12Ra32/25z – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. und Dr. Dieter Weiß als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Helmut Mitter, BSc (Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Knoll (Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, **, vertreten durch Dr. Maximilian Hofmaninger, Rechtsanwalt in Vöcklabruck, gegen die beklagte Partei B* C* AG , **, **platz **, vertreten durch die Posch, Schausberger Lutz Rechtsanwälte GmbH in Wels, wegen EUR 526,88 brutto sA , über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 20. März 2025, Cga*-20, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Berufung wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit EUR 440,59 (darin EUR 73,43 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin war im Zeitraum von 7. Oktober 2019 bis 30. April 2023 als Post- und Paketzustellerin bei der Beklagten beschäftigt. Aus gesundheitlichen Gründen erfolgte eine einvernehmliche Auflösung des Dienstverhältnisses, auf welches der Kollektivvertrag für Bedienstete der D* C* AG Anwendung findet.
Am 25. Mai 2023 erhielt die Beklagte eine Endabrechnung; darin ist unter der Bezeichnung „Rückverrechnung Ist-Zeit“ ein Abzug von EUR 526,88 ausgewiesen.
Mit Klage vom 4. September 2024 begehrte die Klägerin die Zahlung dieses Betrags. Zusammengefasst brachte sie vor, dass der Abzug zu Unrecht erfolgt sei und die Forderung im Auftrag und mit Vollmacht der Klägerin in betriebsüblicher Form von der Personalvertretung rechtzeitig binnen der kollektivvertraglichen Frist von drei Monaten – dem Schriftformgebot entsprechend mittels E-Mail – gegenüber der Beklagten geltend gemacht worden sei. Der Einwand des Verfalls widerspreche Treu und Glauben und sei sittenwidrig. Im Übrigen habe es einer außergerichtlichen Geltendmachung gar nicht bedurft, da der Entgeltanspruch der Klägerin bereits Bestandteil der von der Beklagten erstellten Lohnabrechnung gewesen sei.
Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte ein, dass gemäß dem anzuwendenden Kollektivvertrag (Punkt IV. Verfalls- und Verjährungsfristen) der von der Klägerin erhobene Anspruch nicht schriftlich dem Grunde nach geltend gemacht worden und somit spätestens Ende August verfallen sei. Eine Geltendmachung per E-Mail erfülle nicht das geforderte Schriftlichkeitserfordernis. Personalvertreter bzw Betriebsräte seien der Beklagten nicht zuzurechnen.
Mit dem angefochtenen Urteilwies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Seiner Entscheidung legte es den auf den Seiten 3 bis 6 festgestellten Sachverhalt zugrunde, auf den gemäß § 500a ZPO verwiesen wird. Für das Berufungsverfahren sind folgende (zusammengefassten) Feststellungen wesentlich:
Nachdem der Klägerin der Abzug aufgefallen war, wandte sie sich noch am 25. Mai 2023 zunächst telefonisch an den für ihre ehemalige Zustellbasis zuständigen Personalvertreter und übermittelte ihm sodann per WhatsApp ein Foto der Abrechnung mit der Nachricht, dass sie die Teuerungsprämie bekommen habe, jedoch die Minusstunden abgerechnet worden seien, und der Frage, was sie unternehmen könne. Die Klägerin ersuchte und bevollmächtigte den Personalvertreter den Betrag von EUR 526,88 für sie geltend zu machen. Noch am selben Tag schickte dieser ein E-Mail an jenes Mitglied im Zentralausschuss, welches für den Bereich Distribution zuständig war und ersuchte um Klärung der Angelegenheit mit dem Divisionsleiter der E* und Geschäftsführer. Das Zentralausschussmitglied meldete sich noch am selben Tag zurück und bestätigte die Weiterleitung des Anliegens. Dies hatte er – wie üblich – mündlich erledigt. Am 20. Juni, 28. September und 6. November 2023 urgierte der Personalvertreter per E-Mail die Angelegenheit beim Zentralausschussmitglied, welches am 7. November 2023 an den Divisionsleiter – mit dem Betreff „Rückverrechnung IST-Zeit“ unter Anführung des Namens und der Personalnummer der Klägerin – schrieb, dass die Causa doch abgeschlossen werden sollte. Am 9. November 2023 antwortete der Divisionsleiter, dass eine Rückverrechnung des Abzugs nicht möglich sei.
Darüber hinaus gab es in dieser Angelegenheit bis November 2023 keinen Schriftverkehr.
Es war nicht unüblich, dass sich Mitarbeiter der Beklagten an die Personalvertreter wandten und diese die Personalanliegen an die zuständigen Stellen weiterleiteten. Die Kommunikation zwischen Personalvertreter und den zuständigen Stellen erfolgte in der Regel mündlich bei regelmäßigen Jours fixes. Es gab bis zu diesem Gerichtsverfahren noch keinen Einwand gegen diese Formen der Weiterleitung.
