9Bs122/25t – OLG Linz Entscheidung
Kopf
Das Oberlandesgericht Linz hat durch die Richterinnen Dr. Engljähringer als Vorsitzende und Mag. Kuranda und den Richter Mag. Huemer-Steiner in der Maßnahmenvollzugssache betreffend A* wegen § 25 Abs 3 StGB und bedingter Entlassung aus der strafrechtlichen Unterbringung gemäß § 21 Abs 2 StGB über dessen Beschwerde gegen den Beschluss des Landesgerichts Steyr vom 19. Mai 2025, BE1*-14, in nichtöffentlicher Sitzung entschieden:
Spruch
Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.
Text
BEGRÜNDUNG:
Der ** geborene A* wurde mit Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 5. Juli 2006, Hv*, wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB sowie des Vergehens der pornografischen Darstellungen Minderjähriger nach § 207a Abs 1 Z 1 StGB (aF) zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Unter einem erfolgte seine Einweisung nach § 21 Abs 2 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher. Zudem wurde gemäß § 494a Abs 1 Z 4 StPO iVm § 51 StGB die bedingte Entlassung aus dem Maßnahmenvollzug (§ 21 Abs 2 StGB) zu BE2* des Landesgerichts für Strafsachen Graz widerrufen.
Die im Wege der Vikariierung (§ 24 StGB) verbüßte Haftzeit endete im Februar 2011; der Maßnahmenvollzug erfolgt seit Jänner 2008 nahezu durchgehend im FTZ B*.
Mit dem angefochtenen Beschluss vom 19. Mai 2025 (ON 14) stellte das Erstgericht nach Einholung einer forensischen Stellungnahme gemäß § 152 StVG (ON 6), Beischaffung eines Dekurses des Anstaltsarztes (ON 9.2), einer Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (ON 12) und Durchführung einer Anhörung (ON 13) fest, dass die weitere Unterbringung des Betroffenen in einem forensisch-therapeutischen Zentrum gemäß § 21 Abs 2 StGB notwendig ist.
Die sogleich angemeldete (ON 13, 2) und in der Folge durch einen Verteidiger schriftlich ausgeführte Beschwerde (ON 15), welche die Kassation des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung zur Verfahrensergänzung durch Einholung eines Sachverständigen-gutachtens aus dem Gebiet der internen Medizin anstrebt, ist nicht berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Gemäß § 47 Abs 2 StGB setzt eine bedingte Entlassung aus einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme voraus, dass nach der Aufführung und der Entwicklung des Angehaltenen in einer Anstalt, nach seiner Person, seinem Gesundheitszustand, seinem Vorleben und seinen Aussichten auf ein redliches Fortkommen – mit einfacher Wahrscheinlichkeit ( Birklbauer in SbgK StGB § 47 Rz 56 f mwH; Haslwanter in WK 2 StGB § 47 Rz 14; Tipold in Leukauf/Steininger StGB 4 § 47 Rz 2; OLG Wien 23 Bs 208/24t) – anzunehmen ist, dass die Gefährlichkeit, gegen die sich die vorbeugende Maßnahme richtet, nicht mehr besteht. Hingegen ist von einem Fortbestehen der Gefährlichkeit, deren Realisierung der Maßnahmenvollzug gerade verhindern soll, dann auszugehen, wenn die der Unterbringung zugrundeliegende Gefährlichkeit weiter vorliegt und sie außerhalb des forensisch-therapeutischen Zentrums („extra muros“) nicht hintangehalten werden kann (14 Os 37/24h; Haslwanter in WK² StGB § 47 Rz 5).
