JudikaturOLG Linz

12Rs56/25d – OLG Linz Entscheidung

Entscheidung
03. Juli 2025

Kopf

Das Oberlandesgericht Linz hat als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch die Senatspräsidentin Dr. Barbara Jäger als Vorsitzende, Mag. Nikolaus Steininger, LL.M. und Dr. Dieter Weiß als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Bernhard Kreutzer, MBA (Kreis der Arbeitgeber) und Martin Gstöttner (Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A* , geboren am **, **, **, (nunmehr) vertreten durch Dr. Longin Josef Kempf und Dr. Josef Maier, Rechtsanwälte in Peuerbach, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt , 1100 Wien, Vienna Twin Towers, Wienerbergstraße 11, vertreten durch deren Angestellten Mag. B*, Landesstelle **, wegen Versehrtenrente , über die Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits- und Sozialgericht vom 27. Februar 2025, Cgs*-14, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten des Berufungsverfahrens selbst zu tragen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Als Mitglied der freiwilligen Feuerwehr nahm der Kläger am 28. Oktober 2023 an einer Übung teil. Es sollte ein Verletzter mittels Schaufeltrage aus einem Silo geborgen werden. Dabei stützte sich der Kläger mit der linken Hand am Rahmen der Silotüre ab und ergriff mit der rechten Hand die Trage. Beim Hochheben verspürte der Kläger einen plötzlichen Schmerz im Bereich der linken Schulter.

Mit Bescheid vom 29. Juli 2024 sprach die Beklagte aus, dass das Ereignis vom 28. Oktober 2023 nicht als Arbeitsunfall anerkannt werde und kein Anspruch auf Leistungen aus der Unfallversicherung bestehe.

Dagegen richtet sich die rechtzeitige Klage mit dem (erkennbaren) Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß.

Die Beklagte bestritt, beantragte Klagsabweisung und wandte im Wesentlichen ein, dass es bereits an einem (traumatischen) Unfallereignis fehle. Zudem hätten bereits vor der Feuerwehrübung ausgeprägte degenerative Veränderungen im Bereich des linken Schultergelenks bestanden. Das Ereignis vom 28. Oktober 2023 sei für die Verletzung im Bereich des linken Schultergelenks allenfalls auslösend bzw mitauslösend gewesen, jedoch nicht ursächlich. Andere alltägliche Ereignisse hätten innerhalb eines Jahres denselben Leidenszustand verursachen können.

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Erstgericht die Klage ab. Seiner Entscheidung legte es neben den eingangs wiedergegebenen Feststellungen folgenden Sachverhalt zugrunde:

Die Bewegungen liefen ganz normal, willkürlich geplant und ohne abweichendes Verhalten wie zB ruckartige Bewegungsabläufe ab. Es kam auch zu keiner außergewöhnlichen Belastung .

In der Folge wurde beim Kläger an der linken Schulter eine Komplettruptur der Sehne des Obergrätenmuskels, ein Teileinriss des Untergrätenmuskels, ein Teileinriss der Sehne des Unterschulterblattmuskels sowie eine Schultergelenksarthrose diagnostiziert. Diese veränderten anatomischen Verhältnisse wurden jedoch nicht durch den Vorfall vom 28. Oktober 2023 verursacht, sondern bestanden schon zuvor.

Der Hebevorgang führte lediglich zu einer schmerzhaften Aktivierung; auch durch andere bloß im Alltag vorkommende Ereignisse wie zB das plötzliche Hochheben von mittelschweren und schweren Gegenständen, das vermehrte Überkopfarbeiten oder abrupte Bewegungen hätten innerhalb eines Jahres denselben Leidenszustand verursacht. Die Degenerationen des Klägers können als altersgemäß eingestuft werden.

In rechtlicher Hinsicht kam das Erstgericht zum Ergebnis, dass ein Unfall im Sinne eines plötzlichen, unerwarteten und zumeist von außen auf den Körper wirkenden Ereignisses, das eine körperliche Schädigung zur Folge habe, nicht vorliege. Zudem seien vorbestehende degenerative Veränderungen wesentliche Schadensursache gewesen und hätten auch im Alltag vorkommende Bewegungen in naher Zukunft zum selben Ergebnis geführt.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers aus den Berufungsgründen der unrichtigen Tatsachenfeststellung aufgrund unrichtiger Beweiswürdigung sowie der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, dem Klagebegehren stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die Beklagte beantragt in ihrer Berufungsbeantwortung, der Berufung keine Folge zu geben.

Die gemäß § 480 Abs 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zu behandelnde Berufung ist nicht berechtigt .

Rechtliche Beurteilung

1 Die Berufung bekämpft die oben kursiv wiedergegebenen erstgerichtlichen Feststellungen und begehrt (zusammengefasst) die Ersatzfeststellungen, dass es zu einer außergewöhnlichen Belastung gekommen sei, die Verletzungen im Bereich der linken Schulter ausschließlich auf den Vorfall zurückzuführen seien und nicht auch andere bloß im Alltag vorkommende Ereignisse innerhalb eines Jahres denselben Leidenszustand verursacht hätten.

