bringen seien (LG Salzburg Hv*-66, 12 ff).
In dem Licht bedürfte es aber mit der insoweit berechtigten Beschwerdekritik für die Annahme hoher Wahrscheinlichkeit, dass die spezifische Gefährlichkeit des Betroffenen weiter bestehe, eines gehaltvolleren aktuellen Sachverhaltssubstrats als des Hinweises auf eine drei Monate zurückliegende forensische Stellungnahme der Anstalt, die aufgrund des damals erst neuntägigen Aufenthalts des Rechtsmittelwerbers noch keine eigenständige kriminalprognostische Einschätzung treffen konnte, jedoch auf einen für 22. April 2025 geplanten Termin des Zugangsfachteams verwies, an welchem der weitere Vollzugsplan festgelegt werden sollte (ON 6, 5). Ob dieses mittlerweile offenkundig ausgearbeitete Programm einschließlich der Perspektive künftiger Substituierbarkeit der Maßnahme in der Anhörung am 26. Juni 2025 thematisiert wurde, entzieht sich nach dem Protokoll, das entgegen § 96 Abs 1 Z 3 StPO den Inhalt weder der Aussage der anwesenden Auskunftsperson des FTZ B* noch der Äußerung des Betroffenen wiedergibt (ON 12, 2), der Kenntnis des Beschwerdegerichts.
Eine Ergänzung der Faktenbasis vor neuerlicher Entscheidung über eine bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug erweist sich damit als unumgänglich.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht kein weiteres Rechtsmittel zu.