Die primär auf die Stellungnahme des FTZ B* vom 9. Jänner 2025 (ON 6) und die zahlreich aufliegenden Sachverständigengutachten (vgl Darstellung ON 6, 7 ff; ../ Personalakt) gegründeten Feststellungen des Erstgerichts, dass der Angehaltene unverändert an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung vom dissozialen und narzisstischen Subtyp mit querulativen Zügen (F61), einer Pädophilie (F65.4) und einer Alkoholabhängigkeit, gegenwärtig in beschützter Umgebung abstinent (F10.21), leidet (ON 14, 2), samt – ebenso unveränderter – Folgerungen der sehr hohen Wahrscheinlichkeit und Befürchtung, der Angehaltene werde unter dem maßgeblichen Einfluss dieser (unzweifelhaft) schwerwiegenden und nachhaltigen psychischen Störungen in absehbarer Zukunft, nämlich in einem Zeitraum von „0 bis 5 Jahren on risk“, unterbringungstaugliche Prognosetaten mit schweren Folgen im Sinn des § 21 Abs 2 StGB, konkret umschrieben mit sexuellen Missbrauchshandlungen an Unmündigen oder Straftaten in Bezug auf „pornografische Darstellungen Minderjähriger“ (iSd § 207a StGB) begehen, sind insgesamt unbedenklich und zu übernehmen.
Zur darüber hinausgehenden Einschätzung – gleichermaßen nach wie vor – fehlender Alternativen, die spezifische Gefährlichkeit des Betroffenen extramural hintanzuhalten, ist primär auf die überzeugenden Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen Dr. C* vom 15. April 2024 (BE3* des Landesgerichts Steyr) zu verweisen, wonach beim Angehaltenen der erneute Versuch einer psychotherapeutischen Behandlung alternativlos sei; ohne einen solchen Anknüpfungspunkt sei die Durchführung von freiheitsbezogenen Rehabilitationsmaßnahmen wenig zielführend, sodass in Ermangelung eines stabilen therapeutischen Verhältnisses Vollzugslockerungen nicht zu empfehlen seien (./ Personalakt GA Dr. C* 50; ON 6, 9). Diese Parameter, die bereits im April 2024 Vollzugslockerungen kontraindizierten, haben sich nach der Aktenlage bislang nicht maßgeblich verändert. Laut Stellungnahme des FTZ B* vom 9. Jänner 2025 (ON 6, 9 f) leidet der Angehaltene an einer forensisch ungünstigen Kombination aus Persönlichkeitsstörung und sexueller Störung, wobei bislang keine innere Einsicht besteht; vielmehr bestreitet er das Vorhandensein von pädosexuellen Interessen, Fantasien und Tathandlungen und kommt insbesondere der Psychotherapieauflage nicht zureichend nach. In Anbetracht des auch aktuell vorhandenen deutlich überdurchschnittlichen Rückfallrisikos (ON 6, 11) bei fehlender Einsicht und Veränderungsmotivation zu diversen Risikofaktoren, wobei der Beschwerdeführer sowohl Behandlungsmaßnahmen als auch Begutachtungen ablehnt (ON 6, 12) und bezüglich der Anlasstaten in verzerrten Anschauungsweisen verharrt, kann die bei ihm persistierende Gefährlichkeit außerstationär keinesfalls in ausreichendem Maß hintangehalten werden. Laut Stellungnahme des FTZ B* würde der Betroffene diesfalls aktuell in eine Hochrisiko-Situation entlassen werden, da er die Notwendigkeit, Hochrisikosituationen zu vermeiden, nicht ernstlich in Betracht zöge (ON 6, 14). Weiter besteht beim Angehaltenen selbst im intramuralen Setting kaum eine Bereitschaft, mit dem Personal zusammenzuarbeiten, wobei er in den letzten Jahren therapeutische Maßnahmen konsequent abgelehnt hat und seine Bemühungen und Hoffnungen stattdessen in ein angestrebtes Wiederaufnahmeverfahren setzt (ON 6, 14). Somit fällt bereits maßgeblich ins Gewicht, dass der Rechtsmittelwerber seit Februar 2018 an keine weiteren therapeutischen Maßnahmen angebunden werden konnte (ON 6, 15). Auch eine angebotene Gruppentherapie lehnte er mit dem Hinweis ab, dass er sich „mit seinem Wiederaufnahmeverfahren beschäftigen“ wolle, wobei aktuell keine Änderungen in dieser Verweigerungshaltung evident sind (ON 6, 15 f; ON 12, 3).