1.1 Die von der Berufung gegen die Richtigkeit der bekämpften Feststellungen des Erstgerichts vorgebrachten Bedenken vermögen nicht zu überzeugen:

1.2 Die Fragen zum Vorliegen einer allfälligen körperlichen Überbelastung, zur Ursache der Verletzungen und ob auch andere bloß im Alltag vorkommende Ereignisse innerhalb eines Jahres denselben Leidenszustand verursacht hätten, stellen medizinische Fachfragen dar, die nicht durch Parteienvernehmung zu klären sind, sondern durch Sachverständige (vgl Neumayrin ZellKomm³ § 75 ASGG Rz 8 mwN).

1.3 Der vom Erstgericht bestellte orthopädische Sachverständige nahm zu den an ihn gerichteten Fragen Stellung. Der Hinweis in der Beweisrüge, dass der Kläger vor dem Ereignis am 28. Oktober 2023 keine Beschwerden verspürt habe, es zu keinen Vorunfällen gekommen sei und die gutachterlichen Ausführungen im Widerspruch zur nachvollziehbaren Aussage des Klägers stehen würden, ohne dazu stichhaltige medizinische Argumente anzuführen, vermag das Sachverständigengutachten nicht zu entkräften.

Der Umstand, dass die Übungssituation für den Kläger eine hohe Belastung darstellte, bedeutet noch nicht, dass eine körperliche Überbelastung vorlag, die zu den Sehnenverletzungen im Bereich der linken Schulter führte. Offenkundig ist, dass vollständig gesunde Sehnen höchstens bei maximaler Überbelastung reißen. Die Ausführungen des Sachverständigen, dass das Manöver des Abstützens gegen einen Türrahmen kein geeignetes biomechanisches Kraftmoment darstelle, um eine Sehne der Rotatorenmanschette in gegenständlicher Art und Weise zu verletzen, sind daher auch nachvollziehbar.

Die unbekämpft gebliebenen Feststellungen zur konkreten Übungssituation sind so zu verstehen, dass sich der Kläger vor dem Hochheben der Trage einen festen Stand suchte und sich daher mit der linken Hand (bewusst) abstützte; und nicht so, dass der Kläger etwa einen Sturz abfangen wollte. Dass der Kläger keine Vorunfälle hatte, mag zutreffend sein, bestätigt jedoch die vom Sachverständigen beschriebene vorbestehende degenerative Situation. In seinem Gutachten beschrieb der Sachverständige einen Vorfall von April 2024, welcher erneut beim Kläger eine ähnlich empfundene Schmerzsymptomatik auslöste. Dass dieser Vorfall als Begründung für die Annahme herangezogen worden wäre, dass innerhalb eines Jahres ein ähnlicher Zustand durch alltägliche Ereignisse eingetreten wäre, lässt sich den Ausführungen des Sachverständigen aber nicht entnehmen. Im April 2024 wurde vielmehr die vorbestehende degenerative Veränderung ebenso schmerzhaft aktiviert wie davor durch die Feuerwehrübung vom 28. Oktober 2023.

2.1In der Rechtsrüge setzt sich die Berufung nicht im erforderlichen Umfang mit der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts auseinander, dass gar kein „Unfall“ im Sinne des § 175 ASVG vorliegen würde, sondern verweist ohne nähere Ausführungen auf eine unzutreffende Rechtsansicht (vgl RIS-Justiz RS0043603, RS0043605, RS0041719).

2.2Der Hilfsbegründung des Erstgerichts, dass selbst bei Erfüllung des Unfallbegriffs iSd § 175 ASVG von keinem Arbeitsunfall auszugehen sei, da vorbestehende degenerative Veränderungen die wesentliche Schadensursache gewesen seien und auch im Alltag vorkommende Bewegungen in naher Zukunft zum selben Ergebnis geführt hätten, hält die Berufung entgegen, dass beim „Folgeereignis“ im April 2024 die Verletzungsfolgen des Ereignisses vom 28. Oktober 2023 bereits gegeben gewesen seien und aufgrund dieses Unfalls eine Vorschädigung beim Kläger vorgelegen habe. Mit diesen Ausführungen entfernt sich die Berufung jedoch vom festgestellten Sachverhalt und ist damit nicht gesetzmäßig ausgeführt (vgl RIS-Justiz RS0043603), stellte das Erstgericht doch fest, dass die veränderten anatomischen Verhältnisse nicht durch den Vorfall vom 28. Oktober 2023 verursacht wurden, sondern schon zuvor bestanden.

3 Der Berufung war damit ein Erfolg zu versagen.

4Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Umstände für einen Kostenersatz nach Billigkeit trotz vollständigen Unterliegens wurden vom Kläger weder dargelegt noch ergeben sich diese aus der Aktenlage; insbesondere haben im Verfahren weder tatsächliche noch rechtliche Schwierigkeiten bestanden.

5Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil eine Rechtsfrage von der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Qualität nicht zur Beurteilung vorlag. Ausschlaggebend sind irrevisible Tatfragen.