Auch mit dem für die Entscheidung der Auszahlung zuständigen Chef des Personalamts wurde überwiegend mündlich bei diesen Terminen kommuniziert. Dem Geschäftsführer/Divisionsleiter und den befassten Personalvertretern war die kollektivvertragliche Verfallsbestimmung nicht bekannt.
In rechtlicher Hinsicht gelangte das Erstgericht zum Ergebnis, dass dem Kollektivvertrag entsprechend Ansprüche von Mitarbeitern bei sonstigem Verfall innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich dem Grunde nach geltend zu machen seien, was auch bei einer Rückverrechnung gelte. Das kollektivvertragliche Schriftformgebot sei zwar nicht iSd § 886 ABGB zu verstehen und bedeute Schriftlichkeit nicht Unterschriftlichkeit; eine schriftliche Geltendmachung gegenüber einem der Beklagten zurechenbaren Organ sei jedoch erst mit E-Mail vom 7. November 2023 erfolgt und somit nicht binnen der dreimonatigen Verfallsfrist. Auf eine betriebliche Übung könne es nicht ankommen, würde doch damit die Anwendbarkeit dieser Kollektivvertragsbestimmung ausgehebelt werden.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem auf eine Klagsstattgabe gerichteten Abänderungsantrag; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung die Bestätigung des Ersturteils.
Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .
Rechtliche Beurteilung
1 Im Berufungsverfahren ist lediglich strittig, ob der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch im Sinne der Bestimmungen des Kollektivvertrags für Bedienstete der D* C* AG als verfallen anzusehen ist. Die anzuwendenden „Verfalls- und Verjährungsbestimmungen“ (3. Teil IV.) lauten:
Soweit in diesem Kollektivvertrag nicht anders geregelt, sind Ansprüche des Arbeitgebers/der Arbeitgeberin sowie des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin bei sonstigem Verfall innerhalb von 3 Monaten nach Fälligkeit schriftlich dem Grunde nach geltend zu machen. Bei rechtzeitiger Geltendmachung bleibt die gesetzliche Verjährungsfrist gewahrt.
2Kollektivvertragliche oder einzelvertragliche Ausschlussfristen, die eine Verkürzung der Verjährungsfrist auch für nach dem Gesetz unabdingbare Ansprüche vorsehen, sind nach ständiger Rechtsprechung grundsätzlich zulässig (RIS-Justiz RS0034517). Verfallsfristen von drei bzw vier Monaten sind in Kollektivverträgen durchaus üblich und werden nicht nur von den Kollektivvertragsparteien, sondern auch von der Rechtsprechung akzeptiert (OGH 9 ObA 136/17s [Pkt 1.] mwN). Verfallsklauseln haben nicht nur den Zweck, dem Beweisnotstand zu begegnen, in welchem sich der Arbeitgeber bei verspäteter Geltendmachung befinden würde, sondern auch für eine möglichst rasche Bereinigung offener Ansprüche zu sorgen. Der Zweck der kollektivvertraglichen Verfallsbestimmungen besteht (auch) in der Klarstellung der offenen Ansprüche der Arbeitnehmer (OGH 9 ObA 134/21b [Rz 2] mwN). Die rasche Klarstellung, welche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis strittig sind, ist dann nicht erforderlich, wenn der Dienstgeber selbst zum Ausdruck brachte, dass ein bestimmter Anspruch dem Arbeitnehmer zustehe (OGH 8 ObA 34/07v, vgl auch 9 ObA 91/07h). Das ist etwa dann der Fall, wenn die Entgeltansprüche des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber rechnerisch richtig in die Lohnabrechnung aufgenommen wurden (vgl OGH 9 ObA 134/21b [Rz 5] mwN).
2.1 Dies trifft gegenständlich aber nicht zu; durch den in der Endabrechnung offengelegten Abzug gab die Beklagte klar zu erkennen, dass sie den Entgeltanspruch „Ist-Zeit“ der Klägerin in diesem Umfang nicht anerkennt bzw für unberechtigt hält. Damit ist dem Argument der Klägerin, der geltend gemachte Geldanspruch sei ein in der Gehaltsbestätigung Mai 2023 enthaltener Bruttobetrag und bedürfe keiner außergerichtlichen Geltendmachung, der Boden entzogen. Rechtlich macht es – entgegen der Ansicht der Klägerin – daher sehr wohl einen Unterschied, ob ein (Brutto-)Abzug erfolgt oder der Arbeitgeber einen in der Lohnabrechnung ausgewiesenen und insofern als unstrittig anzusehenden Nettobetrag nicht ausbezahlt.