Ebenso wenig lassen sich aus der Äußerung der Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter positive Veränderungen ableiten (ON 12, 3). Vielmehr wurden der forensischen Stellungnahme der Anstaltsleitung zufolge (ON 6, 5) erst im September 2024 anlässlich einer routinemäßigen Kontrolle – einmal mehr, zumal ein Aufgriff einer umfangreichen und akribischen Bildersammlung, zeigend Geburten sowie nackte Erwachsene und Kinder bei Operationen, auch aus dem Jahr 2019 dokumentiert ist (ON 12, 3) – am PC des Beschwerdeführers tausende Bilder mit verletzten, leidenden und schmerzerfüllten Kindern, außerdem Abbildungen nackter Neugeborener und weiteres deviantes Bildmaterial vorgefunden, was vielmehr darauf schließen lässt, dass der Betroffene selbst im Rahmen des hochstrukturierten Maßnahmenvollzugs seine sexuelle Triebhaftigkeit nicht kontrollieren kann (ON 6, 12 und 16).
Der Beschwerde zuwider ist die Einholung eines internistischen Gutachtens zum Beweis dafür, dass der Betroffene aufgrund seiner körperlichen Verfassung nicht mehr in der Lage sei, relevante Prognosetaten zu begehen, nicht geboten. Eine starke Beeinträchtigung des Sehvermögens, weshalb der Rechtsmittelwerber nur mehr erschwert einen Computer bedienen könne, war für ihn offenkundig kein Hindernis, noch bis September 2024 eine umfangreiche digitale Sammlung an – zum Teil deliktsanalogen – Bildern anzuhäufen. Die vorgelegte Patientenakte (ON 15.1) endet zeitlich mit Juli 2023, sodass mit Bezug auf das jüngste Gutachten von April 2024 keine relevante Änderung der Verhältnisse abgeleitet werden kann. Im Übrigen legte der Anstaltsarzt in seiner Äußerung vom 24. März 2025 unmissverständlich dar, dass die Diagnosen des Betroffenen (Prostatakarzinom, COPD) bzw deren (Nicht-)Behandlungen keine triebhemmende Wirkung entfalten, wobei anzumerken ist, dass der Rechtsmittelwerber auch eine Krebsbehandlung ablehnt (ON 9.2). Ins Bild fügt sich dazu die gutachterliche Expertise des psychiatrischen Sachverständigen Dr. C*, mit der er plausibel der gegenteiligen forensisch-neuropsychologischen Bewertung des Sachverständigen Dr. D* aus dem Jahr 2023 (vgl ON 6, 8 f) – zusammengefasst des Inhalts, es sei aufgrund des Alters des Betroffenen durch das Erlöschen dessen sexueller Appetenz, außerdem durch dessen Überzeugung der subjektiven Unschuld im Sinn des Einweisungsdelikts sowie dessen nunmehr vieljähriger Alkoholabstinenz in geschützter Umgebung die Rückfallgefahr für Sexualdelikte mittlerweile zu relativieren; vielmehr seien mangels einweisungsrelevanter Gefährlichkeit ab sofort Entlassungsvorbereitungen zu empfehlen (./ Personalakt GA Dr. D* 6 f) – explizit entgegentritt (./ Personalakt GA Dr. C* 47 f): Zwar komme es in höherem Alter zu einer Abnahme von Impulsivität und Dissozialität und damit einhergehend auch zu einer Abnahme von vor diesem Hintergrund (Aggression, stark erhöhte Erregungsbereitschaft) getriggerten gewalttätig durchgeführten Sexualdelikten; diese Beobachtung gelte jedoch nicht für die Gruppe von (idR nicht gewalttätigen) Kindesmissbrauchern mit sexuell devianter Störung (der der Betroffene nach dem Einweisungsgutachten Prim. Dris. F* zuzuordnen ist, vgl ON 6, 6; ./ Personalakt GA Dr. F* 24 ff), deren Risiko für neuerliche Sexualdelikte weitgehend gleich bleibe, obwohl Impulsivität und Dissozialität abnähmen. Überdies stelle eine kontinuierliche Leugnung der Delinquenz keinen protektiven Effekt, sondern vielmehr einen dramatischen Risikofaktor für weitere pädosexuelle Delikte dar.