2.2 Die Behauptung, dass der Gehaltsabrechnung nicht zu entnehmen sei, von welcher Position der Bruttoabzug erfolgt sei, ist aufgrund der detaillierten erstgerichtlichen Feststellungen zur Endabrechnung nicht nachvollziehbar.
2.3 Auf Basis der ausgehändigten Gehaltsbestätigung Mai 2023, welche einen Bruttoabzug für „Ist-Zeit“ ausweist, bedarf es daher einer außergerichtlichen schriftlichen Geltendmachung der Ansprüche binnen drei Monaten nach Fälligkeit im Sinne der kollektivvertraglichen Bestimmungen.
3 Im Berufungsverfahren zieht die Klägerin nicht (mehr) in Zweifel, dass eine rechtzeitige schriftliche Geltendmachung gegenständlich nicht vorliegt. Sie vertritt jedoch die Ansicht, dass ihre Forderung innerhalb der Verfallsfrist der Beklagten in mündlicher und damit betriebsüblicher Form durch die Personalvertretung zur Kenntnis gebracht worden sei, der Einwand des Verfalls gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoße und zweifellos von Vergleichsgesprächen auszugehen sei.
3.1Die Beklagte stützt ihren Verfallseinwand auf eine kollektivvertragliche Bestimmung. Dem hält die Berufung eine betriebliche Übung entgegen, welche für sich genommen jedoch keine eigene Rechtsquelle darstellt, sondern allenfalls zum Inhalt der einzelnen Arbeitsverträge wird (vgl RIS-Justiz RS0014539 [T21], RS0014543; Löschnigg , Arbeitsrecht 14Rz 6/227). Für das Entstehen eines vertraglichen Anspruchs auf Grund einer Betriebsübung ist entscheidend, welchen Eindruck die Arbeitnehmer bei sorgfältiger Überlegung von dem schlüssigen Erklärungsverhalten des Arbeitgebers haben durften (RIS-Justiz RS0014489).
3.2 Dass sich Arbeitnehmer an Personalvertreter wenden und diese Personalanliegen an die zuständigen Stellen weiterleiten, liegt grundsätzlich in der Natur der Sache. Dieser Umstand und die Tatsache, dass die Kommunikation in der Regel mündlich erfolgte, lassen aber keinen Erklärungswillen der Beklagten dahingehend erkennen, von den kollektivvertraglichen Bestimmungen abweichen zu wollen, hat sie diese doch selbst als Arbeitgeberin ausverhandelt.
3.3Unter diesem Gesichtspunkt verstößt die Beklagte mit dem Einwand des Verfalls nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben. Zudem legte die Beklagte grundsätzlich eine ordnungsgemäße Abrechnung vor und lässt sich auf Basis der erstgerichtlichen Feststellungen auch kein Verhalten der Beklagten erkennen, welches die rechtzeitige schriftliche Geltendmachung der Ansprüche der Klägerin erschwert oder praktisch unmöglich gemacht hätte (vgl RIS-Justiz RS0034487 [T1, T8, T10]). Die Unkenntnis der in Vertretung der Klägerin einschreitenden Personalvertreter von der kollektivvertraglichen Verfallsfrist kann nicht der Beklagten angelastet werden.
3.4Dass die Verfallsfrist durch Vergleichsverhandlungen gehemmt worden sei, behauptete die Klägerin in erster Instanz nicht, sodass sie mit diesem Berufungsvorbringen gegen das Neuerungsverbot verstößt. Den erstgerichtlichen Feststellungen kann aber auch nicht entnommen werden, dass Gespräche über den Anspruch der Klägerin geführt wurden, sondern leitete das Mitglied des Zentralausschusses das Anliegen noch am 25. Mai 2023 mündlich weiter. Danach urgierte der Personalvertreter mehrmals schriftlich beim Mitglied des Zentralausschusses, welches selbst mit E-Mail vom 7. November 2023 beim Divisionsleiter nachfragte. Von Verhandlungen in Richtung eines beiderseitigen, einverständlichen Nachgebens (vgl RIS-Justiz RS0032681) kann daher keine Rede sein. Vielmehr lehnte die Beklagte die Forderung der Klägerin mit E-Mail vom 9. November 2023 ab und nahm dazu nicht sachlich Stellung; wechselseitig wurden also keine Vergleichsvorschläge unterbreitet (vgl Dehn in KBB 7 § 1494 Rz 6 mwN).
4Aus den dargelegten Gründen war der Berufung keine Folge zu geben und somit kann dahingestellt bleiben, ob das im Kollektivvertrag vorgesehene Formgebot der Schriftlichkeit iS einer Unterschriftlichkeit gemäß § 886 ABGB zu verstehen ist oder nicht.
5Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 50, 41 ZPO.
6Die ordentliche Revision gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig. Zum Verfall bzw zum Lauf der Verfallsfrist konnte auf die zitierte Rechtsprechung zurückgegriffen werden.