Aus dem Erkenntnis des EGMR (20. Juli 2017, Bsw 11537/11, Lorenz gegen Österreich ), welches im Übrigen primär nur die Frage der Aktualität eines psychiatrischen Gutachtens tangiert, ist für den Beschwerdestandpunkt nichts zu gewinnen, da hieraus nicht abgeleitet werden kann, dass ausnahmslos alle ein oder zwei Jahre ein neues Gutachten einzuholen wäre ( Pieber in WK² StVG § 162 Rz 18). Abzustellen ist auch nach der Rechtsprechung des EGMR (vgl RIS-Justiz RS0128272 [T10]) vielmehr darauf, dass ein Gutachten ausreichend aktuell ist, um den klinischen Zustand der betroffenen Person – mit fallbezogenem Blick auf potentiell bedeutsame Änderungen seit der letzten Untersuchung – beurteilen zu können. Solche Änderungen sind hier aber nach dem früher Gesagten nicht in Sichtweite.
Um zu betonen, dass die Gefahr der Begehung der Prognosetat(en) „aktuell“ sein muss, wurde mit dem MVAG 2022 die Wortfolge „in absehbarer Zukunft“ eingefügt. Die rechtliche Wertung eines Zeitraum als „absehbar“ bedarf aber nicht dessen sachverhaltsmäßiger Abgrenzung nach einer bestimmten Anzahl von Wochen oder Monaten (12 Os 124/23m mwH; 11 Os 80/23h ua; Michel-Kwapinski/Oshidari StGB 15 § 21 Rz 12 mN). Unabsehbarkeit (als kontradiktorisches Gegenteil) ist demgegenüber durch das Fehlen jeder Möglichkeit zu zeitlicher Eingrenzung gekennzeichnet. Der vom Gesetzgeber verlangte zeitliche Bezugsrahmen wird im Übrigen bereits durch das Abstellen auf eine hohe Wahrscheinlichkeit der (zukünftigen) Begehung einer oder mehrerer Prognosetaten vorgegeben ( Haslwanter in WK² StGB Vor §§ 21–25 Rz 4/1 mwH; Ratz , Anm zu EvBl 2024/18, 64). In dem Sinn bieten die aktuell vorliegenden Einschätzungen des Sachverständigen Dr. C* und der Betreuungsverantwortlichen in der Zusammenschau mit der unveränderten psychiatrischen Diagnose des Betroffenen, seiner langjährigen, durch drei im engsten Sinn einschlägige Verurteilungen, Einweisung nach § 21 Abs 2 StGB und rascheste Rückfälligkeit charakterisierten strafrechtlichen Biographie (ON 5; ON 6, 2 f), seinem beschriebenen Verhalten im gegenwärtigen Vollzug und einem inexistenten sozialen Empfangsraum (ON 6, 5 f) entgegen der Beschwerdekritik eine hinreichende Basis für die Annahme, der Rechtsmittelwerber werde mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit innerhalb eines maximal fünfjährigen Beobachtungszeitraums – und somit absehbar – neuerlich störungsbedingt pädosexuelle Handlungen mit schweren Folgen analog den Anlasstaten begehen.
An diesem Ergebnis vermag auch das Fehlen einer Stellungnahme der Sicherheitsbehörden nach § 167 Abs 2 StVG, welche weniger der Erkundung eines geeigneten sozialen Empfangsraums für den Rechtsmittelwerber als der Auslotung der (bedingter Entlassung entgegenstehenden) sicherheitspolizeilichen Interessen im potentiellen Entlassungsumfeld des Betroffenen dient, nichts zu ändern.
Es wird also weiterhin am Beschwerdeführer liegen, den für seine Person erforderlichen Therapieprozess zuzulassen und damit einen wichtigen Grundstein für Vollzugslockerungen zu legen.
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diese Entscheidung steht ein weiterer Rechtszug nicht zu (§ 89 Abs 6 StPO).